OGH 12Os41/86

OGH12Os41/8617.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.April 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Felzmann und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführer in der Strafsache gegen Hermann H*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 16. Oktober 1985, GZ 20 e Vr 251/85-70, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Tschulik als Vertreter der Generalprokuratur und des Verteidigers Dr. Itzlinger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben und der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 18 (achtzehn) Jahren verurteilt. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Hermann H*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 8.Jänner 1985 in Wien seine Ehegattin Ingrid H*** dadurch, daß er ihr mit einem gläsernen Aschenbecher und einem Reliefbild wuchtige Schläge auf den Kopf versetzte und ihr mit einem Küchenmesser zwei Halsschnitte zufügte, vorsätzlich getötet zu haben. Die Geschwornen hatten die entsprechende anklagekonform gestellte Hauptfrage 1 (stimmeneinhellig) bejaht; demgemäß ist eine Beantwortung der Eventualfragen 2 bis 4 nach Totschlag, absichtlicher schwerer Körperverletzung bzw. (vorsätzlicher) Körperverletzung mit tödlichem Ausgang entfallen.

Seinen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Der Strafausspruch wird mit Berufung angefochten.

Rechtliche Beurteilung

Zum erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben von Zusatzfragen nach Tatbegehung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit und nach Notwehr bzw. Putativnotwehr. Den Beschwerdeausführungen zuwider sind jedoch in der Hauptverhandlung keine Tatumstände vorgebracht worden, die, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit ausschließen würden:

Mit seiner Verantwortung in der Hauptverhandlung, er habe "durchgedreht", "rot gesehen" und seine hysterisch schreiende Frau "aus Angst" zum Schweigen bringen wollen (vgl. Band III, S 235 dA), ist vom Angeklagten kein solches Maß konkreter Tatsachen behauptet worden, daß darin die Annahme einer seiner Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ausschließenden tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder einer anderen schweren - auf einem höchstgradigen Affekt beruhenden und in ihren Auswirkungen einer Geisteskrankheit oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung gleichwertigen - seelischen Störung Deckung finden könnte. Er hat - im Gegensatz zu seiner Darstellung vor dem Sicherheitsbüro der Bundespolizeidirektion (vgl. Band I, S 197, 244 dA) - in der Hauptverhandlung (und weniger präzise schon vor dem Untersuchungsrichter [vgl. Band I, S 19 e, 19 f dA]) zwar vorgebracht, sich nicht erinnern zu können, auf seine Frau (letztlich auch) mit einem Messer zugestochen zu haben (vgl. Band III, S 233, 235 dA), den übrigen Ereignisablauf hat er jedoch in den wesentlichen Zügen zu schildern vermocht. Laut Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Dr. Heinz P*** lag beim Angeklagten keine (tiefgreifende) Störung der Bewußtseinstätigkeit vor, sondern lediglich eine affektive Beeinträchtigung seiner Bewußtseinslage, womit im Einklang stünde, daß ihm einzelne Detailereignisse nicht in Erinnerung geblieben oder von ihm verdrängt worden sind (vgl. Band III, S 75 ff, 245 f dA). Durch die Angaben des Angeklagten und durch das Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen ist daher nur indiziert gewesen, daß Hermann H*** zur Tatzeit von einem tiefgreifenden (schuldmindernden) Affekt ergriffen war, welcher verstandesmäßige Erwägungen zurückgedrängt hat; es lassen sich daraus jedoch keine beweismäßigen Hinweise dafür gewinnen, daß bei ihm in irgendeiner Phase des Geschehens eine Bewußtseinstrübung von einer Intensität vorgelegen wäre, die sein seelisches Gefüge zerstört oder ganz erheblich erschüttert (vgl. Leukauf-Steininger, Komm. 2 , RN 11 zu § 11 StGB) und solcherart Diskretionsunfähigkeit bewirkt haben könnte. Zur Stellung einer Zusatzfrage nach dem Schuldausschließungsgrund des § 11 StGB bestand sohin selbst für den Fall, daß der Angeklagte nach Beurteilung der Geschwornen erst bei Zufügung der tödlichen Verletzung mit dem Messer mit Tötungsvorsatz gehandelt haben sollte, kein Anlaß.

Ebenso versagt der Beschwerdeeinwand, den Geschwornen wäre eine Zusatzfrage nach dem Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 3 Abs. 1 StGB) oder zumindest nach dem Schuldausschließungsgrund der Putativnotwehr (vgl. § 8 StGB) zu stellen gewesen. Der Tatschilderung des Angeklagten kann nämlich keineswegs entnommen werden, er sei der Meinung gewesen, sich nur der notwendigen Verteidigung bedient zu haben, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriff (seitens Ingrid H***) auf sein Leben von sich abzuwenden. Hat er doch zugegeben, mit seiner Frau, nachdem deren tätlicher Angriff (Werfen eines Aschenbechers) gegen ihn bereits gescheitert war, zunächst "gerauft" (d.h. Angriffs- und Abwehrhandlungen gesetzt) zu haben und seine Attacken fortgesetzt zu haben, als er auf der auf dem Bauch liegenden rittlings zu sitzen kam, indem er mit einem Reliefbild aus Metall auf das nunmehr wehrlose Opfer einschlug, um es zum Schweigen zu bringen (vgl. Band I, S 243, III, S 231 ff dA). Tatumstände, durch welche das Vorliegen einer Notwehrsituation oder auch nur die irrtümliche Annahme einer solchen in den näheren Bereich der Möglichkeit gerückt worden wäre, sind demnach, wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, in der Hauptverhandlung nicht vorgebracht worden, sodaß sich auch eine Fragestellung in dieser Richtung erübrigte. Aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO rügt der Beschwerdeführer, daß nicht schon in der Rechtsbelehrung zur Hauptfrage 1 die für die Beurteilung der Tat als Totschlag wesentlichen Merkmale erörtert worden sind, sodaß den Geschwornen "der Weg zur komparativen Auseinandersetzung" mit den Abgrenzungskritierien zwischen Mord und Totschlag versperrt gewesen sei. Dabei übersieht er jedoch, daß die schriftliche Rechtsbelehrung von den Geschwornen stets als Ganzes zur Kenntnis zu nehmen ist. Die Darlegung der Voraussetzungen für den privilegierenden Tatbestand nach § 76 StGB im Zusammenhang mit der zufolge Bejahung der Hauptfrage 1 unbeantwortet gebliebenen Eventualfrage 2 ist demnach nicht geeignet gewesen, die Geschwornen bei ihrem Wahrspruch irrezuleiten. Daß ein derartiges Mißverständnis der Geschwornen über den Unterschied zwischen Mord und Totschlag auszuschließen ist, ergibt sich zudem eindeutig aus der Niederschrift ihrer Erwägungen (vgl. Beilage E/ zum Hauptverhandlungsprotokoll, Band III, ON 69 dA). Es trifft zu, daß in der schriftlichen Rechtsbelehrung auf den zu beurteilenden konkreten Sachverhalt nicht einzugehen ist, weil Gegenstand der Rechtsbelehrung nur rechtliche, nicht aber tatsächliche Umstände sein können, welche nur für die Beweiswürdigung in Betracht kommen. Eine Verletzung dieses Grundsatzes, durch welche die Geschwornen in Richtung einer Bejahung des Tötungsvorsatzes beeinflußt worden sein könnten, erblickt der Beschwerdeführer in jenem Abschnitt der Rechtsbelehrung, in welchem "zum konkreten Fall" auf die vorliegend in Betracht kommende Variante eingegangen wird, daß der Täter im Rahmen eines einheitlichen Tatgeschehens zunächst mit Verletzungsvorsatz und erst in einer späteren Phase mit Tötungsvorsatz handelt, und hiezu ausgeführt wird, das Delikt der (vorsätzlichen oder absichtlichen schweren) Körperverletzung würde diesfalls gegenüber dem nachfolgenden Tötungsdelikt zurücktreten; sollte angenommen werden, daß der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst bei der Tathandlung mit dem Messer gefaßt habe, wäre demnach unter dem rechtlichen Aspekt einer unechten Realkonkurrenz bei Bejahung der Hauptfrage keine Einschränkung gemäß § 330 Abs. 2 StPO hinsichtlich der vorangegangenen Tathandlungen vorzunehmen (vgl. S 12/13 der Rechtsbelehrung, Beilage C/ zum Hauptverhandlungsprotokoll, Band III, ON 69 dA). Wenngleich der Schwurgerichtshof damit auf den konkreten Fall Bezug genommen hat, ist der durch die Frage notwendige Rahmen der Rechtsbelehrung doch nicht in einer Weise überschritten worden, die den Geschwornen eine bestimmte Beurteilung des Sachverhaltes nahelegte. Daß den Geschwornen nicht bloß allgemein die rechtlichen Konsequenzen einer solchen Tatkonstellation dargelegt worden sind, sondern deren rechtliche Bedeutsamkeit auch anhand des konkreten Sachverhalts vor Augen geführt worden ist, macht die Rechtsbelehrung noch nicht im Sinne der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO unrichtig. Denn im Gesamten gesehen waren die bezüglichen Ausführungen in der Rechtsbelehrung weder geeignet, bei den Geschwornen unrichtige Vorstellungen über die in concreto wesentliche Rechtslage hervorzurufen, noch wurde durch ein Vorgreifen auf die Lösung der Tatfrage, ob und inwieweit der Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, auf deren Entscheidung ein dem Angeklagten nachteiliger Einfluß ausgeübt (vgl. Mayerhofer-Rieder 2 , II/2, Nr. 17 zu § 345 Z 8 StPO). Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war sohin zu verwerfen.

Hermann H*** wurde nach § 75 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Bei der Strafbemessung war die besondere Brutalität der Tatausführung erschwerend und das Tatsachengeständnis mildernd.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Dauer der Freiheitsstrafe schuldangemessen herabzusetzen.

Die Berufung ist berechtigt.

Zu dem vom Erstgericht angenommenen Tatsachengeständnis des Angeklagten, das zur Wahrheitsfindung wesentlich beigetragen hat, kommt als weiterer Milderungsumstand noch der durch den vorausgehenden Angriff des Opfers und die besondere Lebenssituation des Angeklagten bewirkte Erregungszustand. Hingegen kann von einer besonderen Brutalität, die vom Geschwornengericht als erschwerend herangezogen wurde, nicht gesprochen werden. Die wuchtigen Schläge mit einem gläsernen Aschenbecher und einem Reliefbild auf den Kopf und die mit einem Küchenmesser zugefügten Halsschnitte übersteigen nicht die mit dem Verbrechen des Mordes üblicherweise verbundene Brutalität in außergewöhnlichem Ausmaß.

Unter Berücksichtigung dieser korrigierten Strafbemessungsgründe war der Berufung des Angeklagten Folge zu geben und die Strafe auf eine schuld- und tatangemessene Höhe herabzusetzen. Die Kostenentscheidung beruht auf der angeführten Gesetzesstelle.

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