OGH 2Ob551/86

OGH2Ob551/868.4.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Michael Thomas K***, geboren am 21. September 1975, infolge Revisionsrekurses der Mutter Christine K***, Hausfrau, Kapuzinerstraße 47, 4020 Linz, vertreten durch Dr. Peter Wagner, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 10. Dezember 1985, GZ. 13 R 832/85-206, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Linz vom 8. Oktober 1985, GZ. 3 P 218/84-201, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des minderjährigen Michael Thomas K*** wurde am 7. September 1978 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. Mit Beschluß vom 21. November 1978 wurden die Elternrechte der Mutter übertragen, ein Antrag des Vaters auf Übertragung der Elternrechte vom 23. Dezember 1980 wurde mit Beschluß vom 6. Juli 1983 abgewiesen.

Am 13. September 1984 stellte der Vater neuerlich den Antrag, ihm die Elternrechte zu übertragen.

Das Erstgericht gab diesem Antrag statt. Aus seinen umfangreichen Feststellungen ist folgendes hervorzuheben:

Die Mutter hat am 28. März 1981 ihren 12 mal vorbestraften Lebensgefährten geheiratet. Dieser zweiten Ehe der Mutter entstammen zwei Kinder. Die Familie wurde im Juli 1984 delogiert und in einer nicht familiengerechten "Übergangswohnung" der "Caritas", die nicht einmal Türen hat, untergebracht. Die Mutter borgte sich in der Zeit von April 1982 bis April 1984 von zwei alten leichtgläubigen Schwestern unter Vorspielung unrichtiger Behauptungen insgesamt S 668.000,-- aus und lockte den Schwestern dann die Schuldbestätigungen heraus, weshalb die Mutter mit Urteil vom 12. Dezember 1984 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges sowie des Vergehens der Urkundenunterdrückung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, bedingt auf drei Jahre verurteilt wurde. Der zweite Ehegatte der Mutter wurde mit Urteil vom 10. Juli 1985 wegen des Verbrechens der gewerbsmäßigen Hehlerei, des Verbrechens des teils versuchten und teils vollendeten gewerbsmäßigen Betruges sowie des Vergehens des Diebstahls und der Urkundenfälschung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Mutter strebt die Ehescheidung von ihrem zweiten Ehemann an. Sie hat noch immer keine Wohnung gefunden, die Verhältnisse "wachsen ihr über den Kopf", der Haushalt wird von ihr zum Teil schwer vernachlässigt. Sie ist aber um ihre drei Kinder bemüht und lebt von Sozialunterstützungen und Alimenten. Der minderjährige Michael möchte von der Mutter nicht weg, es gefällt ihm aber auch beim Vater gut, auch mit den väterlichen Großeltern versteht er sich gut. Er fürchtet, beim Vater ohne Geschwister als "Einzelkind" aufwachsen zu müssen, und ist darüber nicht erfreut, daß der Vater seine Frauenbekanntschaften wechselt. Zwischen dem Minderjährigen und der Mutter besteht eine ausgeprägte Mutterbeziehung, die Beziehung zum Vater ist "verunsichert". Aus psychiatrischer Sicht bestehen gegen einen Verbleib des Kindes bei der Mutter wegen deren Labilität Bedenken, die starke Bindung kann sich auf das Kind nachteilig auswirken. Ein Wechsel der Hauptbezugsperson wäre für den Minderjährigen eine große Belastung. Der Vater ist Justizwachebeamter und bewohnt ein Einfamilienhaus in Garsten. Im Gegensatz zur Mutter kann er dem Minderjährigen geordnete Erziehungsverhältnisse und materielle Sicherheit bieten. Für die Zeit seiner beruflichen Verhinderung stehen die väterlichen Großeltern, die ebenfalls in Garsten wohnen, zur Verfügung. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Zuteilung der Elternrechte an den Vater entspreche eher dem Wohl des 10 Jahre alten Minderjährigen als ein Weiterverbleib bei der Mutter, die auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur und charakterlichen Anlage erziehungsuntauglich und nicht in der Lage sei, ihre Lebenssituation "in den Griff zu bekommen". Die bei der letzten Elternrechtszuteilung zum Ausdruck gekommene Erwartung hinsichtlich einer Normalisierung ihres Lebens hätte sich nicht erfüllt. Sie habe einen schwer vorbestraften Mann geheiratet, der wieder rückfällig geworden sei, und sei selbst strafgerichtlich verurteilt worden, weil sie zwei Frauen deren mühsam erworbene Ersparnisse herausgelockt habe. Die Betreuungsverhältnisse seien für den Minderjährigen beim Vater wesentlich besser als bei der Mutter. Dem Umstand, daß der Vater in den letzten fünf Jahren drei ernstere Frauenbekanntschaften gehabt habe, könne kein derart negatives Gewicht beigemessen werden, zumal es verständlich sei, daß der Vater eine neue Partnerin suche.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge. Es setzte sich ausführlich mit der Beweiswürdigung des Erstgerichtes auseinander, gelangte zu dem Ergebnis, daß die Feststellungen unbedenklich seien, und teilte auch die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Nach Zuteilung der Elternrechte an einen Elternteil komme eine Änderung nur bei einem Gefährdungstatbestand des § 176 ABGB in Frage. Hiebei genüge es, daß die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt werden oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden. Eine Änderung sei nur vorzunehmen, wenn besondere Umstände dafür sprechen, daß die durch die Persönlichkeit, den Charakter, die pädagogischen Fähigkeiten und die wirtschaftlichen Verhältnisse des vorgesehenen neuen Pflege- und Erziehungsberechtigten eröffneten Möglichkeiten aller Voraussicht nach zu einer beachtlichen Verbesserung der Lage und der Zukunftserwartungen des Minderjährigen führen werden. Das auf Grund des Antrages des Vaters vom 13. September 1984 durchgeführte Verfahren habe mit geradezu erschreckender Deutlichkeit gezeigt, daß die der pflegschaftsgerichtlichen Entscheidung vom Jahre 1983 zugrundeliegenden Erwartungen auf eine Stabilisierung und Normalisierung der Situation bei der Mutter nicht eingetreten seien. Der Stiefvater sei erneut, die Mutter erstmals straffällig geworden. Die Ehe sei gescheitert, die finanzielle Situation der Mutter trostlos, die Wohnungssituation "provisorisch", die Einsicht der Mutter in ihre derzeitige Situation und ihre Vorstellungen zur Bewältigung derselben seien realitätsfremd und unbestimmt und böten keinen Anhaltspunkt für eine Erwartung der Verwirklichung einer Stabilisierung. Wenn auch die strafgerichtliche Verurteilung der Mutter für sich allein keinen Grund darstelle, sie als zur Erziehung ungeeignet bzw. das Wohl des Kindes gefährdend erscheinen zu lassen, sei doch der Schluß des Erstgerichtes auf eine sich aus den Begehungsumständen der Tat erschließbare Hinterhältigkeit des Charakters der Mutter nicht von der Hand zu weisen. Die finanziellen Probleme und die Wohnungssituation der Mutter seien ungelöst. Abgesehen von diesen äußeren, allein schon das Kindeswohl gefährdenden Umständen der Mutter sei wesentliches Entscheidungskriterium jene Rolle bzw. jene Position der Verantwortung, in die der Zehnjährige, der seine Mutter liebe und ihr helfen möchte, hineingedrängt werde, die ihn aber altersbedingt wesentlich überfordern müsse. Keinesfalls sei es begrüßenswert für die Entwicklung eines Zehnjährigen, daß dieser in eine Vaterrolle hineingedrängt werde, weil die Mutter ihn brauche, im Besonderen nicht in einer derart existentiell schwierigen nicht überschaubaren Situation wie der der Mutter. Die Verhältnisse beim Vater, zu dem der Minderjährige ebenso wie zu den väterlichen Großeltern ein gutes Verhältnis habe, seien günstig. Eine Änderung der Unterbringung sei zwar problematisch, weil Pflege und Erziehung vom Grundsatz der Kontinuität geleitet werden sollen, und dem Kind, das in einer innigen Beziehung zur Mutter und den Halbgeschwistern stehe, durch die Umstellung eine Belastung auferlegt werde, die besonderen Umstände des Falles sprächen aber trotzdem dafür, dem Vater die Elternrechte zu übertragen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter. Sie macht Nichtigkeit und offenbare Gesetzwidrigkeit geltend und beantragt, den Beschluß des Rekursgerichtes dahin abzuändern, daß der Antrag des Vaters auf Übertragung der elterlichen Rechte abgewiesen werde. Hilfsweise stellt die Mutter einen Aufhebungsantrag.

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil keiner der im § 16 AußStrG angeführte Gründe, aus denen die Bekämpfung konformer Entscheidungen der Vorinstanzen allein zulässig ist, vorliegt.

Nichtigkeit wird deshalb behauptet, weil der Mutter keine Gelegenheit gegeben worden sei, zu einigen Beweisergebnissen Stellung zu nehmen. Hier wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, was im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses nach § 16 AußStrG nicht zulässig ist (EFSlg. 44.681 uva.). Von einem das Gewicht einer Nichtigkeit erreichenden Verfahrensmangel kann jedenfalls keine Rede sein.

Zum Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit weist die Mutter auf die Belastung des Kindes bei einer Änderung hin und führt aus, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes solle eine Änderung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse möglichst vermieden werden. Eine solche sei nur aus besonderen Gründen vorzunehmen, die im gegebenen Fall nicht vorlägen. Der Wunsch des Kindes sei nicht entsprechend berücksichtigt worden. Der berufstätige Vater sei weder in der Lage noch bereit, die erforderliche Zeit für den Minderjährigen aufzubringen, die Unterbringungsmöglichkeit bei den Großeltern könne durch deren Krankheit oder Tod in kurzer Zeit wegfallen. Die Mutter habe strafbare Handlungen begangen, weil sie ihrem zweiten Ehegatten habe helfen wollen, sie bereue dies, ihre zweite Ehe sei mittlerweile geschieden worden, die strafbare Handlung der Mutter habe auf die Entwicklung des Kindes keinen Einfluß. Richtig sei zwar, daß ihre finanzielle Situation nicht gut und die Wohnungssituation nicht ideal sei, doch könne dies ein Herausreißen des Minderjährigen aus der gewohnten Umgebung nicht rechtfertigen.

Richtig ist wohl, daß nach ständiger Rechtsprechung eine Änderung der Pflege und Erziehungsverhältnisse nach Möglichkeit vermieden werden soll, besondere wichtige Gründe können eine Änderung jedoch gerechtfertigt erscheinen lassen (EFSlg. 35.997, 43.388 uva.). Die Vorinstanzen haben nach einem gründlich geführten Verfahren in ihren Entscheidungen eingehend begründet, weshalb ein Verbleib bei der Mutter sowohl wegen deren Persönlichkeit als auch wegen verschiedener äußerer Umstände (insbesondere der prekären finanziellen Lage und des Fehlens einer entsprechenden Wohnmöglichkeit) für den Minderjährigen ungünstig, eine Übertragung der elterlichen Rechte an den in geordneten Verhältnissen lebenden Vater hingegen für das Kindeswohl günstig wäre. Inwieweit diese Ansicht offenbar gesetzwidrig sein sollte, vermag die Mutter in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs in keiner Weise aufzuzeigen. Die behaupteten Anfechtungsgründe des § 16 AußStrG liegen daher nicht vor, weshalb der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter als unzulässig zurückgewiesen werden mußte.

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