Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die Zusatz-Freiheitsstrafe auf 3 (drei) Jahre und 4 (vier) Monate herabgesetzt; im übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Erwin H*** des Verbrechens der schweren Erpressung nach §§ 144 Abs 1, 145 Abs 2 Z 2 StGB schuldig erkannt.
Darnach hat er von ungefähr 1962 bis August 1982 in Lilienfeld mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Genötigten unrechtmäßig zu bereichern, Raimund R*** wiederholt durch die (gefährliche) Drohung, er werde dessen homosexuelle Neigung öffentlich bekannt machen, wenn er ihm nicht Geld gebe, zur Übergabe von insgesamt ungefähr einer Million Schilling, also zu Handlungen genötigt, die den Genannten am Vermögen schädigten, und solcherart die Erpressung gegen dieselbe Person längere Zeit hindurch fortgesetzt.
Rechtliche Beurteilung
Der auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch kommt keine Berechtigung zu.
Seiner leugnenden Verantwortung entsprechend, derzufolge R*** gar nicht homosexuell gewesen sei und ihm das Geld in voller Höhe aus Freundschaft zugewendet habe, versucht der Beschwerdeführer im Rahmen der Mängelrüge (Z 5), eine offenbare Unzulänglichkeit der Urteilsbegründung zu der ihr zuwiderlaufenden Annahme einer homosexuellen Neigung des Tatopfers und ihrer erpresserischen Ausnützung durch ihn aufzuzeigen und außerdem darzutun, daß die Verwertung der ihn belastenden Zeugenaussagen zu seinem Nachteil auf einer unvollständigen und "absurden" Beweiswürdigung beruhe. Alle diese Einwände gehen jedoch fehl.
Die Feststellung, daß der inzwischen verstorbene R*** zur Homosexualität neigte, hat das Erstgericht keineswegs auf bloße "Gerüchte" und "Redereien" gestützt, sondern vor allem auf die Aussage des Zeugen Dr. S***, dem sich der Genannte letzten Endes mit der Bekanntgabe anvertraut hatte, daß er vor Jahrzehnten eine homosexuelle Affäre gehabt habe und seither vom Angeklagten erpreßt werde; im Licht dieses Beweismittels konnte es sehr wohl auch aus den Wahrnehmungen der Zeugen H***, K***, H***, L*** und W*** bestätigende Hinweise auf eine homosexuelle Neigung des Tatopfers ableiten und zur Begründung der dahingehenden Konstatierung mitverwerten (US 5, 6/7).
Die bekämpfte Beweisführung steht demnach mit den Denkgesetzen und mit allgemeiner Lebenserfahrung durchaus im Einklang; daß sie zwingend sein müßte, ist in der Prozeßordnung nicht vorgeschrieben. Der Sache nach ficht der Beschwerdeführer mit seinen darauf bezogenen Einwänden ebenso wie mit seinen Argumenten gegen jene Überlegungen des Schöffengerichts, welche die Sorge des Erpreßten um sein gesellschaftliches Renommee einerseits und die allgemeine Bekanntheit seiner Homosexualität anderseits betreffen (US 6/7), nur nach Art und Zielsetzung einer im schöffengerichtlichen Rechtsmittelverfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung unzulässigerweise die erstinstanzliche Beweiswürdigung an. Im wesentlichen Gleiches gilt auch für seine Angriffe gegen die Beweiskraft der ihn belastenden Zeugenaussagen.
Daß Dr. S*** erst nach dem Tod des Erpreßten und als dessen Erbe den Sachverhalt anzeigte, hat das Erstgericht ohnehin ebenso festgestellt wie den Umstand, daß sich letzterer zu seinen Lebzeiten dem Erstgenannten sowie Nachbarn und Bekannten gegenüber in bezug auf eine Anzeigeerstattung ablehnend verhielt (US 5/6); desgleichen nahm es entgegen der Verantwortung des Angeklagten als erwiesen an, daß er nach einer durch die Mitteilungen des Tatopfers ausgelösten Intervention des Dr. S*** bei seiner Gattin im August 1982 nicht mehr bei R*** erschien und dementsprechend von diesem kein Geld mehr erhielt (US 5, 8).
Damit liegt klar auf der Hand, daß das Schöffengericht den Grund für das Unterbleiben einer früheren Verständigung der Behörden durch die mit Verdachtsgründen konfrontierten Zeugen in der Respektierung der Interessen des Erpreßten erblickte und der Unterstellung des Beschwerdeführers, Dr. S*** habe deswegen erst nach dem Tod des Opfers aus finanziellen Motiven eine wissentlich falsche Anzeige erstattet, weil sich zu dessen Lebzeiten deren Unrichtigkeit erwiesen hätte, ebensowenig Glauben geschenkt hat wie anderen verleumderischen Bezichtigungen von Zeugen (US 8). Von einer Unvollständigkeit oder offenbaren Unzulänglichkeit der Urteilsbegründung im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes kann daher insoweit keine Rede sein; mit dem genauen Zeitpunkt der Anzeigeerstattung und mit allen Details aus der Verantwortung des Angeklagten mußte sich das Erstgericht im Interesse einer gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) nicht auseinandersetzen.
Verfehlt ist aber auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) des Angeklagten, mit der er die Auffassung vertritt, daß die Ankündigung einer öffentlichen Bekanntgabe der homosexuellen Neigung einer Person nicht als (nach § 144 Abs 1 StGB tatbestandsmäßige) gefährliche Drohung anzusehen sei.
Dazu ist nämlich keineswegs, wie er (anscheinend unter Verwechslung mit einem der Qualifikationsgründe nach § 145 Abs 1 Z 1 StGB) vermeint, die Besorgnis einer "Vernichtung der gesellschaftlichen Stellung" vorauszusetzen; nach § 74 Z 5 StGB genügt vielmehr die Ankündigung einer Verletzung an der Ehre, die geeignet ist, dem Bedrohten mit Rücksicht auf die Verhältnisse und seine persönliche Beschaffenheit oder die Wichtigkeit des angedrohten Übels begründete Besorgnisse einzuflößen. Insoweit reicht jedoch die Behauptung einer homosexuellen Neigung durchaus hin, den Geltungswert ihres Trägers in der Gesellschaft zu schmälern; daran vermag auch eine in der Beschwerde behauptete angeblich erhebliche Aufgeschlossenheit der Bevölkerung gegenüber der Homosexualität nichts zu ändern, weil die damit in Wahrheit relevierte erhöhte Bereitschaft zur Toleranz eines von der sozialadäquat heterosexuellen Orientierung abweichenden Verhaltens einer Minderheit das nichtsdestoweniger nach wie vor in der Gesellschaft - gleichwie in der Strafrechtsordnung (§§ 209, 210, 220, 221 StGB) - verankerte negative Werturteil über eine derartige geschlechtliche Einstellung nicht in Frage stellt (vgl. EvBl 1984/143 ua).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten nach § 145 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 1.März 1984, GZ 16 E Vr 1230/83-8, mit dem er wegen des Vergehens des Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (mit rund 42.000 S Schaden) zu acht Monaten (bedingt nachgesehener) Freiheitsstrafe verurteilt worden war, gemäß §§ 31, 40 StGB zu vier Jahren und vier Monaten Zusatz-Freiheitsstrafe.
Bei der Strafbemessung wertete es keinen Umstand als mildernd, die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten, den überaus langen Tatzeitraum, der den gesamten Lebensabend des Opfers umfaßte, den hohen Schaden, die zweifache Qualifikation der schweren Erpressung und deren Zusammentreffen mit dem nach §§ 31, 40 StGB berücksichtigten Betrug hingegen als erschwerend.
Der Berufung des Angeklagten, mit der er eine Strafherabsetzung und die Gewährung bedingter Strafnachsicht anstrebt, kommt teilweise Berechtigung zu.
Die Strafzumessungsgründe bedurften insofern einer Korrektur, als dem Berufungswerber nach dem hiefür maßgebenden Urteilstenor nur die strafsatzbestimmende Qualifikation nach § 145 Abs 2 Z 2 StGB zur Last fällt, sodaß der angenommene Erschwerungsgrund einer zweifachen Qualifikation der Erpressung zu entfallen hat. Auch darf nicht übersehen werden, daß die insgesamt sechs einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten - zwei weitere sind hier nicht zu berücksichtigen, weil es sich dabei um Zusatzstrafen handelt - bereits länger als siebzehn Jahre zurückliegen. Einerseits unter Bedacht darauf und anderseits im Hinblick auf die außerordentlich lange Dauer der skrupellosen Erpressung, durch die das Tatopfer auch einer schweren psychischen Dauerbelastung ausgesetzt war, in Verbindung mit der großen Schadenshöhe erweist sich alles in allem eine Verkürzung des Strafmaßes auf die nach der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB) als angemessen erscheinende Dauer von drei Jahren und vier Monaten - die einer bei hypothetisch gemeinsamer Aburteilung mit dem nach § 31 StGB zu berücksichtigenden Betrug zu verhängenden (§ 40 StGB) Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren entspricht - als gerechtfertigt. Dahin war der Berufung demnach teilweise Folge zu geben.
Die Gewährung bedingter Strafnachsicht hingegen kam schon mit Rücksicht auf diese Strafdauer nicht in Betracht (§ 43 StGB), sodaß der Berufung insoweit ein Erfolg versagt bleiben mußte.
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