OGH 12Os186/85

OGH12Os186/8520.3.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.März 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, HONProf. Dr. Steininger, Dr. Hörburger sowie Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gruber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Richard N*** und andere wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Erich K*** gegen das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Jugendschöffengericht vom 15. Mai 1985, GZ 8 Vr 872/83-74, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Rzeszut, des Angeklagten Erich K*** und der Verteidigerin Dr. Oehlzand zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird hingegen Folge gegeben, der den Angeklagten Erich K*** betreffende Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 13 Abs 1 JGG der Ausspruch und die Vollstreckung der über den Genannten zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Erich K*** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde (unter anderen) der zur Tatzeit jugendliche Erich K*** (im zweiten Rechtsgang) des Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 286 Abs 1 StGB schuldig erkannt (Punkt 2 des Urteilssatzes) und hiefür sowie für das ihm nach dem insoweit in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau vom 7.März 1984, GZ 8 Vr 872/83-32, weiters zur Last fallende Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des urteilsgegenständlichen Schuldspruchs hat Erich K*** am 27.August 1983 in Schrems es mit dem Vorsatz, daß vorsätzlich eine mit Strafe bedrohte Handlung, nämlich das von den Mitangeklagten Richard N***, Ewald M*** und Kurt Reinhard B*** im bewußten Zusammenwirken als Mittäter an Herbert K*** verübte Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 3 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) begangen werde, unterlassen, ihre unmittelbar bevorstehende oder schon begonnene Ausführung zu verhindern.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte K*** mit einer auf die Z 8 und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; gegen den Strafausspruch hat er Berufung ergriffen.

Eine Überschreitung der Anklage (Z 8) reklamiert der Beschwerdeführer mit der Begründung, daß der gegen ihn in Richtung einer Mittäterschaft an der Herbeiführung der schweren Verletzung des Herbert K*** erhobene Anklagevorwurf (ON 3) die ihm stattdessen als Vergehen nach § 286 Abs 1 StGB angelastete "Untätigkeit" nicht decke; dies jedoch zu Unrecht:

Rechtliche Beurteilung

Denn von einer Überschreitung der Anklage und damit einer Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 8 StPO kann nur dann gesprochen werden, wenn das Urteil den Angeklagten eines Verhaltens schuldig erkennt, das nicht Gegenstand der Anklage war. Den Gegenstand der Anklage aber bildet die Beteiligung des Angeklagten an einem historischen Ereignis, das irgendeinen nach Ansicht des Anklägers strafgesetzwidrigen Erfolg herbeigeführt hat (Mayerhofer-Rieder StPO 2 E Nr 1 f zu § 262; E Nr 8 zu § 281 Z 8). Nur an diesen Anklagevorwurf ist das Gericht (gemäß §§ 262, 267 StPO) gebunden; im übrigen hat es jedoch das Verhalten des Angeklagten in bezug auf das angeklagte Ereignis nach allen Richtungen zu erforschen und sich ohne Rücksicht auf die in der Anklage vertretene Anschauung ein Urteil darüber zu bilden, in welcher Art sich das Ereignis abgespielt und in welcher Form sich der Angeklagte daran schuldbar beteiligt hat (Mayerhofer-Rieder aaO E Nr 25 ff zu § 262). Im vorliegenden Fall umfaßt der in Ansehung des Beschwerdeführers von der Anklage inkriminierte Sachverhalt dessen faktische Einbindung in die verletzungsursächlichen Aggressionsakte gegen den Zeugen K***, mithin sein in diesem Zusammenhang gesetztes fallbezogenes "Gesamtverhalten" (SSt 39/35) und damit (auch) seine Mitwirkung an der Herbeiführung des verpönten Erfolgs in Form vorsätzlicher Unterlassung der Verhinderung der in seinem Beisein von den Mitangeklagten gegen K*** begangenen, zu diesem Erfolg führenden Tätlichkeiten. Daß Anklage- und Urteilstat identisch sind (und damit eine Anklageüberschreitung nicht unterlaufen ist) bestätigt die Überlegung, wonach in bezug auf den inkriminierten Verletzungserfolg nebeneinander bestehende Schuldsprüche des Beschwerdeführers sowohl wegen Vergehens der schweren Körperverletzung als auch wegen Vergehens der Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung ohne Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" nicht denkbar sind (vgl Mayerhofer-Rieder aaO E Nr 76 zu § 262).

Nicht im Recht ist der Beschwerdeführer - entgegen der Stellungnahme der Generalprokuratur - aber auch, soweit er mit dem Hinweis auf eine exzessive Aggressionsbereitschaft der Mitangeklagten N***, M*** und B*** gegen K*** und

seine eigene starke Alkoholisierung vermeint, es komme ihm der Straflosigkeitsgrund des § 286 Abs 2 Z 1 StGB zugute. Gemäß der zitierten Bestimmung ist der Täter wegen Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung nicht zu bestrafen, wenn er die Verhinderung (oder Benachrichtigung der Behörde) nicht leicht und ohne sich (oder einen Angehörigen) der Gefahr eines beträchtlichen Nachteils auszusetzen, bewirken konnte. Maßgebender Gesichtspunkt für die Straflosigkeit nach dieser Gesetzesstelle ist die Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens (Leukauf-Steininger, Kommentar 2 § 286 RN 17); als auf den allgemeinen Schuldmaßstab des maßgerechten Menschen (§ 10 Abs 1 StGB) bezogener Entschuldigungsgrund (Kienapfel JBl 1977, 531) setzt § 286 Abs 2 Z 1 StGB wesensmäßig demnach eine Fallkonstellation voraus, in welcher auch ein mit den rechtlich geschützten Werten angemessen verbundener Mensch in der Situation des Täters nicht anders handeln hätte können. Daher müssen, will man dem Wesen des in Rede stehenden Entschuldigungsgrundes gerecht werden, die in § 286 Abs 2 Z 1 StGB normierten näheren Voraussetzungen der Straflosigkeit der Nichtverhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung in diesem Sinn ausgelegt werden. Dabei kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des Täters an; entscheidend ist vielmehr ein objektiv-normativer Maßstab. Davon ausgehend zeigt sich aber, daß das Erstgericht im vorliegenden Fall auf der Grundlage der getroffenen Urteilsfeststellungen in Ansehung des Beschwerdeführers dessen Straflosigkeit gemäß § 286 Abs 2 Z 1 StGB zutreffend verneint hat. Denn nach den Sachverhaltskonstatierungen der Tatrichter kann nicht gesagt werden, daß es dem Beschwerdeführer trotz seiner erheblichen Alkoholisierung in der entscheidenden Phase des Geschehens - objektiv gesehen - nicht leicht möglich gewesen wäre, auf die Mitangeklagten N***, M*** und B*** entsprechend einzuwirken, um sie von jenen Tätlichkeiten gegen K*** abzuhalten, die zu dessen schwerer Körperverletzung geführt haben. Denn der Beschwerdeführer - der schon bei der ersten tätlichen Auseinandersetzung mit K*** nach dem Verlassen des Volksfestgeländes zugegen war, sodann zusammen mit seinen Begleitern N***, M*** und B*** dem flüchtenden K*** nachlief und den späteren Tatort jedenfalls zu einem Zeitpunkt erreichte, als K*** zwar gerade aus seinem Versteck gezogen, aber noch nicht abermals (und nunmehr in der zu seiner schweren Verletzung führenden Weise) tätlich angegriffen wurde (S 342) - hat von vornherein nichts unternommen, um seine Begleiter in der entscheidenden Phase des Geschehens von (weiteren) Tätlichkeiten gegen den Genannten abzuhalten. Im Gegenteil: Er blieb bewußt untätig, weil er mit dem aggressiven Vorgehen gegen K*** einverstanden war und dieses billigte (abermals S 342). Daß er die Tätlichkeiten seiner Begleiter (von Anfang an) gar nicht verhindern wollte, und zwar nicht deshalb, weil er dazu nicht imstande gewesen wäre, sondern weil er sie guthieß, wird letztlich auch dadurch bestätigt, daß er - wie sich aus dem im ersten Rechtsgang gegen ihn rechtskräftig erfolgten Schuldspruch wegen § 105 Abs 1 StGB ergibt (ON 32) - nach diesen Tätlichkeiten den Verletzten (gemeinsam mit N***, M*** und B***) mit weiteren Schlägen bedrohte, also selbst gegen diesen, wenn auch nur verbal, aggressiv geworden ist (S 163). Die Urteilsfeststellungen bieten aber - wie das Erstgericht weiters zutreffend erkannte - auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich der Beschwerdeführer im Falle einer Verhinderung der Aggressionsakte gegen K*** dadurch selbst der Gefahr eines beträchtlichen Nachteils ausgesetzt hätte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist daher zur Gänze unbegründet, sodaß sie zu verwerfen war.

Das Erstgericht verurteilte den Angeklagten K*** nach § 286 Abs 1 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 StGB und unter Anwendung des § 11 Z 1 JGG zu einer Freiheitsstrafe von 1 (einem) Monat, wobei es diese Strafe gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachsah. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend das Zusammentreffen zweier Vergehen, als mildernd hingegen den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, seine hochgradige Alkoholisierung zur Tatzeit und sein Geständnis.

Mit seiner Berufung begehrt der genannte Angeklagte die Herabsetzung der Strafe bzw die Anwendung des § 13 JGG. Der Berufung kommt Berechtigung zu.

Angesichts des bisherigen ordentlichen Lebenswandels des Berufungswerbers, der nicht ungünstigen Jugenderhebungen und der Umstände, unter denen die strafbaren Handlungen begangen wurden, kann angenommen werden, daß der Schuldspruch allein genügen werde, um den Berufungswerber von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Aus spezialpräventiver Sicht bedarf es daher vorliegend nicht des Ausspruchs einer Strafe. Aber auch generalpräventive Erwägungen stehen der Anwendung des § 13 Abs 1 JGG im gegebenen Fall nicht entgegen. In Stattgebung der Berufung war daher der Strafausspruch aufzuheben und gemäß § 13 Abs 1 JGG vorzugehen, wobei die Probezeit mit drei Jahren zu bestimmen war. Über die Rechtsmittel des Angeklagten K*** war sohin spruchgemäß zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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