Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Endurteil in der Hauptsache wiederhergestellt wird. Der Kläger hat der beklagten Partei die mit S 6.977,60 bestimmten Prozeßkosten (darin enthalten S 563,60 Umsatzsteuer und S 778,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Der Kläger hat der beklagten Partei weiters die mit S 1.369,12 bestimmten Kosten des Kostenrekurses der beklagten Partei (darin enthalten S 109,92 Umsatzsteuer und S 160,-- Barauslagen) sowie die mit S 6.189,50 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 514.50 Umsatzsteuer und S 530,-- Barauslagen) und die mit S 3.429,75 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer und S 600,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Nachdem hinsichtlich des vom Kläger gestellten Feststellungsbegehrens, die beklagte Partei hafte ihm im Rahmen des Versicherungsvertrages für alle aus dem Verkehrsunfall vom 14.9.l981 in Zukunft entstehenden Schäden, von der beklagten Partei ein Anerkenntnis abgegeben und vom Erstgericht diesbezüglich ein Anerkenntnisurteil gefällt worden war, erfolgte hinsichtlich des weiteren Begehrens des Klägers auf Zahlung einer wertgesicherten abstrakten Rente von monatlich S 2.000 eine Klagsabweisung. Der vom Kläger gegen das erstgerichtliche Endurteil erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht teilweise Folge. Es sprach ihm eine abstrakte Rente von monatlich S 1.500 unter Abweisung des Mehrbegehrens zu und erklärte die Revision nicht für zulässig. Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhob die beklagte Partei eine außerordentliche Revision mit dem Antrage auf Abänderung der berufungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne der Klagsabweisung. Der Oberste Gerichtshof stellte dem Kläger die Beantwortung der außerordentlichen Revision frei. Dieser erstattete eine Revisionsbeantwortung, in welcher er beantragt, die außerordentliche Revision für unzulässig zu erklären, in eventu, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist im Sinne der nachstehenden Ausführungen gemäß § 502 Abs.4 Z 1 ZPO zulässig und auch gerechtfertigt.
Der Kläger gründet sein Rentenbegehren auf das Vorbringen, durch seine unfallsbedingte und unbehebbare Knieverletzung sei seine Erwerbsfähigkeit und damit seine Stellung auf dem Arbeitsmarkt geschwächt. Er müsse sich körperlich mehr anstrengen, um einen Vermögensnachteil zu vermeiden, eine Einkommensminderung wegen der Unfallsfolgen sei in Zukunft wahrscheinlich und sein Arbeitsplatz im Vergleich zu anderen gefährdeter, sodaß er im Konkurrenzkampf benachteiligt erscheine.
Nach den erstgerichtlichen Feststellungen besteht beim Kläger als Unfallsfolge eine geringgradige Streckhemmung im rechten Knie, eine mäßiggradige Beugeeinschränkung, ein bedeutender Muskelschwund an der Kniescheibe und ein knorpelschadenbedingtes Knarren und Reiben an der Kniescheibe bei Bewegungen (= posttraumatische Arthrose der Kniescheibe). Nach sozialversicherungsmedizinischer Einschätzungspraxis liegt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 25 % vor. Eine zukünftig allenfalls erforderliche Entfernung der Kniescheibe würde daran nichts ändern, eher eine verhältnismäßige Besserung bewirken. Der im Jahre 1962 geborene Kläger war vor dem Unfall Radio- und Fernsehmechanikerlehrling. Wegen des unfallsbedingten Krankenstandes konnte er zur Lehrabschlußprüfung nicht antreten. Nach dem Krankenstand, während dessen Dauer er die Berufsschule nicht besucht hatte, trat er zwar zur Prüfung an, fiel aber zweimal durch. Von Mitte Jänner 1983 bis Ende Februar 1983 arbeitete er sodann als Hilfsarbeiter. Weil ihm die Arbeit zu schwer und die Geruchsbelästigung zu groß war, wurde er im Februar 1983 Vertragsbediensteter (Hilfsarbeiter) der Wiener Stadtwerke-Verkehrsbetriebe. Dort ist er mit der Reparatur von Straßenbahnzügen beschäftigt, welche Arbeit er im Stehen verrichtet. Wegen der Unfallsfolgen wurde er nicht provisorisch pragmatisiert, doch besteht die Möglichkeit, daß er nach etwa 10 Jahren pragmatisiert wird. Die Sicherheit dieses Arbeitsplatzes ist weitestgehend gegeben. Beim Dienstgeber ist es nicht üblich, jemanden, der seine Arbeit leistet, zu kündigen. Der Kläger kann trotz der Unfallsfolgen die ihm zugeteilten Arbeiten leisten. Eine Einkommensminderung erleidet er derzeit nicht und hat eine solche auch nicht zu befürchten.
Unter Hinweis auf die Unwahrscheinlichkeit einer zukünftigen Einkommensminderung und die mangelnde Gefährdung des Arbeitsplatzes des Klägers verneinte das Erstgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für den Zuspruch der begehrten abstrakten Rente. Das Berufungsgericht ergänzte das Verfahren durch teilweise Beweiswiederholung und traf noch folgende Feststellungen: Der Kläger arbeitet seit Jänner 1983 als Hilfsarbeiter bei den Wiener Verkehrbetrieben zu einem Gehalt von rund S 9.000 netto, das er auch als Facharbeiter ohne Prüfung, und zwar als Radio- und Fernsehmechaniker, bezogen hätte. Die Unfallsfolgen führen zu leichterer Ermüdbarkeit des rechten Beines während der Arbeitszeit, "knieende" Tätigkeiten sind bei längerer Ausführung unzuträglich. Wegen der Unfallsfolgen wurde der Kläger nicht provisorisch pragmatisiert, was sonst vor einer endgültigen Pragmatisierung der Fall gewesen wäre.
In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Berufungsgericht darauf, daß nach ständiger Judikatur einer abstrakten Rente sowohl eine Ausgleichs- als auch eine Sicherungsfunktion zukomme und sie nur bei Vorliegen beider Voraussetzungen gewährt werde. Im gegenständlichen Fall seien beide Voraussetzungen gegeben. Die Ausgleichsfunktion sei erfüllt, denn sie erfordere, daß der Verletzte, verglichen mit nicht versehrten Berufskollegen, den notwendigen Arbeitserfolg nur durch eine physische und psychische Mehranstrenung erzielen könne, sodaß die Gefahr eines rascheren Verbrauches der Arbeitskraft bestehe, was beim Kläger zutreffe. Hinsichtlich der Sicherungsfunktion werde von einem Verletzten, der auf seinem früheren Arbeitsplatz ohne Einkommensverlust weiterarbeite, die Behauptung und der Nachweis konkreter Umstände, die den Verlust seines Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße wahrscheinlich machten, gefordert. Diese Behauptungs- und Beweislast dürfe nicht überspannt werden. Zwar reiche es nicht aus, daß der Geschädigte bloß auf die im Hinblick auf seinen gesundheitlichen Dauerschaden nicht auszsuchließende Möglichkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses hinweise, doch könne ihm auch nicht der Beweis aufgebürdet werden, der Arbeitgeber treffe bereits konkrete Anstalten, das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf den körperlichen Zustand des Geschädigten aufzulösen. Vorliegendenfalls habe der Kläger seinen Arbeitsplatz nach dem Unfall gewechselt. Der Umstand, daß hinsichtlich seines nunmehrigen Dienstgebers auf eine allgemeine, vor dem Ernstfall aber fast regelmäßig behauptete Übung verwiesen werde, wonach dort Dienstnehmer, die ihre Arbeit leisteten, nicht gekündigt würden, könne nicht ohne weiteres zu Lasten des Klägers gehen. Im vorliegenden Falle stehe nämlich im Vordergrund, daß der nunmehrige Dienstgeber gerade wegen der Verletzungsfolgen des Klägers von einer sonst üblichen provisorischen Pragmatisierung Abstand genommen habe, um sich eine günstigere Kündigungsmöglichkeit vorzubehalten. Da er somit den Kläger hinsichtlich der Sicherheit seines Arbeitsplatzes in eine rechtlich ungünstigere Position versetzt habe, erscheine hier auch die bei der abstrakten Rente erforderliche Voraussetzung der Sicherungsfunktion erfüllt. Aus den im einzelnen angeführten Gründen sei diese Rente mit monatlich S 1.500, beginnend mit dem den Schluß der Verhandlung folgenden Monatsersten, zu bemessen. In der außerordentlichen, auf die Revisionsgründe des § 503 Abs.1 Z 2 und 4 ZPO gestützten Revision wird hinsichtlich ihrer Zulässigkeit auf die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes verwiesen, wonach die Sicherungsfunktion einer abstrakten Rente nur bejaht werden dürfe, wenn konkrete Umstände vorlägen, die den Verlust des Arbeitsplatzes wahrscheinlich machten. Von dieser Rechtsprechung sei die angefochtene Entscheidung abgewichen. Im einzelnen führt die außerordentliche Revision weiters aus: Der vom Kläger vorgenommene Arbeitsplatzwechsel könne die geforderte Gefährdung nicht dartun, denn hierin allein liege noch kein Indiz für die Wahrscheinlichkeit eines Arbeitsplatzverlustes. Die unterbliebene "Vorpragmatisierung" sei überhaupt unerheblich, weil sich hinsichtlich der Kündigungsmöglichkeit des früheren und des nunmehrigen Arbeitgebers des Klägers nichts geändert habe. Es stehe auch nicht fest, daß der Kläger in dem privaten Gewerbebetrieb, in welchem er vor dem Unfall gearbeitet habe, einen einer Pragmatisierung oder Vorpragmatisierung entsprechenden Kündigungsschutz gehabt habe. Die Annahme, der nunmehrige Arbeitsplatz des Klägers sei gefährdet, weil er beim nunmehrigen Dienstgeber noch keinen besonderen Kündigungsschutz erlangt habe, sei somit unrichtig, zumal ein solcher besonderer Kündigungsschutz auch auf dem früheren Arbeitsplatz nicht bestanden habe. Dem Standpunkt der Revisionwerberin ist im Ergebnis beizutreten. Nach der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist die Sicherungsfunktion einer abstrakten Rente dann zu bejahen, wenn nach den konkreten Umständen des Falles eine Gefährdung des Arbeitsplatzes und eine sich daraus ergebende Einkommensminderung des Geschädigten zu erwarten oder zumindest wahrscheinlich ist (ZVR 1974/223 uva, zuletzt ZVR 1984/325, 8 Ob 44/84). Die Beweislast für eine solche Wahrscheinlichkeit trifft den Geschädigten (ZVR 1977/232). Er hat daher auch nachzuweisen, daß tatsächliche Anhaltspunkte für den Verlust seines derzeitigen
Arbeitsplatzes - das muß nicht der zum Unfallszeitpunkt innegehabte sein - bestehen und er daher wahrscheinlicherweise mit gesunden Mitbewerbern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in Konkurrenz zu treten haben wird (ZVR 1974/223 ua).
Vorliegendenfalls hat sich der geschädigte Kläger zum Beweise dafür, daß sein Arbeitsplatz im Vergleich zu anderen gefährdeter und eine zukünftige Einkommenseinbuße wahrscheinlich sei, auf ein diesbezüglich einzuholendes Sachverständigengutachten berufen. Auf dessen Grundlage wurde jedoch festgestellt, daß die Sicherheit seines derzeitigen Arbeitsplatzes weitestgehend gegeben ist. Bei seinem Dienstgeber, den Wiener Stadtwerken, ist es nicht üblich, jemanden, der seine Arbeit leistet, zu kündigen. Der Kläger ist auch in der Lage, die ihm dort zugeteilten Arbeiten zu leisten. Im berufskundlichen Sachverständigengutachten wurde darüber hinaus ausgeführt (AS 42), das Radio- und Fernsehmechanikergewerbe sei derzeit überlaufen, die Sicherheit des derzeitigen Arbeitsplatzes des Klägers sei "jedenfalls wesentlich größer als irgendwo privat". Die Gefahr, daß der Kläger seinen jetzigen Arbeitsplatz wegen der Unfallsfolgen verliere, sei "sehr gering".
Somit steht aber die ausdrückliche Feststellung, daß die Sicherheit des derzeitigen Arbeitsplatzes des Klägers weitestgehend gegeben ist, der Annahme einer wahrscheinlichen zukünftigen Einkommensminderung im obgenannten Sinne entgegen. Der Umstand, daß der Kläger bei seinem nunmehrigen Dienstgeber wegen der Unfallsfolgen nicht der dort sonst gewährten Begünstigung einer provisorischen Pragmatisierung teilhaftig wurde, erscheint entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ohne Bedeutung, weil seine Lage nicht mit jener solcherart Begünstigter, sondern mit der seiner gesunden Konkurrenten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verglichen werden muß.
Die nach der ständigen Judikatur erforderlichen Voraussetzungen für die Bejahung der Sicherungsfunktion einer abstrakten Rente sind daher vorliegendenfalls nicht erfüllt. Die berufungsgerichtliche Entscheidung weicht insoweit von der einheitlichen Rechtsprechung über diese Voraussetzungen ab. Demgemäß war der Revision stattzugeben.
Die Entscheidung über die Prozeßkosten gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Kostenrekurses, des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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