Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; der Wahrspruch der Geschwornen - mit Ausnahme der Beantwortung der Hauptfrage 1 - und das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Hong Sheng XU, ein Staatsangehöriger der Volksrepublik China, des Verbrechens des Totschlags nach dem § 76 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 26.August 1985 in Wien in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung sich dazu hinreißen ließ, den Yi Yen LI durch Bewerfen mit Flaschen, Versetzen von Schlägen mit Flaschen und mit einem hölzernen Fleischschlegel sowie durch Zufügen mehrfacher Messerstiche in die Nacken- und Halsregion, vorsätzlich zu töten.
Die Geschwornen hatten die diesbezügliche Eventualfrage 1 stimmeneinhellig bejaht, hingegen die anklagekonforme Hauptfrage 1 wegen Mordes verneint und die Eventualfrage 2 wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83 Abs. 1, 86 StGB unbeantwortet gelassen.
Rechtliche Beurteilung
Der auf den § 345 Abs. 1 Z 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt schon aus folgenden Gründen Berechtigung zu:
Hong Sheng XU sieht Vorschriften über die Fragestellung an die Geschwornen (Z 6) insoweit verletzt, als trotz seiner den Tötungsvorsatz leugnenden Verantwortung nur Eventualfragen nach dem (ebenfalls Tötungsvorsatz voraussetzenden) Verbrechen des Totschlags nach dem § 76 StGB und nach dem Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach den §§ 83, 86 StGB gestellt wurden, aber eine Eventualfrage wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach dem § 87 (Abs. 1 und 2) StGB unterblieb. Dieser Beschwerdeeinwand ist begründet.
Gemäß dem § 314 Abs. 1 StPO ist an die Geschwornen unter anderem dann eine entsprechende Schuldfrage (Eventualfrage) zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte. Ein Vorbringen im Sinn dieser Gesetzesstelle liegt dann vor, wenn in der Hauptverhandlung Umstände hervorkamen, welche die Annahme eines von der Anklagebegründung abweichenden, rechtlich relevanten Tatsachensubstrats in den Bereich der Möglichkeit rücken. Diese Beweisergebnisse müssen soweit konkretisiert sein, daß sie - läge die Zuständigkeit eines Schöffengerichts vor - der Begründungspflicht des § 270 Abs. 2 Z 5 StPO unterfielen (SSt. 44/29 u. v.a.).
Die den Geschwornen vorliegenden Ergebnisse der Hauptverhandlung wurden jedoch entgegen dieser gesetzlichen Vorschrift durch die gestellten Fragen nicht in ihrem gesamten Umfang erfaßt:
Der Angeklagte verantwortete sich im wesentlichen damit, daß er Yi Yen LI durch sein tätliches Verhalten nicht töten, sondern nur vor der Fortsetzung des ehebrecherischen Verhältnisses mit seiner Ehegattin "warnen" wollte.
Mit dieser Verantwortung in Verbindung mit dem (gegen das Tatopfer gerichteten) Handlungsablauf (Schläge mit Flaschen, einem Fleischschlegel und Zufügung von Messerstichen in den Nacken und in die Halsregion) lagen den Geschwornen Tatsachen vor, vermöge derer - ihre Richtigkeit vorausgesetzt - die dem Angeklagten angelastete Tat u.a. auch unter das mildere, nicht Tötungsvorsatz verlangende, in der Beschwerdeschrift angeführte Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach dem § 87 Abs. 1 und 2 StGB subsumiert werden konnte. Der Schwurgerichtshof wäre somit gemäß dem § 314 StPO jedenfalls verpflichtet gewesen, neben der im Sinn der Anklage gestellten Hauptfrage 1 und der Eventualfrage 1 in Richtung des Verbrechens nach dem § 76 StGB, noch vor (vgl. SSt. 47/11) der Eventualfrage 2 in Richtung des Verbrechens nach den §§ 83 Abs. 1 (und 2), 86 StGB auch eine entsprechende Eventualfrage nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach dem § 87 Abs. 1 und 2 StGB zu stellen, weil die Geschwornen nur hiedurch in die Lage gesetzt werden konnten, die Tat auch nach diesem Gesichtspunkt unter Abwägung der für die eine und die andere Vorsatzform (§ 5 Abs. 1 und 2 StGB) sprechenden Beweisergebnisse zu prüfen. Dieser Beurteilung steht auch der Umstand nicht entgegen, daß die Geschwornen in ihrer gemäß dem § 331 Abs. 3 StPO verfaßten Niederschrift (Beilage ./7 in ON 55) ausdrücklich und durchaus denkmöglich begründeten, weshalb sie den Tötungsvorsatz als erwiesen annahmen: Denn zum einen ist diese Niederschrift weder eine Ergänzung noch ein Ersatz des Wahrspruchs und darf daher im Urteil nicht verwertet werden (§ 342 StPO), zum anderen konnten die Geschwornen (mangels einer entsprechenden Eventualfrage) nur vom Vorliegen der Alternative Tötungs- oder (bloßer) Verletzungsvorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB), nicht jedoch auch von der Variante einer auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung gerichteten Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB) des Angeklagten ausgehen. Die Niederschrift gibt somit kein relevantes Indiz für die Beantwortung der Frage ab, ob die aus Gründen des Prozeßrechtes mangelhafte Fragestellung im konkreten Fall nicht doch die Möglichkeit eines nachteiligen Einflusses für den Angeklagten eröffnete (vgl. Mayerhofer/Rieder 2 , II/2 § 314 Nr. 44 u.a.).
Da sich sohin schon auf Grund dieser Erwägungen zeigt, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß den §§ 285 e, 344 StPO - auf Antrag der Generalprokuratur - bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben und der Wahrspruch der Geschwornen, mit Ausnahme der Beantwortung der Hauptfrage 1, sowie das darauf beruhende Urteil aufzuheben.
Da die Staatsanwaltschaft das Urteil nach Verneinung der auf Mord gerichteten Hauptfage 1 unangefochten ließ und zwischen diesem Teil und dem von der aufgezeigten Nichtigkeit betroffenen Teil des Wahrspruches kein unmittelbarer Zusammenhang besteht, kommt für das weitere Verfahren die Zuständigkeit eines Geschwornengerichtes nicht mehr in Frage. Die Strafsache war daher an das Schöffengericht zu verweisen, das nur noch - abweichend von der ursprünglichen Anklage (§ 293 Abs. 1 StPO) - über den Schuldvorwurf nach dem § 76 StGB zu entscheiden haben wird (vgl. abermals SSt. 47/11).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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