OGH 7Ob3/86

OGH7Ob3/8620.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria S***,

Angestellte, Graz, Laudongasse 22 c, vertreten durch Dr. Leo Kaltenbäck und andere, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei W*** S*** Wechselseitige Versicherungsanstalt, Landesdirektion Steiermark, Graz, Gürtelturmplatz 1, vertreten durch Dr. Hannes Priebsch und andere, Rechtsanwälte in Graz, wegen Feststellung (Streitwert 40.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 21. Oktober 1985, GZ. 3 R 173/85-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 23. Juli 1985, GZ. 25 Cg 87/85-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 2.829,75 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 257,25 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 4. Februar 1983 stellte die Klägerin im Grazer Stadtbüro der Beklagten einen Antrag auf Abschluß einer Krankenzusatzversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Spitalskostenzusatzversicherung nach Tarif MS zugrunde lagen. Nach § 9 dieser Versicherungsbedingungen kann der Versicherer vom Versicherungsvertrag zurücktreten, wenn der Versicherungsnehmer oder eine versicherte Person bei Abschluß, bei einer Änderung oder einer Wiederinkraftsetzung der Versicherung die Anzeigepflicht über erhebliche Gefahrenumstände schuldhaft verletzt. Die Anzeigepflicht ist auch verletzt, wenn die Fragen über Gefahrenumstände unvollständig beantwortet werden. Jeder Gefahrenumstand, nach dem die Versicherungsanstalt ausdrücklich in schriftlicher Form fragt, gilt im Zweifel als erheblich. Der Versicherungsschutz gilt nach den vorgenannten Bedingungen nur für Krankheiten, die während des Bestandes der Versicherung entstehen, erstreckt sich aber auch auf vorvertragliche Erkrankungen, sofern die tarifliche Wartezeit erfüllt ist, wenn im Versicherungsschein keine Haftungsausschlüsse vermerkt sind und wenn keine Verletzung der Anzeigepflicht vorliegt. Im Antragsformular, das vom Leiter des Grazer Stadtbüros der Beklagten nach Angabe der Klägerin ausgefüllt wurde, hat die Klägerin auf die "Gesundheitsfragen" wie folgt geantwortet:

1. Wer hat ein Gebrechen? Anzuführen sind z.B. Wirbelsäulenverkrümmungen, Bruch, Störung des Hör- bzw. Sehvermögens, Folgen nach Unfallsverletzungen, Kinderlähmung usw. "Keine".

2. Welche Krankheiten haben Sie und die Mitversicherten durchgemacht bzw. derzeit? Hier sind alle Erkrankungen anzuführen, auch solche, die für unwesentlich gehalten werden.

"1971 Blinddarmoperation"

3. Wer befand sich in Spitalsbehandlung (Sanatoriumsbehandlung) oder in einer Heilstätte?

"LKH Graz".

Kleingedruckt steht auf der Rückseite des Antragsformulars:

"Zur Beachtung: Versicherungsanträge sowie sämtliche Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers und des Versicherers müssen schriftlich erfolgen. Der Antragsteller übernimmt durch seine Unterschrift die Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit aller Angaben auch dann, wenn er diese nicht eigenhändig geschrieben hat.

Die Klägerin hat den ausgefüllten Antrag unterschrieben. Der Antrag wurde in der Folge von der Beklagten angenommen, wodurch es zum Abschluß der beantragten Versicherung kam. Die 1950 geborene Klägerin ist seit 1969 als angelernte Verkäuferin in einem stehenden Beruf tätig. Seit Anfang der Siebzigerjahre ist sie Patientin eines praktischen Arztes, bei dem sie vorerst ausschließlich wegen eines zu niedrigen Blutdruckes behandelt wurde. Etwa 1977/1978 kam es bei der Klägerin zunächst am rechten, dann aber auch am linken Bein zum Auftreten von Krampfadern. Diese waren zunächst nur an bläulichen Hautverfärbungen erkennbar. In der Folge haben sich die Venen vergrößert, sie sind auch herausgetreten. Es kam auch zu Beschwerden. Diese Beschwerden waren in der Folge Gegenstand der Arztbesuche. Der Arzt verschrieb der Klägerin Venostasintabletten und Venostasinsalbe sowie Veno-Ruthontabletten. Diese Therapie hatte stets Erfolg. Die Klägerin ließ sich die Medikamente zwei- bis dreimal im Jahr von ihrem Hausarzt verschreiben. Ende 1982/Anfang 1983 bestanden bei der Klägerin an den Beinen schon variköse Knoten. Es war bis dahin zu keinen akuten Entzündungen gekommen. Ärztlicherseits war es auch noch nicht notwendig, der Klägerin einen Zinkleimverband anzulegen oder die Ruhigstellung der Beine zu empfehlen. Fallweise hatte die Klägerin aber bereits Beschwerden. Vor allem empfand sie die Krampfadern als kosmetisch störend. In den Wochen um den 14. Februar 1983 war die Klägerin wegen ihrer Krampfadern nicht in ärztlicher Behandlung. An die Notwendigkeit einer Operation dachte sie zum damaligen Zeitpunkt ebensowenig wie ihr Hausarzt. Demnach kam ihr bei der Ausfüllung des Versicherungsantrages nicht der Gedanke, die Krampfadern als Krankheit anzuführen.

Anfang 1984 nahmen die von den Krampfadern ausgehenden Beschwerden derart zu, daß der Hausarzt die Klägerin an einen Facharzt für Hautkrankheiten verwies. Dieser stellte bei ihr eine derartige Verschlechterung der Krampfadern fest, daß er eine Operation empfahl.

Sogenannte Varizen (Krampfadern) sind ein zumeist vererbtes Leiden, das häufiger bei Frauen mit Schwerpunkt um das 30. Lebensjahr auftritt. Besonders anfällig sind Personen mit stehenden Berufen. Die Behandlung des Leidens erfolgt medikamentös. Insbesondere wenn ein stehender Beruf ausgeübt wird, kann ein operativer Eingriff notwendig sein. Dieser muß zu einem relativ frühen Zeitpunkt erfolgen um den später möglichen Krankheitsfolgen vorzubeugen. Der Verlauf eines Varizenleidens ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Es kann bei Anstrengungen im Stehen zum plötzlichen Auftreten von Krampfadern kommen und auch zu einer Verschlechterung des Zustandes. Innerhalb eines Zeitraumes von eineinhalb Jahren kann eine rapide Verschlechterung eintreten. Es kommt aber auch vor, daß sich eine einzige Varize bildet, die ohne Verschlechterung ein Leben lang bestehen bleibt. Das Leiden der Klägerin hatte vom ärztlichen Standpunkt aus in jedem Stadium Krankheitswert.

Während das Erstgericht dem Begehren der Klägerin auf Gewährung des Versicherungsschutzes aus der Krankenzusatzversicherung für die beabsichtigte Krampfadernoperation stattgab, wies das Berufungsgericht die Klage ab. Es vertrat hiebei die Rechtsansicht, die Klägerin wäre verpflichtet gewesen, ihr Krampfadernleiden bei Beantwortung der Gesundheitsfragen anzuführen, weil es keinem Zweifel unterliegen konnte, daß auch solche Erkrankungen anzugeben waren, die für unwesentlich gehalten wurden. Bei Krampfadern handle es sich um eine Krankheit, die im konkreten Fall der Klägerin auch Schmerzen bereitet und die zu einer jahrelangen ärztlichen Behandlung geführt habe. Im Hinblick auf diese Umstände sei der Klägerin der Beweis ihres fehlenden Verschuldens nicht gelungen. Bei gehöriger Sorgfalt hätte sie nämlich erkennen müssen, daß für die Beklagte ein Interesse an der Kenntnis des vorhandenen Leidens bestehe.

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht jedoch 300.000 S übersteigt und die Revision für zulässig erklärt.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Daß im vorliegenden Falle ein erhebliches Interesse des Versicherers an der Kenntnis des Leidens der Klägerin vorhanden sein mußte, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß dieses Leiden die Notwendigkeit einer Operation mit sich brachte, die im Falle der Deckungspflicht der Beklagten zu erheblichen Leistungen aus der Krankenzusatzversicherung führen würde. Die Kenntnis dieses Leidens konnte daher bei objektiver Betrachtung Einfluß auf den Entschluß des Versicherers zum Abschluß des Versicherungsvertrages haben. Dies ist aber bereits ausreichend, um die Gefahrenerheblichkeit eines bestimmten Umstandes zu begründen (RZ 1984/19). Infolge des Krankheitswertes der Leiden der Kläger hätte daher eine Anzeigepflicht bestanden. An die vom Versicherten bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind aber ganz erhebliche Anforderungen zu stellen (SZ 54/22, VersR 1981, 568 ua.). Da grundsätzlich nach Krankheiten gefragt wurde und das Leiden der Klägerin nicht nur Krankheitswert besaß, sondern nach wie vor akut bestand, hat die Klägerin durch die Verschweigung dieses Leidens objektiv ihre Anzeigepflicht verletzt.

Richtig ist, daß eine Verletzung der Anzeigepflicht nur dann zur Leistungsfreiheit führt, wenn dem Versicherungsnehmer ein Verschulden an dieser Verletzung zur Last gelegt werden muß. Ein Verschulden des Versicherungsnehmers ist dann nicht anzunehmen, wenn dieser das Interesse des Versicherers an der Bekanntgabe von Umständen nicht erkennt, die nach der allgemeinen Auffassung von Laien für die Entscheidung, ob eine Versicherung abgeschlossen werden soll oder nicht, ohne Bedeutung sind (SZ 54/22). Eine Entscheidung (7 Ob 66/80) hat dies in einem Fall ausgesprochen, in dem der Versicherungsnehmer berechtigt der Annahme sein konnte, bei einer bestimmten Erkrankung habe es sich um eine solche gehandelt, die bereits folgenlos abgeheilt gewesen sei. In keinem Fall wurde aber von einem mangelnden Verschulden des Versicherungsnehmers dann gesprochen, wenn dieser noch akute Krankheiten verschwiegen hat, deretwegen er sich laufend in ärztlicher Behandlung befand. Eine solche Krankheit liegt aber bei der Klägerin vor. Hiebei spielt es keine Rolle, daß die Klägerin zum Zeitpunkt der Stellung des Versicherungsantrages an die Möglichkeit einer Operation noch nicht gedacht hat. Die Frage lautete nämlich nicht nur nach Krankheiten, die offensichtlich zu einer Operation führen werden, sondern ganz allgemein nach bestehenden Krankheiten. Hiezu kommt, daß die Klägerin bei gehöriger Aufmerksamkeit auch mit der grundsätzlichen Möglichkeit einer Operation rechnen hätte müssen. Es ist nämlich allgemein bekannt, daß gerade bei stehenden Berufen Krampfadernleiden ein solches Ausmaß annehmen können, daß eine Operation dringend geboten ist. Das gänzliche Außerachtlassen dieser Möglichkeit muß aber als Fahrlässigkeit gewertet werden. Daß eine derartige Fahrlässigkeit allenfalls nicht als sehr schwerwiegend anzusehen ist, spielt keine Rolle, weil die Leistungsfreiheit des Versicherers bei Verletzung der Anzeigepflicht auch im Falle leichter Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers eintritt. Richtig hat daher das Berufungsgericht der Klägerin eine von ihr subjektiv zu vertretende Verletzung der Anzeigepflicht angelastet. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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