OGH 10Os25/86

OGH10Os25/8618.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Februar 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gruber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Jürgen V*** ua wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Lothar B***, sowie über die Berufungen der Angeklagten Anita R***, Hermann R*** und der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Angeklagten Lothar B***, Anita R***; Hermann R***, Jürgen V*** und Diko A*** gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 12.Dezember 1985, GZ 20 Vr 1311/85-104, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil, das in seinen übrigen Schuldsprüchen und im Freispruch als unangefochten unberührt bleibt, im Schuldspruch des Angeklagten Lothar B*** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG (A II 28 und 29 des Urteilssatzes) und demzufolge in den diesen Angeklagten betreffenden Aussprüchen über die Strafe und die Vorhaftanrechnung aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Darauf werden der Angeklagte B*** mit seiner Berufung und die Staatsanwaltschaft mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen der Angeklagten Anita R*** und Hermann R*** sowie über jene der Staatsanwaltschaft betreffend die Angeklagten Jürgen V***, Diko A***, Anita R*** und Hermann R*** werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem bekämpften Urteil wurde - neben mehreren weiteren Angeklagten - der Angeklagte Lothar B*** des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 SuchtgiftG schuldig erkannt, weil er in Vorarlberg vorsätzlich den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in solchen Mengen durch Verkauf an Anita R*** in Verkehr setzte, daß daraus in größerer Ausdehnung eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen entstehen konnte, wobei er die strafbare Handlung gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande beging, und zwar in der Zeit vom Frühsommer 1984 bis Mai 1985 insgesamt zwei Kilogramm Cannabisharz und in der Zeit von Herbst 1984 bis Mai 1985 insgesamt 120 Gramm Kokain (Urteilsfakten A II 28 und 29). Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte B*** mit einer auf die Z 4 und 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Schon der Verfahrensrüge (Z 4) kann Berechtigung nicht versagt werden.

Der Beschwerdeführer hatte in der Hauptverhandlung die Einvernahme der Zeugen A*** und P*** zum Beweis dafür beantragt, daß die Mitangeklagte Anita R*** wiederholt an Mitglieder der Gruppe "H*** A***" wegen des Erwerbes von Faustfeuerwaffen herangetreten sei; weiters wurde die Vernehmung der Zeugen M***, K***, F*** und F*** zum Beweis dafür beantragt, daß die Mitangeklagte Anita R*** die dem Beschwerdeführer unterstellten Kokainlieferungen von mindestens 120 Gramm und mehr tatsächlich von anderen Bezugspersonen erhielt und (den beantragten Zeugen) solche Bezugspersonen auch selbst angab, womit die Behauptung der Mitangeklagten R***, allein vom Beschwerdeführer Kokain bezogen zu haben, als falsch zu erweisen sei (S 502/III).

Das Schöffengericht wies diese Beweisanträge mit der Begründung ab, daß "sie zum Sachverhalt keine wesentliche Klärung mehr bringen können" (S 504/III). Im Urteil wird nach Ausführungen über die Glaubwürdigkeit der Mitangeklagten Anita R***, die bekundet hatte, das in den Urteilsfakten A II 28 und 29 umschriebene Suchtgift ausschließlich vom Beschwerdeführer erhalten zu haben (S 489 ff/III) nachgetragen, es sei überflüssig, die beantragten Zeugen darüber zu vernehmen, daß Anita R*** diesen andere "Bezugspersonen" (Lieferanten) als den Beschwerdeführer angegeben habe, denn es befinde sich im Akt nirgends ein Hinweis, daß die Angeklagte R*** den Abnehmern die wahre Herkunft erzählt habe, was auch höchst unwahrscheinlich sei; es sei ihr wegen ihrer Freundschaft zu B*** auch nicht zumutbar gewesen, diesen als Kokainlieferanten zu bezeichnen; wenn überhaupt hätte sie allenfalls fälschlich von einem unbekannten Schweizer gesprochen; Beweise zur Erforschung solcher allfälliger Äußerungen seien reine Erkundungsbeweise (US 26). Mit der Abweisung dieser Beweisanträge wurden Verfahrensgrundsätze hintangesetzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist; außerdem ist nicht unzweifelhaft erkennbar, daß die Abweisung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß üben konnte.

Die in der Hauptverhandlung gebrauchte Begründung erschöpft sich in einer inhaltsleeren Wendung ohne konkrete Bezugnahme auf die die Entscheidung bestimmenden Kriterien und hält bereits als solche einer Prüfung nicht stand.

Die im Urteil lediglich zu einem der Beweisanträge nachgetragene Begründung hinwieder verkennt augenscheinlich das Wesen eines Erkundungsbeweises, von dem (nur) dann gesprochen werden kann, wenn Ermittlungen veranlaßt werden sollen, um die Frage zu klären, ob (überhaupt) von bestimmten Beweisen eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist, oder ob überhaupt Beweismittel auffindbar sind, deren Heranziehung der Wahrheitsfindung dienlich sein könnten (Mayerhofer/Rieder StPO 2 E 88 zu § 281 Abs. 1 Z 4). Davon kann - ausgehend vom Inhalt des der Zwischenentscheidung des Schöffengerichtes zugrundeliegenden Beweisantrages - keine Rede sein, denn in diesem Antrag wurden genau bezeichnete Beweismittel genannt und außerdem konkret vorgebracht, welche Beweisergebnisse diese Beweismittel erbringen sollten.

Die Relevanz der Abweisung der Beweisanträge auf die Entscheidung kann außerdem nicht unzweifelhaft verneint werden, denn mit den beantragten Beweisen sollte dargetan werden, daß die Verantwortung der Mitangeklagten Anita R*** in einigen Punkten (über den ausschließlichen Bezug des Rauschgiftes vom Beschwerdeführer und darüber, daß sie nie Waffen von den "H*** A***" erwerben wollte) unrichtig sei. Gerade aber auf die volle Glaubwürdigkeit dieser Mitangeklagten stützt sich das Erstgericht zur Begründung seines den Beschwerdeführer betreffenden Schuldspruches in erster Linie. Es kann damit nicht von vornherein gesagt werden, daß das Erstgericht zum gleichen Beweiswürdigungsergebnis gekommen wäre, hätte es die beantragten Zeugen gehört und deren Aussagen - sofern sie in jene Richtung gegangen wären, wie im Beweisantrag behauptet wird - ihrerseits für glaubwürdig befunden hätte. Die Ausführungen im erstgerichtlichen Urteil stellen sich ihrem Wesen nach

als - unzulässige - vorgreifende Beweiswürdigung dar. Schon im Hinblick auf die zutreffenden Ausführungen in der Verfahrensrüge war der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten B*** sofort bei der nichtöffentlichen Beratung Folge zu geben, der ihn betreffende Schuldspruch und demzufolge die ihn betreffenden Aussprüche über die Strafe und die Vorhaftanrechnung aufzuheben und die Sache zur Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 285 e StPO), ohne daß es noch eines Eingehens auf die Mängelrüge (Z 5) bedurft hätte.

Nur am Rande sei - für den zweiten Verfahrensgang - noch angemerkt, daß dem Angeklagten B*** im Urteilsspruch die bandenmäßige Begehung des Suchtgiftdeliktes angelastet wurde (US 3), was in den Entscheidungsgründen (US 27) keine Deckung findet. Der Angeklagte B*** war mit seiner Berufung und die Staatsanwaltschaft mit ihrer diesen Angeklagten betreffenden Berufung auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen. Zur Entscheidung über die weiteren, nur Mitangeklagte des Nichtigkeitswerbers betreffenden Berufungen waren die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zuzuleiten (vgl. EvBl. 1980/151 uva).

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