OGH 12Os176/85

OGH12Os176/8530.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.Jänner 1986 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gruber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Josef S*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 3. Oktober 1985, GZ 20 Vr 10604/84-48, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, und des Verteidigers Dr. Lansky, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Josef S*** auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, in der Nacht zum 16. September 1984 in Wien Erika B*** durch Versetzen mehrerer Stiche mit einem Küchenmesser (Klingenlänge 12 cm) in das rechte Auge, den rechten Oberschenkel und die rechte Gesäßbacke vorsätzlich getötet zu haben. Die Geschwornen hatten die anklagekonform auf Mord lautende Hauptfrage 1 einstimmig bejaht. Die ihnen des weiteren vorgelegten Eventualfragen 2 bis 4 nach Totschlag gemäß § 76 StGB, absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 87 StGB und schwerer Körperverletzung mit Todesfolge gemäß §§ 83 Abs. 1, 86 StGB brauchten daher nicht beantwortet zu werden, wurden aber gleichwohl einstimmig verneint.

Den eingangs erwähnten Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Gründe der Z 5, 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Mit der Verfahrensrüge (Z 5) wendet er sich gegen die Abweisung des Antrages auf Ausschluß der Öffentlichkeit während seiner Vernehmung über die nähere Beschreibung des Dreiecksverhältnisses (S 308). Dieser Antrag ist mit Zwischenerkenntnis des Schwurgerichtshofes abgewiesen worden, weil weder die Sittlichkeit noch die "Öffentlichkeit" (richtig: öffentliche Ordnung - siehe § 229 StPO) durch die Vernehmung gefährdet würden (S 309). Tatsächlich waren die vom Gesetz vorgesehenen Gründe für den Ausschluß der grundsätzlich bei sonstiger Nichtigkeit angeordneten Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 228 StPO), nämlich der Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung, nicht gegeben, zumal das Ausschlußinteresse Einzelner im allgemeinen hinter das Interesse der Allgemeinheit an der Öffentlichkeit zurückzutreten hat (vgl. Foregger-Serini, StPO 3 , Anm. I sowie Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , ENr. 1 ff, je zu § 229). Daran vermögen auch die Ausführungen in der Beschwerde, die genaue Erörterung der sexuellen Beziehungen und der anderen Umstände des zwischen Erika B***, Martin W*** und ihm bestandenen Dreiecksverhältnisses wäre für das Beweisverfahren von erheblicher Bedeutung gewesen, bei einem Ausschluß der Öffentlichkeit hätte er nicht nur darlegen können, daß er durch die Dreiecksbeziehung zur Verzweiflung getrieben wurde und kein kaltblütiger Mörder sei, sondern es hätte vermutlich auch der Zeuge Martin W*** in der Hauptverhandlung andere Angaben über die Beziehung gemacht, nichts zu ändern. Im übrigen ist der Verfahrensrüge noch entgegenzuhalten, daß der Antrag in der Hauptverhandlung nicht auf die in Beschwerde angeführten Umstände gestützt wurde, sodaß der Schwurgerichtshof nicht in der Lage war, in seinem Zwischenerkenntnis darauf einzugehen.

Die Fragestellung bekämpft der Beschwerdeführer aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO mit dem Vorbringen, die Eventualfrage nach Totschlag hätte den möglichen Affekt unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falles so beschreiben müssen, daß den Geschwornen bei Beurteilung der Tat "das Erkennen von deren ein Gepräge als individueller Vorgang ermöglicht wurde". Dem ist zu entgegnen, daß die Eventualfrage eine Schuldfrage ist und daher (gemäß §§ 312 Abs. 1, 314 Abs. 1 StPO) zwar alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw. so weit enthalten muß, als es zur deutlichen Kennzeichnung der Tat - im Urteil - notwendig ist, nicht jedoch eine Spezialisierung durch Anführung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalles (9 Os 63/82). Nur dann, wenn in der Schuldfrage nach § 76 StGB konkrete Umstände angeführt werden, aus denen, sollten sie als erwiesen angenommen werden, eine Tatbegehung in einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung abgeleitet werden kann, ist das zur Beurteilung der Tat unter dem Blickwinkel der privilegierenden Merkmale des § 76 StGB maßgebliche Tatsachensubstrat so zu beschreiben, daß den Geschwornen die Berücksichtigung aller bezüglichen Umstände des Einzelfalls einschließlich der psychologischen Zusammenhänge ermöglicht wird (ÖJZ-LSK 1985/54 = EvBl. 1985/134).

Vorliegend hat der Schwurgerichtshof bei der Stellung der Eventualfrage 2 (nach dem Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB) die Tathandlung in den Wortlaut der Frage aufgenommen. Es war jedoch entbehrlich, in der Frage all jene - in ihrer denkbaren Vielfalt kaum verläßlich umschreibbaren - konkreten Umstände anzuführen, worin die allgemein begreifliche heftige Gemütswegung, in der sich der Beschwerdeführer zur Tat hätte hinreißen lassen, gelegen sein könnte. Die Formulierung der Eventualfrage 2 war daher mängelfrei. Ferner rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer "Eventualfrage" (richtig: Zusatzfrage) nach dem Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes nach § 11 StGB; eine solche Frage wäre durch das Beweisverfahren indiziert gewesen, weil die starke Alkoholisierung und die Art der Tatbegehung (zwei Messer in der linken, eines in der rechten Hand; mehrmaliges Zustechen und anschließendes Treten des zu Boden gefallenen Opfers) auf Zurechnungsunfähigkeit hinweisen. Entgegen diesem Vorbringen haben aber weder die Verantwortung des Angeklagten, der sich auf eine seine Schuldfähigkeit ausschließende Alkoholisierung gar nicht berief (Seiten 60, 85, 319), noch sonstige Ergebnisse der Hauptverhandlung Hinweise für das Vorliegen eines der Zustände des § 11 StGB geboten. Daß der Beschwerdeführer aus der Küchenlade drei Messer nahm, erklärte er selbst damit, daß ihm beim ersten Zugriff nicht das gewünschte (also mit Überlegung ausgewählte) Messer in die Hand kam (S 316). Verwendet hat er in der Folge nur letzteres, also lediglich ein Messer (S 60). Die besondere Brutalität der Vorgangsweise des Beschwerdeführers ist wohl für die Strafzumessung von Bedeutung, indiziert jedoch keineswegs einen seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand. Schließlich ergab auch das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen keinerlei Anhaltspunkte für eine Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten (S 344 f, ON 24), sodaß die vom Beschwerdeführer vermißte Zusatzfrage zu Recht nicht gestellt wurde.

Eine Nichtigkeit im Sinne des § 345 Abs. 1 Z 8 StPO bewirkende, einer Unrichtigkeit gleichkommende Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung erblickt er in der angeblich fehlenden Klarstellung, daß sich der - in der Rechtsbelehrung ausführlich

erörterte - Vorsatz gerade auf die Verwirklichung eines bestimmten Deliktsmerkmales, nämlich beim Delikt des § 75 StGB auf die Herbeiführung des Todes eines Menschen beziehen müsse. Da aber die - in der Rechtsbelehrung ebenfalls zutreffende

erläuterte - äußere Tatseite des Mordes in der Tötung eines Menschen besteht, konnte den Geschwornen nicht zweifelhaft sein, daß der im Anschluß daran für die innere Tatseite als erforderlich bezeichnete Vorsatz sich eben auf diese Tötung (das einzige aktuelle Deliktsmerkmal) bezieht. Dazu kommt, daß die anschließende Erläuterung des (bedingten) Vorsatzes, es genüge hiefür, daß der Täter den tatbildmäßigen Erfolg (also hier den Tod eines Menschen) ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, jedes mögliche Mißverständnis der Geschwornen über den Inhalt des Vorsatzes ausgeschlossen erscheinen läßt.

Die vom Beschwerdeführer des weiteren vermißte Erörterung des Begriffes der Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB war entbehrlich, weil sich die Rechtsbelehrung nur auf tatsächlich gestellte Fragen und darin verwendete Rechtsbegriffe zu beziehen hat (vgl. Mayerhofer-Rieder, StPO 2 , ENr. 20 bis 24 zu § 345 Abs. 1 Z 8); eine Zusatzfrage nach § 11 StGB wurde aber - wie oben dargelegt - zutreffend nicht gestellt.

Nicht im Recht ist die Beschwerde schließlich auch, soweit sie den Nichtigkeitsgrund der Z 8 des § 345 Abs. 1 StPO darin erblickt, daß die Rechtsbelehrung "zur Frage der Kausalität" lediglich auf die Äquivalenztheorie verweise, "deren Korrektive der objektiven Zurechenbarkeit und des Schutzzwecks der Norm" jedoch völlig unerwähnt lasse. Denn im Bereich der Vorsatzdelinquenz indiziert in der Regel der Kausalzusammenhang die objektive Erfolgszurechnung und daher (auch) den Risikozusammenhang (als einem Element der objektiven Zurechnung des Erfolges), auf den die Beschwerde mit dem Hinweis auf den "Schutzzweck der Norm" ersichtlich anspielt. Einer eingehenden Überprüfung dieses Kriteriums der objektiven Erfolgszurechnung bedarf es daher nur in speziellen Fallkonstellationen, die Anhaltspunkte dafür bieten, daß durch das inkriminierte Täterverhalten - ausnahmsweise - nicht jenes Risiko verwirklicht worden sein konnte, dem der betreffende Straftatbestand entgegenwirken soll; das gilt in gleichem Maße auch für den Adäquanzzusammenhang, der nur dann einer (gesonderten) Prüfung bedarf, wenn der Sachverhalt Anhaltspunkte für einen atypischen Kausalverlauf bietet (vgl. zum Ganzen EvBl. 1985/133). Im gegenständlichen Verfahren sind aber Anhaltspunkte, die Anlaß zu Zweifeln in der einen oder in der anderen Richtung bieten hätten können, nicht hervorgekommen und es bestand auch im Zusammenhang mit der Darlegung der Voraussetzungen der Zurechnung der fahrlässig herbeigeführten Erfolgsqualifikation bei den Tatbeständen nach §§ 87 Abs. 2; 83 Abs. 1, 86 StGB kein Erfordernis zur Erörterung der objektiven Zurechnungsvoraussetzungen; die Notwendigkeit der Voraussehbarkeit des qualifizierenden Erfolges wurde aber ohnedies ausführlich dargelegt (siehe Seiten 7 und 8 der Rechtsbelehrung). Das Fehlen von Erläuterungen über die normativen Zurechnungskriterien bewirkte mithin im vorliegenden Fall keine Unvollständigkeit der Rechtsbelehrung, die geeignet sein könnte, die Geschwornen bei Beurteilung der an sie gestellten Fragen auf einen falschen Weg zu weisen, und die deshalb einer Unrichtigkeit gleichzusetzen wäre (Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 66 zu § 345 Z 8). Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die einschlägigen Vorstrafen, den raschen Rückfall, die Gefühlskälte und daß der Angeklagte die sofortige Hilfeleistung nach der Tat verhindert hat; als mildernd den Spannungszustand auf Grund der mehrmaligen Aufforderung, die Wohnung zu verlassen. Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Verhängung einer schuldangemessenen zeitlichen Freiheitsstrafe. Ihr kommt Berechtigung nicht zu.

Das Geschwornengericht hat nämlich die besonderen Strafbemessungsgründe im wesentlichen nicht nur vollständig angeführt, sondern sie im Ergebnis auch einer zutreffenden Würdigung unterzogen.

Die Alkoholisierung zur Tatzeit wurde dem Angeklagten mit Recht nicht als Milderungsgrund gewertet, denn er delinquierte bereits wiederholt in alkoholisiertem Zustande (siehe hiezu die Ausführungen im Berufungsurteil ON 13 des Aktes 7 d E Vr 3338/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien); der Einfluß des genossenen Alkohols auf den Angeklagten bei der Tatbegehung wird daher durch den Vorwurf des Alkoholkonsums mehr als aufgewogen (siehe Leukauf-Steininger, Komm. 2 RN 2 zu § 35).

Daß die einschlägigen Vorstrafen des Berufungswerbers schon zehn Jahre zurückliegen und demnach von raschem Rückfall nicht gesprochen werden könne, trifft nicht zu: Am 8.August 1983 beging er das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB (siehe den Akt 9 U 2996/83 des Strafbezirksgerichtes Wien), am 28.Dezember 1983 wurde er in gleicher Weise straffällig (Akt 7 d E Vr 3338/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) und am 7.Mai 1984 verübte er das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB (Akt 7 d E Vr 5381/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien). Im zuletztgenannten Verfahren wurde Josef S*** am 13.August 1984 zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt; am gleichen Tage wurde ihm (nach ca. dreimonatiger Anhaltung in Untersuchungshaft) Aufschub des Strafvollzuges bis 1.Dezember 1984 gewährt. In der Nacht zum 16.September 1984 verübte er die verfahrensgegenständliche Mordtat. Der Angeklagte beging sohin in einem Zeitraum von knapp mehr als einem Jahr vor dem hier aktuellen Verbrechen drei auf dem Charaktermangel der Gewalttätigkeit, sohin auf der gleichen schädlichen Neigung wie der nun zu beurteilenden strafbaren Handlung beruhende Straftaten. Angesichts der relativen Kürze der aufgezeigten Zeitspanne und der Tatsache, daß Josef S*** während eines offenen Strafvollzuges erneut straffällig wurde, hat das Erstgericht den Erschwerungsgrund des raschen Rückfalls mit Recht als gegeben angenommen.

Weder dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. S*** (ON 24), noch den mündlichen Ausführungen des Genannten in der Hauptverhandlung sind - den Ausführungen in der Berufung zuwider - Hinweise dafür zu entnehmen, daß dem Angeklagten eine günstige Prognose erstellt werden könne.

Selbst wenn der Angeklagte nach der Tat die Rettung verständigt hat, ist für ihn im Ergebnis nichts zu gewinnen. Denn das durch sechs auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorverurteilungen - verbunden mit mehrjährigen

Strafvollzügen - äußerst negativ geprägte Vorleben des Angeklagten rechtfertigt nach sorgfältiger Würdigung der eben angeführten Strafbemessungsgründe die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe, sodaß auch der Berufung ein Erfolg versagt bleiben mußte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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