OGH 8Ob502/86

OGH8Ob502/8623.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Pflegschaftssache des mj. Franz A***, geboren am 18. Jänner 1981, und in der Vormundschaftssache des mj. Erich B***, geboren am 1. Jänner 1983, infolge Revisionsrekurses der Mutter Radmilla A***, Putzfrau, Mollardgasse 28/1/16, 1060 Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 14. November 1985, GZ. 15 c R 63/85-26, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 13. September 1985, GZ. 26 P 70/85-17, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der am 18. Jänner 1981 geborene Franz A*** ist ein eheliches Kind der Radmilla A*** aus ihrer geschiedenen Ehe mit Karl Heinz A***; der am 1. Jänner 1983 geborene Erich B*** ist ein uneheliches Kind der Radmilla A***. Beide Kinder, die sich in Pflege ihrer Mutter befanden, wurden mit Zustimmung der Mutter im Rahmen der Erziehungshilfe (§ 9 JWG) am 6. Dezember 1983 in das Zentralkinderheim überstellt und von dort an eine Pflegestelle bei Katharina R*** in 2813 Lichtenegg 19 gebracht. Nachdem die Mutter am 9. April 1985 gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde erklärt hatte, daß sie die Kinder wieder zu sich nehmen wolle, stellte die Bezirksverwaltungsbehörde am 16. April 1985 beim Erstgericht den Antrag auf Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe bezüglich beider Kinder gemäß § 26 Abs 3 zweiter Satz JWG durch Belassung an der Pflegestelle.

Die Mutter stellte ihrerseits den Antrag, die beiden Kinder in ihre Pflege und Erziehung zu übergeben.

Das Erstgericht gab dem Antrag der Bezirksverwaltungsbehörde statt und wies den Antrag der Mutter ab.

Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluß dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Mutter keine Folge; eine von ihr eingebrachte schriftliche Ergänzung ihres Rekurses wies es als unzulässig zurück.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes - sie wird nur in ihrem bestätigenden Teil bekämpft - richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit dem erkennbaren Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Antrages der Bezirksverwaltungsbehörde und der Stattgebung ihres eigenen Antrages abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Revisionsrekurs ist unzulässig.

Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Die Mutter, deren Ehe mit Karl Heinz A*** im Mai 1983 geschieden wurde, verzog im Juni 1983 von Neulengbach nach Wien. Nachdem sie schon in Neulengbach wegen Vernachlässigung der Kinder auffiel, wurde sie in Wien fürsorgerisch betreut. Auch hier fielen die Kinder im Kindergarten, den sie nur unregelmäßig besuchten, durch ihre körperliche Verwahrlosung auf. Die Mutter wirkte erziehungsuntüchtig. Die Wohnung war verwahrlost (Wanzenbefall) und befand sich in schlechtem Zustand (Abbrennen der Stromleitungen), sodaß die Kinder gesundheitlich gefährdet waren. Nach sofortiger Überstellung der Kinder in das Zentralkinderheim wurden sie mit Zustimmung der Mutter, des Vaters des mj. Franz A*** und des Vormundes des mj. Erich B*** in Gemeindepflege übernommen und bei einer Pflegefamilie untergebracht. Dort lebten sich die beiden Kinder rasch und problemlos ein und sind sie zufolge des längeren Aufenthaltes entsprechend verwurzelt. Die Kinder sind dort nett und sauber gehalten, fühlen sich in der Pflegefamilie sichtlich wohl und haben zur Pflegemutter eine feste Beziehung aufgebaut. Die Mutter hat erst Monate später Kontakt zu den Kindern aufgenommen, sie dann aber ca. einmal monatlich besucht. Im Sommer 1984 verlor die Mutter ihre Wohnung durch Delogierung und zog in eine Frauenherberge. Sie bekam aber in kurzer Zeit wieder eine Wohnung, die sie zwischenzeitig mit ihren äußerst beschränkten Mitteln recht nett gestaltet hat. Sie lebt dort mit einem Lebensgefährten zusammen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, es könne nicht gesagt werden, daß eine Unterbringung der Kinder bei ihrer Mutter mehr in ihrem Interesse gelegen sei als ihr Verbleib auf der Pflegestelle. Da die Kinder dort schon seit fast zwei Jahren untergebracht seien, müßten ganz gewichtige Gründe vorliegen, um einen Milieuwechsel zu rechtfertigen. Dies sei jedoch nicht der Fall.

Das Rekursgericht führte rechtlich im wesentlichen aus, Voraussetzung für die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe gemäß § 26 JWG sei das Fehlen der nötigen Erziehung (§ 9 JWG). Das Vorliegen eines solchen Erziehungsnotstandes sei hiebei aber nicht nur dann zu bejahen, wenn einem Erziehungsberechtigten der Wille oder die Fähigkeit zur Sicherstellung einer gedeihlichen Entwicklung fehle, sondern überhaupt immer dann, wenn aus welchen Gründen immer die Fürsorge für das Kind so unzulänglich sei, daß dieses gefährdet werde. Dabei sei insgesamt auf die Entwicklung in physischer wie auch psychischer Hinsicht abzustellen.

Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, daß die beiden Kinder seinerzeit bei der Mutter nicht die erforderliche und gebotene Betreuung erfahren hätten, sodaß ihre Entfernung aus dem mütterlichen Haushalt notwendig geworden sei. Mögen sich auch mittlerweile die häuslichen Verhältnisse bei der Mutter gebessert haben, so könne dies allein einen Milieuwechsel derzeit nicht rechtfertigen. Es dürfe nicht übersehen werden, daß sich die beiden Kinder seit nahezu 2 Jahren bei der Pflegemutter befänden, dort sehr gut integriert seien und eine ruhige, stabile Geborgenheit gerade im Kleinkindalter für eine gedeihliche Entwicklung wesentlich sei. Darüber hinaus bleibe abzuwarten, ob die Mutter in der Lage sein werde, ihre Lebensverhältnisse weiter zu konsolidieren und wie sich ihr Zusammenleben mit dem Lebensgefährten gestalten werde. Insbesondere werde es auch notwendig sein, durch intensivere Besuchskontakte nicht nur das Verhältnis der Mutter zu den ihr nun doch schon etwas entfremdeten Kindern wieder zu vertiefen, sondern auch eine entsprechende Bindung der Kinder zum Lebensgefährten der Mutter herzustellen. Erst dann werde über eine mögliche Rückführung der Kinder in den Haushalt der Mutter und ihres Lebensgefährten abgesprochen werden können.

Gemäß § 16 Abs 1 AußStrG findet gegen eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität die Beschwerde an den Obersten Gerichtshof statt. Keiner dieser Rechtsmittelgründe wird im Revisionsrekurs der Mutter aufgezeigt.

Das Vorliegen einer Nichtigkeit oder einer Aktenwidrigkeit wird weder im Rechtsmittel der Mutter behauptet noch ist derartiges aus der Aktenlage ersichtlich.

Der Anfechtungsgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn ein Fall im Gesetz so ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (EFSlg 44.642 uva.). Auch derartiges zeigt die Rechtsmittelwerberin nicht auf. Welche tatsächlichen Umstände im konkreten Einzelfall die Anordnung oder Aufrechterhaltung einer Maßnahme nach § 26 JWG rechtfertigen, ist im Gesetz nicht näher bestimmt; die Entscheidung darüber ist vielmehr dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtes anheimgestellt (EFSlg 44.672, 44.673 uva.). Wenn im vorliegenden Fall die Vorinstanzen auf Grund des von ihnen festgestellten Sachverhaltes zu dem Ergebnis kamen, daß die Lebensverhältnisse der Mutter noch nicht hinlänglich konsolidiert seien, um auf weitere Maßnahmen im Rahmen der Erziehungshilfe verzichten zu können, kann darin eine offenbare Gesetzwidrigkeit im Sinne obiger Ausführungen und insbesondere ein Ermessensmißbrauch im Sinne einer Mißachtung des Grundprinzipes des Wohles der Kinder (vgl. SZ 44/180; EFSlg 32.647 ua.) nicht erblickt werden. Im übrigen kann mit einem außerordentlichen Revisionsrekurs im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG weder die Richtigkeit der Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft werden (EFSlg 37.362, 39.783; 8 Ob 583/85 uva.) noch sind in einem derartigen Rechtsmittel Neuerungen zulässig (EFSlg 35.039, 37.358; 8 Ob 583/85 uva.). Mangels Geltendmachung eines im § 16 Abs 1 AußStrG normierten Rechtsmittelgrundes war daher der vorliegende Revisionsrekurs der Mutter zurückzuweisen.

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