OGH 4Ob174/85

OGH4Ob174/8514.1.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HONProf. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Dr. Martin Meches und Hermann Peter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedl OBKIRCHER, Hilfsarbeiter, Prägraten, St. Andrä Nr. 60 a, vertreten durch Dr. Otmar Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Ing. MAYRE***, K*** & Co. Baugesellschaft mbH in Lienz, Bürgerstraße 5, vertreten durch Dr. Otto Pichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 4.257,65 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 24. September 1985, GZ 3a Cg 27/85-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Lienz vom 8. Mai 1985, GZ Cr 17/85-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.510,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin keine Barauslagen, S 137,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 2.7. bis 9.10.1984 als Arbeiter auf der Baustelle "Heidnische Kirche" beschäftigt, welche in 1400 m Seehöhe mehr als 200 m über der nächsten geschlossenen Ortschaft (Wohnsiedlung) Mittersill liegt.

§ 6 ("Erschwerniszulagen") des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrages für Bauindustrie und Baugewerbe,

14. Auflage, Stand vom 1.4.1983 (im folgenden: Kollektivvertrag) enthält ua folgende Bestimmungen:

"I. Für nachstehende Arbeiten gebühren Zulagen auf den Kollektivvertragslohn für die Zeit, während welcher diese Arbeiten geleistet werden:

.........

s) Arbeiten im Gebirge

Die Höhenzulage beträgt:

von 800 m bis 1200 m 9 %

über 1200 m bis 1600 m 14 %

über 1600 m bis 2000 m 18 %

über 2000 m 22 %

des Facharbeiterstundenlohnes (Beschäftigungsgrup-

pe II b).

Diese Regelung gilt nicht für Arbeitsstellen, die bis zu 200 m oberhalb des Durchschnittsniveaus einer geschlossenen Wohnsiedlung liegen. Für Bauzwecke errichtete Wohnlager gelten nicht als geschlossene Wohnsiedlung. Für Ausnahmefälle sind Sonderregelungen möglich

..........".

Mit der Behauptung, daß er auf der genannten Baustelle insgesamt 494,5 Stunden gearbeitet und während dieser Zeit nach dem Kollektivvertrag Anspruch auf eine Höhenzulage im Ausmaß von 14 % des Facharbeiterstundenlohnes der Beschäftigungsgruppe II b gehabt habe, begehrt der Kläger die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung eines - der Höhe nach unbestrittenen - Betrages von S 4.257,65 brutto sA.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Als Erschwerniszulage sei die in § 6 Z I lit s des Kollektivvertrages vorgesehene Höhenzulage eine finanzielle Abgeltung dafür, daß der Bauarbeiter auf Grund der Abgeschiedenheit der Baustelle seine üblichen sozialen und kulturellen Bedürfnisse in der Freizeit nicht befriedigen könne. Im vorliegenden Fall seien jedoch die Bauarbeiter täglich nach Arbeitsschluß auf Kosten der beklagten Partei mit einem Firmenbus von der Baustelle zur Firmenunterkunft in die etwa 20 Fahrtminuten entfernte Ortschaft Dorf gebracht worden, wo entsprechende Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung bestanden hätten.

Unbestritten ist folgender Sachverhalt:

Die tägliche Arbeitszeit des Klägers auf der Baustelle "Heidnische Kirche" dauerte von 7 Uhr bis 12 Uhr und von 13 Uhr bis 17,30 Uhr. Das Mittagessen wurde entweder auf der sogenannten Wageralm oder auf der Teimeralm eingenommen. Die Arbeiter hatten hiefür S 40,-- zu zahlen, den Differenzbetrag trug die beklagte Partei.

Nach Dienstschluß am Abend jedes Tages wurde der Kläger ebenso wie die übrigen Arbeiter mit einem firmeneigenen Bus auf Kosten der beklagten Partei zu der von der Arbeitgeberin gemieteten Firmenunterkunft in den Weiler Dorf gebracht, welcher zur Pinzgauer Gemeinde Bramberg gehört. Die Fahrtzeit betrug jeweils 20 bis 30 Minuten; die Fahrt ging über die Felbertauernstraße nach Mittersill und von dort noch ca. 11 km weiter in Richtung Gerlosstraße. Der aus etwa 65 Häusern bestehende Ortsteil Dorf ist rund 3 km vom Kern der Gemeinde Bramberg entfernt. Ein Gasthaus ist nur im benachbarten Ortsteil Mühlbach vorhanden; dort nahmen auch die Arbeiter üblicherweise das Abendessen ein.

Die Firmenunterkunft war ein von der beklagten Partei gemietetes Bauernhaus, in welchem den Arbeitern durchwegs Zimmer mit Warm- und Kaltwasser sowie ein Aufenthaltsraum mit Fernsehmöglichkeit zur Verfügung standen. Das Frühstück wurde von den Arbeitern immer in dieser Unterkunft eingenommen.

Im Ortskern von Bramberg befinden sich neben mehreren Gasthäusern auch die in einem ländlichen Fremdenverkehrsgebiet üblichen Freizeiteinrichtungen. Im Weiler Dorf gab es ein Gemischtwarengeschäft, in welchem Artikel des täglichen Bedarfs verkauft wurden. Auf der Baustelle "Heidnische Kirche" war von der beklagten Partei kein für Wohnzwecke geeignetes Bauarbeiterlager eingerichtet worden.

Zwischen der beklagten Partei und dem Betriebsrat oder dem Kläger oder anderen Arbeitern ist keine ausdrückliche Vereinbarung darüber getroffen worden, daß auf der mehrfach genannten Baustelle keine Höhenzulage gewährt werde, weil die Arbeiter ohnehin mit dem Bus kostenlos in die Firmenunterkunft befördert würden. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die in Rede stehende Höhenzulage sei keine Abgeltung dafür, daß der Arbeiter in einer bestimmten Seehöhe auf Grund der Witterung oder der dünneren Luft unter erschwerten körperlichen Bedingungen arbeiten müsse; sie werde vielmehr deshalb gewährt, weil einerseits die Baustelle schwerer erreichbar sei und andererseits auf Grund dieses Umstandes die Arbeiter ihre kulturellen und sonstigen sozialen Bedürfnisse nicht in der gleichen Weise befriedigen könnten wie andere Arbeiter, die täglich an ihren Wohnort zurückkehren. Im vorliegenden Fall sei der Kläger täglich auf Kosten der beklagten Partei mit einem Firmenbus in die bequeme Firmenunterkunft zurückgebracht worden, wo die üblichen Freizeiteinrichtungen in unmittelbarer Nähe zur Verfügung gestanden seien. Da im übrigen auch der auf der Fahrtstrecke gelegene, mehrere tausend Einwohner zählende Markt Mittersill ausreichend Gelegenheit zur Befriedigung sozialer Bedürfnisse geboten habe, führe eine teleologische Auslegung des Kollektivvertrages zur Verneinung des eingeklagten Anspruches. Das Berufungsgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Auf Grund der Neudurchführung der Verhandlung (§ 25 Abs 1 Z 3 ArbGG) hielt es die Rechtsrüge des Klägers für begründet: die Voraussetzungen für die Gewährung einer Höhenzulage seien im Kollektivvertrag eindeutig umschrieben. Eine besondere Regelung für den Fall der Bereitstellung eines Firmenfahrzeuges zur Beförderung der Arbeiter in die nächste geschlossene Wohnsiedlung sei der betreffenden Bestimmung nicht zu entnehmen; sie könne nur im Einvernehmen mit dem Betriebsrat durch eine besondere Anordnung getroffen werden. Da eine derartige Sonderregelung hier unstreitig nicht vorliege, bestehe der Anspruch des Klägers auf die kollektivvertragliche Höhenzulage zu Recht.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird seinem ganzen Inhalt nach von der beklagten Partei mit Revision aus dem Grunde des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO bekämpft. Die beklagte Partei beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des Urteils der ersten Instanz abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach § 6 Z I lit s des Kollektivvertrages gebührt eine Höhenzulage, wenn sich die Arbeitsstelle in einer Seehöhe von mindestens 800 m befindet und dabei mehr als 200 m oberhalb des Durchschnittsniveaus einer geschlossenen Wohnsiedlung liegt. Daß die Baustelle des Klägers auf der "Heidnischen Kirche" diese Voraussetzungen erfüllt hat, wird von der beklagten Partei nicht bestritten; die Revisionswerberin meint aber, daß bei richtiger, auch auf die Absicht des Normgebers Bedacht nehmender Auslegung des Kollektivvertrages der Zweck der Zulage nicht außer acht gelassen werden dürfe und demgemäß beim Fehlen eines tatsächlichen Erschwernisses der Anspruch auf Höhenzulage verneint werden müsse.

Für eine solche teleologische Reduktion (siehe dazu Koziol-Welser 7

I 27 f; Bydlinski in Rummel, ABGB I, Rdz 7 zu § 7) der in Rede

stehenden Kollektivvertragsbestimmung ist aber nach Ansicht des

erkennenden Senates hier kein Raum:

Zu Unrecht meint die beklagte Partei, daß die durch die

Höhenzulage abzugeltende "Erschwernis" allein in der

"Abgeschiedenheit des Arbeitsortes" zu sehen sei, welche dem

Arbeitnehmer erhöhte Belastungen, nämlich Erschwerungen beim

Erreichen des Arbeitsortes und Einschränkungen bei der Befriedigung seiner kulturellen und sozialen Bedürfnisse, aufbürde. Im Vordergrund steht vielmehr - wie sich aus der sonst nicht recht verständlichen Abstufung der Höhenzulage nach der Seehöhe der Arbeitsstelle ergibt - offensichtlich der Umstand, daß die Tätigkeit eines Bauarbeiters ab einer bestimmten Höhenlage schon wegen der im Gebirge herrschenden Witterungsverhältnisse und des niedrigen Luftdrucks regelmäßig mit einer erhöhten körperlichen Anstrengung verbunden ist; erst die anschließend normierte 200 Meter-Grenze trägt dann auch dem Gedanken Rechnung, daß die Tätigkeit auf einer abgeschiedenen, von der nächsten Wohnsiedlung nur schwer erreichbaren Baustelle den Arbeiter in der Regel zu einem Verzicht auf jene Annehmlichkeiten zwingt, die ihm bei täglicher Rückkehr ins Tal zugänglich wären. Ob und in welchem Ausmaß die genannten Erschwernisse im Einzelfall tatsächlich gegeben sind, ist aber nach dem Kollektivvertrag nicht zu prüfen: die Kollektivvertragsparteien haben vielmehr den Anspruch auf Höhenzulage an bestimmte allgemeine Voraussetzungen - Seehöhe der Baustelle, Höhendifferenz zur nächstgelegenen Wohnsiedlung - geknüpft, bei deren Zutreffen eine solche Erschwernis nach der Lebenserfahrung unwiderlegbar vermutet wird. Daß es dabei in der Praxis gelegentlich Fälle geben wird, in denen dieser Regelungszweck zufolge besonderer Umstände zum Teil erreicht wird - sei es, daß trotz einer weniger als 200 Höhenmeter entfernten Wohnsiedlung die Tätigkeit an der Baustelle mit besonderen Erschwernissen verbunden ist, sei es, daß die mit einer größeren Entfernung einer derartigen Siedlung regelmäßig verbundenen Unannehmlichkeiten im Einzelfall, aus welchem Grund immer, nicht gegeben sind -, muß bei einer generellen Regelung dieser Art hingenommen werden. Mangels einer im Einvernehmen mit dem Betriebsrat getroffenen Sonderregelung, wie sie § 6 Z I lit s des Kollektivvertrages für derartige Ausnahmefälle ausdrücklich vorsieht, hat es vielmehr bei der klaren, keinen Anlaß zu Zweifeln gebenden Regelung des Kollektivvertrages zu verbleiben, welche jede Prüfung der Frage ausschließt, ob und welche Erschwernisse im Einzelfall tatsächlich vorliegen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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