OGH 13Os181/85

OGH13Os181/8520.12.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Dezember 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Huber als Schriftführers in der Strafsache gegen Roland P*** und Alexander F*** wegen des Verbrechens der Nötigung nach §§ 105 f. StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Roland P*** gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafachen Wien vom 21. August 1985, GZ. 20 c Vr 3676/85-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen des Roland P*** und in dem ihn betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Roland P*** hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen wurde der am 4. August 1962 geborene, zuletzt beschäftigungslos gewesene Roland P*** des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z. 1 StGB., des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 StGB. und des Vergehens des schweren Diebstahls nach §§ 127 Abs 1, Abs 2 Z. 1, 128 Abs 1 Z. 1 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat er am 16.März 1985 in Wien im bewußten und gewollten Zusammenwirken mit Alexander F*** als Mittäter Ilse W*** durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Überlassung der Lenkung ihres Personenkraftwagens an F*** und zur Mitfahrt genötigt, indem er gemeinsam mit F***, welcher Ilse W*** mit den Worten: "Rück' hinüber, sonst bring' ich dich um" ein Taschenmesser mit geöffneter Klinge am Hals ansetzte, in das Fahrzeug einstieg und anschließend im von F*** gelenkten Automobil mitfuhr (I 1); durch diese Handlungen ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, ohne Einwilligung der Berechtigten Ilse W*** in Gebrauch genommen (I 2) und schließlich in Gesellschaft des Alexander F*** als Diebsgenossen 120 S Bargeld und Banknoten fremder Währungen im Gesamtwert von 100 S der Ilse W*** während einer dieser zugestoßenen Bedrängnis, nämlich während des durch die Nötigung hervorgerufenen Schockzustands gestohlen (II). Die Geschwornen hatten - jeweils stimmeneinhellig - die den Angeklagten P*** betreffenden Hauptfragen nach schwerer Nötigung

(2) und nach unbefugtem Gebrauch von Fahrzeugen (4) sowie, nach Verneinung der auf schweren Raub lautenden Hauptfrage (6), die bezügliche Eventualfrage nach schwerem Diebstahl (8) bejaht. Der Angeklagte P*** ficht die o.a. Schuldsprüche mit einer auf § 345 Abs 1 Z. 6 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Den angerufenen Nichtigkeitsgrund erblickt er zunächst darin, daß keine Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB.) gestellt worden sei, obwohl eine solche auf Grund der in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen (§ 313 StPO.) indiziert gewesen wäre. Der Beschwerdeführer verweist dazu auf seine Verantwortung, vom Mitangeklagten durch "massive" Drohungen zur Beteiligung genötigt worden zu sein, weiters auf den hohen Grad seiner Alkoholisierung sowie auf das psychiatrische Gutachten und vermeint, daß seine geistige Minderbegabung, seine verängstigte Stimmungslage und seine starke Alkoholisierung die Voraussetzungen des § 11 StGB. nahegelegt hätten.

Gleichfalls unter dem Gesichtspunkt einer starken, durch geistige Beeinträchtigung potenziert wirksamen Alkoholisierung zur Tatzeit macht der Beschwerdeführer des weiteren das Versäumnis einer Eventualfrage in der Richtung der selbstverschuldeten vollen Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB.) als Verstoß gegen die Vorschrift des § 314 Abs 1 StPO. geltend.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschwerde ist im Recht.

Gemäß § 313 StPO. sind an die Geschwornen entsprechende Zusatzfragen zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die, wären sie erwiesen, die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden. Diese Tatsachen müssen so weit konkretisiert sein, daß sie - wäre das Schöffengericht zuständig - der Begründungspflicht des § 270 Abs 2 Z. 5 StPO. unterlägen. Gleiches gilt zufolge des § 314 Abs 1 StPO. für entsprechende Schuldfragen (Eventualfragen), die immer dann zu stellen sind, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, wonach, wären sie erwiesen, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte (SSt. 44/22; 13 Os 108/84, 13 Os 27/85).

Der Angeklagte P*** hat laut dem vom gerichtspsychiatrischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung vorgetragenen (S. 260) schriftlichen Gutachten (ON. 19) nach dem Besuch einer Schwerstbehinderten(sonder)schule keinen Beruf erlernt, leidet "scheinbar seit Kindheit an einer psychogenen Störung mit vorwiegend körperlicher Symptomatik" (Kopfwiegen bzw. -schleudern, Schleuderbewegungen des Rumpfs, ausgeprägtes Stottern) und ist in seiner sozialen Integration schwer beeinträchtigt (S. 141, 143). Er hat nicht nur beim Sachverständigen, sondern auch schon früher angegeben, unter dem Druck des Mitbeschuldigten gestanden zu sein (S. 147). Aus psychiatrischer Sicht seien seine Angaben bezüglich eines Zwangs dahin zu interpretieren, daß es nach dem gegenständlichen Vorfall zu einer psychischen Aufarbeitung der Geschehnisse gekommen sei (S. 147, 149). Ohne in die Beweiswürdigung eingreifen zu wollen, müßten die Angaben des Angeklagten P***, er sei gezwungen worden, als Schutzbehauptung aufgefaßt werden (S. 149). Allerdings fügte der Sachverständige in der Hauptverhandlung dem noch bei, daß es schwierig sei, zu beantworten, inwieweit es dem Zweitangeklagten möglich gewesen wäre, aus dieser (inkriminierten) Handlung auszusteigen; er sagte auf die Frage, ob der Angeklagte P*** die Kraft aufbringen konnte, sich aus dieser Situation zu lösen, wörtlich: "Ich kann nur sagen: Wenn sie seinen Angaben glauben, dann kann das eventuell, aus psychiatrischer Sicht gesehen, zu einer angstvollen Stimmung führen, wobei ... (diese) ... Stimmung vom Gericht zu werten ist" (S. 260, 261). Der Beschwerdeführer hat seine Verantwortung, alkoholisiert gewesen zu sein und unter dem Zwang von F*** gehandelt zu haben, in der Hauptverhandlung aufrecht erhalten (S. 245 bis S. 252). Die erwähnten, in der Hauptverhandlung behaupteten Tatsachen könnten, wären sie - was der Beurteilung durch die Geschwornen zu überlassen ist - erwiesen, demnach die Straflosigkeit des Nichtigkeitswerbers wegen Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB.) bzw. einen Schuldspruch wegen Vergehens der selbstverschuldeten vollen Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB.) zur Folge haben. Folglich bewirkte die Unterlassung einer entsprechenden Fragestellung, welche im Ergebnis eine den Geschwornen vorbehaltene umfassende Tatsachen- und Rechtsabwägung (siehe § 337 StGB.) verhindert hat, eine Nichtigkeit gemäß § 345 Abs 1 Z. 6 StPO. (SSt. 46/42 u.a.).

Das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher bezüglich des Angeklagten P*** gemäß § 349 StPO. schon bei einer nichtöffentlichen Beratung (§§ 344, 285 e StPO.) aufzuheben.

Da der Rechtsmittelwerber vom Geschwornengericht nur solcher strafbarer Handlungen schuldig erkannt wurde, deren Aburteilung in die Zuständigkeit des Schöffengerichts fällt (§ 106 Abs 1 StGB.; § 13 Abs 2 Z. 1 StPO.), und die Schuldsprüche auf Grund einer Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aufgehoben werden, war die Sache zu nochmaliger Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht zu verweisen (§ 349 Abs 2 StPO.; Foregger-Serini 3 , § 349 StPO., Erläuterungen II).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte