Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.August 1942 geborene Werner P*** (zu I) des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 und 3 lit a und c FinStrG und (zu II) des Vergehens der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 2 lit a und Abs 3 lit b FinStrG schuldig erkannt.
Darnach hat er in Baden
(I.) in der Zeit zwischen 1970 und 2.Juni 1980 vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht, nämlich unter Abgabe unrichtiger Steuererklärungen, Abgabenverkürzungen dadurch bewirkt, daß
1. bescheidmäßig festzusetzende Abgaben nicht oder zu niedrig festgesetzt wurden, wobei die Verkürzungen für die Jahre 1970 bis 1978 an Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer insgesamt 1,457.828 S betrugen,
2. bescheidmäßig festzusetzende Abgabengutschriften zu Unrecht festgesetzt wurden, wobei die Verkürzungen an Einkommensteuer für 1970 und 1972 insgesamt 9.637 S betrugen, sowie
(II.) in der Zeit zwischen 10.März 1978 und 10.Februar 1981 vorsätzlich unter Verletzung der Verpflichtung zur Abgabe von dem § 21 des Umsatzsteuergesetzes 1972 entsprechende Voranmeldungen für die Jahre 1978 bis 1980 eine Verkürzung von Vorauszahlungen an Umsatzsteuer in der Gesamthöhe von 2,129.019 S wissentlich bewirkt. Die vom Angeklagten dagegen aus den Z 4, 5, 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist im Ergebnis begründet.
Die dem Schuldspruch zugrundegelegte Abgabenverbindlichkeit und die sich daraus ergebenden Abgabenverkürzungen an Umsatzsteuer (Punkt I des Urteilssatzes), bzw die festgestellten Verkürzungen an Umsatzsteuer-Vorauszahlungen (Punkt II des Urteilssatzes) enthalten vorliegend auch (im Schätzungswege festgestellte) Beträge, die auf sogenannte "Freispiele" mit den vom Angeklagten betriebenen Glücksspielautomaten entfallen.
In Ansehung dieser Freispiele räumte nun zwar das Erstgericht ein, bis "Anfang 1981" - in diesem Zeitpunkt wurde eine aus dem Jahre 1980 stammende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes veröffentlicht, mit welcher die Umsatzsteuerpflichtigkeit von Freispielen klargestellt wurde - sei es im Raum Niederösterreich - also auch am Tatort Baden - "äußerst strittig" und "problematisch" gewesen, inwieweit Freispiele umsatzsteuerpflichtig seien (vgl S 204, 205). Dennoch und obgleich alle Tatzeiten vor dem 10.Februar 1981 liegen, legte es dem Angeklagten auch mit Bezug auf die Freispiele vorsätzliches (Punkt I des Schuldspruches), ja sogar wissentliches (§ 5 Abs 3 StGB; Punkt II des Urteilssatzes) Verhalten zur Last und begründete dies im wesentlichen damit, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 30.Mai 1985 zugegeben habe, "selbst ausbezahlte" Gewinne nicht der Umsatzsteuer unterzogen und sohin "vorsätzliche Steuerhinterziehung" begangen zu haben (S 205). Damit beträfen aber alle anderen Erwägungen, insbesondere auch, ob in den bescheidmäßig festgestellten Abgabenschulden auch auf Freispiele entfallende Beträge enthalten seien, bloß die Höhe der Steuerschuld, woran das Gericht gebunden sei (S 206) und wäre nicht mehr zu prüfen gewesen, wann im Raum Niederösterreich bekannt wurde, daß auch Freispiele der Umsatzsteuer zu unterziehen seien (S 207).
Rechtliche Beurteilung
Dieser Argumentation kann weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht gefolgt werden.
Der Senat sieht sich zwar unbeschadet der in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführten Entscheidungen des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes nicht veranlaßt, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abzugehen, derzufolge im gerichtlichen Finanzstrafverfahren die rechtskräftige, bescheidmäßige und endgültige Abgabenfestsetzung durch die Finanzbehörden absolut präjudiziell in Ansehung der Höhe der Abgabenschuld ist (vgl Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, FinStrG, § 55 E 1 bis E 9, E 12 bis E 15). Gleichermaßen hält er aber auch daran fest, daß das Strafgericht in der Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschuldigten völlig frei ist und selbständig und unabhängig die objektiven Tatbestandsmerkmale sowie, uneingeschränkt, die innere Tatseite einschließlich des Bewußtseins der Rechtswidrigkeit selbst zu prüfen hat (vgl abermals die obigen Entscheidungen, insbesondere das im verstärkten Senat gefaßte Erkenntnis 13 Os 28/76 = SSt 48/36 = EvBl 1977/166 = RZ 1977/71, S 130).
Im Zuge der zuletzt angeführten Prüfung hat das Erstgericht nun vermeint, daraus, daß der Angeklagte zugestandenermaßen tatsächlich ausbezahlte Gewinne dolos der Umsatzversteuerung entzog, darauf schließen zu können, daß er auch in Ansehung der Freispiele mit dem erforderlichen Vorsatz handelte, und zwar unbeschadet der Klärung der Frage, wann in seinem Bereich die oben erwähnte Klarstellung der Steuerpflicht durch den Verwaltungsgerichtshof bekannt wurde. Diese Konklusion ermangelt der erforderlichen Schlüssigkeit. Entspricht es doch weder den Gesetzen logischen Denkens noch der Lebenserfahrung, bei Umsatzsteuerverkürzungen der in Frage stehenden Art, die inhaltlich gänzlich verschiedene Arten von Umsatzvorgängen betreffen, den Nachweis tatbildmäßigen (zum Teil qualifiziert) vorsätzlichen Handelns hinsichtlich eines Teiles dieser Umsatzvorkommen eo ipso als hinreichend zu erachten, um die Erfüllung der subjektiven Tatseite auch hinsichtlich der bei Umsatzvorgängen ganz anderer Art objektiv unterlaufenen Abgabenverkürzungen anzunehmen.
Ausgehend von diesem Begründungsmangel leidet das Urteil aber auch unter einem Feststellungsgebrechen im Sinne der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO, weil nach dem Gesagten als Voraussetzung für eine richtige rechtliche Beurteilung, inwieweit dem Angeklagten auch von der subjektiven Tatseite her ein rechtswidriges und tatbildmäßiges Verhalten im Sinne der Anklage zur Last liegt, Konstatierungen darüber unerläßlich sind, welcher Teil der Abgabenverkürzung auf die jeweilige Nichtversteuerung von Freispielen entfällt und ab wann dem Angeklagten bekannt war, daß auch derartige Spiele der Umsatzsteuer zu unterziehen sind, worauf dann schlüssige Feststellungen über die Schuldform gegründet werden können.
Da die aufgezeigten Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung mithin unumgänglich ist, war gemäß § 285 e StPO der gesamte Schuldspruch - inklusive der mit der Umsatzsteuerhinterziehung in untrennbarem Zusammenhang stehenden Verkürzungen an Einkommen- und Gewerbesteuer (§ 289 StPO) - zu kassieren, ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf die übrigen Beschwerdepunkte im einzelnen einzugehen.
Nur der Vollständigkeit halber sei insoweit vermerkt, daß es rechtlich belanglos ist, auf welche Weise (Erhebungen oder Schätzungen) die Finanzbehörde zur Feststellung der bescheidmäßig erfaßten Abgabenschuld gekommen ist
(vgl Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, FinStrG, § 55 E 11); ferner, daß auch keine teilweise Verjährung eingetreten ist, weil es sich um ein fortgesetzes Delikt handelt und die strafbefreiende Wirkung einer Selbstanzeige (§ 21 FinStrG) schon
deshalb - unabhängig von der Bezahlung der sich aus dieser Selbstanzeige ergebenden Schuld - vorliegend für den Angeklagten nicht eintreten konnte, weil ausgehend von den Urteilsfeststellungen (vgl S 195 unten) von keiner Offenlegung aller steuerlich bedeutsamen Umstände gesprochen werden kann. Schließlich ist entgegen der Meinung des Beschwerdeführers auch eine Realkonkurrenz zwischen den beiden ihm angelasteten Finanzvergehen rechtlich durchaus möglich (vgl Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch aaO § 33 E 28, 28 a und b).
Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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