OGH 4Ob160/85

OGH4Ob160/8510.12.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl und Dr. Resch, sowie die Beisitzer Dipl.Ing. Otto Beer und Dr. Friedrich Neuwirth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Günter A, Angestellter, Graz, Karl Maria-Weber-Gasse 5/1/5, vertreten durch Dr. Helmuth Schmid, Dr. Harold Schmid und Dr. Kurt Klein, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Walter B, Inhaber der Firma C in Graz, St. Peter Hauptstraße 155, vertreten durch Dr. Helmut Klement und Dr. Erich Allmer, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 77.329,53 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 11.Juni 1985, GZ 2 Cg 32/85-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Graz vom 24.September 1984, GZ 2 Cr 120/84-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.843,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 385,80 Umsatzsteuer und S 600,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war beim Beklagten vom 1.7.1983 bis 31.12.1983 als Arbeiter und anschließend bis zu seiner Entlassung am 9.3.1984 als Angestellter beschäftigt. Er begehrt mit der Behauptung, die Entlassung sei nicht gerechtfertigt gewesen, vom Beklagten den Betrag von S 77.329,53 brutto sA als Kündigungsentschädigung. Der Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, beantragte jedoch, es abzuweisen, und wendete ein, die Entlassung sei gerechtfertigt gewesen. Der Kläger habe Anfang März 1984 anläßlich einer Aussprache zwischen den Streitteilen und dem Geldgeber des Beklagten, Dipl.Ing. D, geäußert, daß der Beklagte weder in fachlicher noch kaufmännischer Hinsicht geeignet sei, einen derartigen Betrieb zu führen. Er habe kein Interesse mehr, im Betrieb des Beklagten weiter zu arbeiten. Dies würde aber den Ruin des Unternehmens bedeuten. Durch diese Äußerungen des Klägers habe die Gefahr bestanden, daß Dipl.Ing. D eine weitere Finanzierung des Unternehmens des Beklagten ablehnen werde. Das Verhalten des Klägers sei objektiv geeignet gewesen, die Kreditwürdigkeit des Beklagten herabzusetzen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat auf Grund des von ihm festgestellten Sachverhaltes die Auffassung, die Entlassung sei verspätet erfolgt.

Das Berufunsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und stellte folgenden Sachverhalt fest:

Das Unternehmen des Beklagten wurde zum Großteil von Dipl.Ing. Alfred D finanziert, welcher auch

Bürgschaften für Kredite des Beklagten übernahm. Um diesem zu helfen, galten die Angestellten des Beklagten in der ersten Jahreshälfte nach der Gründung des Unternehmens des Beklagten als bei Dipl.Ing. D beschäftigt und erhielten von dessen Unternehmen ihre Gehälter ausbezahlt. In der betrieblichen Rangordnung war der Kläger der erste nach dem Beklagten. Da der Beklagte selten im Betrieb anzutreffen war, kümmerte sich der Kläger um alles, besuchte die Kunden, brachte die Aufträge und teilte die Arbeit ein. Seit Jänner 1984 wurden vom Beklagten die Gehälter der Angestellten nicht mehr pünktlich ausbezahlt. Mit Schreiben vom 2.3.1984 setzte der Kläger dem Beklagten eine Frist bis 5.3.1984 zur Bezahlung seines Februar-Gehaltes und machte ihn darauf aufmerksam, daß er ansonsten berechtigt sei, sein Dienstverhältnis nach § 26 AngG sofort zu lösen. Er fügte hinzu, daß er im Interesse aller Mitarbeiter um die Überweisung der Gehaltszahlungen jeweils bis zum Monatsletzten ersuche. Bei Übergabe dieses Schreibens an den Beklagten am 2.3.1984 erklärte der Kläger, daß er nicht mehr bereit sei, mit dem gleichen Gehalt im Unternehmen des Beklagten weiter zu arbeiten, sondern S 5.000 mehr haben wolle. Der Beklagte war bereit, dem Kläger eine Gehaltserhöhung zuzubilligen, jedoch nicht in der begehrten Höhe. Er wollte dies jedoch nicht ohne Rücksprache und Einvernehmen mit Dipl.Ing. D tun, weshalb es am

5. oder 6.3.1984 (Montag oder Dienstag) zu einer Aussprache zwischen den Streitteilen und Dipl.Ing. D kam. Das Gespräch

war vertraulich, wobei auch erörtert werden sollte, woran es liege, daß das Unternehmen keinen Ertrag bringe. Aus diesem Grund erachtete sich der Kläger berechtigt, auf Wahrheit beruhende Mißstände im Betrieb aufzuzeigen. Zunächst versuchte der Beklagte zu erklären, weshalb die Gehaltszahlungen nicht rechtzeitig erfolgten, und versprach, daß in Zukunft die Gehälter am Letzten des Monats auf den Konten der Bediensteten vorhanden sein würden. Der Kläger brachte sodann zum Ausdruck, daß er eine Gehaltserhöhung haben wolle, da er unterbezahlt sei, und äußerte, daß er nicht beim Beklagten bleiben wolle. Auf die Frage des Dipl.Ing. D nach den Gründen sagte der Kläger, daß der Beklagte viel zu wenig im Betrieb anwesend sei und daß er selbst sich daher um alles kümmern müsse. Er könne den Beklagten als Chef so nicht akzeptieren. Dieser müsse mehr Einsatz zeigen; wenn der Beklagte so weiter arbeite wie bisher, dann sehe er für den Betrieb keine Zukunft. Er wies auch darauf hin, daß Fehlinvestitionen getätigt worden seien; so seien eine Druckmaschine angeschafft und ein Drucker eingestellt worden, obwohl eine Auslastung bei weitem nicht gegeben sei. Auch das eingerichtete Fotostudio samt Fotografin würde kaum gebraucht. Daher sei trotz Einsatzes des Klägers ein Gewinn nicht zu erzielen gewesen. Der Kläger gab dem Beklagten über den Tisch hinweg ein Heft und sagte zu ihm, er solle dies kalkulieren, was er ohnehin nicht könne. Der Beklagte war über die Vorwürfe des Klägers sehr überrascht, da er vorher ein gutes Verhältnis zu ihm hatte. Schließlich äußerte der Kläger, daß er mit Ende der Arbeitswoche auf Urlaub gehe und sich während des Urlaubs überlegen werde, ob er beim Beklagten bleiben oder kündigen werde.

Dipl.Ing. D sah diese Äußerungen des Klägers über

den Beklagten als schwerwiegend an, erwog aber momentan nicht, sein Geld aus dem Unternehmen zurückzuziehen. Es kamen ihm zwar Zweifel, doch erfolgte bis heute keine Zurückziehung. Der Beklagte sagte zu Dipl.Ing. D, er könne auf Grund der vom Kläger

gemachten Äußerungen mit diesem nicht mehr zusammenarbeiten, er werde ihn kündigen oder entlassen und müsse sich diesbezüglich noch informieren.

Am nächsten Tag rief Dipl.Ing. D den Kläger an

und fragte, ob dieser bereit sei, den Betrieb zu übernehmen, was der Kläger mit Rücksicht auf den hohen Schuldenstand des Unternehmens ablehnte. Daraufhin schlug Dipl.Ing. D dem Kläger

vor, als Geschäftsführer im Betrieb tätig zu sein, womit der Kläger einverstanden war. Schließlich machte Dipl.Ing. D den Vorschlag, im Betrieb eine Abstimmung unter den Mitarbeitern durchzuführen, ob der Beklagte oder der Kläger das Unternehmen als Geschäftsführer weiterführen sollten. Er unterbreitete diesen Vorschlag auch dem Beklagten, der erreichte, daß die Abstimmung erst nach dem Urlaub des Klägers stattzufinden habe. Etwa drei Tage nach dem Gespräch zwischen den Streitteilen und Dipl.Ing. D sagte der Beklagte zu diesem, er habe

sich mit einem Rechtsanwalt besprochen und werde den Kläger fristlos entlassen. In diesem Zeitraum kam es zu keiner Kontaktaufnahme zwischen den Streitteilen. Am Freitag dem 9.3.1984 rief der Beklagte den Kläger an und fragte, ob er wegen seines Urlaubsantrittes alles übergeben habe, was der Kläger bejahte. Als der Kläger bereits zu Hause war, wurde ihm ein Expreßbrief mit der vom Rechtsvertreter des Beklagten ausgesprochenen Entlassung zugestellt.

Rechtlich vertrat auch das Berufungsgericht die Auffassung, die Entlassung sei verspätet. Der Beklagte habe dem Kläger gegenüber in keiner Weise zu erkennen gegeben, daß er dessen Vorwürfe zurückweise und ihn zur Verantwortung ziehen werde. Auch wenn man dem Beklagten zubillige, daß er sich vor dem Ausspruch der Entlassung rechtlich habe beraten lassen, so hätte dies bereits am nächsten Tag geschehen können. Der Beklagte habe keine Behauptung darüber aufgestellt, daß ihm die Einholung von Rechtsauskünften nicht bereits am nächsten Tag möglich gewesen wäre. Da der Tatbestand vollkommen klar gewesen sei, habe der Kläger, der auch nach dem Gespräch vom 5. oder 6.3.1984 im Betrieb weitergearbeitet habe, annehmen können, seine Äußerungen würden vom Beklagten nicht zum Anlaß einer Entlassung genommen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung (Martinek-Schwarz, AngG 6 588, Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I 2 225 f; Arb 9091, ZAS 1978/7 uva.) sind die Gründe für die vorzeitige Lösung eines Arbeitsverhältnisses bei sonstiger Verwirkung des Entlassungsrechtes ohne schuldhaftes Zögern geltend zu machen. Der Arbeitnehmer, dem ein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen wird, soll nicht ungebührlich lange über sein weiteres arbeitsrechtliches Schicksal im unklaren gelassen werden. Der Arbeitgeber darf mit der Ausübung des Entlassungsrechtes nicht so lange zuwarten, daß der Angestellte aus diesem Zögern auf einen Verzicht auf die Geltendmachung der Entlassungsgründe schließen kann. Im vorliegenden Fall war der als Entlassungsgrund geltend gemachte Sachverhalt klar und dem Arbeitgeber bekannt. Ein Zögern mit dem Ausspruch der Entlassung war daher nur insoweit berechtigt, als dem Beklagten die Möglichkeit eingeräumt werden mußte, zuvor eine Rechtsauskunft einzuholen. Auch dies mußte jedoch unverzüglich geschehen. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht behauptet hat, die Einholung der Rechtsauskunft sei ihm nicht sofort möglich gewesen. Er hat den Kläger auch weder zur Rede gestellt noch sich Konsequenzen gegenüber dem Kläger vorbehalten. Selbst am Tag der übermittelten Entlassungserklärung gab der Beklagte dem Kläger gegenüber bei dem letzten Telefongespräch nicht zu erkennen, daß er dessen Verhalten zum Anlaß der Entlassung nehmen werde. Auch daß dem Beklagten zunächst die Reaktion des Kreditgebers auf die erhobenen Vorwürfe nicht bekannt war, rechtfertigte ein Zuwarten mit der Entlassung ohne einen entsprechenden Vorbehalt gegenüber dem Kläger nicht. Der Kläger konnte aus dem Verhalten des Beklagten den Schluß ziehen, daß dieser aus dem Vorfall vom 6.3.1984 keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen ziehen werde. Die dennoch am 9.3.1984 ausgesprochene Entlassung war daher verspätet. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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