OGH 7Ob670/85

OGH7Ob670/8528.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj.Eva A, geboren am 3.11.1970, Schülerin, Pottenstein, Gutensteinerstraße 3/4/6, vertreten durch ihren Vater Herbert A, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Heinz Eckhard Lackner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei mj.Dieter B, geboren am 10.4.1974, Schüler, Pottenstein, Gutensteinerstraße 3/4/1, vertreten durch seinen Vater Franz B, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Ingo Schreiber, Rechtsanwalt in Wr.Neustadt, wegen restl.116.000,-- S s.A. und Feststellung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. Juli 1985, GZ 11 R 141/85-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr.Neustadt vom 24. Jänner 1985, GZ 3 Cg 56/84-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 12.686,25 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.920,-- Barauslagen und S 978,75 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8.9.1981 kam es im Krumpöckhof in Pottenstein im Verlaufe eines Spieles, an dem mehrere Kinder im Alter zwischen 7 und 11 Jahren beteiligt waren, zu einem Streit zwischen der damals 11 Jahre alten Klägerin und dem 7 1/2 Jahre alten Beklagten. Die Klägerin spielte mit anderen Mädchen in einem Sandkasten. Der Beklagte und Markus C kamen hinzu und warfen Kastanien auf die Kinder im Sandkasten. Als die Mädchen weitere Sandformen holten, versteckten die Buben - wer konnte nicht festgestellt werden - die Spielsachen. Die Klägerin beschuldigte den Beklagten, er habe die Spielsachen versteckt. Es kam zu einem Streit, in dessen Verlauf sich die Buben und Mädchen mit Kastanien bewarfen. Die Klägerin drohte im Verlauf dieses Streites dem Beklagten eine Ohrfeige an und drehte ihm einen Arm auf den Rücken. Der Beklagte warf im Verlauf des Streites eine Bohnenstange und verletzte den zufällig dazugekommenen älteren Bruder der Klägerin am Zeigefinger. Während des Streites gelangten die Kinder auf das angrenzende Gelände des Lagerhauses Pottenstein. Zu einem Zeitpunkt, als die Streitteile zwei bis drei Meter voneinander entfernt waren, hob der Beklagte einen am Boden liegenden, etwa 1 m langen Rutenbesen auf und warf ihn der Klägerin, als sie sich gerade ihm zuwandte, ins Gesicht. Durch den Wurf wurde die Klägerin am rechten Auge so schwer verletzt, daß das Auge operativ entfernt und durch eine Augenprothese ersetzt werden mußte. Das Tragen der Augenprothese ist vor allem dadurch erkennbar, daß die Lidspalte deutlich größer ist als beim linken Auge. Nach fachärztlichem Rat soll sich die Klägerin anstelle der Augenprothese aus Glas für das verletzte Auge zwei Augenprothesen aus Kunststoff anschaffen. Diese Anschaffung erfordert einen Aufwand von S 10.000.

Eine Vernachlässigung einer Obsorgepflicht liegt nicht vor. Der Beklagte war im Unfallszeitpunkt für sein Alter eher zart und klein, brach aber gerne Streit vom Zaun und war immer gleich zornig und grob. Er ist Mitversicherter einer Haushaltsversicherung mit einer Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme von S 500.000. Er hat als Mitversicherter einen eigenen Deckungsanspruch gegen den Versicherer.

Die Klägerin begehrt die Kosten für die Anschaffung der Kunststoffprothesen, den Ersatz von diversen Aufwendungen von S 10.000, ein Schmerzengeld von S 75.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 50.000, zusammen S 145.000 s.A. Mit ihrem Leistungsbegehren verband sie das Begehren auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für künftige Schäden. Sie vertritt den Standpunkt, daß dem Beklagten unbeschadet seiner Deliktsunfähigkeit ein Verschulden zur Last falle und die Haftpflichtversicherung als Vermögen zu werten sei. Der Beklagte bestreitet ein Verschulden und lastet der Klägerin an, zu ihrer Verletzung selbst Veranlassung gegeben zu haben. Ein allfälliges Vermögen könne für sich allein einen Ersatzanspruch nicht begründen. Mangels Verunstaltung stehe der Klägerin auch ein Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit S 116.000 s.A. statt und sprach eine Haftung des Beklagten für 80 % der künftigen Schäden der Klägerin aus dem Unfall aus. Das Leistungs- und das Feststellungsmehrbegehren wies das Erstgericht ab.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt. Nach Auffassung der Vorinstanzen könne sich der Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, daß die Klägerin zu ihrer Verletzung selbst Veranlassung gegeben habe, weil die Bestimmung des § 1308 ABGB grundsätzlich nur den Schuldfähigen treffe. Mangels Verletzung einer Obsorgepflicht durch Aufsichtspflichtige sei der Anspruch der Klägerin nach § 1310 ABGB zu beurteilen, wobei die dort aufgezählten Momente je nach ihrer Stärke für sich allein oder aber erst in Kombination zu einer Haftung des Deliktsunfähigen führen könnten. Beide Vorinstanzen bejahten ein Verschulden des Beklagten und daß ein Deckungsanspruch aus einer Haftpflichtversicherung als Vermögen im Sinne des § 1310 ABGB anzusehen sei. Sei eine Haftung wegen Verschuldens gegeben, könne jedenfalls bei Bestehen einer Haftpflichtversicherung der Anspruch des Geschädigten nicht wegen Vermögenslosigkeit verneint oder beschränkt werden. Nach Auffassung der Vorinstanzen treffe die Klägerin ein mit 1/5 zu bewertendes Mitverschulden. Beide Vorinstanzen hielten auch den Anspruch der Klägerin auf eine Verunstaltungsentschädigung in der begehrten Höhe und auf Bezahlung der Kosten für zwei Kunststoffprothesen für gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus dem Anfechtungsgrunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Beklagten ist nicht berechtigt.

Der vom Revisionswerber unter Hinweis auf ältere, vereinzelte Entscheidungen vertretenen Meinung, die Anwendung des § 1308 ABGB sei nicht auf Deliktsfähige beschränkt, ist entgegenzuhalten, daß nach herrschender Auffassung der § 1308 ABGB zwischen Deliktsunfähigen nicht anzuwenden ist (EFSlg.22.563; SZ 33/54; 6 Ob 618/83; 1 Ob 629/82; 7 Ob 739/81; Koziol,

Haftpflichtrecht 2 I 242; Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 1 zu § 1308). Daß die Vernachlässigung einer Obsorgepflicht im Sinne des § 1309 ABGB nicht vorliegt, ist unbestritten. Die Behauptung der Revision, daß bei Unmündigen unter 8 Jahren eine Verantwortlichkeit grundsätzlich verneint werde, ist unzutreffend (vgl.EFSlg.33.748; ZVR 1972/192). Nach dem ersten Fall des § 1310 ABGB ist bei Deliktsunfähigen die Verantwortlichkeit unter Berücksichtigung des Maßes ihrer Einsicht und der Art ihres ursächlichen Verhaltens im Einzelfall zu prüfen (ZVR 1975/197; ZVR 1972/192;

1 Ob 629/82 u.v.a.). Davon ausgehend haben aber die Vorinstanzen dem Beklagten zu Recht ein Verschulden angelastet. Der Beklagte war im Unfallszeitpunkt bereits 7 1/2 Jahre alt, bereits im zweiten Schuljahr und ein normal entwickeltes Kind. Bei dieser Entwicklungsstufe ist die Einsicht vorauszusetzen, daß der Wurf eines harten Gegenstandes gegen das Gesicht eines anderen aus einer Entfernung von nur 2 bis 3 m nicht nur eine gefährliche Handlung darstellt, sondern unter Umständen auch zu einer schweren Verletzung führen kann. Der Hinweis der Revision auf die Neigung des Beklagten zu Zorn und Grobheit ist nicht stichhältig. Solche Eigenschaften kommen auch bei älteren Personen vor. Es kann der Revision zwar eingeräumt werden, daß eine Beherrschung solcher Neigungen von einem erst 7 1/2 Jahre alten Kind nicht im gleichen Ausmaß erwartet werden kann als von reiferen Personen. Solche Eigenschaften führen aber auch bei Unmündigen in der Regel nicht zur Aufhebung der Fähigkeit, die Gefährlichkeit ihrer Handlungen zu erkennen und sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten, sofern diese, wie im vorliegenden Fall, grundsätzlich zu bejahen ist. Besondere Umstände, die die Annahme des Gegenteils rechtfertigen würden, liegen nicht vor und wurden auch nicht behauptet. Ist dem Beklagten aber ein Verschulden anzulasten, ist dem Argument der Revision, daß der Deckungsanspruch aus einer Haftpflichtversicherung allein keine Haftung begründen könne, der Boden entzogen und diese Frage nicht näher zu erörtern. Auch die Revisionsausführungen zur Frage des Mitverschuldens der Klägerin bieten keinen Anlaß zu einer Abänderung der von den Vorinstanzen vorgenommenen Schadensteilung. Zwar hat die Klägerin dem Beklagten eine Ohrfeige angedroht und ihm einen Arm auf den Rücken gedreht, doch haben schon vorher der Beklagte und Markus C grundlos die im Sandkasten spielenden Mädchen mit Kastanien beworfen. Es steht ferner fest, daß die Buben die Spielsachen der Mädchen versteckten, sodaß unter Berücksichtigung des Gesamtablaufes des Streites von einer Provokation der Klägerin durch den Beklagten auszugehen ist. Nach herrschender Auffassung ist bei der nach § 1310 ABGB zu treffenden Billigkeitsentscheidung auch auf eine Haftpflichtversicherung Bedacht zu nehmen (SZ 45/69; ZVR 1981/168; 7 Ob 739/81). Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kann sich der Beklagte durch die von den Vorinstanzen vorgenommene Schadensteilung nicht beschwert erachten. Entgegen der Meinung der Revision stellt der Verlust eines Auges eine Verunstaltung dar, auch wenn diese durch das Tragen einer Augenprothese gemildert wird. Der von den Vorinstanzen als Verunstaltungsentschädigung zuerkannte Betrag kann unter Berücksichtigung vergleichbarer Fälle auch nicht als zu hoch angesehen werden (EvBl.1976/233). Der Geschädigte braucht sich auch nicht mit einer billigen Art einer Prothese zu begnügen (Reischauer, aaO Rdz 14 zu § 1325 mwN), sodaß auch die Zuerkennung der Kosten für die Anschaffung von Kunststoffprothesen zu bestätigen ist. Aus diesem Grunde ist auch der Einwand ungerechtfertigt, der Klägerin sei während der Zeit der jeweils notwendigen Anpassung der Augenprothese an ihre Entwicklung das Tragen einer Glasprothese zuzumuten. Daß die Klägerin diese Kosten noch nicht aufgewendet hat, steht ihrem Zuspruch nicht entgegen, weil Heilungskosten auch schon vor ihrem tatsächlichen Aufwand gewährt werden können (ZVR 1976/264 mwN).

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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