OGH 11Os160/85

OGH11Os160/8522.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.Oktober 1985 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung des Siegfried A in einer Anstalt nach dem § 21 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Linz vom 1.Juli 1985, GZ 30 Vr 3.037/84-32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben; der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil werden aufgehoben und es wird die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Beschwerde wird der Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil erkannte das Geschwornengericht beim Landesgericht Linz entsprechend einem Unterbringungsantrag der Staatsanwaltschaft auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen zu Recht, Siegfried A habe am 14.November 1984 in Linz unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes versucht, Regina B zu töten, indem er ihr mehrere

Faustschläge in das Gesicht versetzte und ihr hiedurch einen doppelten Nasenbeinbruch und Prellungen zufügte, sie mit den Worten:

'Jetzt schneide ich dir den Kopf ab' bedrohte und ihr schließlich ein Küchenmesser mit einer 15 cm langen Klinge am Hals ansetzte, um ihr die Kehle durchzuschneiden; Siegfried A habe hiedurch eine Tat begangen, die ihm, wenn er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen wäre. Gemäß dem § 21 Abs. 1 StGB wies das Erstgericht Siegfried A in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher ein.

Rechtliche Beurteilung

Der auf die Z 6 und 9 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen gegen dieses Urteil kommt schon aus folgenden Erwägungen Berechtigung zu:

Siegfried A erachtet die Vorschriften über die Fragestellung an die Geschwornen (Z 6) insoweit verletzt, als trotz seines Antrages kein Anlaß für die Stellung von Eventualfragen nach den Vergehen der gefährlichen Drohung nach dem § 107 (Abs. 1 und) Abs. 2 StGB und der vorsätzlichen Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB gesehen wurde.

Dieser Beschwerdeeinwand ist begründet.

Gemäß dem § 314 Abs. 1 StPO ist an die Geschwornen u.a. dann eine entsprechende Schuld-(Eventual-)frage zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, nach denen, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die dem Angeklagten (Betroffenen) zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift (im Unterbringungsantrag) angeführte. 'Vorgebracht' im Sinn des § 314 Abs. 1 StPO ist eine für die Unterstellung der Tat unter ein weniger strenges Strafgesetz maßgebende Tatsache nicht nur, wenn sie in der Hauptverhandlung geradezu (konkret) 'behauptet' wird, sondern auch dann, wenn sie sich aus den vorgeführten Beweismitteln oder der Verantwortung des Angeklagten (Betroffenen) immerhin mittelbar ergibt, sohin daraus erschlossen werden kann (vgl. EvBl. 1980/222 = SSt. 51/29).

Die den Geschwornen vorliegenden Ergebnisse der Hauptverhandlung wurden entgegen der Vorschrift des § 314 Abs. 1 StPO. durch die allein gestellte Hauptfrage nach versuchtem Mord nicht in ihrem vollen Umfang erfaßt.

Der im Zeitpunkt der Tat zurechnungsunfähige Siegfried A erklärte im gesamten Verfahren, sich an den Hergang des Vorfalles nicht erinnern zu können. Den in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben des Tatopfers Regina B über das Tatgeschehen (S 27 ff) ist neben den Faustschlägen und der Drohung 'Jetzt schneid ich dir den Kopf ab' u.a. zu entnehmen, daß die Zeugin das an ihrem Hals angesetzte Messer mit den bloßen Händen wegzuschieben vermochte, daß sie hiebei keine Beschädigung am Hals davontrug und nur eine Verletzung an der Daumenbeuge durch die Messerklinge erlitt. Bei diesen Beweisergebnissen lagen den Geschwornen Tatsachen vor, die neben der ihnen von der Anklage beigemessenen auch noch eine für den Betroffenen günstigere Deutung insofern offenließen, als die ihm angelastete Tathandlung allenfalls unter mildere, nicht Tötungsvorsatz verlangende strafgesetzliche Bestimmungen fiele, wozu auch die in der Beschwerde angeführten Vergehen der gefährlichen Drohung nach dem § 107 (Abs. 1 und) Abs. 2 StGB und der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB zu zählen sind. Der Schwurgerichtshof wäre somit gemäß dem § 314 StPO jedenfalls verpflichtet gewesen, außer der im Sinn des Unterbringungsantrages gestellten Hauptfrage und der Zusatzfrage (über das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes) auch die nach den Beweisergebnissen indizierten Eventualfragen in Richtung der Vergehen nach dem § 107 Abs. 1 und 2 StGB und der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB zu stellen, weil die Geschwornen nur hiedurch in die Lage versetzt werden konnten, die Tathandlungen unter Abwägung der für mögliche andere Inhalte des Vorsatzes sprechenden Umstände zu prüfen. Da sich somit zeigt, daß eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht eintreten kann und die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, war gemäß den §§ 344, 285 e StPO - nach Anhörung der Generalprokuratur - die Verfahrenserneuerung vor einem anderen Geschwornengericht anzuordnen.

Mit seiner gegen den Kostenausspruch gerichteten Beschwerde war der Betroffene auf diese Entscheidung zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte