OGH 2Ob45/85 (2Ob46/85)

OGH2Ob45/85 (2Ob46/85)8.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien

1. mj. Angelika A, geb. 22. September 1972, Schülerin, 3601 Dürnstein, Unterloiben 22, vertreten durch den Vater Johann A, ebendort, dieser vertreten durch Dr. Kurt Eckmair und Dr. Reinhart Neureiter, Rechtsanwälte in Wien, 2. mj. Alexandra B, Schülerin, geb. 20. Mai 1970, 3601 Dürnstein,

Unterloiben 39, vertreten durch den Vater Franz B,

ebendort, dieser vertreten durch Dr. Kurt Eckmair und Dr. Reinhard Neureiter, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei C Versicherungsgesellschaft, Direktion für Österreich, 1037 Wien, Lothringerstraße 16, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 175.191,75 und S 36.992 sowie Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. April 1985, GZ 18 R 77/85-30, womit infolge Berufung der klagenden Parteien und der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 18. September 1984, GZ 19 Cg 761/83-16, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der Erstklägerin die mit S 9.903,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 826,-USt und S 823,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Entscheidung über die die Zweitklägerin betreffenden Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beiden Klägerinnen wurden am 11. Oktober 1982 beim überqueren der Bundesstraße in Unterloiben von dem von Leopoldine D gelenkten und bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen N 477.217 niedergestoßen und schwer verletzt. Sie erheben mit den vorliegenden, zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen mehrfache Schadenersatzansprüche und die Erstklägerin stellt auch ein Feststellungsbegehren hinsichtlich der Haftung für ihre künftigen Unfallsfolgen; dabei legen sie ein eigenes Mitverschulden am Unfall im Ausmaß von 1/4 zugrunde.

Das Erstgericht sprach der Erstklägerin auf der Grundlage einer Verschuldensteilung von 1 : 1 einen Gesamtbetrag von S 232.691,50 s. A. zu und wies das Mehrbegehren von S 116.308,50 s.A. ab; ihrem Feststellungsbegehren gab es im Umfang einer Haftung der beklagten Partei von 50 %, begrenzt durch die Versicherungssumme, statt und wies das eine Haftungsquote von weiteren 25 % betreffende Mehrbegehren ab. Mit Zwischenurteil stellte es fest, daß die Ansprüche der Zweitklägerin (S 55.488 s.A.) dem Grunde nach zu 50 % zu Recht bestünden, das Mehrbegehren hinsichtlich eines weiteren Anspruchsanteiles von 25 % dem Grunde nach wies es ebenfalls ab. Das Berufungsgericht gab den von allen Streitteilen erhobenen Berufungen teilweise Folge. Es änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es auf der Grundlage einer Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der PKW-Lenkerin der Erstklägerin einen Betrag von S 259.787,63 s.A. zusprach und hinsichtlich des Feststellungsbegehrens die Haftungsquote der beklagten Partei auf 3/4 erhöhte; das Mehrbegehren von S 89.212,37 s.A. wies es ab. Hinsichtlich der Zweitklägerin stellte es mit Zwischenurteil den Anspruch im Umfang von 3/4 dem Grunde nach fest. Schließlich sprach es aus, daß der Wert des Streitgegenstandes hinsichtlich der Erstklägerin den Betrag von S 300.000 übersteige und daß die Revision hinsichtlich des die Zweitklägerin betreffenden Zwischenurteiles zulässig sei.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt die beklagte Partei eine auf § 503 Abs 1 Z 2 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung dahin, daß der Erstklägerin lediglich ein Betrag von S 84.095,88 s.A. zugesprochen und die Haftung der beklagten Partei für die künftigen Unfallsfolgen im Ausmaß von 25 % festgestellt, das jeweilige Mehrbegehren dagegen abgewiesen werde. Hinsichtlich des Schadenersatzbegehrens der Zweitklägerin wird beantragt, den Anspruch dem Grunde nach nur im Ausmaß von 25 % festzustellen.

Die Klägerinnen beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen fuhr Leopoldine D mit ihrem PKW am 11. Oktober 1982 gegen 17,45 Uhr in der Dämmerung auf der Bundesstraße 3 durch die Ortschaft Unterloiben, wobei sie eine Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h einhielt und das Fernlicht eingeschaltet hatte. Zu diesem Zeitpunkt standen, in ihrer Fahrtrichtung gesehen, die damals gerade 10-jährige Erstklägerin und die 12-jährige Zweitklägerin am rechten Fahrbahnrand, und zwar ca. einen halben Meter von der Randlinie entfernt, wobei ihre Gesichter von dem sich nähernden PKW abgewendet waren. Im gut übersichtlichen Unfallsbereich gilt eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h, die Betonfahrbahn war zur Unfallszeit trocken. Als Leopoldine D mit ihrem PKW nur noch 20 bis 30 m vom späteren

Unfallspunkt entfernt war, liefen die beiden Klägerinnen über die Fahrbahn. Leopoldine D, die vorher kein Warnzeichen abgegeben und ohne Verminderung ihrer Fahrgeschwindigkeit in der Mitte ihrer Fahrbahnhälfte weitergefahren war, erschrak derart, daß sie keine Abwehrmaßnahme setzte, sondern das Fahrzeug auslaufen ließ. Die Klägerinnen wurden vom PKW erfaßt und schwer verletzt. Wegen dieses Unfalles wurde Leopoldine D rechtskräftig strafgerichtlich des Vergehens nach § 88 Abs 1 und Abs 4, erster Fall, StGB, verurteilt (Verfahren U 2006/82 des Bezirksgerichtes Krems an der Donau), weil sie entgegen der Vorschrift des § 29 a StVO 1960 den am Straßenrand befindlichen Kindern zu wenig Beachtung geschenkt und keine Warnzeichen abgegeben habe.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, im vorliegenden Falle erscheine eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angemessen. Der PKW-Lenkerin falle zur Last, daß sie die Kinder überhaupt nicht gewarnt und mit unverminderter Geschwindigkeit, welche die nur bei günstigsten Bedingungen zulässige Höchstgeschwindigkeit nahezu erreicht habe, weitergefahren sei. Die damals schon über 10 Jahre alten Klägerinnen seien dagegen trotz der Verkehrserziehung in der Schule bei einbrechender Dunkelheit blindlings vor dem herannahenden Fahrzeug auf die Fahrbahn gelaufen. Das Erstgericht sprach der Erstklägerin u.a. auch die begehrte Verunstaltungsentschädigung von S 40.000 zu. Das Berufungsgericht hielt die von der beklagten Partei erhobene Rüge der unrichtigen Tatsachenfeststellung und ihre Rechtsrüge hinsichtlich der Verschuldensteilung nicht, hinsichtlich des Zuspruches der Verunstaltungsentschädigung dagegen teilweise für berechtigt, die Rechtsrüge der Klägerinnen hinsichtlich der Verschuldensteilung erachtete es als gerechtfertigt. Der Autofahrerin Leopoldine D sei wegen der gemäß § 268 ZPO gegebenen Bindungswirkung jedenfalls das im rechtskräftigen Urteil des Strafgerichtes festgestellte Fehlverhalten anzulasten. Unter den gegebenen Umständen hätte sie aber auch ihre Fahrgeschwindigkeit wesentlich verringern und die am Fahrbahnrand stehenden Kinder durch ein Hupzeichen warnen müssen. Die Klägerinnen hätten zwar entgegen der Vorschrift des § 76 Abs 5 StVO 1960 die Fahrbahn überquert, doch sei bei Dunkelheit die Abschätzung der Entfernung eines Kraftfahrzeuges allgemein und im besonderen für Kinder schwieriger. Da das Verschulden von Unmündigen im Regelfalle auch milder beurteilt werden müsse als unter sonst gleichen Umständen das Erwachsener, erscheine vorliegendenfalls eine Verschuldensteilung von 1 : 3 zu Lasten der Autofahrerin gerechtfertigt. Die Verunstaltungsentschädigung der Erstklägerin setzte es auf S 10.000 herab.

In der Revision wird zunächst die berufungsgerichtliche Verschuldensteilung angefochten und hiezu vorgebracht, der PKW-Lenkerin falle lediglich die Nichtabgabe eines Warnzeichens zur Last, zumal allein die Tatsache, daß am Fahrbahnrand der voll ausgebauten Bundesstraße die beiden schon größeren Kinder gestanden seien, im Hinblick auf das am PKW eingeschaltete Fernlicht noch nicht zur Verminderung der Fahrgeschwindigkeit verpflichtet habe. Da die beiden Klägerinnen erst 20 bis 30 m vor dem Fahrzeug und somit mitten im Lichtkegel des Fernlichtes in die Fahrbahn gelaufen seien, erscheine eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu ihren Lasten gerechtfertigt. Den berufungsgerichtlichen Zuspruch an Verunstaltungsentschädigung an die Erstklägerin bekämpft die beklagte Partei schließlich mit folgender Ausführung: 'Der Erstklägerin gebührt darüber hinaus überhaupt keine Verunstaltungsentschädigung, sodaß ein Zuspruch gemäß § 1326 ABGB überhaupt nicht zu erfolgen hatte'.

Gemäß § 506 Abs 2 ZPO ist in der Revisionsschrift ohne Weitläufigkeiten darzulegen, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung der Sache unrichtig erscheine. Die Rechtsrüge ist daher nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie eine solche Darlegung unterläßt (1 Ob 187/69, 4 Ob 27/80, 7 Ob 748/82 u.a.). Die bloße Behauptung, ein Anspruch sei nicht gegeben, entspricht somit keinesfalls der vorgenannten Gesetzesvorschrift (2 Ob 163/83; vgl. RZ 1977/50; SZ 55/113 u.a.). Demgemäß ist auf den berufungsgerichtlichen Zuspruch der Verunstaltungsentschädigung an die Erstklägerin mangels gesetzmäßiger Bekämpfung nicht einzugehen. In der Verschuldensfrage ist dem Berufungsgericht darin zu folgen, daß die Lenkerin des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs wegen der beiden, nahe dem Fahrbahnrand der übersichtlich verlaufenden Bundesstraße stehenden, als Kinder zu erkennenden Klägerinnen sowohl ihre nahezu die erlaubte Höchstgeschwindigkeit erreichende Fahrgeschwindigkeit vermindern als auch Warnzeichen abgeben, darüber hinaus aber besonders erhöhte Aufmerksamkeit anwenden und bremsbereit fahren hätte müssen. Aus den im Strafakt AS 23 erliegenden Lichtbildern geht hervor, daß die PKW-Lenkerin bei der gegebenen Unfallsörtlichkeit von vornherein damit rechnen mußte, daß die Kinder an dieser Stelle die Fahrbahn zu betreten beabsichtigten, zumal rechts von der Fahrbahn - in der Fahrtrichtung der PKW-Lenkerin gesehen -, wo die Kinder eben standen, unmittelbar die unverbaute Donauuferböschung anschließt und der Ort Unterloiben jenseits der Fahrbahn liegt. Nach der Vorschrift des § 3 StVO 1960 und insbesondere im Hinblick darauf, daß die Kinder auch nicht in die Annäherungsrichtung der PKW-Lenkerin blickten, durfte sie sich auf ein der Vorschrift des § 76 Abs 5 StVO 1960 entsprechendes überquerungsmanöver der Kinder keinesfalls verlassen. Dennoch fuhr sie unbekümmert weiter und wurde von diesem 20 bis 30 m vor ihr sich abspielenden überquerungsmanöver der Kinder derart überrascht, daß sie überhaupt keine Reaktion setzte. Ein solches bedenkenloses Weiterfahren ohne jegliche Rücksichtnahme auf am Fahrbahnrand stehende und offenkundig die Fahrbahnüberquerung beabsichtigende, mit den Gesichtern abgewendete Kinder fällt entgegen der Ansicht der Revisionswerberin bei der Verschuldenszuteilung erheblich ins Gewicht. Von zehn- bis zwölfjährigen Schulkindern ist zwar die Einhaltung der grundlegenden Verkehrsvorschriften zu fordern, sodaß ihnen bei solchen Verkehrsverstößen trotz ihrer Unmündigkeit ein Mitverschulden angelastet werden muß. Dieses Mitverschulden ist jedoch im Sinne des berufungsgerichtlichen Hinweises auf die ständige Rechtsprechung wegen der im allgemeinen noch verminderten Einsichtsfähigkeit von Kindern bzw. ihrer verminderten Fähigkeit, stets nach dieser Einsicht zu handeln, geringer zu werten als bei Erwachsenen. Davon ausgehend kann in der Ansicht des Berufungsgerichtes, bei der gegebenen Sachlage erscheine die Zumessung eines Mitverschuldens der Kinder im Ausmaße von bloß einem Viertel gerechtfertigt, kein Rechtsirrtum erkannt werden.

Der Revision war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens der Erstklägerin gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO, hinsichtlich der Zweitklägerin auf § 52 Abs 2 ZPO.

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