OGH 7Ob645/85

OGH7Ob645/853.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A Import und Export Handelsgesellschaft mbH, Wien 3., Beatrixgasse 1, vertreten durch Dr. Erich und Dr. Hans Georg Zeiner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B Schwarzdeckerei und Handelsgesellschaft mbH, Perchtoldsdorf, Wiener Gasse 21, vertreten durch Dr. Dieter Böhmdorfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 131.631,41 s.A. infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 22.März 1985, GZ 3 R 22/85-55, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 29.Oktober 1984, GZ 32 Cg 320/84-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrt den Restkaufpreis von

S 131.631,41 s.A. für die Lieferung von bituminösem Dachbeschichtungsmaterial.

Die beklagte Partei begehrt die Wandlung des Kaufvertrages. Die klagende Partei habe die Lieferung eines hochwertigen Produktes, das besser sei als das Dachbeschichtungsmaterial B-11 ausdrücklich zugesichert. Sie habe nicht das bestellte Material geliefert. Das gelieferte Material sei kein Dachbeschichtungsmaterial. Es komme infolge mangelnder UV-Beständigkeit zu einer starken Oxydation, jedoch zu keiner ausreichenden Verfestigung. Das Material sei jedenfalls zur Dachbeschichtung ungeeignet. Die klagende Partei habe die mangelnde Eignung gekannt und der beklagten Partei verschwiegen. Der Kaufvertrag werde daher auch wegen List angefochten. Die beklagte Partei wendete ferner gegen die Klagsforderung bis zu deren Höhe aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aufrechnungsweise eine Gegenforderung von zuletzt S 500.000,-- (AS 240) ein. Infolge der Mangelhaftigkeit des Materials sei die beklagte Partei ihren Abnehmern gegenüber ersatzpflichtig geworden, wodurch ihr ein Schaden von mindestens S 500.000,-- entstanden sei. Die klagende Partei stellt das Vorliegen von Mängeln in Abrede und behauptet Auftragungsfehler durch die beklagte Partei. Gewährleistungsansprüche der klagenden Partei seien mangels rechtzeitiger Rüge verfristet, Schadenersatzansprüche verjährt. Das Erstgericht sprach auch im zweiten Rechtsgang aus, daß die Klagsforderung mit S 131.631,41 zu Recht, die Gegenforderung hingegen nicht zu Recht bestehe und gab demgemäß dem Klagebegehren samt Anhang statt. Nach seinen Feststellungen ist Geschäftsführerin der beklagten Partei Magdalena C, die Ehefrau des Tor D, der faktisch die Geschäfte führt. Im Juni 1980 erzählte er dem Geschäftsführer der klagenden Partei James A.E, daß er eine neue Firma habe, und stellte die Bestellung von Dachbeschichtungsmaterial unter dieser Firma in Aussicht. James A.E gab ihm Produktionsbeschreibungen der Dachbeschichtungsmaterialien B-8, B-11 und B-12 des amerikanischen Unternehmens F G. Die klagende Partei sollte beim Kauf dieser Produkte aber nur als Vermittlerin auftreten. Am 11.8.1980 bot jedoch James A.E dem Tor C ein sehr gutes Dachbeschichtungsmaterial der Firma F an. Es handle sich um ein Spezialdachbeschichtungsmaterial, das für einen amerikanischen Abnehmer bestimmt gewesen, aber irrtümlich mit einer falschen Bezeichnung nach Europa gelangt sei. Die klagende Partei habe den Verkauf in Europa zu günstigen Preisen übernommen. Das Material entspreche mehr oder weniger dem Material B-11. Dem Tor C war klar, daß die klagende Partei nicht das Produkt B-11 liefere. Der Einfachheit halber wurde aber in der Folge das Material mit B-11 bezeichnet. Die klagende Partei lieferte der beklagten Partei bestellungsgemäß im Jahre 1980 mehrere Fässer dieses Materials. Am 13.4.1981 bestellte die beklagte Partei weitere 10 Tonnen mit einem Fakturenpreis von S 197.531,51, zahlbar in drei Teilbeträgen. Die Lieferung erfolgte am 14.4.1981. Die beklagte Partei bezahlte nur den ersten Teilbetrag, unbeglichen sind S 131.631,41. Mit Fernschreiben vom 22.4.1981 teilte die beklagte Partei der klagenden Partei mit: 'Ware weist qualitative Mängel auf. Sehr unterschiedliche Konsistenz'. Die klagende Partei stellte Mängel in Abrede. Mit weiterem Fernschreiben vom 11.5.1981 reklamierte die beklagte Partei, das Material zeige erhebliche Konstistenzunterschiede; es seien offenkundig unterschiedliche Lösungsmittel verwendet worden. Das Materia oxydiere sehr stark in der Sonne, was bei einer Dachbeschichtung nicht der Fall sein dürfe. Die klagende Partei wies in ihrer Antwort auf die früheren Lieferungen des gleichen Materials hin, dessen gute Qualität von Tor C anerkannt worden sei, und schlug eine Besichtigung vor. Am 19.5.1981 besichtigten James A.Eund Tor C das

beanstandete Dach bei der H I GesmbH. Das Dachbeschichtungsmaterial war trockener und oxydierte nicht. Eine Braunverfärbung, die wie bei anderen mit anderen Materialien beschichteten Dächern in der Umgebung festzustellen war, war auf die chemische Reaktion des durch die Fabriksschlote in der Umgebung verschmutzten Regenwassers zurückzuführen. Das Material war zu dick aufgetragen worden. Bei der Heimfahrt von dieser Besichtigung erklärte Tor C dem James A.E, daß er mit dem Material so zufrieden sei, daß er den gesamten Vorrat der Klägerin aufkaufen wolle. James A.J meinte, die beklagte Partei solle zuerst bezahlen, dann könne man über weitere Lieferungen reden. Bei dem von der klagenden Partei der beklagten Partei gelieferten Material handelte es sich nicht um Unterbodenschutz, sondern um Dachbeschichtungsmaterial, das eine bessere Qualität und dickere Konsistenz als B-11 aufweist. Es sollte ursprünglich an Dachdecker in den USA geliefert werden. Die Container wurden jedoch irrtümlich mit Unterbodenschutz beschriftet. Auf Grund dieser falschen Bezeichnung wurde die Sendung nach Rotterdam verschifft. Der Geschäftsführer der klagenden Partei James A. E hatte hievon Kenntnis und hatte dies auch dem Tor C mitgeteilt. Das Material ist bei Einhaltung der Vorschriften für die Aufbringung von bituminösem Dachbeschichtungsmaterial zur Dachbeschichtung geeignet. Es weist keinerlei Mängel auf.

Die klagende Partei nimmt einen Bankkredit in Anspruch, der seit 12.5.1981 zumindest in Höhe des Klagsbetrages aushaftet und mit 12 % p. a. zu verzinsen ist.

Rechtlich erwog das Erstgericht, daß Gegenstand des zwischen den Parteien abgeschlossenen Kaufvertrages bituminöses Dachbeschichtungsmaterial gewesen sei, dessen Eignung zur Dachbeschichtung schon nach der Natur der Sache Inhalt des Vertrages sei. Da diese Eignung aber gegeben sei, seien die Einwendungen der beklagten Partei unbegründet. Darüber hinaus könne die beklagte Partei aus allfälligen Mängeln - mit Ausnahme solcher, die zur Oxydation führten, die aber nicht vorlägen - weder Gewährleistungs- noch Schadenersatzansprüche ableiten, weil sie solche Mängel nicht unverzüglich gemäß § 377 HGB gerügt habe. Dies gelte auch dann, wenn eine vertraglich zugesicherte Eigenschaft der Sache nicht gegeben wäre. Da die klagende Partei der beklagten Partei keine wissentlich unwahren Angaben gemacht habe, komme auch § 377 Abs 5 HGB nicht zur Anwendung.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erklärte die Revision für nicht zulässig. Es vertrat die Auffassung, daß er dem Käufer unbenommen bleibe, die mangelhafte Ware zu genehmigen. Wenn der Verkäufer aus den näheren Umständen insbesondere dem Verhalten des Käufers den Schluß ziehen könne, dieser wolle von seinen Rechten keinen Gebrauch machen, könne trotz einer Mängelanzeige nach Treu und Glauben eine Genehmigung der Ware angenommen werden. Im vorliegenden Fall ergebe sich eine solche Genehmigung aus den von Tor C dem Geschäftsführer der klagenden Partei gegenüber nach der Besichtigung am 19.5.1981 abgegebenen Erklärungen. Mit Rücksicht auf diese Genehmigung hielt das Berufungsgericht eine Behandlung der Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Beweiswürdigung für entbehrlich, soweit sich diese auf den Mangel der Ware und auf die Mängelrüge beziehen. Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes gerichtete außerordentliche Revision der beklagten Partei ist entgegen der Auffassung der Revisionsgegnerin zulässig, weil der verfahrensrechtlichen Frage, ob überschießende Feststellungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht unberücksichtigt bleiben dürfen oder nur im Rahmen des geltend gemachten Klagegrundes oder einer bestimmten Einwendung zu beachten sind, die Qualifikation im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt, diese Frage vom Obersten Gerichtshof wiederholt in letzterem Sinn entschieden wurde (SZ 56/23; SZ 21/123; JBl 1964, 208; 7 Ob 46/82 ua), und das Berufungsgericht ganz offensichtlich von dieser Rechtsprechung abweicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß auch über die Fiktion des § 377 Abs 2 HGB hinaus auf das Recht der Gewährleistung verzichtet werden kann, ist zwar richtig (vgl.Reischauer in Rummel ABGB Rdz 2 und 10 zu § 929 mwN), wobei allerdings ein konkludenter Verzicht unter den besonderen Anforderungen des § 863 ABGB steht (Reischauer aaO Rdz 4 f; JBl 1976, 98; HS 9401; vgl. auch SZ 55/21). Von der klagenden Partei wurde allerdings ein solcher Verzicht nicht geltend gemacht und in dieser Richtung auch kein Sachvorbringen erstattet. Die beklagte Partei hatte daher auch keine Möglichkeit, ihrerseits Gegenbehauptungen aufzustellen und Gegeneinwendungen anzubringen. Nur im Rahmen einer entsprechenden Einwendung der klagenden Partei hätten die Feststellungen des Erstgerichtes über die Erklärungen des Tor C nach der Besichtigung am 19.5.1981 einer rechtlichen Beurteilung unterzogen werden dürfen, und es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob unter Berücksichtigung aller Umstände im Sinne der obigen Ausführungen schon ein Verzicht anzunehmen ist. Ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht hat das Berufungsgericht die Berufungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen Beweiswürdigung nicht zur Gänze behandelt, sodaß der Revision im Ergebnis im Sinne ihres Aufhebungsantrages Berechtigung zuk mmt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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