OGH 7Ob44/85

OGH7Ob44/853.10.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A S***

B Versicherungsanstalt, Wien 1., Ringturm, vertreten durch Dr. Hans Kaska, Rechtsanwalt in St. Pölten, wider die beklagte Partei Helmut C, Arbeiter, Amstetten, Winklarn 25, vertreten durch Dr. Christoph Haffner, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen restl.

S 83.071,56 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. März 1985, GZ. 16 R 4/85-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 8. November 1984, GZ. 4 Cg 517/82-19, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das hinsichtlich des Zuspruches eines Betrages von S 11.902,44 samt 4 % Zinsen seit 26. Februar 1981 als unangefochten unberührt bleibt, und das Ersturteil werden hinsichtlich der Abweisung eines Betrages von S 83.071,56 samt 4 % Zinsen seit 26. Februar 1981 sowie im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Am 15. September 1979 ereignete sich in Schönbuch, BRD, ein Verkehrsunfall, an dem Leopold D als Lenker eines PKWs BMW beteiligt war. Halter dieses PKWs und Versicherungsnehmer war der Beklagte. Die Klägerin war Haftpflichtversicherer.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung eines Betrages von S 94.974,-- s.A. (ein zunächst gestelltes Feststellungsbegehren wurde in der Folge auf Kosten eingeschränkt, AS 77) und bringt vor, sie habe diesen Betrag zur Schadensregulierung aufwenden müssen. Sie sei jedoch leistungsfrei, weil der Beklagte dem Leopold D die Lenkung des Kraftfahrzeuges überlassen habe, obwohl er gewußt habe, daß dieser keinen Führerschein besitze. Leopold D habe den Unfall allein verschuldet. Die Klägerin habe den Beklagten mit Schreiben vom 27. Juni 1980 auf ihre Leistungsfreiheit hingewiesen und zur Geltendmachung seines Anspruches aufgefordert; der Beklagte habe darauf nicht reagiert.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage und wendet ein, das überwiegende Verschulden an dem Unfall treffe den Unfallsgegner. Der Beklagte habe im PKW geschlafen. Er habe nicht vorhersehen können, daß Leopold D das Fahrzeug unerlaubt und gegen seinen Willen in Betrieb nehmen werde. Ein Schreiben nach § 12 Abs. 3 VersVG sei dem Beklagten nicht zugekommen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf folgende Feststellungen:

Am Abend des 15. September 1979 besuchte der Beklagte mit seinem Arbeitskollegen Leopold D in Weil im Schönbuch, BRD, das Kaffeehaus E und anschließend eine Disco-Veranstaltung im Turnerheim. In der Zeit zwischen 19,30 Uhr und 21,45 Uhr tranken beide verschiedene alkoholische Getränke in einem nicht genau feststellbaren Ausmaß. Der Beklagte konsumierte mindestens fünf bis sechs Glas Cola mit Whisky. Er fühlte sich auf Grund seiner Alkoholisierung fahruntüchtig und nahm am Beifahrersitz seines vor dem Turnerheim geparkten PKWs Platz. Ohne besondere Absprache mit dem Beklagten oder mit den Mitfahrern Ellen F und Joachim G übernahm Leopold D die Lenkung des Fahrzeuges, um zunächst die beiden Mitfahrer nach Hause zu bringen. Kurz nach dem Start stieß er auf der Straße Richtung Ortsmitte Weil im Schönbuch mit einem entgegenkommenden Omnibus der H I frontal zusammen, der wegen einer Reihe geparkter PKWs die Fahrbahnmitte um etwa 2 m überfahren hatte. Der Zusammenstoß ereignete sich, als der Omnibus nach den geparkten Fahrzeugen wieder im Begriff war, auf seine rechte Fahrbahnhälfte zu fahren. Im Zeitpunkt der Kollision befand sich das Heck des Omnibusses noch etwa 2 m links der Mittellinie, die Frontseite war schon vollständig auf der rechten Fahrbahnhälfte. Der PKW BMW des Beklagten war beim Anstoß ebenfalls auf seiner Gegenfahrbahn, und zwar mit etwa drei Viertel seiner Fahrzeugbreite. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Omnibusses betrug 52 km/h, die des PKWs ca. 60 bis 70 km/h.

Beim Anstoß wurden alle vier Insassen schwer verletzt. Leopold D ist nach einigen Stunden, ohne das Bewußtsein erlangt zu haben, gestorben.

Leopold D war nicht im Besitz eines gültigen Führerscheins. Dieser war ihm von der Bezirkshauptmannschaft Amstetten mit Bescheid vom 14. Februar 1979 auf drei Jahre wegen eines tödlichen Verkehrsunfalls in alkoholisiertem Zustand entzogen worden. Der Beklagte wußte von diesem Führerscheinentzug nichts. Er war auf Grund der Tatsache, daß Leopold D bei einer Jahre zurückliegenden gemeinsamen Arbeit Fahrer des Firmenbusses war, der Meinung, daß Leopold D nach wie vor eine gültige Lenkerberechtigung hatte. Nach der ersten gemeinsamen Tätigkeit hatte der Beklagte mit Leopold D jahrelang keinen Kontakt. Drei Tage vor dem Unfall hat Leopold D wieder in derselben Firma wie der Beklagte mit der Arbeit begonnen. Die beiden haben zusammen ein Zimmer bewohnt. In der Zwischenzeit hat der Beklagte lediglich von einem Verkehrsunfall des Leopold D gehört, ohne irgendwelche nähere Umstände zu erfahren. Er hat Leopold D nicht nach dem Unfall gefragt, der wiederum dem Beklagten nichts davon erzählt hat. Auch in der Discothek wurde über den Führerschein des Leopold D nicht gesprochen.

Nach dem Unfall hat der Beklagte über die Innungskrankenkasse Böblingen bis 13. März 1981 Krankengeld bezogen. Er durfte sich, um diese Ansprüche nicht zu verlieren, ohne Genehmigung nicht im Ausland aufhalten. Der einzige genehmigte Auslandsaufenthalt bei seiner Mutter in Österreich war im August 1980. Bei dieser Gelegenheit erhielt er von ihr das Aufforderungsschreiben der klagenden Versicherungsgesellschaft gemäß § 12 VersVG, das seiner Mutter Maria C als Ersatzempfängerin am 1. Juli 1980 von der Post ausgefolgt worden war.

Die Klägerin hat in der Folge umgerechnet S 94.974,-- zur Deckung des Schadens am Omnibus der H I und des Omnibuslenkers spätestens bis zum 30. November 1980 erstattet. Lediglich ein Betrag von DM 1.673,64 wurde erst am 20. Jänner 1981 als Kosten der Schadensregulierung durch die WÜJ

K AG, die die Interessen der klagenden Partei in

der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen hat, an diese überwiesen. Die beiden PKW-Insassen Ellen F und Joachim G haben innerhalb der Verjährungszeit keine Ansprüche geltend gemacht. Die klagende Partei kannte die Auslandsanschrift des Beklagten während des Krankenstandes. Ein Vertreter der klagenden Partei war sogar einmal beim Beklagten im Krankenhaus. Das Berufungsgericht erkannte den Beklagten schuldig, der Klägerin S 11.902,44 s.A. zu zahlen; das Mehrbegehren wies es ab. Es sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei. Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, die sechsmonatige Klagefrist des § 12 Abs. 3 VersVG habe mit der Zustellung des Ablehnungsschreibens der Klägerin an die Mutter des Beklagten am 1. Juli 1980 begonnen. Nach Ablauf der Sechsmonatefrist, und zwar am 20. Jänner 1981, sei nur ein Betrag von DM 1.673,64 als Kosten der Schadensregulierung durch die WÜJ K AG an diese überwiesen worden.

Der Beklagte sei daher grundsätzlich verpflichtet, diesen Betrag der Klägerin schon nach § 12 Abs. 3 VersVG rückzuerstatten. Regulierungskosten könnten durch ein Mitverschulden des am Unfall beteiligten Omnibuslenkers nicht geschmälert werden. Die innerhalb der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VersVG geleisteten Beträge dagegen könne die Klägerin nicht mit Erfolg vom Beklagten unter Berufung auf die vorgenannte Gesetzesstelle verlangen. Auch wenn davon auszugehen sei, daß Leopold D das Fahrzeug nicht unbefugt in Betrieb genommen habe, sei dem Beklagten doch der ihm obliegende Beweis, weder vorsätzlich, noch grob fahrlässig gehandelt zu haben, als er Leopold D das Fahrzeug anvertraute, als erbracht anzusehen. Zur Zeit der früheren gemeinsamen Tätigkeit habe der Beklagte mit Recht davon ausgehen können, daß Leopold D über eine entsprechende Lenkerberechtigung verfüge. Habe er sich nach dem Ablauf einiger Jahre nicht mehr davon überzeugt, daß diese Lenkerberechtigung noch aufrecht sei, könne ihm trotz der ungefähren Kenntnis von dem Unfall, in den D verwickelt gewesen sei, keine grobe Fahrlässigkeit angelastet werden, wenn er sich die Lenkerberechtigung nicht habe nachweisen lassen. In dem Verhalten des Beklagten sei höchstens eine leichte Fahrlässigkeit zu erblicken. Damit aber sei dem Regreßanspruch, was die Leistungen der Klägerin während der Klagefrist des § 12 Abs. 3 VersVG anlange, der Boden entzogen, so daß der Berufung in diesem Umfang ein Erfolg zu versagen gewesen sei. Die Revision sei nicht zuzulassen gewesen, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht abweiche. Gegen den klagsabweisenden Teil des Urteils des Berufungsgerichtes wendet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte, dem die Beantwortung der außerordentlichen Revision freigestellt wurde (§ 508 a Abs. 2 ZPO), hat eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Zu prüfen war vorerst die Zulässigkeit der Revision. Bei dieser Prüfung war das Revisionsgericht an den Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs. 3 ZPO nicht gebunden (§ 508 a Abs. 1 ZPO).

Ist eine Revision nicht schon nach § 502 Abs. 2 und 3 ZPO unzulässig, ist sie gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO überdies nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Art. 6 Abs. 2 lit. b der AKHB 1967 normiert als Obliegenheit, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, und deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt (§ 6 Abs. 2 des VersVG), daß der Lenker eine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitzt, in die das Fahrzeug fällt; die Verpflichtung zur Leistung bleibt gegenüber dem Versicherungsnehmer und den mitversicherten Personen bestehen, wenn diese ohne Verschulden annehmen konnte, daß der Lenker die Lenkerberechtigung besitzt, oder wenn der Lenker das Fahrzeug ohne Willen des Halters gelenkt hat. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, es genüge, daß der Beklagte weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt habe, als er Leopold D die Lenkung des Fahrzeuges überlassen habe, widerspricht daher, wie in der außerordentlichen Revision in zutreffender Weise aufgezeigt wird, nicht nur der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, der stets betont hat, der Versicherungsnehmer müsse das Fehlen eines Verschuldens beweisen, wobei an den geforderten Beweis der Schuldlosigkeit strenge Anforderungen zu stellen seien (SZ 38/101, ZVR 1970/251 ua), sondern auch dem Wortlaut der AKHB 1967, der ausdrücklich auf § 6 Abs. 2 VersVG Bezug nimmt. Die Revision der Klägerin ist deshalb zulässig. Sie ist auch berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung sind an den Beweis der Schuldlosigkeit des Versicherungsnehmers im Sinne des Art. 6 Abs. 2 lit. b der AKHB 1967 strenge Anforderungen zu stellen (SZ 38/101, ZVR 1978/28, 7 Ob 26/81 ua). Es ist jene Sorgfalt zu verlangen, die nach der Lebenserfahrung unter den gegebenen Umständen von vernünftig und praktisch denkenden Menschen aufgewendet zu werden pflegt (ZVR 1978/28). Es kann deshalb zwar das Unterlassen des Begehrens, einen Führerschein vorzulegen, nicht unter allen Umständen als Verschulden angelastet werden (SZ 38/101); doch wird selbst eine ausdrücklich abgegebene Erklärung, einen Führerschein zu besitzen, nur dann genügen, wenn besondere Umstände vorliegen, welche diese Behauptung als glaubwürdig erscheinen lassen (ZVR 1971/258 ua).

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte sich mit dem Bewußtsein begnügt, Leopold D habe einige Jahre zuvor einen Firmenbus gelenkt. Er hat weder das Verstreichen eines Zeitraums von mehreren Jahren, noch auch (und insbesondere) die Mitteilung über einen Verkehrsunfall, den D erlitten habe, zum Anlaß genommen, sich davon zu überzeugen, daß dieser (weiterhin?) eine Lenkerberechtigung besitze. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, daß der Beklagte ohne Verschulden habe annehmen können, D besitze eine Lenkerberechtigung.

Die Behauptungs- und Beweislast für den Umstand, daß der Lenker das Fahrzeug ohne Willen des Halters gelenkt hat (Art. 6 Abs. 2 lit. b der AKHB 1967), obliegt dem Versicherungsnehmer (vgl. Prölss-Martin, VVG 23 1025; vgl. auch SZ 39/22 und 7 Ob 196/73). Für einen unbefugten Gebrauch des Fahrzeuges durch Leopold D liegen keine sicheren Anhaltspunkte vor. Dem Beklagten ist der Entlastungsbeweis in dieser Richtung daher nicht gelungen. Das Klagebegehren erweist sich damit dem Grunde nach als berechtigt. Der Beklagte hat jedoch einen Mitverschuldenseinwand erhoben. Auf diesen Mitverschuldenseinwand ist Bedacht zu nehmen, weil dem Versicherungsnehmer im Regreßprozeß des Versicherers alle Einwendungen aus dem Haftpflichtverhältnis zur Verfügung stehen (ZVR 1969/92 ua), sohin auch der Einwand eines Mitverschuldens des Unfallsgegners (SZ 50/28). Ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, erübrigte es sich für die Vorinstanzen, zur Beurteilung dieses Mitverschuldenseinwandes ausreichende Feststellungen zu treffen, da sie das Klagebegehren im noch strittigen Umfang als unberechtigt angesehen haben. Es war deshalb notwendig, die Urteile der Vorinstanzen im Umfang der Anfechtung aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen. Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

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