Spruch:
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 18.Juli 1985, AZ 24 Bs 190/85, soweit damit die Berufung des Angeklagten Alfred A gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 28. Mai 1985, GZ 3 a E Vr 747/85-8, zur Gänze, mithin auch wegen Schuld und Strafe, als unzulässig zurückgewiesen wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 467 Abs. 2, 489 Abs. 1 StPO. Dieser Ausspruch des Zurückweisungsbeschlusses des Gerichtshofes zweiter Instanz, welcher im übrigen (in bezug auf die Nichtigkeitsberufung) unberührt bleibt, wird aufgehoben und es wird dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, über die Berufung des Angeklagten wegen Schuld und Strafe meritorisch zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 28.Mai 1985, GZ 3 a E Vr 747/85-8, wurde der nunmehr 30-jährige Alfred A des - an seinen ehelichen Kindern Alexander, Alfred und Michael A in der Zeit vom 15.April 1983 bis 31.Oktober 1983 und vom 15. April 1984 bis 23.September 1984 begangenen - Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 und Abs. 2 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 17. April 1985, AZ 3 a E Vr 485/85, nach dem ersten Strafsatz des § 198 Abs. 2 StGB zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten verurteilt.
Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte rechtzeitig 'Berufung' an (ON 9), führte das Rechtsmittel in der Folge jedoch nicht aus.
Hierauf wurde mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. Juli 1985, AZ 24 Bs 190/85, die Berufung des Angeklagten bereits in nichtöffentlicher Beratung mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, daß die Berufungsanmeldung mangels hinreichender Spezifizierung nicht erkennen lasse, durch welche Punkte des Erkenntnisses (§ 464 StPO) sich der Berufungswerber beschwert findet.
Rechtliche Beurteilung
Diese Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Für das bezirksgerichtliche Berufungsverfahren und dementsprechend (§ 489 Abs. 1 StPO) auch für das Verfahren über Berufungen gegen Urteile des Einzelrichters beim Gerichtshof erster Instanz ist die grundsätzliche und für die Anmeldung von Berufungen gegen schöffen- und geschwornengerichtliche Urteile uneingeschränkt geltende Präzisierungspflicht des Berufungswerbers in bezug auf die Beschwerdepunkte in § 467 Abs. 2 StPO dahin gelockert, daß der Anfechtungsgegenstand außer bei Nichtigkeitsgründen (§ 464 Z 1 StPO), welche auch in diesen Verfahren deutlich und bestimmt bezeichnet werden müssen (§§ 467 Abs. 2, 470 Z 1 StPO), keiner näheren Konkretisierung durch den Berufungswerber bedarf (vgl ÖJZ-LSK 1981/133 = EvBl 1981/207; SSt 51/40), wobei gemäß § 467 Abs. 3 StPO die zugunsten des Angeklagten ergriffene Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld (regelmäßig; vgl aber 13 Os 124,125/84) auch die Berufung gegen die Strafbemessung impliziert. Der Vorschrift des § 467 Abs. 2 StPO ist schon dann entsprochen, wenn aus dem Sinn der Erklärung des Beschwerdeführers zu erkennen ist, in welcher Richtung er das Urteil anfechten will. Demgemäß bedeutet die Anmeldung einer vollen Berufung zumindest eine Urteilsanfechtung wegen Schuld und Strafe (vgl SSt 41/22). Wenn daher der Angeklagte Alfred A innerhalb der Frist des § 466 Abs. 1 StPO erklärt hat, er lege 'gegen die Verurteilung vom 25. Mai 1985 wegen § 198 Abs. 2 StGB .....zu 3 Monaten Berufung ein', so hat er damit - mag er auch nicht ausdrücklich von einer 'vollen' Berufung gesprochen haben - erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß er von sämtlichen vorhandenen Anfechtungsmöglichkeiten Gebrauch machen und sowohl den Ausspruch über die Schuld, als auch jenen über die Strafe bekämpfen wolle. Daraus folgt, daß das vom Angeklagten angemeldete Rechtsmittel, auch wenn es nicht weiter ausgeführt wurde, als Schuld- und Strafberufung zu behandeln ist und das Berufungsgericht - wie dies auch der bisher vorherrschenden Praxis der Gerichtshöfe zweiter Instanz entspricht - über jede Beschwer, die für den Berufungswerber durch einen der im § 464 Z 2 und 3 StPO angeführten Punkte des Erkenntnisses möglich war, meritorisch zu entscheiden gehabt hätte.
Es war daher der von der Generalprokuratur gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen.
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