OGH 4Ob101/85

OGH4Ob101/8510.9.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl und Dr. Kuderna sowie die Beisitzer Herbert Bauer und Mag.Karl Dirschmied als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B C

in Wien 1., Brandstätte 7-9, vertreten durch Dr. Erich Meusburger, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Werner D, St.Johann im Pongau, Plankenau 124, vertreten durch DDr.Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen restl. S 100.000, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom 15.April 1985, GZ 31 Cg 79/84-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Salzburg vom 5.Dezember 1983, GZ Cr 760/82-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es unter Einbeziehung des in Rechtskraft erwachsenen Teiles des erstgerichtlichen Urteils zu lauten hat:

'Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von S 50.000 samt 4 % Zinsen seit 11.11.1982 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, an die klagende Partei einen weiteren Betrag von S 542.483,-- samt 4 % Zinsen seit 11.11.1982 zu bezahlen, wird abgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 57.945,65 bestimmten anteiligen Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin sind S 4.364,15 an Barauslagen und S 3.969,- an Umsatzsteuer enthalten) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen. Die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz werden gegeneinander aufgehoben'.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Außer Streit steht, daß der Beklagte beim Transportunternehmer Karl E als Kraftfahrer beschäftigt ist. Am 25.6.1982 stieß der Beklagte auf der Westautobahn mit einem von ihm gelenkten, seinem Arbeitgeber gehörigen LKW-Zug gegen einen am rechten Fahrbahnrand abgestellten LKW-Zug. Infolge dieses Verkehrsunfalles wurde der LKW-Zug des Arbeitgebers schwer beschädigt. Die klagende Partei, bei der dieser LKW-Zug kaskoversichert war, zahlte an ihren Versicherungsnehmer zur Schadensliquidierung S 592.483. Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei aus dem Rechtsgrund des § 67 VersVG vom Beklagten die Zahlung dieses Betrages. Sie führt dazu aus, der Beklagte sei bei besten Witterungs-, Sicht- und Fahrbahnverhältnissen gegen den mit einem Pannendreieck und einer eingeschalteten Warnblinkanlage gesicherten LKW-Zug gestoßen. Dieses Verhalten des Beklagten sei grob fahrlässig. Der Beklagte beantragte Klagsabweisung und bestritt das Vorliegen grober Fahrlässigkeit. Der begehrte Schadenersatz übersteige überdies seine Leistungsfähigkeit und stehe mit seinem Einkommen von monatlich S 10.050,-- brutto in auffallendem Mißverhältnis. Hilfsweise beantragte er demnach die Ermäßigung des Schadenersatzbetrages.

Das Erstgericht sprach der klagenden Partei einen Teilbetrag von S 100.000 sA zu und wies das Mehrbegehren von S 492.483,-- sA - unter Außerachtlassung einer Ausdehnung des Klagebegehrens um S 2.000 sA - ab. Unter der Annahme einer sich mehr einer groben Fahrlässigkeit als einer entschuldbaren Fehlleistung nähernden leichten Fahrlässigkeit und unter Bedachtnahme auf das Einkommen des Beklagten hielt es eine Mäßigung des Schadensbetrages auf S 100.000 für gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese nur vom Beklagten bekämpfte Entscheidung. Es führte das Verfahren gemäß dem § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG neu durch und traf folgende, für das Revisionsverfahren noch wesentliche Feststellungen:

Der Beklagte ist seit acht Jahren im Transportunternehmen des Karl E beschäftigt; er ist ein verläßlicher Fahrer. Mit Ausnahme des gegenständlichen Unfalls hatte er während der Zeit dieses Arbeitsverhältnisses nur einen Unfall mit einem kleinen Blechschaden. Der Beklagte ist geschieden und hat keine Sorgepflichten. Er verdient - mit Ausnahme von Diäten und Spesenersatz - S 10.050,-- brutto im Monat zuzüglich Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration. Für die Anschaffung eines PKWs ist er Schulden im Betrag von ca.50.000,- eingegangen.

Der Beklagte übernachtete vom 24. auf den 25.6.1982 im Rahmen von Fernfahrten in einem Autobahnrasthaus bei München. Um 6,30 Uhr trat er die Fahrt nach Salzburg an. Nach einer etwa 1,1/2 stündigen Unterbrechung in dieser Stadt setzte er die Fahrt auf der Autobahn nach Wels fort, wo er die Fahrt zum Umladen und zur Einnahme einer Mahlzeit unterbrach. Auf der Rückfahrt nach Salzburg, die er gegen 14,30 h antrat, ereignete sich gegen 15,25 Uhr der Unfall. Zu dieser Zeit herrschten ideale Fahrbahn-,Sicht- und Witterungsverhältnisse; es war aber sehr heiß und schwül. Am rechten Fahrbahnrand war ein LKW-Zug infolge eines Motorschadens derart abgestellt, daß er mit seiner linken Fahrzeugseite ca.70 cm weit in die Fahrbahn ragte. An diesem LKW-Zug war die Warnblinkanlage eingeschaltet und ca.150 m davor (in der Fahrtrichtung des Beklagten gesehen) ein Pannendreieck aufgestellt. Dieser LKW-Zug war für den Beklagten auf eine Entfernung von einigen hundert Metern sichtbar. Der Beklagte sah den LKW-Zug, erkannte aber nicht, ob er in Bewegung sei, und bemerkte weder das Pannendreieck noch die eingeschaltete Warnblinkanlage. Er näherte sich der Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 Stkm. Er fühlte sich nicht übermüdet, 'nickte' aber bei der Annäherung an die Unfallstelle ein; er fuhr ungebremst und ohne Ausweichmanöver in die hintere linke Ecke des Anhängers des abgestellten LKW-Zuges.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, daß dem Beklagten leichte Fahrlässigkeit zur Last falle, die sich mehr einer groben Fahrlässigkeit als einer entschuldbaren Fehlleistung nähere. Ebenso wie das Erstgericht vertrat es die Auffassung, daß unter Bedachtnahme auf die schadensgeneigte Arbeit eines Kraftfahrers sowie auf den Umstand, daß das festgestellte Arbeitsentgelt des Beklagten das mit dieser Schadensgeneigtheit verbundene Wagnis nicht berücksichtige, eine Mäßigung des Schadensbetrages von S 592.483,-- auf S 100.000,-

gerechtfertigt sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des BNeklagten mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß entweder das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen oder in Ausübung des richterlichen Mäßigungsrechts der Schadensbetrag weiter herabgesetzt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zum Teil berechtigt.

Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (geltend gemacht werden lediglich Feststellungsmängel rechtlicher Art) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Abgesehen davon, daß in der Revision erstmals die Auffassung vertreten wird, der Beklagte habe nur eine entschuldbare Fehlleistung zu verantworten, bestehen gegen die Annahme der Vorinstanzen, dem Beklagten falle leichte Fahrlässigkeit zur Last (eine grobe wird von der klagenden Partei nicht mehr behauptet), keine Bedenken. Eine entschuldbare Fehlleistung im Sinne des § 2 Abs 3 DHG wäre nur dann anzunehmen, wenn die Fehlleistung des Arbeitnehmers kein nennenswertes Verschulden bildet, wenn also nur ein ganz geringfügiges Versehen vorliegt, das sich bei Berücksichtigung der gesamten Arbeitslast im Drange der Geschäfte und mit Rücksicht auf deren Art und Schwierigkeit ohne weiteres ergeben und nur bei Anwendung außerordentlicher Aufmerksamkeit abgewendet werden kann (Arb.10.063 mwH).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Beklagte hätte bei Anwendung der erforderlichen Aufmerksamkeit im Hinblick auf die idealen Sichtverhältnisse insbesondere das Warndreieck und die eingeschaltete Warnblinkanlage des abgestellten LKW-Zuges so rechtzeitig bemerken müssen, daß ihm ein Auslenken nach links möglich gewesen wäre. Nach den Feststellungen ist er erst nach dieser Erkennbarkeit eingenickt, ohne vorher eine übermüdung festgestellt zu haben. In diesem Verhalten liegt ein nennenswertes Verschulden. Das Versehen des Beklagten besteht darin, nicht sofort nach dem Erkennen des LKW-Zuges, dessen Bewegung oder Stillstand er nicht erkannte, seine Aufmerksamkeit derart erhöht zu haben, daß ein 'Einnicken' vermieden und ein rechtzeitiges Auslenken möglich gewesen wären. Dieses Versehen ist nicht bloß ganz geringfügig und hätte nicht nur bei Anwendung außerordentlicher Aufmerksamkeit abgewendet werden können. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen reichen daher entgegen der Meinung des Beklagten aus, um dessen Verschulden erschöpfend beurteilen zu können, so daß dem angefochtenen Urteil keine Feststellungsmängel anhaften. Entgegen der Meinung der Vorinstanzen nähert sich das schuldhafte Verhalten des Beklagten aber weder einer entschuldbaren Fehlleistung noch einer groben Fahrlässigkeit.

Es steht nämlich nicht fest, daß der Beklagte auch die vorerwähnten Sicherungsvorrichtungen noch vor dem Einnicken erkennen konnte, sodaß ein gravierender Aufmerksamkeitsfehler nicht erwiesen ist.

Bedenkt man, daß der Beklagte für seine schadensgeneigte Arbeit als Lenker eines LKW-Zuges (Arb.94.067, 91.099, 91.053 ua) nur ein monatliches Bruttoentgelt von S 10.050,- (zuzüglich Urlaubszuschuß und Weihnachtsremuneration) erhält - ein Entgelt, daß das mit dieser Arbeit verbundene, auch für einen gewissenhaften Kraftfahrzeuglenker nicht abwendbare Risiko bei weitem nicht abdeckt - , und daß der Beklagte nach den Feststellungen ein verläßlicher Fahrer ist, der in seiner achtjährigen Tätigkeit vor diesem Unfall nur einen kleinen Blechschaden hatte, dann erscheint eine Mäßigung des Schadensbetrages nach dem § 2 DHG (in der Fassung vor dem am 23.3.1983 erfolgten Inkrafttreten der Novelle BGBl.1983/169 auf S 50.000 gerechtfertigt (vgl. Arb.9153; der einen höheren Prozentsatz als zumutbar erachtenden Entscheidung Arb 9199 lag ein wesentlich niedrigerer Gesamtschaden, nämlich ein solcher von S 30.000,-, zugrunde).

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der klagenden Partei unter Abweisung des Mehrbegehrens von S 542.483,- sA nur ein Betrag von S 50.000,- sA zugesprochen wird.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO. Da die klagende Partei in erster Instanz nur mit ungefähr 1/12 ihres Begehrens durchgedrungen ist, der Beklagte aber mit 11/12 gesiegt hat, ist die klagende Partei verpflichtet, dem Beklagten 10/12 (=5/6) seiner Verfahrenskosten erster Instanz zu ersetzen. Im Berufungs- und Revisionsverfahren sind beide Parteien je zur Hälfte unterlegen, so daß diese Kosten gegeneinander aufzuheben sind.

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