OGH 7Ob610/84

OGH7Ob610/8430.7.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Petrasch sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Abdul M*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Gewolf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Zarina S*****, vertreten durch Dr. Wolf Günter Auer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 13. März 1984, GZ 7 R 173, 174/83‑39, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. August 1983, GZ 20 Cg 76/83‑29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00610.840.0730.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.913,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 960 S Barauslagen und 268,50 S USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht schied die zwischen dem Kläger, einem gebürtigen Pakistaner und nun österreichischem Staatsbürger, und der Beklagten, einer Berlinerin und deutschen Staatsangehörigen, am 9. 12. 1973 geschlossene Ehe auf Klage des Mannes aus beiderseitigem Verschulden, wobei jenes der Frau darin erblickt werde, dass sie die Ehegemeinschaft eigenmächtig aufgegeben habe.

Das Berufungsgericht wiederholte das Beweisverfahren und änderte das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Scheidungsbegehrens ab. Nach den Tatsachenfeststellungen der zweiten Instanz erfuhr die vor der Ehe harmonische Beziehung zwischen den Streitteilen bald nach der Eheschließung eine ernste Trübung, weil der Kläger die eigene Meinung der Beklagten nicht anerkannte und von ihr Unterordnung verlangte. So hielt der Kläger der Beklagten vor, dass eine Frau ihrem Mann nicht auf den Kopf steigen, sondern ihm zu Füßen liegen solle. Ab 1975 begann der Kläger der Beklagten leichtere Schläge ins Gesicht zu verabreichen, was sie als kränkend und verletzend empfand. Er stellte die Beklagte auch vor die Alternative, entweder seine Wünsche kritisch (gemeint wohl: kritiklos) und wortlos hinzunehmen und zu erfüllen, oder Verstimmungen des Klägers zu riskieren. Ab 1975 (nach der zugrundeliegenden Parteiaussage der Beklagten richtig wohl: in den späteren Jahren) schlug der Kläger die Beklagte zwar weniger häufig, dafür aber mit größerer Intensität, und er versetzte ihr ab nun auch wirklich schwere Schläge auf das Gesäß. Auf diese Weise versuchte der Kläger, die Beklagte nach seinen Wünschen „zu erziehen“, damit sie nicht „so würde wie die Frauen hier“ (nämlich in Österreich und Deutschland). Der Kläger schlug die Beklagte aber auch oft bloß, weil er seine Wut abreagieren wollte. Er erklärte ihr oft, dass Frauen den Wünschen des Mannes konform zu reagieren und dass sie und die Kinder ausschließlich „zu seiner Freude da zu sein“ hätten. Ab 1978 kam es zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen, weil der Kläger oft tagelang mit der Beklagten nicht sprach, wenn er sich über irgendwelche Dinge, die er der Beklagten aber nicht mitteilte, ärgerte. In solchen Situationen versuchte dann die Beklagte den Kläger dadurch zu versöhnen, dass sie sich entsprechend seinem Wunsch zu seinen Füßen setzte und seine Füße küsste. Danach stieß der Kläger die Beklagte fallweise weg oder schlug sie. Schließlich verlangte er von ihr die Ausübung des ehelichen Verkehrs, wonach er wieder gelöst war und sich das Verhältnis für einige Zeit normalisierte, bis alles wieder von vorne begann. Auch gegenüber den Kindern legte der Kläger ein untragbares Verhalten an den Tag und schlug sie öfters. Nicht erzieherische Gründe standen dabei im Vordergrund, sondern das Schlagen war die Art des Klägers, sich abzureagieren. In der Folge wurde das Verhalten des Klägers für die Beklagte immer unerträglicher. Der Kläger sprach oft mit ihr tagelang kein Wort. Ab 1979 forderte er sie immer wieder auf zu verschwinden, er könne sie nicht mehr sehen und brauche sie nicht. Im April 1981 erklärte der Kläger der Beklagten wiederholt, es sei jetzt aus, er habe ihr dreimal gesagt, sie solle aus der Wohnung gehen, ein viertes Mal sage er es nicht mehr. Um diese Zeit äußerte sich der Kläger zur Beklagten auch oft dahin, dass er nicht wisse, was er tue, wenn ihm schwarz vor den Augen werde. Von nun an war die Atmosphäre zwischen den Streitteilen äußerst gespannt. Am 2. 6. 1981 nahm die Beklagte alle Kraft zusammen und fragte den Kläger, wie lange das noch so weitergehe. Der Kläger antwortete nur, so lange es weitergehe. Die Beklagte war daraufhin vollkommen verzweifelt. Am nächsten Tag stellte der Kläger der Beklagten zur Wahl, dass entweder sie ihn umbringen oder jeder einzelne oder sie beide gemeinsam zum Kadi gehen sollten. In der folgenden Nacht war der Kläger auf das äußerste gereizt, er nannte wieder diese Möglichkeiten und lief in der Wohnung auf und ab. Im Hinblick auf seine früher gemachte Äußerung, dass er nicht wisse, was er tue, wenn ihm schwarz vor den Augen würde, fürchtete sich die Beklagte vor dem Kläger. Am nächsten Morgen erklärte sie ihm, dass sie das alles nicht mehr aushalte und weg müsse, um sich über ihre Zukunft Klarheit zu verschaffen. Sie reiste am 4. 6. 1981 tatsächlich mit den Kindern nach Deutschland. Dabei nahm sie zwei auf ihren Namen lautende Sparbücher mit einem Einlagestand von zusammen 250.000 S mit, von denen rund die Hälfte von ihr stammte und nur ein Betrag von 118.000 S gemeinsames Vermögen der Streitteile darstellte. Dem Kläger selbst blieben Ersparnisse von 760.000 S. Den mitgenommenen Betrag verwendete die Beklagte zur Einrichtung einer Wohnung in Deutschland und teilweise zur Deckung ihres Unterhalts und des Unterhalts der Kinder. Der letzte eheliche Verkehr hatte im Mai 1981 stattgefunden. Wenn die Beklagte dem Kläger nicht in bestimmten Abständen sexuell zur Verfügung stand, verfiel der Kläger in ablehnendes Schweigen oder er schlug die Beklagte, ohne allerdings den Geschlechtsverkehr geradezu durch Schläge erzwingen zu wollen. Durch den ehelichen Verkehr hat die Beklagte dem Kläger gegenüber nicht zum Ausdruck bringen wollen, dass sie seine Verfehlungen nicht mehr als kränkend empfinde. In Berlin brachte die Beklagte in der Folge eine Ehescheidungsklage ein. Der Kläger konnte die Kinder erstmals wieder im September 1981 in Berlin besuchen, doch musste die Beklagte die Kinder zwingen, mit ihm in Kontakt zu treten. Später gab die Beklagte dem Kläger ihren Aufenthaltsort nicht mehr bekannt, weil sie fürchtete, der Kläger könne die Kinder zu seiner Familie nach Pakistan bringen. Auf diese Weise hat der Kläger die Kinder seit Oktober 1982 nicht mehr gesehen. Er hat auch keine weiteren Besuchsregelungen beantragt. Die seither eingetretene Ruhe hat den Kindern gut getan.

Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist infolge der österreichischen Staatsbürgerschaft des Klägers und des von ihm beibehaltenen letzten gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute in Österreich österreichisches Recht anzuwenden. Ein boshaftes Verlassen des Ehemannes falle der Beklagten aber nicht zur Last, weil die laufenden schweren Eheverfehlungen des Klägers die Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch die Beklagte am 4. 6. 1981 rechtfertigten. Andere schwere Eheverfehlungen der Beklagten lägen nicht vor, weil die Mitnahme der Kinder und die Unterbindung des Kontakts des Klägers zu den Kindern zu deren Schutz gerechtfertigt gewesen sei und die Beklagte für den eigenen und den Unterhalt der Kinder gezwungen gewesen sei, durch die Mitnahme eines geringeren Teils der ehelichen Ersparnisse den weiteren Lebensunterhalt sicherzustellen. In der Aufrechterhaltung der ehelichen Beziehungen bis Mai 1981 sei keine Verzeihung der ehelichen Verfehlungen des Klägers durch die Beklagte zu erblicken.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass die von beiden Parteien im Revisionsverfahren vorgelegten Urkunden nicht zu beachten sind, weil auch im Eheverfahren Neuerungen in dritter Instanz unzulässig sind. Gegen die Anwendung des österreichischen Rechts bestehen aus den vom Berufungsgericht unbekämpft dargestellten Gründen keine Bedenken.

Soweit sich der Revisionswerber darauf beruft, dass der Erstrichter von der Beklagten noch zu einem Zeitpunkt, als sie ihr Außenverhalten nicht bewusst und umfassend auf die Erzielung von Mitleidseffekten abgestellt hatte, einen ganz anderen und richtigeren persönlichen Eindruck als das Berufungsgericht gewinnen habe können, bekämpft er in unzulässiger Weise die in dritter Instanz nicht mehr anfechtbare Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Dasselbe gilt für die Behauptung, das Berufungsgericht habe sich über alle für den Kläger günstigen Zeugenaussagen hinweggesetzt und eine von ihm bestrittene Urkunde zur Entscheidungsfindung herangezogen. Auch die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, weil die zweite Instanz auf das letzte Vorbringen des Klägers vor dem Erstgericht nicht Bedacht genommen und ihn hiezu nicht als Partei vernommen habe, liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat den Beweis über alle vom Kläger behaupteten Eheverfehlungen der Beklagten unter anderem durch Einvernahme der Streitteile als Parteien beschlossen und sie eingehend vernommen. Es war Sache des Klagevertreters, zu diesem Beweisthema jede weitere, vom Berufungsgericht allenfalls übersehene Frage zu stellen.

Auch der Rechtsrüge kommt Berechtigung nicht zu.

Wiederum einen unzulässigen Eingriff in die Beweiswürdigung der letzten Tatsacheninstanz stellt es dar, wenn der Revisionswerber meint, der Oberste Gerichtshof könne eine vom Berufungsgericht verwertete Urkunde ohne Rücksicht auf die Gesamtbeurteilung der Glaubwürdigkeit der Streitteile für sich allein überprüfen. Auch die behauptete Widersprüchlichkeit der berufungsgerichtlichen Feststellungen über die Gründe, warum der Kläger seine Kinder häufig geschlagen hat und warum die Beklagte schließlich die Ehegemeinschaft verließ, liegt nicht vor. Es kommt nicht geradezu darauf an, ob dem Auszug der Beklagten eine Gewalttätigkeit des Klägers unmittelbar vorangegangen ist, sondern auf die nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts ausweglose Situation, vor der sich die Beklagte verständlicherweise sah. Nach diesen Tatsachenfeststellungen trifft die Rechtsansicht der zweiten Instanz zu, dass dem Kläger der Beweis einer grundlosen und eigenmächtigen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft durch die beklagte Partei nicht gelungen ist. Die gegenteiligen Behauptungen des Revisionswerbers gehen nicht von den Tatsachenfeststellungen aus.

Mit Recht hat das Berufungsgericht auch die Mitnahme eines verhältnismäßig nur geringen Teils der ehelichen Ersparnisse durch die Beklagte anlässlich des Verlassens der ehelichen Gemeinschaft nicht als schwere Eheverfehlung gewertet. Wenn ihr Ausziehen nach dem bisher Gesagten gerechtfertigt war, so musste sie wenigstens für eine gewisse Sicherstellung des künftigen Lebensunterhalts für sich und ihre Kinder sorgen. Die Revision vermag nicht darzutun, dass die Beklagte dabei berechtigte Interessen des Klägers verletzt oder aus den gemeinsamen Ersparnissen mehr Mittel entzogen habe, als bei einer gerechten Aufteilung ohnehin auf sie entfallen wären. Von einer ungerechtfertigten Vorwegnahme eines Aufteilungsverfahrens kann nicht die Rede sein, weil ein Teil des Geldes gar nicht dem Aufteilungsverfahren unterlegen wäre, dem Kläger ein vielfacher Betrag der ehelichen Ersparnisse verblieb und das mitgenommene Sparbuch ohnehin auf den Namen der Beklagten lautete und damit ihr zur Verfügung stand, so wie umgekehrt alle anderen Ersparnisse dem Kläger.

Die Unterbindung des Kontakts des Klägers zu den Kindern lange nach dem Verlassen der Ehegemeinschaft durch die Beklagte fällt schon deshalb nicht ins Gewicht, weil in diesem Zeitpunkt die Ehe der Streitteile längst zerrüttet war. In einem solchen Fall fehlt im Allgemeinen der Zusammenhang zwischen der neuen Verfehlung und der Zerrüttung (EvBl 1957/67, EvBl 1964/385 uva). Eheverfehlungen können allerdings auch nach der Zerrüttung der Ehe noch ein Mitverschulden begründen, wenn eine Vertiefung der Zerrüttung nicht ausgeschlossen werden kann und der zunächst schuldtragende Teil das Verhalten des Gatten bei verständiger Würdigung noch als ehezerrüttend empfinden durfte; insbesondere für die Verschuldensteilung kann auch ein solches Verhalten allenfalls noch von Bedeutung sein (EvBl 1983/55). Im vorliegenden Fall war aber die Ehe nach den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts bereits im Zeitpunkte des Verlassens der Ehegemeinschaft durch die Beklagte aus dem alleinigen Verschulden des Klägers zerrüttet. Das nachfolgende Verhalten der Beklagten stellte dann umsoweniger eine für sich allein maßgebende schwere Eheverfehlung der Revisionsgegnerin dar, weil diese mindestens subjektive Gründe hatte, die Kinder vom Vater fernzuhalten. Ob tatsächlich die Gefahr einer Entführung der Kinder ins Ausland bestand, ist weder mit Sicherheit feststellbar noch auszuschließen, spielt aber letzten Endes keine entscheidende Rolle.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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