OGH 3Ob576/85

OGH3Ob576/853.7.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Dipl.Ing. Reinhold A, Architekt, 4040 Linz, Kapellenstraße 13, und 2) Hilde A, Hausfrau, ebendort, beide vertreten durch Dr. Wolfram Wutzel, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Anna B, Rentnerin, 4040 Linz, Parzhofstraße 8, vertreten durch Dr. Wolfgang Moringer, Rechtsanwalt in Linz, als Prozeßkurator wegen Räumung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 11.März 1985, GZ 13 R 129/85-34, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 31.Oktober 1984, GZ 10 C 1153/83-30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß das Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1,924,38 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 174,94 S Umsatzsteuer) und die mit 2.656,19 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 241,47 S Umsatzsteuer, aber keine Barauslagen) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung im Hause der beiden Klägerinnen in Linz. Ab Sommer 1982 begann bei ihr ein altersbedingter geistiger Abbau und sie fing an, an Wahnideen zu leiden. In der Zeit von April bis August 1983 führte sie sich mehrmals sehr eigenartig auf. Sie band sich etwa Kopf oder Mund grundlos ein, glaubte ohne Grund Gasgeruch wahrzunehmen, hatte gelegentlich lautstarke Szenen mit ihrem Sohn, von dem sie annahm, er schlage sie, kletterte einmal aus dem Fenster, weil sie wähnte, es brenne, machte bei der Polzei eine grundlose Brandanzeige, wo man sie aber beruhigen konnte, und begab sich auch einmal zu den Klägern, um ihnen mitzuteilen, in ihrem Haus brenne es. Gravierend waren dann besonders nächtliche Exzesse (etwa zehnmal), indem sie das Fenster öffnete und grundlos 'Feuer, Feuer' schrie, was teilweise zur Nachschau durch Leute der Hauseigentümer oder sogar zur Herbeiholung von Polizei führte. Den Mitbewohnern und der Polizei gelang es immer, die Beklagte wieder zu beruhigen. Als im August 1983 einmal die Kinder der Beklagten bei einem solchen Vorfall dazukamen, veranlaßten sie die Einlieferung der Beklagten in ein Krankenhaus, seither ist sie entweder im Krankenhaus oder in einem Alters- und Pflegeheim. Die bestandene cerebrale Dekompensation ist jetzt weitgehend rückgebildet. Sie hat heute keine manifesten wahnhaften Vorstellungsideen mehr. Durch die Erinnerungen an die seinerzeitigen Symptome, die die Beklagte heute als nervliches Versagen begreift, kommt es aber noch immer zu affektiven Belastungen (aus welchem Grund ihre Prozeßunfähigkeit festgestellt und sie im Rechtsstreit durch einen Prozeßkurator vertreten wurde).

Mit einer am 5.8.1983 eingebrachten Klage begehrt die klagende Partei wegen des Verhaltens der beklagten Partei die Aufhebung des Mietvertrages gemäß § 1118 ABGB.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.

Das Erstgericht wies die Klage mit der Begründung ab, das krankheitsbedingte Verhalten der Beklagten stelle noch keinen erheblich nachteiligen Gebrauch im Sinne des § 1118 ABGB dar, der Hausgemeinschaft könne zugemutet werden, das vorübergehende Verhalten in Kauf zu nehmen, zumal die Beklagte ja dann in ein Krankenhaus gekommen sei.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß der Klage stattgegeben wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß der Aufhebungstatbestand gemäß § 1118 ABGB gegeben sei. Auf ein Verschulden des Bestandnehmers komme es nicht an. Ob das Verhalten nach der Kündigung fortgesetzt werde, sei unmaßgeblich. Das festgestellte Gesamtverhalten sei so störend gewesen, daß der Klage stattgegeben werden müsse.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht mit einer vorliegenden einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, die nur auf den konkreten Einzelfalls angewendet habe werden müssen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die ao. Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles der ersten Instanz abzuändern oder es aufzuheben.

Zur Zulässigkeit der Revision führte die beklagte Partei aus, das Berufungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab, daß dann, wenn dem Mieter sein Verhalten nicht erkennbar sei, eine Mahnung nötig sei. Als Revisionsgrund wird unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht und der Standpunkt vertreten, nach den getroffenen Feststellungen (besonders der Feststellung, die Beklagte habe immer wieder beruhigt werden können), sei das Verhalten der Beklagten an sich noch nicht schwerwiegend genug gewesen, um eine Aufhebungsklage nach § 1118 ABGB zu rechtfertigen. Vor allem hätte es aber einer vorherigen Mahnung bedurft. Da die Beklagte ihr Verhalten auch ohne Mahnung schon vor der Räumungsklage eingestellt habe, lägen daher die Voraussetzungen nach § 1118 ABGB nicht vor.

Die klagende Partei, die schon vor einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes im Sinne des § 508 a Abs 2 ZPO eine Revisionsbeantwortung erstattete, beantragte in dieser, die Revision als unzulässig zurückzuweisen oder ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, denn das Berufungsgericht weicht in der Tat von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ab, daß zwar bei einer Aufhebungsklage nach § 1118 ABGB grundsätzlich eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich ist (MietSlg.4997, 8669, 17.386, 20.381, 23.184), daß aber nach Treu und Glauben eine solche Abmahnung dann nötig ist, wenn dem Bestandnehmer die Schädlichkeit seines Verhaltens nicht ohne weiteres erkennbar sein mußte (MietSlg.6.315, 9.627, 16.156, 23.184, 24.167, ebenso Würth in Rummel RZ 12 zu § 1118 ABGB). Das Berufungsgericht führt zwar auch diese Rechtsansicht in seinem Urteil an, prüfte aber dann nicht, inwiefern hier ein solcher Fall gegeben ist. Das bloße Zitat einer richtigen Rechtsprechung, die aber nicht daraufhin untersucht wird, ob sie überhaupt auf den vorliegenden Fall paßt, und eine (wie noch auszuführen sein wird) falsche Subsumtion des festgestellten Sachverhaltes unter eine solche Rechtsprechung stellt aber ebenso ein Abweichen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes dar, wie wenn von dieser Rechtsprechung ausdrücklich und bewußt abgegangen worden wäre. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sind damit entgegen der Beurteilung durch die zweite Instanz erfüllt.

Auf den vorliegenden Fall angewendet, bedeutet dies aber auch, daß der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes insgesamt nicht beigetreten werden kann.

Richtig ist zunächst, daß ein 'unleidliches Verhalten' im Sinn des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG, das mit dem Kündigungsgrund des 'erheblich nachteiligen Gebrauchs' im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG zusammengefaßt ist und daher vom Gesetz offenbar als gleichwertig angesehen wird, unter den Tatbestand des § 1118 erster Fall ABGB zu subsumieren ist (MietSlg.34.262 ua).

Zutreffend ist auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das festgestellte Verhalten der Beklagten, wenn sie nicht krank gewesen wäre, insgesamt den Aufhebungstatbestand nach § 1118 ABGB erfüllt hätte, wobei es genügt, auf die hier vom Berufungsgericht richtig zitierten Entscheidungen zu verweisen.

Richtig ist weiters, daß weder hohes Alter (MietSlg.31.359) noch Geisteskrankheit (MietSlg.22.332/19, 35.349) prinzipiell einen Freibrief für unleidliches Verhalten darstellen.

Bei gewissen Verhaltensweisen muß aber der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit zumindest in der Weise berücksichtigt werden, daß das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, d.h. für die Mitbewohner unerträglich ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (MietSlg.35.349). Und vor allem kann von einem Geisteskranken nicht ohne weiteres erwartet werden, daß ihm sein störendes Verhalten bewußt ist, so daß es hier im Sinne der oben aufgezeigten Judikatur angezeigt ist, daß der Vermieter den Mieter zuvor abmahnt. Die klagenden Parteien haben nicht behauptet, und nach den getroffenen Feststellungen besteht auch kein Anlaß, anzunehmen, daß wegen des Geisteszustandes der Beklagten eine Abmahnung von vorneherein aussichtslos gewesen wäre. Eine solche daher nicht überflüssige Abmahnung ist im vorliegenden Fall weder behauptet worden noch erwiesen. Erwiesen ist vielmehr, daß die Hausparteien die Beklagte immer wieder beruhigt haben und auch beruhigen konnten und daher durchaus erkennen mußten, ihr Verhalten sei nicht so untragbar, und daß die Beklagte vor allem noch vor der Zustellung der Kündigung von sich aus bzw. auf Grund der Intervention ihrer Kinder ihr Verhalten einstellte, indem sie sich einer ärztlichen Behandlung unterzog und in ein Heim begab. Ein unleidliches Verhalten würde den Kündigungstatbestand nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG bzw. den Aufhebungstatbestand des § 1118 ABGB in einem solchen Fall nur darstellen, wenn die kranke Mietpartei sich unverhältnismäßig spät zum Arzt begeben würde oder wenn auch nach einer Abmahnung das Verhalten fortgesetzt würde (vgl. dazu etwa MietSlg.33.331, wo Lärmen besonders nach erfolgloser Abmahnung als Kündigungsgrund anerkannt wird, oder MietSlg.25.269, wo ein schon vor der Kündigung eingestelltes Verhalten insgesamt als weniger gravierend bewertet wurde).

Werden alle diese Gesichtspunkte berücksichtigt, dann ist die Klage unbegründet, weshalb der Revision Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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