OGH 12Os75/85

OGH12Os75/8520.6.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Juni 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger, Dr.Walenta, Dr.Hörburger (Berichterstatter) und Dr.Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Rechberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Rene A wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 22. März 1985, GZ 10 Vr 1828/84-21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Rzeszut, und des Verteidigers Dr.Baldinger, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 21.März 1964 geborene Angestellte Rene A - neben anderen strafbaren Handlungen auch - des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Diesen Schuldspruch bekämpft er mit einer auf die Z 5 und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Nach den wesentlichen Urteilsannahmen begleitete der Angeklagte am 17. Dezember 1984 in Möllersdorf die 33-jährige Brigitte B, die er erst kurze Zeit vorher kennengelernt hatte, nach einem gemeinsamen Heurigenbesuch durch die Guntramsdorferstraße nach Hause. Als die leicht alkoholisierte Brigitte B stehenblieb, um in ihrer Umhängetasche, die sie an einem Tragriemen über der linken Schulter trug, etwas zu suchen, faßte der Angeklagte den Entschluß, ihr die Handtasche zu entreißen. Er versetzte Brigitte B mit der linken Hand einen Stoß gegen die rechte Schulter und zerrte gleichzeitig mit der rechten Hand an der Tasche, wodurch der Tragriemen abriß. Brigitte B taumelte durch den Stoß zurück, stürzte nach rückwärts und stützte sich mit der rechten Hand am Boden ab. Der Angeklagte ergriff mit der Tasche die Flucht; der darin verwahrten Geldbörse entnahm er einen Bargeldbetrag von mindestens 1.010 S und warf die Handtasche samt weiterem Inhalt weg (AS 122, 123).

In seiner Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) bezeichnet der Angeklagte die Urteilsannahmen, wonach er Brigitte B einen Stoß gegen die Schulter versetzte und ihr einen Barbetrag von mindestens 1.010 S raubte, als unzureichend begründet.

Das Erstgericht stützte die bekämpften Konstatierungen auf die als glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugin Brigitte B. Diese behauptete im gesamten Verfahren stets gleichlautend, daß ihr eine 1.000-S-Note und Kleingeld geraubt worden war (AS 25, 26; 64; 109) und gab - dem Beschwerdevorbringen zuwider - auch vor dem Untersuchungsrichter an, von Rene A einen Stoß erhalten zu haben (AS 65, 66). Dadurch hielt der Schöffensenat - worauf im Urteil ausdrücklich Bezug genommen wird (AS 123) - die in diesen Punkten abweichende Verantwortung des Beschwerdeführers für widerlegt. Entgegen dem Vorbringen der Rüge hat das Gericht auch die Aussage der Zeugin Silvia C erörtert, die zwar den Tathergang nicht beobachtet hat, sich jedoch unmittelbar nach dem Vorfall um das Tatopfer kümmerte. Daß Brigitte B dabei der genannten Zeugin über eine Gewaltanwendung des Angeklagten keine Mitteilung machte, steht der Annahme der Glaubwürdigkeit und Richtigkeit ihrer Aussage nicht entgegen, zumal das Gericht in diesem Zusammenhang ausführte, daß die leicht alkoholisierte Brigitte B ursprünglich bestrebt war, 'den Vorfall nicht publik werden zu lassen'. Die Zeugin C spricht zwar zunächst davon, daß B den weggenommenen Betrag mit 500 S beziffert habe, schränkt dies jedoch dann dahin ein, daß sie dies nicht mehr genau sagen könne (vgl. S 125). Mit diesem Teil ihrer Aussage mußte sich das Gericht daher nicht näher auseinandersetzen. Die behaupteten Begründungsmängel liegen sohin nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Soweit der Angeklagte in seiner Mängelrüge den festgestellten Grad der Alkoholisierung der Brigitte B in Zweifel zieht und Urteilskonstatierungen des Inhaltes verlangt, B sei vom Angeklagten nicht gestoßen worden, sondern 'infolge ihrer Alkoholisierung, des Schuhwerks und des Zuges an der Tasche' gestürzt, bekämpft er lediglich in unzulässiger und daher unbeachtlicher Weise die Beweiswürdigung des Schöffensenates und dessen denklogische Schlußfolgerungen, ohne einen formellen Begründungsmangel entscheidungswesentlicher Tatsachenfeststellungen konkret aufzuzeigen. Insoweit entbehrt die Mängelrüge einer prozeßordnungsgemäßen Darstellung. Der Hinweis in der Aussage der Zeugin C vor dem Untersuchungsrichter, Brigitte B sei 'betrunken' gewesen, ohne daß dabei aber ihr Verhalten näher geschildert wird (vgl. S 60), steht ihren weiteren Angaben in der Hauptverhandlung dazu, B sei 'schon ein bißchen beschwipst gewesen' (S 112), nicht entgegen und war daher nicht gesondert zu erörtern, sodaß auch die in der Mängelrüge behauptete Unvollständigkeit nicht vorliegt. In seiner Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z 10 StPO) behauptet der Angeklagte, ein Stoß gegen die Schulter stelle keine Gewalt im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB dar, sodaß sein Verhalten rechtsrichtig nur als Diebstahl zu beurteilen sei.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Gewalt im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB ist der Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zur überwindung eines wirklich geleisteten oder erwarteten Widerstandes. Dazu genügt die Anwendung jeder überlegenen und zur Beugung bzw. Beseitigung eines vorausgesetzten, auch erst zu erwartenden Widerstandswillens des Opfers geeignete physische Kraft (Leukauf-Steininger, Komm. 2 , RN 6 zu § 142 StGB; Kienapfel, BT II, RN 41 zu § 142; Zipf im WK, Rz 14 zu § 142; LSK 1984/77). Nicht erforderlich ist, daß sich das Opfer gegen die Sachwegnahme tatsächlich wehrt (ÖJZ-LSK 1976/29). Nach den Urteilsannahmen versetzte der Angeklagte Brigitte B, von der er wußte, daß sie (leicht) alkoholisiert war, einen Stoß gegen die Schulter und riß gleichzeitig am Tragriemen der Umhängetasche, wobei der Tragriemen abriß. Damit liegt aber nach Lage des Falles bereits eine relevante und für § 142 StGB ausreichende Kraftentfaltung vor. Es trifft aber auch nicht zu - was der Beschwerdeführer unterstellt -, daß das Erstgericht bloß aus dem Abreißen des Tragriemes auf das Vorliegen von Gewalt geschlossen hat. Dieses kam vielmehr nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu der Ansicht, daß vorliegend von einem bloßen 'überrumpeln' des Opfers, wie es für das als Diebstahl zu beurteilende überraschende Entreißen einer Handtasche typisch ist, nicht gesprochen werden kann. Dem Erstgericht ist sohin bei Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers als Raub nach dem § 142 Abs. 1 StGB kein Rechtsirrtum unterlaufen.

Die Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten als sogenannter minder schwerer Raub im Sinne des § 142 Abs. 2 StGB (vgl. die Beschwerdeanträge) scheitert schon an der Höhe der Raubbeute von zumindest 1.010 S, da insoweit - was aber auch der Beschwerdeführer zutreffend erkennt - von einer Sache geringen Wertes nicht mehr die Rede sein kann (vgl. auch 9 Os 40/85).

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Rene A war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 142 Abs. 1 StGB zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Bei deren Bemessung waren erschwerend das Zusammentreffen von drei strafbaren Handlungen, zwei einschlägige Vorstrafen und die leichte Verletzung der Brigitte B, mildernd hingegen das Teilgeständnis und der Umstand, daß die von der dauernden Sachentziehung betroffenen Gegenstände zustandegebracht wurden.

Der Berufung des Angeklagten, mit welcher er eine Herabsetzung der Strafe anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.

Das Erstgericht hat die gegebenen Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig erfaßt und auch zutreffend gewürdigt. Die in der Berufung aufgezeigten besonderen Umstände der Raubtat wurden vom Erstgericht im Rahmen der Bemessung der Strafe (§ 32 Abs. 2 und 3 StGB) ohnedies gebührend berücksichtigt (vgl. S 126). Die über den Angeklagten verhängte Strafe entspricht auch nach Auffassung des Obersten Gerichtshofes durchaus dem Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat, wird der Täterpersönlichkeit des Angeklagten gerecht und nimmt auch auf die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen wegen Raubes Bedacht. Für eine Strafherabsetzung bestand somit kein Anlaß.

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