European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00530.85.0523.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Das Erstgericht überwies die beiden Minderjährigen Johann und Thomas in die Pflege und Erziehung ihres Vaters Ing. Hans M*. Gleichzeitig wurde die tatsächliche Ausübung der Pflege und Erziehung durch die mütterliche Großmutter Hermine M* pflegschaftsbehördlich genehmigt. Die Mutter Elisabeth M* wurde als Vormund der beiden Minderjährigen enthoben und der Vater zum neuen Vormund der beiden bestellt. Die Anträge der Mutter, der mütterlichen Großmutter aufzutragen, ihr die beiden Minderjährigen sofort zu übergeben, wurde abgewiesen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter und Antragsgegnerin Elisabeth M* nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsgegnerin, in welchem sie Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit und offenbare Gesetzwidrigkeit geltend macht. Sie beantragt, die Anträge des Antragstellers abzuweisen und ihr die beiden Kinder zu übergeben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Die Vorinstanzen gelangten auf folgender Sachverhaltsgrundlage zu ihren Entscheidungen:
Im Zeitpunkt der tatsächlichen Auflösung der Lebensgemeinschaft der Eltern im Jahre 1980 hielten sich die Kinder während der Sommerferien bis knapp vor Schulbeginn bei ihrer mütterlichen Großmutter in S* auf. Sie wollten bereits damals nicht zur Mutter zurückkehren. Nach Einschaltung der Polizei kehrten die Kinder dann zu Schulbeginn 1980 nach W* zu ihrer Mutter zurück. Infolge dieser Zwangsübersiedlung, insbesondere aber deshalb, weil sie sich mit dem Lebensgefährten und späteren Ehemann der Mutter Richard M* nicht verstanden bzw. nicht bereit waren, sich mit diesem näher anzufreunden, aber auch, weil sie über den Zerfall der Lebensgemeinschaft der Eltern unglücklich waren und sich mit dem Vater solidarisierten, und weil sie sich letztlich bei ihrer mütterlichen Großmutter in S* am geborgensten fühlten, wollten die Kinder nicht länger im Haushalt der Mutter und ihres Lebensgefährten Richard M* verbleiben. Es kam auch zu Konflikten zwischen den Kindern und Richard M*, deren Schwere nicht zu objektivierten war, jedenfalls aber von den Kindern als äußerst bedrohlich und bedrückend empfunden wurden. Die beiden Kinder übersiedelten im Herbst 1980 aus eigener Initiative gegen den Willen der Mutter zur mütterlichen Großmutter. Die Mutter versuchte erfolglos die Kinder mit Polizeiintervention zurückzubekommen. Seither leben beide Kinder bei der mütterlichen Großmutter in S*. Sie werden von ihr ordentlich betreut und erzogen. Die mütterliche Großmutter wird bei der Betreuung und Erziehung der Kinder von der Schwester der Mutter Margarete M* unterstützt. Es ist auch eine Unterstützung durch das Jugendamt S* vorgesehen, insbesondere im Zusammenhang mit der schulischen Förderung des minderjährigen Thomas. Johann besucht in W* das Gymnasium und Thomas in S* die Hauptschule. Die Kinder haben seit dem Jahre 1980 zur Mutter keinerlei Kontakt. Diese kümmerte sich auch seither nicht um deren Wohlergehen. Sie leistete auch keinerlei finanziellen Beitrag zum Unterhalt der Kinder. Diese wollen keinesfalls zur Mutter zurück, sie haben zur mütterlichen Großmutter und zum Vater eine sehr gute emotionale Bindung und Beziehung, während die Mutter von ihnen abgelehnt wird. Zum Vater haben sie regelmäßigen Kontakt; der Vater besucht sie in etwa 14‑tägigen Abständen, hält aber auch schulisch regelmäßig Nachfrage und ist an einer positiven Weiterentwicklung der Kinder interessiert. Die Mutter schloß am 21. Juli 1982 mit Richard M* die Ehe. Diese Ehe wurde in der Zwischenzeit geschieden. Beide Kinder würden eine vom Gericht erzwungene Rückkehr zu ihrer Mutter als Grausamkeit empfinden und eine solche nur sehr schwer akzeptieren. Die derzeitige Wohnung der Mutter ist zu klein, um die Kinder in ihrem Haushalt aufnehmen zu können.
Beide Vorinstanzen erachteten daher die oben dargestellten Maßnahmen im Interesse der Kinder für geboten. Das Rekursgericht verwies im übrigen darauf, daß der Mutter bzw. ihrem Rechtsbeistand genügend Möglichkeit gegeben worden sei, ihren Standpunkt klarzulegen. Nach dem Bericht des kinder‑ und jugendpsychologischen Beratungsdienstes des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung wäre ein Weiterverbleib der Minderjährigen bei der mütterlichen Großmutter empfehlenswert. Auch der Wunsch der beiden im 15. und 17. Lebensjahr stehenden Jugendlichen, bei der Großmutter zu verbleiben, sei zu beachten. Die Enthebung der Mutter von der Vormundschaft sei im Interesse der Minderjährigen geboten. Der Magistrat S* habe sich dafür ausgesprochen, die Vormundschaft dem Vater zu übertragen. Wenn die Mutter trotz mißlicher Wohnverhältnisse auf dem Standpunkt beharre, die Kinder sofort in ihre Pflege und Erziehung zu überweisen, zeige dies ihr mangelndes Einfühlungsvermögen und lasse auf Eigeninteressen schließen.
Zu den entgegenstehenden Ausführungen der Antragsgegnerin in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs ist zunächst darauf zu verweisen, daß der Nichtigkeitsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht schon dann gegeben ist, wenn ein Beteiligter zu einzelnen Beweisergebnissen nicht gehört wurde (1 Ob 744/83 uza). Auf dieser Ebene liegt aber das Vorbringen der Antragsgegnerin, wonach einzelne Beweiserhebungen dem Rechtsbeistand nicht und der Antragsgegnerin nur auszugsweise zur Kenntnis gebracht worden seien; die Möglichkeit der Stellungnahme der Antragsgegnerin in ihren Rechtsmitteln zu sämtlichen relevanten Fragen (vgl. 8 Ob 602/84 ua) wird vom außerordentlichen Revisionsrekurs nicht ernstlich in Zweifel gezogen.
Inwieweit die Feststellungen der Vorinstanzen über die mangelnde finanzielle Beitragsleistung der Antragsgegnerin gegenüber ihren beiden Kindern deshalb aktenwidrig sein sollen, weil sich die Mutter um Exekutionsführungen gegenüber dem Antragsteller bemühte, ist nicht recht verständlich. Auch deren Behauptung, wonach sie die Familienbeihilfe der Großmutter der Kinder überlassen habe, widerlegt nicht die Feststellung über den mangelnden eigenen finanziellen Aufwand der Mutter für die Kinder. Soweit die Antragstellerin weitere Feststellungen der Vorinstanzen als aktenwidrig rügt, bekämpft sie im Grunde nur das Ergebnis der Sachverhaltserhebungen der Vorinstanzen, worauf im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses nicht einzugehen ist.
Bei der Entscheidung, wem die Pflege und Erziehung von Kindern zusteht, kommt auch nach der neuen Rechtslage dem Wohl der Kinder entscheidende Bedeutung zu. Ein Wechsel in den Pflege‑ und Erziehungsverhältnissen ist nur dann vorzunehmen, wenn dies besondere Umstände, insbesondere eine Gefährdung des Pflegebefohlenen erheischen (EvBl. 1972/256; 8 Ob 546/80 uza). Die unter dem Rekursgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit von der Antragstellerin vorgebrachten Argumente gehen an dieser ständigen Rechtsprechung vorbei. Eine offenbare Gesetzwidrigkeit kann daher in keinem der geltend gemachten Anfechtungspunkte erblickt werden. Im übrigen war die Stoffsammlung der Vorinstanzen weder mangelhaft noch fand sich ein Anhaltspunkt für die von der Antragsgegnerin aufgestellte Behauptung, daß der Vater der Minderjährigen die Jugendlichen nur deshalb in seiner Pflege und Erziehung wissen will, weil er sich der Unterhaltsverpflichtung ihnen gegenüber entziehen möchte. Soweit die Antragsgegnerin abschließend darauf pocht, daß sie die Vormundschaft bisher „anstandslos“ ausgeübt habe, vermag sie gegenüber der entgegenstehenden Verfügung der Vorinstanzen weder auf einen offenbaren Gesetzesverstoß zu verweisen, noch die durch die festgestellten Umstände erforderlich gewordenen behördlichen Anordnungen in Frage zu stellen. Ihr Rechtsmittel war daher mangels eines entsprechenden Anfechtungsgrundes im Sinne des § 16 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.
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