OGH 8Ob19/85

OGH8Ob19/8523.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S*, vertreten durch Dr. Michl Münzker, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1) E*, und 2) M*, beide vertreten durch Dr. Oswald Karminski‑Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 30.203,94 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. Dezember 1984, GZ 16 R 284/84‑31, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 11. September 1984, GZ 32 Cg 710/83‑24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0080OB00019.85.0523.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

1) Die Klagsforderung besteht mit S 20.135,96 zu Recht und mit S 10.067,98 nicht zu Recht.

2) Die eingewendete Gegenforderung der Zweitbeklagten besteht mit S 3.382,-- zu Recht und mit S 6.764,-- nicht zu Recht.

3) Die beklagten Parteien sind daher zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 16.753,96 samt 15 % Zinsen aus S 16.205,29 vom 19. 10. 1982 bis 25. 1. 1983, 18 % Zinsen aus S 16.205,29 seit 26. 1. 1983 und 4 % Zinsen aus S 548,67 seit 19. 10. 1982 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

4) Das Mehrbegehren der klagenden Partei auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 13.449,98 und ihr Zinsenmehrbegehren wird abgewiesen.

5) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Verfahrens in erster Instanz den Betrag von S 1.028,39 (darin Barauslagen von S 108,-- und Umsatzsteuer von S 83,67), an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von S 225,42 (darin Umsatzsteuer von S 20,49, keine Barauslagen) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von S 294,62 (darin Barauslagen von S 24,-- und Umsatzsteuer von S 24,60) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 4. 10. 1982 ereignete sich gegen 16.10 Uhr im 15. Wiener Gemeindebezirk auf der ampelgeregelten Kreuzung Winckelmannstraße – Mariahilferstraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen * und die Zweitbeklagte als Halterin und Lenkerin des PKW mit dem Kennzeichen * beteiligt waren. Die Erstbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Der Kläger, der mit seinem PKW die Kreuzung im Zuge der Winckelmannstraße geradeaus in Richtung Norden übersetzte, kollidierte mit dem entgegenkommenden linksabbiegenden Fahrzeug der Zweitbeklagten. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt; Personenschaden trat nicht ein. Ein gerichtliches Strafverfahren fand gegen keinen der beiden beteiligten Lenker statt.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 30.203,94 s.A. (Reparatur- und Kreditkosten). Der Höhe nach ist der Klagsbetrag nicht strittig. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren auf die Behauptung, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe die Zweitbeklagte, weil sie beim Linksabbiegen gegen das die Kreuzung geradeaus übersetzende entgegenkommende Fahrzeug des Klägers gestoßen sei.

Die Beklagten wendeten dem Grunde nach ein, das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe den Kläger. Die Zweitbeklagte habe ihr Linksabbiegemanöver durchgeführt, als der für ihre Fahrtrichtung geltende Linksabbiegepfeil der Verkehrsampel grün gezeigt habe. Der Kläger sei bei Rotlicht mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren und habe verspätet reagiert. Schließlich wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung der Zweitbeklagten aus diesem Verkehrsunfall in der Höhe von S 10.146,-- (Reparaturkosten) aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Der Höhe nach ist auch diese Gegenforderung nicht strittig.

Das Erstgericht entschied, daß die Klagsforderung mit S 30.203,94 zu Recht, die eingewendete Gegenforderung hingegen nicht zu Recht besteht. Es gab daher dem Klagebegehren statt.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Der Unfall ereignete sich bei Tageslicht und guten Sichtverhältnissen auf nasser Fahrbahn.

Der Kläger fuhr im rechten Fahrstreifen der Winckelmannstraße in Richtung Norden und beabsichtigte, die Kreuzung mit der Mariahilferstraße geradeaus zu übersetzen. Diese Kreuzung ist großräumig (Abstand von Haltelinie zu Haltelinie in Fahrtrichtung des Klägers knapp 43 m), jedoch übersichtlich und ampelgeregelt. Die Zweitbeklagte fuhr von der Linzerstraße kommend in Richtung Süden, also dem Kläger entgegenkommend; sie beabsichtigte, auf der Kreuzung nach links in den zweiten Fahrstreifen der Mariahilferstraße Richtung stadtwärts einzubiegen.

Als sich die Zweitbeklagte der Kreuzung näherte, zeigte die Verkehrsampel für die Kreuzung im Zuge der Winckelmannstraße geradeaus übersetzende Fahrzeuge in beiden Fahrtrichtungen Grünlicht. Vor der Zweitbeklagten räumten zum Linksabbiegen eingeordnete Fahrzeuge die Kreuzung. Da die Zweitbeklagte keinen relevanten Gegenverkehr wahrnahm, hielt sie ihr Fahrzeug nicht an. Sie beabsichtigte, das Linksabbiegemanöver in einem Zug durchzuführen. Für in Fahrtrichtung der Zweitbeklagten links abbiegende Fahrzeuge gibt es keine eigene Verkehrsampel; es tritt lediglich 30 Sekunden nach Beginn des Dauergrüns für Fahrzeuge, die im Zug der Winckelmannstraße die Kreuzung geradeaus übersetzen, für die links abbiegenden Fahrzeuge der grüne Zusatzpfeil auf. Die Zweitbeklagte fuhr nur mehr eine PKW-Länge (3,8 m bzw. 0,7 Sekunden) von der Kollisionsstelle entfernt, als dieses Zusatzsignal für ihre Fahrtrichtung aufleuchtete. Sie bemerkte das Herannahen des PKW des Klägers nicht.

Der Kläger fuhr mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h und befand sich nur mehr 19 m vor der Haltelinie (55 m vor der späteren Kollisionsstelle), als für seine Fahrtrichtung das Gelblicht auftrat. Um aus dieser Entfernung sein Fahrzeug noch vor der Haltelinie anzuhalten, hätte der Kläger eine Bremsung mit einer Verzögerung von 5,1 m/sec2 durchführen müssen, was einer Vollbremsung (6 m/sec2) schon sehr nahe kommt. Dies gilt nur unter der Voraussetzung, daß der Kläger bereits vor Auftreten des Gelblichtes reagiert hätte, daß also die Distanz von 19 m ausschließlich für den Bremsweg benützt worden wäre. Der Kläger leitete allerdings keine Bremsung ein, sondern beabsichtigte, die Kreuzung mit unverminderter Geschwindigkeit zu übersetzen. Er reagierte auf das Fahrverhalten der Zweitbeklagten 2,7 Sekunden bzw. 27,9 m vor der Kollision und leitete eine Notbremsung ein. 2,7 Sekunden vor der Kollision befand sich das Fahrzeug der Zweitbeklagten noch auf der dem Gegenverkehr des Klägers zugewiesenen Fahrbahnhälfte; es war also noch nicht in die vom Kläger benützte Fahrbahnhälfte geschweige denn in den vom Kläger benützten Fahrstreifen eingedrungen. Trotz dieser Notbremsung stieß der Kläger mit einer Restgeschwindigkeit von etwa 10 km/h mit der linken Frontecke gegen die Front des im Einbiegevorgang befindlichen Fahrzeuges der Zweitbeklagten. In Fahrtrichtung des Klägers weist die Fahrbahn zwei je 3 m breite Fahrstreifen auf. Der Kläger befand sich bei Einfahrt in die Kreuzung und in der Kollisionsposition im rechten Fahrstreifen. Der Zusammenstoß erfolgte etwa 5 m vor dem die Kreuzung in Fahrtrichtung des Klägers abschließenden Zebrastreifen. Die Zweitbeklagte, die das Fahrzeug des Klägers vor dem Zusammenstoß überhaupt nicht bemerkt hatte, hielt zum Zeitpunkt der Kollision eine Geschwindigkeit von 20 km/h unvermindert ein.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Zweitbeklagte durch ihre Fahrweise gegen § 19 Abs 5 StVO verstoßen habe. Dem Kläger könne ein ins Gewicht fallendes Fehlverhalten nicht vorgeworfen werden, weil er sich im Zeitpunkt des Auftretens des Gelblichtes (§ 38 Abs 1 StVO) der Haltelinie bereits so weit genähert gehabt habe, daß ihm ein sicheres Anhalten vor dieser nicht mehr möglich gewesen sei (§ 38 Abs 2 StVO). Auch eine Reaktionsverspätung des Klägers sei nicht erwiesen. Die Beklagten hätten daher den dem Kläger entstandenen Schaden zu ersetzen.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Das Berufungsgericht traf nach Beweisergänzung noch folgende zusätzliche Feststellungen:

Die Grünphase für in Fahrtrichtung des Klägers sich bewegende Fahrzeuge dauerte einschließlich des 4 Sekunden währenden viermaligen Grünblinkens 26 Sekunden. Daran schloß eine 4 Sekunden dauernde Gelbphase und daran die Rotphase an, deren Beginn mit dem Aufleuchten des Linksabbiegepfeiles für aus der Gegenrichtung in die Mariahilferstraße links einbiegende Fahrzeuglenker zusammenfiel.

Im übrigen wurden die Feststellungen des Erstgerichtes als unbekämpft übernommen.

Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, nach neuerer Rechtsprechung könne ein gegen das Anhaltegebot des § 38 Abs 1 StVO bei gelbem nicht blinkendem Licht verstoßender Verkehrsteilnehmer für sich keinen Vorrang in Anspruch nehmen. Es sei daher zunächst zu untersuchen, ob der Kläger rechtmäßig in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Nach § 38 Abs 1 StVO gelte gelbes nicht blinkendes Licht grundsätzlich als Zeichen für „Halt“. Gegen dieses Gebot habe der Kläger verstoßen, weil er rund 1 1/2 Sekunden nach dem Aufleuchten des Gelblichtes in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Es wäre seine Sache gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß ihm - ausnahmsweise - nach § 38 Abs 2 StVO ein Weiterfahren bei Gelblicht erlaubt gewesen sei. Derartige Behauptungen fehlten. Die getroffenen Feststellungen ließen deutlich erkennen, daß der Kläger die Ausnahmsbestimmung des § 38 Abs 2 zweiter Satz StVO für sich nicht in Anspruch nehmen könne. Aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen des § 38 Abs 1, Abs 2 und Abs 6 StVO ergebe sich, daß Fahrzeuglenker, die bei Beginn des blinkenden Grünlichtes noch so weit entfernt seien, daß sie bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit während dieser Lichtphase nicht mehr in die Kreuzung einfahren könnten, ihre Geschwindigkeit so rechtzeitig herabsetzen müßten, daß sie ohne jähes Bremsen vor der Kreuzung anhalten könnten. Aus der rechtserheblichen Information des Grünblinkens sei abzuleiten, daß dem Fahrzeuglenker ab dem Aufleuchten des Gelblichtes nicht mehr der gesamte Anhalteweg zuzubilligen sei. Es müsse vielmehr dem Verkehrsteilnehmer zugemutet werden, abschätzen zu können, ob er die Kreuzung noch während der 4 Sekunden dauernden Grünblinkphase erreichen werde. Nur geringfügige Fehleinschätzungen seien hier zu tolerieren. Da im vorliegenden Fall das Gelblicht bereits eingesetzt habe, als sich der mit 50 km/h fahrende Kläger noch 19 m vor dem Beginn der Kreuzung befunden habe, könne von einer geringfügigen Fehleinschätzung nicht mehr gesprochen werden. Dem Kläger wäre es sogar möglich gewesen, ohne voraussehende Fahrweise sein Fahrzeug vor der Kreuzung anzuhalten, als das Gelblicht aufgeleuchtet habe. Es könne ihm, weil er durch das Grünblinken entsprechend informiert gewesen sei, eine Reaktionszeit nicht mehr zugebilligt werden; zur Reaktion habe das 4 Sekunden dauernde Grünblinken genügend Zeit geboten. Daß nur eine starke Bremsung ein Anhalten vor der Kreuzung gewährleistet hätte, ändere daran nichts, weil das Gesetz von einem „sicheren“ Anhalten spreche und – wenn dies möglich sei – dem Verkehrsteilnehmer schlechthin das Anhalten gebiete, ohne die Bremsintensität zu erwähnen. Davon abgesehen aber sei es für den Kläger gar nicht notwendig gewesen, bei der gebotenen vorausschauenden Fahrweise sein Fahrzeug scharf abzubremsen. Bei Beginn des Grünblinkens habe er sich bei seiner Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h fast 75 m vor der Kreuzung befunden, was ihm bei richtiger Einschätzung der Situation ein Anhalten bei nur geringer Bremsintensität ermöglicht hätte. Da es dem Kläger somit möglich gewesen wäre, bei richtiger Beurteilung der Verkehrslage sicher vor der Kreuzung anzuhalten, widerspreche seine Weiterfahrt dem Gebot des § 38 Abs 1 StVO, sodaß er gegenüber der Zweitbeklagten nicht im Vorrang nach § 38 Abs 2 dritter Satz StVO gewesen sei. Die Bestimmungen des § 19 StVO kämen auf einer geregelten Kreuzung nicht zur Anwendung.

Demgegenüber sei die Zweitbeklagte wegen des Linkseinbiegezeichens gar nicht dazu verhalten gewesen, den Gegenverkehr zu beobachten; vielmehr habe sie annehmen können, daß die von ihr gewählte Fahrlinie von keinem anderen Verkehrsteilnehmer gekreuzt werde. Sie habe ihre Aufmerksamkeit ohne weiteres in die von ihr gewählte Fahrtrichtung lenken dürfen. Ein meßbarer Aufmerksamkeitsfehler sei ihr daher nicht anzulasten. Die Zweitbeklagte sei erlaubterweise nach links eingebogen, wogegen der Kläger die Kreuzung verbotswidrig befahren habe. Das Alleinverschulden treffe daher den Kläger, weshalb das Klagebegehren abzuweisen sei.

Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Frage, ob dem Kläger der Vorrang zukomme, in der Rechtsprechung nicht einheitlich gelöst werde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der „unrichtigen rechtlichen Beurteilung“ mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern.

Die Beklagten haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision des Klägers ist zulässig. Bei der Frage, ob unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen dem Kläger gegenüber der Zweitbeklagten im Sinne der Vorschriften des § 38 StVO der Vorrang zukam, handelt es sich um eine Rechtsfrage der im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO bezeichneten Art.

Die Revision ist auch sachlich teilweise berechtigt.

Da es sich im vorliegenden Fall um eine durch Lichtzeichen geregelte Kreuzung handelt, sind bei der Beurteilung des Fahrverhaltens der beteiligten Lenker nicht die Bestimmungen über den Vorrang nach § 19 StVO, sondern jene Vorschriften anzuwenden, die sich aus § 38 StVO ergeben.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen fuhr die Zweitbeklagte bei Grünlicht in die Kreuzung ein; 0,7 Sekunden vor dem Kontakt leuchtete (30 Sekunden nach Beginn des Dauergrüns) in ihrer Fahrtrichtung der grüne Linksabbiegepfeil auf.

Gemäß § 38 Abs 4 StVO gilt grünes Licht als Zeichen für „Freie Fahrt“. Bei diesem Zeichen haben die Lenker von Fahrzeugen, wenn es die Verkehrslage zuläßt, weiterzufahren oder einzubiegen. Beim Einbiegen nach links ist den entgegenkommenden geradeausfahrenden sowie den entgegenkommenden nach rechts einbiegenden Fahrzeugen der Vorrang zu geben.

Gemäß § 38 Abs 7 StVO gelten leuchtende grüne Pfeile als Zeichen für „Freie Fahrt“ im Sinne des grünen Lichtes; die Pfeilspitzen zeigen jeweils die Richtung an, für welche diese Zeichen gelten. Wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, dem grün leuchtenden Abbiegepfeil im Sinne dieser Gesetzesstelle eine andere Verkehrsbedeutung zuzumessen als dem allgemeinen Lichtzeichen des Grünlichtes im Sinne des § 38 Abs 4 StVO, wäre der Hinweis im § 38 Abs 7 StVO, daß das hier erwähnte Lichtsignal als Zeichen für „Freie Fahrt“ im Sinne des Grünlichtes gelte, nicht verständlich. Aus diesem Hinweis ergibt sich vielmehr eindeutig, daß ein Abbiegepfeil im Sinne des § 38 Abs 7 StVO sich von sonstigen Lichtzeichen dadurch unterscheidet, daß er nur eine bestimmte Richtung anzeigt, für welche er gilt, daß er aber das Zeichen für „Freie Fahrt“ in der angezeigten Richtung nur insoweit zum Ausdruck bringt, wie es ansonsten durch eine Grünlicht zeigende Verkehrslichtsignalanlage zum Ausdruck gebracht würde (§ 38 Abs 4 StVO). Ein leuchtender grüner nach links weisender Pfeil enthält daher kein unbedingtes Gebot, nach links einzubiegen; es ist vielmehr auch bei einem solchen Lichtzeichen im Sinne des § 38 Abs 4 StVO beim Einbiegen nach links den entgegenkommenden geradeaus fahrenden und nach rechts einbiegenden Fahrzeugen der Vorrang zu geben (ZVR 1983/337).

Die Frage, ob im Falle des § 38 Abs 4 StVO am Vorrang des entgegenkommenden Geradeausfahrenden gegenüber dem Linksabbieger zu zweifeln ist, weil er unberechtigt in die Kreuzung einfuhr, stellt sich nicht, wenn die Grünphase in beiden Fahrtrichtungen übereinstimmt; sie kann nur dann aktuell werden, wenn, wie im vorliegenden Fall, eine sogenannte versetzte Grünphase vorliegt, derzufolge die Zweitbeklagte ihr gesamtes Linksabbiegemanöver bis zum Kontakt bei Grünlicht in ihrer Fahrtrichtung durchführte, während der entgegenkommende Kläger bei in seiner Fahrtrichtung geltendem Gelblicht in die Kreuzung einfuhr.

In einem solchen Fall muß wegen des gleichen Regelungszweckes von den gleichen Erwägungen ausgegangen werden, wie sie in der Rechtsprechung in Ansehung der im § 38 Abs 2 dritter Satz StVO getroffenen Vorrangregelung angestellt wurden.

In ständiger Rechtsprechung des OGH wurde die Ansicht vertreten, daß diese Vorrangregel gegenüber entgegenkommenden Fahrzeugen ohne Unterschied gilt, mögen sie zu Recht oder zu Unrecht (wenn sie noch vor der Kreuzung angehalten hätten werden können) in die Kreuzung eingefahren sein (ZVR 1974/213; ZVR 1977/162; ZVR 1979/166; ZVR 1980/12; 8 Ob 222/81; ZVR 1983/266 ua; so auch Dittrich-Veit-Schuchlenz StVO3 § 38 Abs 2 Rdz. 18). Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß Vorrangregeln, die zu den Grundpfeilern der Verkehrsregelung zählen, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, so eindeutig und so klar sein müssen, daß im Einzelfall sofort überschaubar ist, wer den Vorrang in Anspruch nehmen darf. Diesem Erfordernis entspricht eine Auslegung, die die im § 38 Abs 2 dritter Satz StVO getroffene Regelung des Vorranges nur auf entgegenkommende oder nach rechts abbiegende Fahrzeuge bezieht, deren Lenker berechtigt in die Kreuzung eingefahren sind, nicht. Der Linksabbieger, der die Geschwindigkeit des entgegenkommenden Fahrzeuges nur schwer abzuschätzen vermag und keine Möglichkeit hat, die für den Entgegenkommenden geltenden Lichtsignale zu beobachten und zu beurteilen, kann nicht ohne weiteres beurteilen, ob der entgegenkommende Verkehrsteilnehmer berechtigt in die Kreuzung einfährt oder nicht; es würde Unfälle auf lichtgeregelten Kreuzungen geradezu herausfordern, wenn dem Linksabbieger, der meint, der Entgegenkommende sei zu Unrecht auf die Kreuzung gelangt, nunmehr gegenüber dem Entgegenkommenden der Vorrang zustehen sollte.

Nur in der in ZVR 1984/115 veröffentlichten Entscheidung des OGH wurde die Rechtsansicht vertreten, daß ein Fahrzeuglenker, der unberechtigt bei Gelblicht in die Kreuzung einfuhr, weil ihm bei richtiger Beurteilung der Verkehrslage ein sicheres Anhalten (§ 38 Abs 2 zweiter Satz StVO) vor der Kreuzung möglich gewesen wäre, gegenüber dem entgegenkommenden Linksabbieger nicht den Vorrang im Sinne des § 38 Abs 2 dritter Satz StVO in Anspruch nehmen könne, weil er unzulässigerweise in die Kreuzung eingefahren sei. Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß ein bei Rotlicht in die Kreuzung einfahrender Verkehrsteilnehmer keinen Vorrang in Anspruch nehmen könne, weil dies voraussetzen würde, daß der Lenker die Möglichkeit zum zulässigen Weiterfahren hatte (ZVR 1980/131). In gleicher Weise bestimme aber § 38 Abs 1 StVO, daß gelbes nicht blinkendes Licht als Zeichen für „Halt“ gelte und die Lenker herannahender Fahrzeuge auch bei diesem Zeichen anzuhalten hätten. Nur solche Fahrzeuglenker, denen ein sicheres Anhalten nach § 38 Abs 1 StVO nicht mehr möglich sei, hätten nach § 38 Abs 2 zweiter Satz StVO weiterzufahren.

Dieser bisher vereinzelt gebliebenen Entscheidung ist entgegenzusetzen, daß es dahingestellt bleiben kann, was rechtens wäre, wenn der geradeaus fahrende Fahrzeuglenker bei Rotlicht in die Kreuzung einfährt (siehe dazu ZVR 1980/131); im vorliegenden Fall ist der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen bei Gelblicht in die Kreuzung eingefahren. Nun ist das Einfahren in die Kreuzung bei Gelblicht unter Umständen, deren Vorliegen der entgegenkommende Linksabbieger nicht verläßlich beurteilen kann, zulässig (§ 38 Abs 2 zweiter Satz StVO). Mit den oben wiedergegebenen überzeugend scheinenden Argumenten, mit denen die dargestellte ständige Rechtsprechung des OGH begründet wurde, setzt sich diese vereinzelt abweichende Entscheidung nicht auseinander. Das Gesetz selbst unterscheidet im § 38 Abs 2 dritter Satz StVO nicht zwischen berechtigt und unberechtigt in die Kreuzung eingefahrenen Fahrzeugen. Der erkennende Senat vermag daher dieser vereinzelt gebliebenen Entscheidung nicht zu folgen und vertritt im Sinne der dargestellten ständigen Judikatur die Rechtsansicht, daß die Vorrangregel des § 38 Abs 2 dritter Satz StVO gegenüber entgegenkommenden Fahrzeugen ohne Rücksicht darauf gilt, ob diese bei Gelblicht berechtigt oder unberechtigt in die Kreuzung eingefahren sind.

Die gleichen Erwägungen haben auch im vorliegenden der Vorschrift des § 38 Abs 4 StVO zu unterstellenden Fall zu gelten, weil diese Vorschrift den gleichen Regelungszweck verfolgt. Auch hier kam daher im Sinne dieser Gesetzesstelle dem geradeaus fahrenden Kläger gegenüber der linksabbiegenden Zweitbeklagten der Vorrang zu, obwohl der Kläger bei für ihn geltendem Gelblicht in die Kreuzung einfuhr.

Diesen dem Kläger zustehenden Vorrang hat die Zweitbeklagte verletzt, indem sie ohne Beachtung und ohne Wahrnehmung des Gegenverkehrs ihr Linksabbiegemanöver durchführte.

Aber auch den Kläger trifft ein Mitverschulden, weil er entgegen der Vorschrift des § 38 Abs 1 StVO in die Kreuzung einfuhr. Fahrzeuglenker, die sich bei grünblinkendem Licht einer Kreuzung nähern, müssen zufolge des dadurch angekündigten unmittelbar bevorstehenden Endes des Zeichens „Freie Fahrt“ (§ 38 Abs 6 StVO) erhöhte Vorsicht anwenden, um noch vor der Kreuzung anhalten zu können, wenn sie bei Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit nicht mehr bei Grünlicht in die Kreuzung einfahren können (ZVR 1980/12; ZVR 1983/266 ua.). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger bei Beginn des Grünblinkens noch fast 75 m von der vor der Kreuzung angebrachten Haltelinie entfernt; er wäre daher bei gehöriger Aufmerksamkeit und pflichtgemäßer Beobachtung des der Gelbphase in seiner Fahrtrichtung vorangehenden grünblinkenden Lichtes (siehe dazu ZVR 1974/213; ZVR 1976/44; ZVR 1980/12; 8 Ob 112/81; ZVR 1983/266 ua.) in der Lage gewesen, sein Fahrzeug bei der von ihm eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit von rund 50 km/h rechtzeitig vor der Kreuzung ohne jähes Bremsen anzuhalten. Unter diesen Umständen ist dem Kläger ein Mitverschulden an dem eingetretenen Unfall anzulasten, weil er entgegen der Vorschrift des § 38 Abs 1 StVO seinen PKW nicht vor der Kreuzung anhielt.

Da die der Zweitbeklagten anzulastende Vorrangverletzung schwerer wiegt als der dem Kläger vorzuwerfende Verstoß gegen § 38 Abs 1 StVO, erscheint im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Beklagten gerechtfertigt (vgl. ZVR 1977/162; ZVR 1979/166; ZVR 1983/266 ua.).

Es war daher in teilweise Stattgebung der Revision des Klägers wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte