OGH 3Ob43/85

OGH3Ob43/858.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei A, Schottengasse 6, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Ernst Fasan, Dr. Wolfgang Weinwurm und Dr. Erwin Larenz, Rechtsanwälte in Neunkirchen, wider die verpflichtete Partei Hans B, Kaufmann, Marxergasse 20/6, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 70.000,- samt Anhang, infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgerichtes vom 18.Mai 1985, GZ R 63/85-62, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 15. Jänner 1985, GZ E 26/83-58, abgeändert wurde, folgenden Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß des Rekursgerichtes wird in seinem stattgebenden Teil dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die Buchberechtigte Klara Luise B ist schuldig, der betreibenden Partei die mit S 4.843,80 (darin S 385,80 Umsatzsteuer und S 600,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Der betreibenden Bank wurde zur Hereinbringung einer vollstreckbaren Forderung von S 70.000,- samt Zinsen und Kosten die Exekution durch Zwangsversteigerung der Liegenschaft EZ 54 in der Katastralgemeinde Gloggnitz mit einem Geschäfts- und Wohnhaus im Ortszentrum bewilligt. Ihren Höchstbetragspfandrechten C 167 und D 171 bis zu S 1,020.000,- und S 300.000,- und ihrem Pfandrecht C 196 für die Forderung von S 850.000,-

geht die in C 160 lit b auf Grund des Schenkungsvertrages vom 28.6.1969

zugunsten und auf Lebensdauer der Mutter des Verpflichteten Klara Luise B einverleibte Reallast der Wartung und Pflege im Falle der Krankheit und Gebrechlichkeit, darunter auch das Reinigen der Wohnung, sowie ihrer Wäsche und Kleidung, die Herbeiholung des Arztes und der erforderlichen Medikamente und die Zubereitung der ihrem jeweiligen Gesundheitszustand entsprechenden Kost (Vertragspunkt Zweitens lit b des Notariatsaktes 2102 vom 28.6.1969) im Range vor. Diese Reallast wird vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen sein (§ 150 Abs 1 Fall 1 EO). Bei der Schätzung wurde der Wert der Liegenschaft ohne die sie belastenden Dienstbarkeiten und Ausgedinge mit S 1,201.778,- und bei deren Aufrechterhaltung mit S 1,147.014,- angegeben, weil für ein Wohnrecht der Mutter des Verpflichteten ein Wert von S 10.757,43 und für die Reallast der Wartung und Pflege unter Zugrundelegung, daß die damals 77-jährige Berechtigte die Hälfte der Zeit der statistischen Lebenserwartung von 6.2689 Jahren Leistungen mit einem Wochenaufwand von S 260,- in Anspruch nehmen werde, ein Wert von S 44.007,- angesetzt wurden.

Gegen den am 4.11.1983 mit S 1,147.014,- bekanntgegebenen Betrag des Schätzungswertes erhoben der Verpflichtete und die Reallastberechtigte ihre Einwendungen. Das Erstgericht sprach hierauf aus, daß die bücherlichen Rechte der Mutter des Verpflichteten als gegenstandslos anzusehen seien, weil das Wohnungsrecht nur an nicht ausgebauten Mansardenräumen eingeräumt wurde und mit der Reallast der Wartung und Pflege eine Einheit bilde. Es setzte den Schätzwert endgültig mit S 1,201.788,- fest. Das Rekursgericht bestätigte den Ausspruch insoweit, daß die Dienstbarkeit der Wohnung als gegenstandslos zu betrachten sei, hob aber den erstgerichtlichen Beschluß in seinem Ausspruch über die Reallast der Wartung und Pflege und die Schätzwertbestimmung auf. Es trug die neue Entscheidung über die Einwendungen der Buchberechtigten auf. Der Oberste Gerichtshof gab dem von der betreibenden Partei gegen diesen aufhebenden Teil der Rekursentscheidung erhobenen Rekurs mit dem Beschluß vom 11.4.1984, GZ 3 Ob 39/84-40, nicht Folge und teilte die Rechtsansicht, daß die der betreibenden Partei im Rang vorgehende Reallast bei der Ermittlung des Schätzungswertes der Liegenschaft Berücksichtigung finden müsse.

Das Erstgericht holte nun das Gutachten eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Innere Medizin ein. Dieser führte aus, die am 14.2.1906 geborene Reallastberechtigte befinde sich in einem ihrem Alter entsprechenden ausgezeichneten Gesundheitszustand, der ihr eine für das Greisenalter nicht allgemein übliche Vitalität verleihe. Der Fall der Krankheit und Gebrechlichkeit sei noch nicht eingetreten, sie sei rüstig und eine wesentliche Erkrankung sei nicht erkennbar. Die statistische Lebenserwartung betrage sieben Jahre. Nach den Erfahrungen bei der Aufnahme voll pflegebedürftiger alter Menschen in den Pflegeheimen Baumgarten und Lainz in Wien, die mit einem Gesamtpflegesatz von S 340,- pro Aufenthaltstag das Auslagen fänden, ergebe sich eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer bis zum Ableben von eineinhalb Jahren. Es sei also zu erwarten, daß selbst bei bester ärztlicher Versorgung nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit nur mehr eine Lebensdauer von eineinhalb Jahren folge. Die Kosten einer täglichen zehnstündigen Anwesenheit einer diplomierten Krankenschwester seien nach heutigen Stundensätzen mit etwa S 820.000,- zu veranschlagen, die zusätzlich auflaufenden Kosten einer Haushaltshilfe von 3 Wochenstunden in den nächsten drei Jahren mit S 46.800,-, 6 Wochenstunden in den folgenden zweieinhalb Jahren mit rund S 78.000,- und in den letzten eineinhalb Jahren bei 2 Stunden täglicher Arbeitszeit mit rund S 109.200,-, zusammen S 234.000,- anzunehmen.

Der Gutachter betonte, daß seine globale Einschätzung am mittleren bis oberen Rand der heute bekannten Realität und Erfahrung erfolgte und allgemeine Erfahrungswerte in der Pflege und Erkrankungshäufigkeit hochbetagter Menschen unter Bedachtnahme auf die konkreten Verhältnisse der Reallastberechtigten zu den angeführten Fiktionen berechtigten.

Das Erstgericht gab darauf den Einwendungen der Reallastberechtigten gegen den mit S 1,147.014,- vorläufig bekanntgegebenen Schätzwert der Liegenschaft teilweise Folge und setzte den Schätzwert bei Aufrechterhaltung der sie belastenden Reallast der Wartung und Pflege im Fall der Krankheit und Gebrechlichkeit nach Punkt Zweitens des notariellen Schenkungsvertrages vom 28.6.1969 endgültig mit S 781.598,- fest. Der Wert der Reallast sei mit dem Aufwand für die stundenweise benötigte Haushaltshilfskraft mit dem vom Sachverständigen angegebenen Betrag von S 234.200,- (dabei wurde ein Rechenfehler bei der letzten Position 'S 109.200' berücksichtigt, nämlich S 109.400 in Rechnung gestellt) und dem Aufwand der Unterbringung im geriatrischen Spital für eineinhalb Jahre voller Pflegebedürftigkeit von S 185.980,-, zusammen S 420.180,- anzusetzen und vom Schätzwert der Liegenschaft ohne Belastung von S 1,201.778,-

in Abzug zu bringen.

Die Reallastberechtigte erhob Rekurs. Der Wert der ihr zustehenden Reallast sei mit S 1,276.250,- anzunehmen, weil sie einen Anspruch auf Wartung und Pflege in ihrer Wohnung und daher auf Ersatz des Aufwandes für die diplomierte Krankenschwester von S 820.500,- und für Kosten der Haushaltshilfe von S 455.750,- (7 Wochenstunden in den ersten drei Jahren, 14 Wochenstunden in den folgenden zweieinhalb Jahren und 21 Wochenstunden in den letzten eineinhalb Jahren) habe. Der Schätzungswert der Liegenschaft sei daher mit S 1,- festzusetzen.

Das Rekursgericht gab diesem Rekurs teilweise Folge. Es änderte den erstgerichtlichen Beschluß ab und setzte den Schätzwert der Liegenschaft unter Berücksichtigung der vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmenden Reallast der Wartung und Pflege C 160 lit b mit S 146.978,-

fest. Das Rekursgericht meinte, es begründe keine Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens, daß vor der endgültigen Schätzwertbestimmung keine weitere Verhandlung stattgefunden habe und es sei auch der Aufwand für die Hilfskraft zur Bewältigung der reinen Hausarbeiten mit S 234.300,-

(neuerlich um S 100,- berichtigt) angemessen geschätzt, doch habe die Reallastberechtigte Anspruch auf Wartung und Pflege in ihrer Wohnung. Sie brauche sich daher bei voller Pflegebedürftigkeit nicht auf die Betreuung in einem Pflegeheim verweisen lassen. Der Wert der Reallast sei daher mit S 1,054.800,- zu veranschlagen, der sich aus den Kosten der Haushaltshilfe von S 234.300,- und den mit S 820.500,- veranschlagten Kosten der Beiziehung einer Diplomkkrankenschwester für die Dauer der erwarteten vollen Pflegebedürftigkeit ergebe.

Die betreibende Partei bekämpft den abändernden Teil der Rekursentscheidung mit ihrem Revisionsrekurs. Sie beantragt, den Beschluß der zweiten Instanz dahin abzuändern, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig. Der Streitgegenstand, über den das Rekursgericht entschieden hat, übersteigt S 300.000,-. Die Reallastberechtigte hat in dem Streit um den Betrag, mit welchem der Schätzungswert der Liegenschaft endgültig bestimmt wurde (§ 31 Abs 2 RealSchO; Heller-Berger-Stix 1155 f), die Abänderung um den Betrag von S 781.597,- begehrt. Dieser Streitgegenstand und nicht etwa die S 300.000,- nicht übersteigende betriebende Forderung war Gegenstand der Entscheidung des Rekursgerichtes. Die betriebene Forderung und damit der Beschwerdegegenstand übersteigt aber jedenfalls S 15.000,-

. Der Revisionsrekurs der betreibenden Partei ist daher nicht nach § 528 Abs 1 ZPO unzulässig und ohne Beschränkung nach § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 502 Abs 4 Z 2 ZPO zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Der Ersteher wird die verbücherte Reallast, der der Vorrang vor dem Befriedigungs- und Pfandrecht der betreibenden Partei zukommt, wenn nicht der Richter mit Zustimmung der Berechtigten etwas anderes feststellt, ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen haben (§ 150 Abs 1 EO). Die Last bleibt dann auch nach Erteilung des Zuschlages in vollem Umfang aufrecht. Der Ersteher hat die durch die bücherliche Einverleibung und den zugrunde liegenden Vertrag bestimmten Leistungen ungeschmälert zu erbringen. Die Rechte des Reallastberechtigten werden durch die übernahme der Last nicht verändert (§ 1407 Abs 1 ABGB). Es ist das Risiko des Erstehers, welche Verpflichtungen ihn danach treffen, und dieses Risiko ist bei der Ausformung der Rechte der Reallastberechtigten auf Wartung und Pflege nur im Falle der Krankheit und Gebrechlichkeit, die zur Zeit noch nicht eingetreten ist, besonders unüberschaubar und unberechenbar. Zutreffend hat der ärztliche Sachverständige darauf hingewiesen, daß es sich bei seinen Annahmen um nur durch Erfahrungswerte bestimmte Fiktionen handelt, denn die Dauer einer mit mehr Einsatz und Aufwand verbundenen vollständigen Wartung und Pflege bei Gebrechlichkeit kann das geschätzte Ausmaß beträchtlich übersteigen aber auch unterschreiten. Die Annahme, der Reallastberechtigten stehe die Beschäftigung einer diplomierten Krankenschwester mit 10 Stunden täglicher Arbeitszeit zu, wenn sie zum Pflegefall wird, läßt sich aus dem der bücherlichen Einverleibung des Rechtes zugrunde liegenden Schenkungsvertrag nicht entnehmen. Die Geschenkgeberin hat sich dort neben dem Wohnungsrecht, das zufolge bereits rechtskräftiger Entscheidung in diesem Exekutionsverfahren nicht mehr zu beachten sein wird, auf Lebenszeit (nur) im Fall der Krankheit und Gebrechlichkeit die vollständige Wartung und Pflege, darunter auch das Reinigen der Wohnung, Wäsche und Kleidung, die Herbeiholung des Arztes und notwendiger Medikamente und die bloße Zubereitung (nicht Beistellung) der ihrem jeweiligen Gesundheitszustand entsprechenden Kost ausbedungen. Diese Ansprüche sind vom Ersteher wie vom ursprünglichen Vertragspartner zu erfüllen (§ 5 GBG), hier allerdings mit der Erschwernis, daß ohne neue übereinkunft das Wohnen der Berechtigten im Haus nicht gesichert bleibt. Die nach Inhalt des Vertrages zu erbringenden Leistungen setzen nun üblicherweise nicht die Ausbildung zum diplomierten Krankenpfleger voraus. Eine über die Ansprüche hinausgehende Notwendigkeit fachkundiger gesundheitlicher Betreuung wird daher entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes doch nur in einer Krankenanstalt oder einem geriatrischen Krankenhaus gesichert werden können, weil es nicht anders der Fall wäre, wenn der Verpflichtete die im Vertrag eingeräumten Ansprüche erfüllen müßte (zumindest läßt sich aus dem im Versteigerungsverfahren maßgebenden verbücherten Recht nichts anderes ableiten).

Die in Ausführung des § 144 Abs 2 EO ergangene Bestimmung des § 21 RealSchO sieht an sich eine dreifache Bewertung vor, daß zunächst der Wert der Liegenschaft bei Aufrechterhaltung der Dienstbarkeiten, Bestandrechten, Ausgedinge und andere Reallasten, dann der Liegenschaft ohne diese Lasten und schließlich der den Lasten entsprechende Kapitalisierungswert im Schätzungsprotokoll angegeben wird. Wenn die Reallast der Wartung und Pflege vom Ersteher ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen sein wird, kommt es jedoch bei der Ermittlung des der Versteigerung zugrunde zu legenden Schätzungswertes der Liegenschaft nur darauf an, welchen Verkehrwert diese hat, wenn die Belastung aufrecht bleibt. Dabei ist es Sinn und Zweck des Exekutionsverfahrens, daß einerseits die Versteigerung wirklich durchgeführt wird und ein Erlös zur Befriedigung der Gläubiger erzielt wird; andererseits soll der Schätzwert nicht so niedrig bestimmt werden, daß eine Wertverschleuderung stattfindet und die Interessen des Verpflichteten aber auch in schlechterem Rang stehender Gläubiger verletzt werden (Heller-Berger-Stix 1143 f). Die Vorschrift des § 30 RealSchO bietet also dem richterlichen Ermessen einen entsprechenden Spielraum (Heller-Berger-Stix 1143; MietSlg 33.703).

Bei der Unabsehbarkeit der tatsächlich mit der übernahme der verbücherten Reallast verbundenen Pflichten ist unter Berücksichtigung, daß die Beiziehung einer diplomierten Krankenpflegerin nach dem maßgebenden Inhalt der bücherlichen Eintragung (§ 5 GBG) nicht zu den Rechten der Reallastberechtigten zählt, der vom Erstgericht endgültig genannte Schätzwert der Liegenschaft bei Aufrechterhaltung der Reallast angemessen. Demzufolge war der Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Rechtsstellung der Reallastberechtigten wird, wenn der Ersteher gemäß § 150 Abs 1 EO die Last ohne Anrechnung auf das Meistbot zu übernehmen haben wird, dadurch nicht beeinträchtigt. Es wird allerdings den Kaufinteressenten klar sein müssen, daß der Ersteher das Risiko der Auseinandersetzung mit der Reallastberechtigten tragen muß, wenn ihm die Liegenschaft zugeschlagen wird (faktisch wird sich erst bei der Versteigerung der 'wahre Preis' einer solchen mit der Reallast der Wartung und Pflege belasteten Liegenschaft oder aber herausstellen, daß dadurch - solange das bücherliche Recht aufrecht besteht - eine so weitgehende Entwertung der Liegenschaft eintritt, daß die betreibende Partei mit der Verwertung ihres Pfandrechtes besser zugewartet hätte).

Die Reallastberechtigte hat die durch ihre Rekurserhebung im Zwischenstreit um die Schätzwertfestsetzung ausgelösten Kosten des Revisionsrekurses der betreibenden Partei nach § 78 EO und den §§ 41 und 50 ZPO zu ersetzen.

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