OGH 7Ob527/85

OGH7Ob527/8518.4.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Direktion für Österreich, Wien 4., Prinz-Eugenstraße 8-10, vertreten durch Dr. Gerhard Horak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C IN W*** D***, Wien 9., Kolingasse 13, vertreten durch Dr. Helmut Petsch, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1,482.077,30 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 30.November 1984, GZ 3 R 207/84-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 1.Juni 1984, GZ 18 Cg 85/83-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 18.629,72 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 2.400 S Barauslagen und 1.475,56 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die G H I J K L Aktiengesellschaft (im folgenden nur I) importierte unter anderem auch im Jahre 1982 PKWs der Marke Lada aus der UdSSR. Die Fahrzeuge wurden auf dem Transport erheblich beschädigt. Der Transport erfolgte ab Tolyjatti mit der Eisenbahn über Ungarn nach Österreich. Der Beförderung lag der Internationale Eisenbahn-Gütertarif Österreich-UdSSR (M) zugrunde, der für die direkte Beförderung der Güter zwischen den Bahnhöfen der Union der Sozialistischen Sowjetrepublik und den Bahnhöfen der österreichischen Eisenbahnen im Durchgangsverkehr unter anderem über die Strecken der Ungarischen Volksrepublik gilt (Art 1). Soweit in diesem Tarif keine Bestimmungen getroffen sind, finden die für den Eisenbahnbinnengüterverkehr des jeweiligen Staates geltenden Rechtsvorschriften und Tarife Anwendung (Art 2). Von den österreichischen Eisenbahnen nehmen an diesem Tarif unter anderem die Österreichischen Bundesbahnen und die beklagte Partei teil. Der Absender hat bei der Auslieferung des Gutes für jede Sendung dem Versandbahnhof einen Frachtbrief zu übergeben, der unter anderem die Bestimmungsbahn, den Bestimmungsbahnhof und den Empfänger enthalten muß (Art 6). Dem Absender und dem Empfänger steht das Recht auf Abänderung des Frachtvertrages in dem in Art 18 näher bezeichneten Umfang zu. Danach kann der Absender unter anderem verfügen, daß das Gut im Bestimmungsstaat nach einem anderen als dem im Frachtbrief angegebenen Bestimmungsbahnhof befördert werden soll, der Empfänger kann verfügen, daß das Gut im Bestimmungsstaat in einem anderen als dem im Frachtbrief angegebenen Bestimmungsbahnhof abgeliefert werden soll (Art 18 § 2 Z 3 und § 13 Z 1). Der Absender hat eine nachträgliche Änderung dem Versandbahnhof, der Empfänger dem Bestimmungsbahnhof oder dem Grenzeintrittsbahnhof im Bestimmungsstaat zu erteilen. Die Eisnbahn haftet für die überschreitung der Lieferfrist und für Schäden, die durch gänzlichen oder teilweisen Verlust oder durch Beschädigung des Gutes in der Zeit von der Annahme zur Beförderung bis zur Ablieferung des Gutes entstehen (Art 20 § 1). Nach Art 27 stehen andere Ansprüche gegen die Eisenbahn auf Grund des Frachtvertrages als Ansprüche auf Erstattung von Beträgen, die auf Grund des Frachtvertrages gezahlt worden sind, dem Empfänger zu, wenn er in den Frachtvertrag eingetreten ist, andernfalls dem Absender. Die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche aus dem Frachtvertrag kann vom Absender nur gegen die Versandbahn und vom Empfänger nur gegen die Bestimmungsbahn erfolgen, und zwar vor dem zuständigen Gericht des Staates, dem die betreffende Eisenbahn angehört. Ein Dritter kann eine Klage nur einreichen, wenn er nach den Rechtsvorschriften und Bestimmungen des Staates, gegen dessen Eisenbahn der Anspruch geltend gemacht wird, hiezu berechtigt ist (Art 29). Nach dem für die Sendung im Jahre 1982 ausgestellten Frachtbrief (M-Frachtbrief) sind Versandbahn die Sowjetischen Staatsbahnen und Bestimmungsbahn die Österreichischen Bundesbahnen. Versandbahnhof ist Tolyatti, Bestimmungsbahnhof Wulkaprodersdorf. Empfänger ist die I. Die im M-Frachtbrief vorgesehene Rubrik Tagesstempel des Bestimmungsbahnhofes trägt die Stampiglie der beklagten Partei (Beilage E).

Die klagende Partei hat der I die in der Zeit vom 20.Juli 1982 bis 23. September 1982 eingetretenen Transportschäden von 1,482.077,30 S im Rahmen einer Transportschadenversicherung ersetzt und begehrt unter ausschließlicher Berufung auf die Haftungsbestimmungen des M von der beklagten Partei deren Ersatz. Die I habe ihr ihre Ansprüche abgetreten. Die beklagte Partei habe die Sendung samt Frachtbrief am Bestimmungsbahnhof Wulkaprodersdorf übernommen. Sie sei damit in den Frachtvertrag eingetreten und hafte solidarisch mit den anderen an der Beförderung beteiligten Bahnen. Die beklagte Partei sei auch die Bestimmungsbahn. Es seien auch schon bei den früheren Eisenbahntransporten von PKWs der Marke Lada aus der UdSSR für die I erhebliche Schäden an der Sendung aufgetreten. Dies sei allen Beteiligten, auch der beklagten Partei, bekannt gewesen. Die beklagte Partei wäre daher verpflichtet gewesen, Tatbestandsaufnahmen durchzuführen.

Die beklagte Partei bestreitet unter anderem unter Hinweis auf Art 29 M ihre passive Legitimation.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen wurde die Sendung in der UdSSR mit dem nach den Bestimmungen des M ausgestellten Frachtbrief aufgegeben. Eine solche Aufgabe ist nur möglich, wenn als Bestimmungsort eine österreichische Bahnstation angegeben ist. Die beklagte Partei übernahm die Sendung in Raab. Sie führte den Transport demnach nicht nur auf der österreichischen Strecke, sondern zum Teil schon in Ungarn durch. Für die Strecke von Sopron bis Schwertberg wurde ein CIM Frachtbrief ausgestellt. Danach ist Versandbahnhof Sopron, Bestimmungsbahnhof Schwertberg, Absender die Firma N und Empfänger die Spedition O GesmbH zur Verfügung der I. Die Ausstellung des CIM-Frachtbriefes für die Strecke von Sopron bis Schwertberg anstelle der Strecke Wulkaprodersdorf-Schwertberg erfolgte auf Ersuchen des österreichischen Spediteurs, weil sonst nach dem Tarif höhere Kosten entstanden wären. Der M-Frachtbrief wurde in Sopron von der Sendung getrennt und mit der Post nach Wulkaprodersdorf geschickt. Ab Sopron wurde die Sendung vom CIM-Frachtbrief begleitet. Für die Strecke Sopron-Wulkaprodersdorf wurde auf Grund des M-Frachtbriefes keine Fracht verrechnet. Nach Art 17 der Dienstvorschrift zum M haftet die Eisenbahn, die das Gut mit dem Frachtbrief zur Beförderung übernommen hat, für die Ausführung der Beförderung auf der ganzen Strecke bis zur Ablieferung des Gutes im Bestimmungsbahnhof. Jede folgende Eisenbahn tritt dadurch, daß sie das Gut mit dem Frachtbrief übernimmt, in den Frachtvertrag nach Maßgabe des Frachtbriefes ein und übernimmt die sich daraus ergebenden Verpflichtungen. Die Dienstvorschrift zum M gilt nur für die Bediensteten der Eisenbahn und im Verhältnis zwischen den beteiligten Eisenbahnen.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes sind die Österreichischen Bundesbahnen Bestimmungsbahn, sodaß Ansprüche aus dem Frachtvertrag vom Empfänger nach Art 29 M nur gegen diese geltend gemacht werden könnten.

Durch Art 17 der Dienstvorschrift zum M werde die Stellung der ÖBB als Bestimmungsbahn nicht berührt, weil diese Bestimmung nur im Verhältnis zwischen den beteiligten Eisenbahnen gelte. Auch wenn man als Bestimmungsbahn diejenige Bahn ansehe, die auf der letzten Beförderungsstrecke die Beförderung auf Grund des M-Frachtbriefes durchgeführt habe, wäre die beklagte Partei nicht passiv legitimiert. Auf Grund des M-Frachtbriefes sei die Beförderung nur bis Sopron durchgeführt worden, die letzte Strecke der Beförderung mit dem M-Brief sei demnach die Strecke Raab-Sopron gewesen. Die beklagte Partei sei zwar die österreichische Zweigniederlassung der diese Strecke betreibenden Ungarischen Eisenbahn, gemäß Art 29 M könnten jedoch Ansprüche gegen diese nur vor dem zuständigen Gericht des Staates, dem diese Eisenbahn angehöre, geltend gemacht werden. Auch in diesem Falle wäre somit eine Klage in Österreich gegen die beklagte Partei ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und teilte auch dessen Rechtsansicht.

Bestimmungsbahn nach Art 29 M sei analog zur gleichartigen Bestimmung des Art 43 § 1 CIM diejenige Eisenbahn, der der Bestimmungsbahnhof angehöre. Es sei nicht notwendig, daß das Gut auf Strecken der Empfangsbahn befördert werde. Es genüge, wenn das Gut auf dem Bestimmungsbahnhof in den Bereich der Empfangsbahn eintrete. Zweifel an der Richtigkeit der Angabe der ÖBB als Bestimmungsbahn im M-Frachtbrief könnten schon deshalb nicht entstehen, weil Wulkaprodersdorf sowohl ein Bahnhof der beklagten Partei als auch ein Bahnhof der ÖBB sei. Für eine nachträgliche Änderung der Bestimmungsbahn hätte das Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben. Unerheblich sei, ob die beklagte Partei das Gut auch als österreichische Eisenbahn zumindest hinsichtlich der österreichischen Teilstrecke auf Grund des M-Frachtbriefes befördert habe, weil der M eine Haftung aller an der Beförderung beteiligten Eisenbahnen nicht vorsehe.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht berechtigt.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel wurde geprüft, liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Abschluß eines Beförderungsvertrages mit dem sich aus dem Frachtbrief Beilage E ergebenden Inhalt auf der Grundlage des Internationalen Eisenbahn-Gütertarifs Österreich-UdSSR (M) ist nicht strittig. Nach Art 29

des M können Ansprüche aus dem Frachtvertrag nicht gegen alle an der grenzüberschreitenden Beförderung beteiligten Eisenbahnen geltend gemacht werden. Diese Bestimmung schränkt das Recht auf Inanspruchnahme der beteiligten Eisenbahnen dahin ein, daß vom Absender nur die Versandbahn und vom Empfänger nur die Bestimmungsbahn im Wege der Klage in Anspruch genommen werden kann. Absender und Empfänger des Gutes haben demnach nicht die Wahl, ob sie die Versandbahn, die Bestimmungsbahn oder diejenige Eisenbahn gerichtlich in Anspruch nehmen, auf deren Strecke sich die den Anspruch begründende Tatsache ereignete. Infolge dieser Beschränkung beruft sich die klagende Partei zu Unrecht auf Art 2 des M, wonach die für den Eisenbahnbinnengüterverkehr des jeweiligen Staates geltenden Rechtsvorschriften und Tarife Anwendung finden, soweit im M keine Bestimmungen getroffen sind, weil die Frage der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Frachtvertrag in Art 29 M abschließend geregelt ist.

Für die Beurteilung der Haftung gegenüber dem Absender und Empfänger kommt daher der Frage keine Bedeutung zu, ob die beklagte Partei als nachfolgende Bahn durch Übernahme des Gutes mit dem bei der Aufgabe ausgestellten Frachtbrief in den Frachtvertrag eingetreten ist und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen übernommen hat. Nach Art 6 der M hat der Absender bei der Auslieferung des Gutes zur Beförderung dem Versandbahnhof einen Frachtbrief zu übergeben, in dem die Bestimmungsbahn und der Bestimmungsbahnhof zu bezeichnen sind. Nach dem hier maßgeblichen Frachtvertrag Beilage E ist Bestimmungsbahnhof Wulkaprodersdorf, Bestimmungsbahn sind die ÖBB. Fraglich kann demnach nur sein, ob die beklagte Partei infolge Unrichtigkeit der Bezeichnung der Bestimmungsbahn im Frachtbrief, wegen nachträglicher Änderung des Frachtvertrages oder infolge Ausstellung eines weiteren Frachtbriefes (CIM-Frachtbrief) zur Bestimmungsbahn im Sinne des Art 29 M geworden ist. Der Eisenbahnfrachtvertrag erschöpft sich nicht in der Beförderung des Gutes von einem Bahnhof zu einem anderen Bahnhof, er umfaßt auch die Ablieferung des Gutes an den Empfänger. Die Ablieferung ist jener Vorgang, durch den die Bahn den Gewahrsam an dem beförderten Gut im Einverständnis mit dem Empfangsberechtigten aufgibt und diesen instandsetzt, über das Gut zu verfügen (Schlegelberger-Geßler 5 VI 958). Sie verlangt in der Regel eine aktive Tätigkeit der Eisenbahn. Bestimmungsbahnhof ist daher jener Bahnhof, nach dem das Gut befördert werden soll und an dem der Absender die Ablieferung des Gutes an den Empfänger verlangt. Als Bestimmungsbahn, der die Tätigkeit der Ablieferung obliegt, wird daher regelmäßig nur jene Eisenbahn in Betracht kommen, der der Bestimmungsbahnhof angehört. Daß insoweit die Bestimmungsbahn vom Absender im Frachtbrief unrichtig bezeichnet worden wäre, wurde nicht einmal behauptet. Das Recht auf eine nachrägliche Änderung des Frachtvertrages steht nach Art 18 M nur dem Absender und dem Empfänger und nur in dem im Art 18 näher bezeichneten Umfang zu. Von Bedeutung wäre im vorliegenden Fall nur die Verfügung eines anderen im Bestimmungsstaat gelegenen Bestimmungsbahnhofes nach Art 18 § 2 Z 3 und § 13 Z 1 M, woraus sich auch eine andere Bestimmungsbahn ergeben könnte. Eine solche Verfügung wurde aber im vorliegenden Fall nicht getroffen und kann auch nicht aus der Ausstellung des zweiten Frachtbriefes für die Strecke Sopron-Schwertberg abgeleitet werden. Eine solche Verfügung hätte nach Art 18 schriftlich nach dem Muster der für die Versand- bzw. Bestimmungsbahn geltenden Vorschriften erteilt werden müssen. Es hätte nicht der Ausstellung eines neuen Frachtbriefes bedurft. Der zweite Frachtbrief betraf auch lediglich die weitere Beförderung des Gutes und somit die Neuaufgabe vom Bestimmungsbahnhof Wulkaprodersdorf nach Schwertberg und wurde nur deshalb bereits für die Strecke ab Sopron ausgestellt, um in den Genuß eines günstigeren Tarifes zu kommen. Mangels einer zulässigen Änderung des nach den Bestimmungen der M abgeschlossenen Frachtvertrages war dieser daher unbeschadet der Ausstellung eines weiteren Frachtbriefes für die Beförderung bis zum vereinbarten Bestimmungsbahnhof Wulkaprodersdorf mit der vereinbarten Bestimmungsbahn wirksam. Die beklagte Partei als Teilnehmerin an den M war verpflichtet, die Beförderung auf Grund des einheitlichen Beförderungsvertrages durchzuführen. Danach konnte aber der Empfänger von der vereinbarten Bestimmungsbahn die Ablieferung des Gutes verlangen, sodaß es nicht darauf ankommt, daß der Frachtbrief vom Frachtgut getrennt wurde.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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