OGH 2Ob13/85

OGH2Ob13/8516.4.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Melber, Dr.Huber und Dr.Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bernd A, Koch, Wimpassing, St.Valentiner-Straße 50, vertreten durch Dr.Wolfgang Weinwurm, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wider die beklagten Parteien 1.) Heinz B, Angestellter, Pettenbach 33, 2.) C D Wechselseitige Versicherungsanstalt, Versicherungs-AG, Wien 1., Ringturm, beide vertreten durch Dr.Werner Posch, Rechtsanwalt in Gloggnitz, wegen S 21.925,86 s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 16. Jänner 1985, GZ R 450/84-31, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 15.Oktober 1984, GZ C 89/83 -26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben zur ungeteilten Hand der klagenden Partei die mit S 2.677,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 240 Barauslagen und S 221,60 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 5.11.1982 ereignete sich in Gloggnitz auf der Bundesstraße 17 (im folgenden nur B 17) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem PKW Steyr Fiat und der Erstbeklagte mit seinem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Madza 626 beteiligt waren.

Der Kläger begehrt den Ersatz eines Schadens von S 21.925,86 s.A. Er behauptet, an einem zum Linkseinbiegen eingeordneten Fahrzeug rechts vorbeigefahren zu sein, wogegen der entgegenkommende Erstbeklagte nach links eingebogen sei.

Nach Darstellung der Beklagten habe der Kläger zur Gänze den neben der Fahrbahn verlaufenden Abstellstreifen und demnach eine untergeordnete Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO benützt. Bis zur Höhe der Klagsforderung wendet der Erstbeklagte seine Forderung auf Ersatz seines Schadens von S 22.466 aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht sprach im zweiten Rechtsgang aus, daß die Klagsforderung mit S 21.925,86 zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe. Es gab demgemäß dem Klagebegehren samt Anhang statt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erklärte die Revision für zulässig.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Parteien aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils iS einer Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Parteien ist zulässig, doch nicht berechtigt.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes ist die Asphaltfahrbahn der B 17 6,5 m breit und mit Begrenzungslinien versehen. An den rechtsseitigen Asphaltrand (Richtung Neunkirchen, der Fahrtrichtung des Klägers) schließt ein 2,5 m breiter, asphaltierter, durch hellere Färbung gekennzeichneter Seitenstreifen an, der 40 bis 50 m vor der Unfallstelle beginnt und ca. 40 m danach endet. Auf diesem Streifen befindet sich unter anderem eine Postautobushaltestelle. In Fahrtrichtung Semmering (der Fahrtrichtung des Erstbeklagten) beschreibt die Fahrbahn eine weitgezogene und übersichtliche Linkskurve.

Edith E fuhr mit ihrem PKW Datsun Richtung Neunkirchen und wollte nach links zur Stadtgemeinde Gloggnitz einbiegen. Nach Betätigung des linken Blinkers ordnete sie sich zur Fahrbahnmitte hin ein und brachte ihr Fahrzeug wegen Gegenverkehrs mit einem Abstand von ca. 1,40 m zur rechten Begrenzungslinie zum Stillstand. Der Kläger, der mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h dem PKW der Edith E gefolgt war, entschloß sich, als er den Einordnungsvorgang wahrnahm, rechts an diesem PKW vorbeizufahren. Der Erstbeklagte kam aus der Gegenrichtung und wollte nach links in die Sierningfeldgasse einbiegen. Er ordnete sich nach Betätigung des linken Blinkers zur Fahrbahnmitte hin ein und blieb kurz stehen. Da er aus der Gegenrichtung außer dem PKW der Edith E kein Fahrzeug wahrnahm, begann er nach links einzubiegen. Er nahm auch bei Beginn des Einbiegemanövers den PKW des Klägers nicht wahr, weil dieser möglicherweise durch den PKW der Edith E verdeckt war. Als sich der PKW des Erstbeklagten nur mehr mit dem Heck auf der Fahrbahn befand, kam es zur Kollision mit dem PKW des Klägers. Der Kläger war beim Vorbeifahren am PKW der Edith E zum Teil auf der Fahrbahn, mit den Rädern aber auf dem Abstellstreifen gefahren.

Das Erstgericht lastete dem Erstbeklagten das Alleinverschulden an, weil das seine Fahrtrichtung beibehaltende Fahrzeug des Klägers gegenüber dem entgegenkommenden nach links einbiegenden Fahrzeug des Erstbeklagten nach § 19 Abs 5 StVO den Vorrang gehabt habe. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes. Bei der an die Fahrbahn der B 17 rechts in Fahrtrichtung Neunkirchen anschließenden Verkehrsfläche handle es sich zwar um eine untergeordnete Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6 StVO. Der Kläger sei jedoch nicht aus dieser Verkehrsfläche gekommen. Er habe diese Verkehrsfläche beim Vorbeifahren an dem zum Linkseinbiegen eingeordneten PKW mitbenützen dürfen und sich noch immer im fließenden Verkehr befunden.

Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Berufungsgericht damit, daß zur Frage, ob ein Fahrzeug bei teilweiser Benützung einer an die Hauptfahrbahn anschließenden untergeordneten Verkehrsfläche sich noch im Fließverkehr befinde, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Nach § 502 Abs 3 Satz 2 ZPO liegt ein bestätigendes Berufungsurteil nicht vor, weil das Berufungsgericht in seinem ohne Rechtskraftvorbehalt gefaßten Aufhebungsbeschluß (ON 23) eine für das Erstgericht bindende Rechtsansicht ausgesprochen hat und das Erstgericht wegen der ihm auferlegten Bindung zu einem anderen Urteil gelangt ist (vgl. RZ 1937, 22). Der positive Zulässigkeitsausspruch ist auch aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen berechtigt. Der Revisionsgegner kann für seinen gegenteiligen Standpunkt keine Belegstellen anführen. Nach § 2 Abs 1 Z 2 StVO ist die Fahrbahn der für den Fahrzeugverkehr bestimmte Teil der Straße. Grundsätzlich sind alle befahrbaren Teile einer Straße zur Fahrbahn zu rechnen, wenn nicht die Widmung bestimmter Teile ausschließlich für andere Zwecke auffällig ist (ZVR 1977/1). Nach § 7 b der Bodenmarkierungsverordnung sind Begrenzungslinien unterbrochene Längsmarkierungen in weißer Farbe, die die Fahrbahn von anderen Verkehrsflächen wie Einmündungen, Ausfahrten und dgl. (§ 55 Abs 3 StVO) abgrenzen. Schon aus der Zitierung des § 55 Abs 3 StVO im § 7 b der Bodenmarkierungsverordnung und der beispielsweisen Aufzählung der Verkehrsflächen in der zitierten Gesetzesstelle ergibt sich, daß ein Befahren der außerhalb der Fahrbahn gelegenen durch Begrenzungslinien abgegrenzten anderen Verkehrsflächen grundsätzlich nicht verboten ist. Zu diesem Ergebnis führt auch eine teleologische Betrachtung, weil der Begrenzungslinie regelmäßig nur Leit- und Ordnungsfunktion zukommt (vgl. ZVR 1983/209;

8 Ob 253/82; 8 Ob 47/81; 2 Ob 238/80). Ein Kraftfahrzeuglenker, der an einem zum Einbiegen nach links eingeordneten Fahrzeug im Sinne des § 17 Abs 1

letzter Satz StVO rechts unter überschreitung der Begrenzungslinie und Mitbenützung der an die Fahrbahn angrenzenden Abstellfläche vorbeifährt, kommt auch nicht aus einer untergeordneten Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs 6

StVO und wird nicht wartepflichtig gegenüber einem entgegenkommenden, nach links einbiegenden Fahrzeug. Zu Unrecht beruft sich die Revision auf die Entscheidung ZVR 1984/41, weil dieser ein völlig anders gelagerter Sachverhalt zugrundelag und dort lediglich ausgesprochen wurde, daß der Pannenstreifen auf Autobahnen nicht vom Durchzugsverkehr benützt werden darf. Im vorliegenden Fall benützte der Kläger die angrenzende Verkehrsfläche aber nicht zur Gänze und nicht zum Durchfahren, sondern lediglich beim Vorbeifahren nach § 7 Abs 1 letzter Satz StVO.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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