OGH 12Os181/84 (12Os182/84, 12Os183/84)

OGH12Os181/84 (12Os182/84, 12Os183/84)7.3.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.März 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Loidl als Schriftführer in der Strafsache gegen Arnold A wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB.

über die Beschwerde und den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.November 1984, GZ. 6 Vr 1644/84-22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

  1. 1. Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
  2. 2. Dem Angeklagten wird die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde erteilt.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20.September 1984 wurde Arnold A des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB.

schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Der Angeklagte hat am selben Tag Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet (ON. 12). Die Zustellung des Urteils wurde am 4. und am 5.Oktober 1984 in der Kanzlei der ausgewiesenen Verteidiger des Angeklagten, der Rechtsanwälte Dr. Gerald B und Dr. Peter C vom Postzusteller versucht. Weil jedoch die Rechtsanwälte vorübergehend wegen auswärtiger Verhandlungen nicht anwesend waren, wurde das Urteil am 5.Oktober 1984 hinterlegt.

Obwohl die Kanzleileiterin Maria D seit ca. 15 Jahren die Berechtigung hat, Postsendungen in der Rechtsanwaltskanzlei zu übernehmen, wurden zu eigenen Handen zuzustellende Rückscheinbriefe vom Postzusteller nie an die Kanzleibeamtin ausgefolgt. Am 8.Oktober 1984 teilte Frau D, eine sehr verläßliche Kraft, die seit ca. 20 Jahren in dieser Kanzlei fehlerfrei arbeitet, dem Rechtsanwalt Dr. C mit, daß ein blauer Rückscheinbrief beim Postamt zu beheben sei. Dr. C hat diesen Rückscheinbrief am 8.Oktober 1984 abgeholt. Er erteilte der Kanzleileiterin, zu deren Aufgabenkreis insbesonders auch die Vormerkung und die überwachung von Fristen gehört, den Auftrag, das Ende der Berufungsfrist im Fristenbuch einzutragen. Frau D brachte auf dem Schriftstück den Eingangsstempel der Kanzlei mit 8.Oktober 1984 an und vermerkte irrtümlich das Ende der Berufungsfrist am 22. Oktober 1984. Die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wurde am 22.Oktober 1984, somit nach Ablauf der Rechtsmittel, zur Post gegeben (S. 75). Mit dem angefochtenen Beschluß vom 21.November 1984

wurde die Nichtigkeitsbeschwerde vom Vorsitzenden des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als verspätet zurückgewiesen (ON. 22).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde des Angeklagten (§ 285 b Abs. 2 StPO.) war nicht Folge zu geben, weil die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch den Gerichtshof erster Instanz als verspätet gemäß § 285 a Z. 1 StPO. zu Recht erfolgte. Hingegen ist der Wiedereinsetzungsantrag berechtigt. Dem Angeklagten ist der Nachweis gelungen, daß es ihm durch unabwendbare Umstände ohne sein oder seines Vertreters Verschulden unmöglich gemacht wurde, die Frist einzuhalten (§ 364 Abs. 1 Z. 1 StPO.).

Ein Verschulden des Angeklagten ist auszuschließen. Aber auch ein Verschulden der Verteidiger des Angeklagten liegt nicht vor. Denn die Verteidiger durften sich darauf verlassen, daß die erfahrene, verläßliche Kanzleikraft die Frist zur Ausführung des Rechtsmittels richtig eintragen wird. Nach § 13 Abs. 4 ZustellG. dürfen Organe der Post an (nicht ausdrücklich ausgeschlossene) Angestellte des Rechtsanwaltes Zustellungen vornehmen, ohne dazu verpflichtet zu sein. Auch der Rechtsanwalt ist, entgegen der im Amtsvermerk der Staatsanwaltschaft Graz vom 14.November 1984 ausgedrückten Rechtsmeinung (S. 83), nicht verpflichtet (und auch gar nicht in der Lage), dafür Sorge zu tragen, daß in seiner Abwesenheit Zustellungen an Kanzleiangestellte durchgeführt werden. Daß von der Kanzleileiterin im vorliegenden Fall die Frist unrichtig vorgemerkt wurde, wodurch die Nichtigkeitsbeschwerde zu spät zur Post gebracht wurde, ist ein unabwendbarer Umstand, der den Verteidigern des Angeklagten die Einhaltung der Frist unmöglich machte (Mayerhofer-Rieder 2 , § 364 StPO., ENr. 41 bis 44). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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