Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.555,68
bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 214,88 an Umsatzsteuer und S 192,-- an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit der am 9.Jänner 1984 beim Erstgericht eingelangten Aufkündigung kündigte die Klägerin der Beklagten die im 3.Stock des Hauses Linz, Graben 32, gelegene Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, 2 Kabinetten, Küche, Bad und WC sowie weiteren Nebenräumen, gerichtlich auf. Als Kündigungsgrund machte die Klägerin geltend, daß ihr Sohn die Wohnung dringend benötige, weil er einerseits sein Medizinstudium abschließe und andererseits eine Familie gründe bzw. ein Kind erwarte und die bisherige Wohnmöglichkeit bei weitem nicht ausreiche (§ 30 Abs 2 Z 8 MRG). Außerdem halte sich die Beklagte überwiegend in Salzburg auf (§ 30 Abs 2 Z 6 MRG). Die Klägerin ergänzte in der Folge, daß ihr Sohn nach Beendigung seines Medizinstudiums an der Universität Innsbruck nach Linz zurückkommen und hier seinen Lebensmittelpunkt errichten wolle. Er habe am 21.Februar 1984 von Ulrike C eine Tochter erhalten und werde mit dieser Lebensgefährtin in der aufgekündigten Wohnung wohnen. Die Wohnung der Klägerin werde von ihr selbst, ihrem Mann und ihrer Tochter bewohnt. Sie sei nicht so adaptierbar, daß darin 6 Personen leben könnten, zumal der Mann der Klägerin nach einem Krankenhausaufenthalt einer gewissen Schonung und Beaufsichtigung bedürfe.
Die Beklagte erhob Einwendungen und beantragte die Aufhebung der Aufkündigung. Die Klägerin habe die Möglichkeit einer Umverteilung der ihr zur Verfügung stehenden Wohnräume. Der Sohn der Klägerin verfüge über eine eigene Wohnung und habe daher kein dringendes Wohnbedürfnis. Er könne seinen Eigenbedarf auch durch Benützung des Landhauses der Klägerin am Traunsee befriedigen. Die Klägerin habe den Eigenbedarf selbst verschuldet, denn sie habe trotz Kenntnis des behaupteten Bedarfes ihres Sohnes erst vor wenigen Monaten die im
1. Stock freigewordenen Räume im Ausmaß von 135 m 2 an den Klagevertreter vermietet. Die Beklagte habe sich überdies bereit erklärt, der Klägerin einen Teil ihrer Wohnung - die leicht und ohne erhebliche Kosten geteilt werden könne - zurückzustellen, falls der Sohn der Klägerin tatsächlich ein dringendes Wohnbedürfnis haben sollte. Die Klägerin habe dieses Anbot jedoch ausgeschlagen. Eine Interessenabwägung fiele zu Gunsten der Beklagten aus, weil sie aufgrund ihres Alters nicht mehr in der Lage wäre, bei Stattgebung der Kündigung in Linz eine Wohnung zu finden. Die Beklagte benötige die aufgekündigte Wohnung, die sie seit 1941 benütze, ständig zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses. Lediglich zum Wochenende halte sich die Beklagte jeweils in Salzburg auf, da sie Mitglied des dortigen D sei.
Die Klägerin behauptete demgegenüber, es sei ihr unzumutbar, mit hohen Kosten einen Umbau vorzunehmen, und es sei auch ihren Kindern nicht zuzumuten, Teile der Wohnung im 2.Stock und Teile der Wohnung im 3.Stock zu benützen.
Eine Trennung der Wohnung sei auch wegen des (gemeinsamen) Eingangs nicht möglich. Bei Begründung des Bestandverhältnisses mit dem Klagevertreter im Mai 1983 sei der Klägerin noch nicht bekannt gewesen, daß der Eigenbedarf ihres Sohnes dringend werden würde. Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, zwei näher bezeichnete Räume der aufgekündigten Wohnung sowie ein WC (die Wohnung der Beklagten weist 2 WCs auf) von ihren Fahrnissen zu räumen und der Klägerin geräumt zu übergeben; das Mehrbegehren wies es ab. Das Erstgericht traf folgende Feststellungen:
Die Klägerin ist Alleineigentümerin des Hauses Linz, Graben 32. Dieses Haus hat 4 Stockwerke. In jedem Stockwerk befindet sich eine etwa 135 bis 140 m 2 große Wohnung. Ebenerdig befindet sich ein Geschäftslokal, das seit 1981 an die Firma E F vermietet ist. Mit Mietvertrag vom 13.Juni 1983 wurde der Rechtsanwalt Dr.Ludwig G, der Klagevertreter, Mieter der Wohnung im 1.Stock. Diese Wohnung, die der Klägerin im 2.Stockwerk und jene der Beklagten im 3.Stockwerk sind gleich groß; auch die Raumeinteilung ist im wesentlichen gleichartig. Bei der Wohnung der Klägerin gelangt man vom Stiegenhaus in einen langgestreckten Vorraum von 1,40 x 6 m, um den herum die anderen Räume angeordnet sind. Links vom Eingang in die Wohnung befindet sich ein Schlafzimmer, 5 x 3 m groß. Daran schließt ein 5 x 4,5 m großer Raum an, der von der verwitweten, alleinstehenden Tochter der Klägerin, die als medizinisch-technische Assistentin im Kinderkrankenhaus in H beschäftigt ist, bewohnt wird. Der nächste, 5,3 x 5,2 m große Raum ist als Wohnzimmer eingerichtet. Ein weiterer Raum im Ausmaß von 3,88 x 5,18 m wird vom Sohn der Klägerin, Klaus A, benützt, der in Innsbruck Medizin studiert. Der fünfte, etwa 3,2 x 5 m große, Wohnraum - er besitzt einen Balkon in den Hof - ist als Bauernstube eingerichtet. Zur Zeit schläft die Klägerin in diesem Raum, weil ihr Mann nach einem im November 1983 erlittenen Schlaganfall sehr ruhebedürftig ist und sich tagsüber öfters hinlegen muß. Die Wohnung besitzt weiter eine 4,60 x 2,70 m große Küche, einen 1,6 x 2,4 m großen Raum, der ehemals Dienstbotenzimmer war und jetzt als Abstellraum eingerichtet ist, eine Speis, ein Bad und ein WC.
Der am 27.Oktober 1958 geborene Klaus A wird sein Studium etwa um die Jahreswende 1984/85 beenden und möchte anschließend seinen Arztturnus nach Möglichkeit in einem Linzer Krankenhaus absolvieren. Klaus A ist seit 4 Jahren mit der Medizinstudentin Ulrike C aus I befreundet.
Die beiden haben in Innsbruck zwei möblierte Zimmer (in einem Haus), in denen sie während der Studienzeit - seit der Geburt des Kindes am 21. Februar 1984
gemeinsam mit diesem - wohnen. Klaus A und Ulrike C wollen nunmehr zusammenziehen und beabsichtigen, später zu heiraten. Während der Ferien halten sich Klaus J und Ulrike C entweder in der Wohnung der Klägerin oder im Haus der Eltern von Ulrike C in I - einem Einfamilienhaus, das außer von den Eltern Ulrike Cs auch von deren Großmutter bewohnt wird - auf.
Die Klägerin besitzt außer dem Haus in Linz noch ein Ferienhaus in Traunkirchen mit einem Seegrund am Traunsee. Es handelt sich um ein ebenerdiges Blockhaus mit ausgebauter Mansarde und einem Bootshaus. Das Haus ist als Sommer- und Ferienhaus gebaut.
Der Mann der Klägerin war praktischer Arzt in Nettingsdorf an der Krems und hatte dort bis zu seiner Pensionierung eine Wohnung gemietet, in der bis dahin auch die Klägerin und die gemeinsamen Kinder wohnten. Er besitzt in Weyer an der Enns ein Haus, das er von seinen Eltern geerbt hat. Im Parterre dieses Hauses befindet sich ein Geschäftslokal, im 1.Stock das Büro eines Versicherungsvertreters und eine Wohnung; alle diese Räumlichkeiten sind vermietet. Dr.Hans A hat sich lediglich ein unvermietetes Zimmer vorbehalten, das er benützen kann, wenn er nach Weyer kommt. Die Beklagte, die im 80.Lebensjahr steht, ist trotz ihres Alters sehr rüstig. Sie ist 1941 mit ihrem Mann - der Chefarchitekt in der K H war - und ihrem Sohn in die aufgekündigte Wohnung eingezogen. Der Mann der Beklagten ist 1968 gestorben. Seither benützt die Beklagte die Wohnung allein.
Die Beklagte ist aktives Mitglied des D und fährt deshalb jeden Freitag nach Salzburg, um an Proben und Aufführungen teilzunehmen. Am Montag kehrt sie jeweils nach Linz zurück. Die Beklagte besitzt in Salzburg eine kleine Eigentumswohnung, und zwar eine 34 m 2 große Garconniere. Der Sohn der Beklagten ist verheiratet. Seine Ehe ist jedoch schlecht, sodaß er sich häufig bei der Beklagten in Linz oder auch in deren Salzburger Wohnung aufhält.
Die Beklagte hat schon vor dem gegenständlichen Verfahren der Klägerin angeboten, die beiden Räume ihrer Wohnung links vom Wohnungseingang als Wohnräume für den Sohn der Klägerin abzutreten, allenfalls, 'schweren Herzens', noch einen weiteren Raum. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, die Klägerin habe ihren Eigenbedarf durch Vermietung der Räumlichkeiten im 1.Stockwerk an den Klagevertreter selbst verschuldet. Bei einer Abwägung der Interessen ergäbe sich, daß der Sohn der Klägerin derzeit noch Student sei, also noch am Studienort weile, sodaß sein späterer Arbeitsplatz in Linz noch ungewiß und eine Haushaltsgründung mit Kind und Lebensgefährtin in Linz (daher) noch nicht vordringlich sei. Für die Beklagte, die die aufgekündigte Wohnung seit 43 Jahren benütze, würde ein zwangsweiser Wohnungswechsel einen schweren psychischen Schlag bedeuten. Da der Sohn der Klägerin sowieso noch nicht ganz mit Frau und Kind in Linz wohnen könne, weil es ungewiß sei, ob und wann er aus beruflichen Gründen seinen Wohnsitz hier einrichten könne, werde seinen Wohnungsbedürfnissen durch eine Teilkündigung Genüge getan. Eine gemeinsame Badezimmer- und Küchenbenützung sei der Klägerin und ihrem Sohn zuzumuten.
Das Berufungsgericht hob die Aufkündigung zur Gänze auf und wies das Begehren auf übergabe des Bestandgegenstandes ab. Ein Antrag im Sinne des § 31 Abs 2 MRG, das Kündigungsbegehren im Umfang einer Teilkündigung aufrechtzuerhalten, sei nicht gestellt worden. Die Einschränkung der Kündigung auf eine Teilkündigung von Amts wegen stelle einen Verstoß gegen § 405 ZPO dar. Dieser Verfahrensmangel sei aufgrund der Berufung der Beklagten wahrzunehmen gewesen. In ausführlichen Erwägungen gelangte das Berufungsgericht, ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes, zur Ansicht, daß der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG nicht gegeben sei. Aber auch der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 8 MRG liege nicht vor.
Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin einen dringenden Eigenbedarf an der aufgekündigten Wohnung für ihren Sohn habe. Denn die Klägerin habe einen derartigen Eigenbedarf selbst dadurch verschuldet, daß sie das Anbot der Beklagten auf überlassung zweier Räume ihrer Wohnung abgelehnt habe. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil eine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Ausschlagung der beiden von der gekündigten Mieterin aus dem Bestandobjekt gebotenen Räume ein Eigenverschulden der Vermieterin am Eintritt des dringenden Eigenbedarfs für den Sohn bilden könne.
Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgericht mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im klagestattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 8 MRG - die Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens - ist gegeben, wenn der Vermieter die gemieteten Wohnräume für sich selbst oder für Verwandte in absteigender Linie dringend benötigt und ihm oder der Person, für die der Mietgegenstand benötigt wird, aus der Aufrechterhaltung des Mietvertrages ein unverhältnismäßig größerer Nachteil erwüchse als dem Mieter aus der Kündigung. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen entfällt, a) wenn es sich um ein gemietetes Einfamilienhaus oder um Teile eines Einfamilienhauses handelt, b) wenn es sich um eine vom Wohnungseigentümer vermietete Eigentumswohnung handelt.
Der Kündigungstatbestand des § 30 Abs 2 Z 8 MRG entspricht jenem des § 19 Abs 2 Z 5 MietG; unterschiedlich sind nur die jeweils vorgesehenen Fälle des Entfalls der Interessenabwägung. Die wörtliche übernahme des Kündigungstatbestandes des § 19 Abs 2 Z 5 MietG in die neue Regelung spricht für die Annahme, daß die jahrzehntelange Auslegung der alten Bestimmung keine Bedenken des Gesetzgebers erweckt hat. Es liegen keine Anhaltspunkte für ein neues, den geänderten Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt entsprechendes Verständnis der Eigenbedarfsbestimmung vor. Die zu § 19 Abs 2 Z 5 MietG ergangene Rechtsprechung ist daher auch für die Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 8 MRG anwendbar, soweit nicht die Rechtslage über den Entfall der Interessenabwägung eine önderung erfahren hat (7 Ob 598/84).
Ein dringender Eigenbedarf liegt vor, wenn das Wohnbedürfnis des Vermieters bzw. seiner Verwandten in absteigender Linie überhaupt nicht oder nur unzulänglich gedeckt ist. Er setzt einen Notstand voraus, nämlich die unabweisliche Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand so bald als möglich zu beseitigen (MietSlg.30.381 u.v.a.). Das Erfordernis des dringenden Eigenbedarfs, der nicht anders als durch Auflösung des bestehenden Mietverhältnisses behoben werden kann, ist auch dort streng auszulegen, wo kein Bedarf des Mieters entgegensteht (MietSlg.35.371). Ein dringender Eigenbedarf liegt nicht vor, wenn das Wohnungsbedürfnis durch eine entsprechende Neuverteilung bereits zur Verfügung stehender Räumlichkeiten befriedigt werden kann (MietSlg.30.379 u.v.a.). Auf bloße Unbequemlichkeiten ist kein Bedacht zu nehmen (MietSlg.23.358). Das Gesetz läßt die Kündigung des Mieters wegen dringenden Eigenbedarfes nicht schon zu, um hiedurch einen durchschnittlichen neuzeitlichen Wohnungsstandard zu erreichen, sondern um einem Notstand abzuhelfen (MietSlg.22.355; im gleichen Sinn MietSlg.32.429
u. a.).
Die Wohnung der Klägerin weist (außer dem nur als Schlafkammer verwendbaren ehemaligen 'Dienstbotenzimmer') 5 Zimmer auf, in denen bisher außer der Klägerin und ihrem Mann zwei ihrer bereits erwachsenen Kinder in jeweils eigenen Räumen gewohnt haben. Es ist keine Frage, daß nach dem Hinzukommen der Lebensgefährtin des Sohnes der Klägerin und seines Kindes der den heutigen Anschauungen entsprechende durchschnittliche Wohnkomfort weder für die Klägerin und ihre Familie, noch auch für den Sohn der Klägerin und dessen Familie erreicht wird, und daß für die Bequemlichkeit aller Benützer der Wohnung beeinträchtigende Unzukömmlichkeiten entstehen können. Von einer unabweislichen Notwendigkeit, den vorhandenen Zustand so bald als möglich zu beseitigen, und damit von einem dringenden Eigenbedarf im Sinne des Mietrechtsgesetzes kann aber unter den gegebenen Umständen keine Rede sein.
Die Räume in der vorhandenen Anzahl und in dem gegebenen Ausmaß reichen vielmehr durchaus zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses der Klägerin und ihrer Angehörigen. Die entstehenden Unbequemlichkeiten rechtfertigen, wie bereits dargelegt, noch nicht die Annahme eines dringenden Eigenbedarfs (vgl. hiezu insbesondere MietSlg.22.356).
Diese Erwägungen entsprechen den Ausführungen, die auch schon das Berufungsgericht angestellt hat (S.17 des Urteils = AS 149). Wenn das Berufungsgericht gleichwohl auch geprüft hat, ob unabhängig von der Annahme eines dringenden Eigenbedarfs der Klägerin ein solcher jedenfalls von der Klägerin selbst verschuldet wäre, ist dies für die Entscheidung nicht mehr wesentlich.
Die Revision erweist sich damit als unbegründet, sodaß ihr ein Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.
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