OGH 8Ob644/84

OGH8Ob644/8421.2.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Otto S*****, vertreten durch Dr. Hannes Priebsch, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Katharina S*****, vertreten durch Dr. Rudolf Lemesch, Rechtsanwalt in Graz, wegen Nichtigerklärung eines Notariatsaktes (Streitwert S 205.400,--), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 20. September 1984, GZ 1 R 143/84-19, womit der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 2. Juli 1984, GZ 10 Cg 68/84-16, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

  1. 1) Die Rekursbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
  2. 2) Dem Revisionsrekurs der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Die klagende Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger die Nichtigerklärung des zwischen ihm und der Beklagten am 26. 3. 1981 in der Notariatskanzlei Dr. Justus Merth in Graz errichteten Notariatsaktes. Die Beklagte sei schuldig, in die Aufhebung dieses Notariatsaktes einzuwilligen und zu bewilligen, dass auf ihrer ideellen Hälfte der Liegenschaft EZ ***** das Eigentumsrecht für den Kläger einverleibt werde.

Die Beklagte erschien bei der ersten Tagsatzung am 16. 4. 1984 ohne anwaltliche Vertretung. Sie ersuchte unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses um die Gewährung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes für die Klagebeantwortung und das weitere Verfahren. Der Richter verkündete in der ersten Tagsatzung den Beschluss, dass die Klagebeantwortung längstens innerhalb von 4 Wochen zu überreichen sei (ON 7). Mit Beschluss vom 16. 4. 1984 (er wurde außerhalb der ersten Tagsatzung gefasst) bewilligte das Erstgericht der Beklagten die Verfahrenshilfe unter anderem im Umfang des § 64 Abs 1 Z 3 ZPO. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer für die Steiermark bestellte Dr. Franz Lach zum Vertreter der Beklagten. Der diesbezügliche Bescheid wurde Dr. Lach am 27. 4. 1984 und der Beklagten am 2. 5. 1984 (durch Hinterlegung) zugestellt. Da in der Folge keine Klagebeantwortung erstattet wurde, beantragte der Kläger mit einem am 18. 6. 1984 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz die Fällung eines Versäumungsurteiles (ON 13). Am gleichen Tag fällte das Erstgericht ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil, das dem Vertreter der Beklagten am 21. 6. 1984 zugestellt wurde (ON 14). Mit einem am 28. 6. 1984 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz erhob die Beklagte Widerspruch gegen das gegen sie ergangene Versäumungsurteil. Das Erstgericht wies diesen Widerspruch als unzulässig zurück. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Beklagten, der bereits vor der ersten Tagsatzung anlässlich einer Vorsprache beim Richter Rechtsbelehrung erteilt worden sei, infolge ihres in der ersten Tagsatzung gestellten Antrages die Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt worden sei. Nach Zustellung des die Person des Anwaltes bestimmenden Bescheides der Rechtsanwaltskammer habe sich die Beklagte in der gleichen Situation befunden wie eine Partei, die sich frei einen Anwalt wähle und durch diesen bei der ersten Tagsatzung die Klage bestreite. Während im letztgenannten Fall die Klagebeantwortungsfrist schon mit der ersten Tagsatzung zu laufen beginne, habe sie im vorliegenden Fall erst mit der Zustellung des Bescheides an den Vertreter der Beklagten zu laufen begonnen. Da sich die im Genuss der Verfahrenshilfe stehende Partei auf Grund der Verlängerung der Klagebeantwortungsfrist - prozesssoziologisch betrachtet - in der gleichen Position befinde wie jene Partei, die bereits zum Zeitpunkt der ersten Tagsatzung über anwaltlichen Beistand verfüge, sei eine teleologische Reduktion der Vorschrift des § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO erforderlich. Andernfalls käme es in der Sphäre der im Genuss der Verfahrenshilfe stehenden Partei zu einer Privilegierung gegenüber einer solchen Partei, die die Voraussetzungen für den Genuss der Verfahrenshilfe nicht erfülle und genötigt sei, sich innerhalb der Frist zur Klagebeantwortung einen Rechtsanwalt zu suchen, ohne dass dadurch eine Hemmung der Klagebeantwortungsfrist eintrete. Die Erwägungen, die den Gesetzgeber veranlasst hätten, einer solchen Partei das Recht zum Widerspruch gegen ein nach § 398 ZPO erflossenes Versäumungsurteil einzuräumen, träfen für eine Partei, der die Rechtswohltat der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes sowie die damit verbundene Hemmung des Fristenablaufes zuteil werde, nicht zu. Räumte man auch ihr das Recht zum Widerspruch ein, dann würde sie gegenüber der "normalen" beklagten Partei in einer sachlich nicht gerechtfertigten Weise begünstigt. Darin liege ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot der Bundesverfassung, sodass bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift des § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO der Widerspruch der Beklagten zurückzuweisen sei. Dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Beklagten gab das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluss Folge. Es behob den Beschluss des Erstgerichtes und trug diesem die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. Das Rekursgericht sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 15.000,-- nicht aber S 300.000,-- übersteigt und dass der Revisionsrekurs gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig ist.

Das Rekursgericht führte im Wesentlichen aus, dass § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO der bei der ersten Tagsatzung anwaltlich nicht vertretenen Partei ausdrücklich ein Widerspruchsrecht für den Fall der Versäumung der Klagebeantwortungsfrist einräume. Das Rekursgericht verschließe sich nicht den Überlegungen des Erstgerichtes, vermeine aber, dass ein derartiger Sonderfall, wie er hier vorliege und an den der Gesetzgeber offensichtlich nicht gedacht habe, die vom Erstgericht vorgenommene Beurteilung nicht rechtfertigen könne. Der eindeutige Gesetzeswortlaut umfasse auch den vorliegenden Fall; nach Meinung des Rekursgerichtes könne auch hier der Beklagten der erforderliche Widerspruch nicht versagt werden. Die Zulassung des Revisionsrekurses begründete das Rekursgericht damit, dass es sich um die Lösung einer für die Wahrung der Rechtssicherheit bedeutenden Verfahrensfrage handle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern. Die Beklagte hat eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge zu geben.

Diese Rekursbeantwortung ist als unzulässig zurückzuweisen, weil es sich im vorliegenden Fall um keine Entscheidung über einen der im § 521a ZPO erschöpfend aufgezählten Gegenstände handelt; nur unter dieser Voraussetzung wäre aber nach dieser Gesetzesstelle eine Rekursbeantwortung zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig.

Soweit sich der Kläger in seinem Rechtsmittel gegen den Ausspruch des Rekursgerichtes wendet, dass der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- nicht übersteigt, ist ihm zu entgegnen, dass der Oberste Gerichtshof bei der Zulässigkeitsprüfung an die Höhe eines dem Gesetz entsprechenden Wertausspruches des Rekursgerichtes gebunden ist (Fasching Zivilprozessrecht Rdz 2025). Die Rekursbeschränkung des § 527 Abs 2 ZPO kommt im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, weil es sich bei dem Beschluss des Rekursgerichtes in Wahrheit um eine abändernde Entscheidung handelt. Auch die Vorschrift des § 397a Abs 3 ZPO steht der Zulässigkeit des vorliegenden Rechtsmittels nicht entgegen, weil sie nur die Unzulässigkeit des Rekurses gegen den Beschluss, mit dem ein Versäumungsurteil infolge Widerspruches aufgehoben wird, normiert (vgl EvBl 1984/50). Die Entscheidung hängt von der Lösung der Rechtsfrage ab, ob die Vorschrift des § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO dem Beklagten, der bei der ersten Tagsatzung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war, die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruches gegen ein infolge Unterbleibens der Klagebeantwortung erlassenes klagsstattgebendes Versäumungsurteil eröffnet, obwohl der Beklagte in der ersten Tagsatzung die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der vorläufigen unentgeltlichen Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragte und in der Folge auch bewilligt erhielt. Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage des Verfahrensrechtes, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, weil dazu eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes noch fehlt (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO). In der Sache selbst ist der Revisionsrekurs des Klägers aber unberechtigt.

Nach § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO ist § 397a ZPO sinngemäß anzuwenden, wenn der Beklagte bei der ersten Tagsatzung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war. Nach dem klaren Wortlaut dieser Gesetzesstelle wird dem Beklagten, der die Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung versäumte und gegen den deshalb ein Versäumungsurteil nach § 398 Abs 1 ZPO erging, darin die Möglichkeit zur Erhebung des Widerspruches im Sinne des § 397a ZPO eröffnet, wenn er bei der ersten Tagsatzung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war (siehe dazu Fasching Zivilprozessrecht Rdz 589). Für eine einschränkende Auslegung dieser Gesetzesbestimmung bieten die Materialien (RV 669 BlgNR 15. GP 55) keinen Anhaltspunkt. Daraus ist im Wesentlichen lediglich zu entnehmen, dass, nachdem der Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil nach § 397a ZPO mit dem KSchG nur für die Fälle des mündlichen Einlassungsverfahrens vorgesehen worden war, durch die Anfügung des letzten Satzes an den Abs 1 des § 398 ZPO der Widerspruch als Rechtsbehelf auch beim Versäumungsurteil nach § 398 ZPO zur Verfügung stehen sollte. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in anderem Zusammenhang, nämlich bei Lösung der Frage, ob der Beklagte auch dann die im § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO eingeräumte Möglichkeit des Widerspruches hat, wenn keine erste Tagsatzung stattfand, sondern die Beantwortung der Klage mit schriftlichem Beschluss aufgetragen und dann vom Beklagten versäumt wurde, ausführte, ist der in dieser Gesetzesstelle enthaltene einschränkende Nebensatz, der die sinngemäße Anwendung des § 397a ZPO ausschließt, wenn der Beklagte bei der ersten Tagsatzung durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, so zu lesen, dass der Widerspruch dem Beklagten, der die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig überreichte, (nur) dann nicht zusteht, wenn eine erste Tagsatzung stattgefunden hat und der Beklagte bei dieser durch einen Rechtsanwalt vertreten war (EvBl 1984/50).

Dies erscheint auch für den vorliegenden Fall entscheidend. Auch wenn die Beklagte vor und bei der ersten Tagsatzung über Säumnisfolgen belehrt wurde und in der ersten Tagsatzung den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der vorläufigen unentgeltlichen Beigebung eines Rechtsanwaltes stellte, ändert dies nichts daran, dass sie bei der ersten Tagsatzung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war und dass ihr daher nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift des § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO der Rechtsbehelf des Widerspruches gegen das gegen sie wegen Versäumung der Klagebeantwortungsfrist gefällte Versäumungsurteil eingeräumt ist. Die im § 73 Abs 2 ZPO normierten Vorschriften über den Beginn von Fristen im Falle des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes haben mit der Einräumung der Möglichkeit des Widerspruches im § 398 Abs 1 letzter Satz ZPO nichts zu tun; sie betreffen auch andere Fälle. Insbesondere kann aus diesen Bestimmungen weder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes noch die Rechtsfolge abgeleitet werden, dass einer beklagten Partei, die bei der ersten Tagsatzung nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war, entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes die Möglichkeit des Widerspruches gegen ein gegen sie wegen Versäumung der Klagebeantwortungsfrist ergangenes Versäumungsurteil genommen wäre, weil sie bei der ersten Tagsatzung die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes beantragte.

Die Entscheidung des Rekursgerichtes entspricht somit durchaus der Sach- und Rechtslage. Dem Revisionsrekurs des Klägers musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Gemäß den §§ 40, 50 ZPO hat der Kläger die Kosten seines erfolglosen Revisionsrekurses selbst zu tragen.

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