OGH 6Ob525/85

OGH6Ob525/8514.2.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch, Dr.Schobel, Dr.Riedler und Dr.Schlosser als Richter in der außerstreitigen Rechtssache der Antragsteller 1.) Josef A, Notar, Neunkirchen, Bahnhofstraße 47, Bundesrepublik Deutschland, 2.) Hilde B, im Haushalt, Neunkirchen, Mendelsohnstraße 23, Bundesrepublik Deutschland, 3.) Ursula C, Lehrerin, Neunkirchen, Am Altseiterstal 6, Bundesrepublik Deutschland, 4.) Klaus B, Rechtsanwalt, Neunkirchen, Mendelsohnstraße 23, Bundesrepublik Deutschland, 5.) Peter B, Assessor, Neunkrichen, Mendelsohnstraße 23, Bundesrepublik Deutschland, alle vertreten durch Dr.Ernst Offer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die Antragsgegner 1.) Emma D, im Haushalt, Berwang 28, 2.) Paula E, im Haushalt, Elmshausen, Am Wigertsberg 5, Bundesrepublik Deutschland, 3.) mj.Josef D, und 4.) mj.Adelheid D, die beiden Letztgenannten gesetzlich vertreten durch ihre Mutter Karla D, Gnas, Kiensdorf 21, 5.) Helmut F, Schilehrer, Berwang 27,

6.) Heinz G, Hotelier, Berwang 76, der fünfte und sechste Antragsgegner vertreten durch Dr.Oswald Kaspar, Rechtsanwalt in Reutte, wegen Einräumung eines Notweges, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 8.Mai 1981, GZ 4 R 209/80-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Reutte vom 28.August 1980, GZ 1 Nc 33/80-15, zur Verfahrensergänzung aufgehoben wurde, folgenden Beschluß gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht stattgegeben.

Text

Begründung

Die Antragsteller bilden eine Miteigentümergemeinschaft an der Liegenschaft EZ 231 II KG Berwang mit dem Grundstück 246/1. Dieses Grundstück grenzt nicht an einen öffentlichen Weg. Es liegt aber mit seiner östlichen Begrenzung an einer in der Natur als Straße ausgebildeten Landfläche. Dieser Weg verläuft hangabwärts in südlicher Richtung über das Grundstück 246/5, das zum Gutsbestand der im Alleineigentum des sechsten Antragsgegners stehenden Liegenschaft EZ 23 II KG Berwang gehört, quert das Grundstück 84, das zum Gutsbestand der im Alleineigentum des fünften Antragsgegners stehenden Liegenschaft EZ 28 II KG Berwang gehört, und benützt auch Randflächen der Grundstücke 52 und 85, die zum Gutsbestand der im Miteigentum der ersten bis vierten Antragsgegner stehenden Liegenschaft EZ 30 II KG Berwang gehören; er mündet dann in den auf dem Grundstück 1274 verlaufenden öffentlichen Weg.

Sämtliche erwähnte Grundstücke liegen in einer Tiroler Fremdenverkehrsgemeinde.

Der Grund der Antragsteller entbehrt einer als Voraussetzung für eine Bauführung notwendigen rechtlich abgesicherten Verbindung mit dem öffentlichen Wegenetz. Die Antragsteller erachteten ihren Grund im Hinblick auf eine von ihnen beabsichtigte Bauführung in diesem Sinne als notleidend und beantragten die Einräumung eines Notweges durch richterliche Begründung von Dienstbarkeiten des Geh- und Fahrtrechtes in Ansehung des in der Natur bereits bestehenden, über die Grundstücke der Antragsgegner führenden Privatweges. Vor allem der Fünft- und der Sechstantragsgegner, aber auch die Erstantragsgegnerin sprachen sich teils aus tatsächlichen Gründen (praktische Unbenützbarkeit des Weges im Winter, übermäßige Belastung des Weges und Belästigungen der Anrainer), teils aus rechtlichen Gründen (selbstverschuldeter Mangel, überwiegen der Nachteile der zu belastenden Grundstücke gegenüber den Vorteilen für das Grundstück der Antragsteller) gegen die beantragte Einräumung eines Notweges aus.

Die vom Erstgericht zur Erklärung nach § 9 Abs 4 NWG aufgeforderte Bezirksverwaltungsbehörde teilte mit, daß nach ihrem Dafürhalten der beantragten Einräumung eines Notweges öffentliche Rücksichten entgegenstünden, weil die Antragsteller deutsche Staatsbürger seien, die vor mehr als 20 Jahren das als notleidend hingestellte Grundstück aus Spekulationsgründen und in Kenntnis des Umstandes erworben hätten, daß es ihm an einer rechtlich fundierten Zufahrt fehle; weil der von der Gemeinde zu erstellende Flächenwidmungsplan noch nicht feststehe und schließlich, weil nach der Höhenlage und der gegebenen Steigung während der Wintermonate damit gerechnet werden müßte, daß der Weg von Kraftfahrzeugen nur mit entsprechendem Vorspann bergan benützt werden könnte. Der Bürgermeister teilte dem Gericht auf Anfrage mit, daß eine Zufahrt zum Grund der Antragsteller über die nach dem Notwegantrag gewünschte Wegeverbindung baubehördlich nicht als taugliche Zufahrtsmöglichkeit anerkannt werden würde.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Einräumung eines Notweges ab. Es erachtete sich gemäß § 9 Abs 4 NWG an die Erklärung der Bezirkshauptmannschaft als der zuständigen Verwaltungsbehörde gebunden und deshalb ein Hindernis nach § 4 Abs 3 NWG als gegeben. überdies erachtete das Erstgericht das Begehren gemäß § 2 Abs 1 NWG als unzulässig, weil die Einräumung eines Notweges sinnlos wäre, wenn die damit geschaffene Wegverbindung von der Baubehörde für eine Erteilung der Baubewilligung nicht als hinreichend angesehen werde. Das Rekursgericht ersuchte das Amt der Tiroler Landesregierung um eine Erklärung im Sinne der §§ 9 Abs 4 und 16 Abs 6 NWG. Das Amt der Tiroler Landesregierung teilte dem Gericht seine Ansicht mit, daß im vorliegenden Fall die Abgabe der nach den zitierten Bestimmungen einzuholenden Erklärung in den eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde fiele, in welchen Angelegenheiten nach der Tiroler Gemeindeordnung in erster Instanz der Bürgermeister und in zweiter Instanz der Gemeindevorstand zu entscheiden hätte, sodaß die dem Erstgericht vorgelegte Erklärung der Bezirkshauptmannschaft nicht von der 'zuständigen Verwaltungsbehörde' rühre.

Dieser Ansicht schloß sich das Rekursgericht an. Es faßte einen Aufhebungsbeschluß und trug dem Erstgericht auf, die im § 9 Abs 4 NWG vorgesehene Erklärung vom Bürgermeister als der zuständigen Verwaltungsbehörde einzuholen. Dazu führte das Rekursgericht aus, daß eine Erklärung des Bürgermeisters, öffentliche Interessen stünden einer Benützung der im Antrag bezeichneten Landfläche als Notweg zugunsten der Antragsteller entgegen, für die Entscheidung des Erstgerichtes als bindend anzusehen wäre und zur Antragsabweisung führen müßte; sollte jedoch dem Antrag kein solches hHndernis gemäß § 4 Abs 3 letzter Satz NWG entgegenstehen, sei das Verfahren zu den Einwendungen im Sinne des § 2 Abs 1 NWG ergänzungsbedürftig.

Die Antragsteller fechten den rekursgerichtlichen Aufhebungsbeschluß mit einem auf Einräumung des beanstragten Notweges abzielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Antragsgegner streben die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist im Ergebnis nicht berechtigt.

Auf den in diesem Verfahren gestellten Antrag des Obersten Gerichtshofes vom 4.November 1981, 6 Ob 789/81, hat der Verfassungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 6.Dezember 1984, G 90/81-10, die Wortgruppe 'und bei der Entscheidung als bindend zu betrachten' im § 9 Abs 4 des Gesetzes vom 7.Juli 1896, RGBl.140, betreffend die Einräumung von Notwegen, sowie § 16 Abs 6 desselben Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben. Die aufgehobenen Regelungen sind gemäß Art.140 Abs 7 letzter Satz B-VG bei der Entscheidung über den in diesem Verfahren gestellten Antrag auf Einräumung eines Notweges nicht anzuwenden.

Daraus folgt für das weitere Verfahren:

Das materiell-rechtliche Gebot nach § 4 Abs 3 NWG, daß die Einräumung eines Notweges über solche Grundstücke ausgeschlossen ist, welche aus öffentlichen Rücksichten die Benützung als Notweg nicht gestatten, bleibt weiterhin zu beachten. Auch das verfahrensrechtliche Gebot gemäß § 9 Abs 4

NWG über die Einholung einer Erklärung der 'zuständigen Verwaltungsbehörde' besteht weiter aufrecht. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seinem Antrag an den Verfassungsgerichtshof seine Auffassung darüber zum Ausdruck gebracht, daß das mit einem Notwegantrag befaßte Gericht seinen Verpflichtungen zunächst dadurch genügt, daß es gemäß § 11 Abs 2 NWG die örtlich zuständige Bezirksverwaltungsbehörde wegen der etwa in Betracht kommenden öffentlichen Rücksichten in Kenntnis setzt. Dazu führte der Oberste Gerichtshof weiter aus:

Dieser Verwaltungsbehörde obliegt eine Sachbeurteilung nach allen verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten, deren amtswegige Wahrung nach den Verfahrensregelungen und Vollzugsklauseln der einzelnen Verwaltungsgesetze ihr selbst zugewiesen ist. Soweit sie nach ihrem Amtswissen den Verdacht hegt, die Belastung eines bestimmten, vom geltend gemachten Notwegeanspruch betroffenen Grundstückes könnte verwaltungsrechtliche Gesichtspunkte berühren, deren amtswegige Wahrnehmung nach den Verfahrensregelungen und den Vollzugsklauseln der einzelnen Verwaltungsgesetze anderen Behörden zugewiesen ist, hat sie diesen Behörden ungesäumt eine entsprechende Mitteilung zu machen.

Nach der vom vorliegenden Fall abgegebenen Erklärung der Bezirkshauptmannschaft sind ausschließlich öffentliche Rücksichten in Betracht zu ziehen, die Angelegenheiten des selbständigen Wirkungskreises der Gemeinde betreffen. Wenn daher das Rekursgericht dem Erstgericht den Auftrag erteilt hat, diesbezüglich eine Erklärung des zuständigen Organs der Gemeindeselbstverwaltung einzuholen, kann darin kein verfahrensfehler erkannt werden. Freilich wird weder die Erklärung der Bezirksverwaltungsbehörde noch der einer anderen Verwaltungsbehörde für die in diesem Verfahren zu fällende Gerichtsentscheidung bindend sein. Mit dieser Einschränkung entsprechen die Verfahrensergänzungsaufträge des Rekursgerichtes dem Verfahrensstand und der Rechtslage.

Dem gegen den rekursgerichtlichen Aufhebungsbesschluß erhobenen Rekurs mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Das Rechtsmittel hatte lediglich insofern Erfolg, als es Anlaß für das erwähnte Verfassungsgerichtshoferkenntnis war, das zur Folge hat, daß den einzuholenden Erklärungen der Verwaltungsbehörden keine die Gerichte bindende Kraft zukommt.

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