OGH 3Ob501/85

OGH3Ob501/8530.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Johann G*****, Rechtsanwalt,***** wider die beklagte Partei Dr. Hans P*****, Rechtsanwalt,***** vertreten durch Dr. Christoph Suchomel, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 550.000 sA), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 18. September 1984, GZ 17 R 191/84-11, womit der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. April 1984, GZ 28 Cg 297/83-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben und der angefochtene Beschluss mit der Maßgabe bestätigt, dass die von der beklagten Partei erhobene Einrede der Streitanhängigkeit zurückgewiesen wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.022,70 bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin S 1.265,70 an Umsatzsteuer und S 1.200 an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Im Verfahren 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien (Streitanhängigkeit durch Zustellung der Klageschrift an den Kläger als den Beklagten jenes Rechtsstreites begründet mit 7. Oktober 1993) begehrt der Beklagte (der in jenem Verfahren Kläger ist) die Feststellung, er habe durch seine Erklärung vom 19. September 1983, den Kläger aus der mit ihm hinsichtlich des Kanzleiobjektes ***** bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts auszuschließen, diese Gesellschaft aufgelöst; das in dieser Gesellschaft gebundene Vermögen sei hiedurch dem Beklagten zugewachsen; der Kläger sei schuldig, das von ihm mitbenützte Objekt bis längstens 30. November 1983 dem Beklagten geräumt zu übergeben.

Im vorliegenden Rechtsstreit (in dem Streitanhängigkeit am 13. Oktober 1983 eingetreten ist) begehrt der Kläger die Feststellung, es sei zwischen den Streitteilen kein Gesellschaftsvertrag bürgerlichen Rechts abgeschlossen worden. Für den Fall der Abweisung dieses Begehrens stellt der Kläger das Eventualbegehren auf Feststellung, er sei nicht gemäß § 1210 ABGB von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgeschlossen. Sollte auch diesem Begehren nicht stattgegeben werden, beantragt der Kläger die Feststellung, sein Bestandrecht im Bestandobjekt ***** sei Bestandteil seines Unternehmens und nicht Vermögen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Beklagten.

Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Klage wegen Streitanhängigkeit. Die Ansprüche des Klägers und jene des Beklagten im Verfahren 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien stünden in einem einander rechtlich ausschließenden Alternativverhältnis. Die Sachentscheidung über das eine Begehren habe die erschöpfende Lösung der gesamten Rechtsfrage auch des anderen Begehrens zwingend zur Folge.

Das Erstgericht wies die vorliegende Klage wegen Streitanhängigkeit gegenüber der Klage im Verfahren 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien zurück.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht auf, das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund fortzusetzen; es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Streitanhängigkeit liege bei Identität der Parteien und Gleichheit des Rechtsgrundes und der Begehren vor. Gleichheit der Ansprüche liege vor, wenn sich aus den vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen und dem daraus abgeleiteten Begehren ergebe, dass beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel anstreben. Selbst bei Verschiedenheit der Begehren sei daher Streitanhängigkeit gegeben, wenn die Begehren nach ihrem Inhalt in einem solchen Verhältnis zueinander stünden, dass die Sachentscheidung über die weitere Klage die erschöpfende Lösung der gesamten Rechtsfrage des bereits anhängigen Rechtsstreites zwingend zur Folge habe. Gegenstand des Rechtsstreites 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien seien die Wirksamkeit der Ausschließungserklärung des Beklagten und die vermögensrechtlichen Folgen dieses Ausschlusses; die Frage des Bestehens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts sei lediglich eine Vorfrage. Bei der Entscheidung der Frage, ob der Kläger wirksam aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden sei, erwachse - mangels eines Zwischenfeststellungsantrages - die Feststellung des Bestehens einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht in Rechtskraft. Es könne deshalb die im Verfahren 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien zu entscheidende Vorfrage über das Bestehen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage werden. Die Möglichkeit divergierender Entscheidungen nehme der Gesetzgeber in Kauf.

Der Beklagte bekämpft die Entscheidung des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und beantragt, sie dahin abzuändern, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, der Text seines zum AZ 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien erhobenen Begehrens impliziere zugleich auch die Feststellung, dass bis zur Auflösungserklärung des Beklagten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit dem Kläger bestanden habe. Diese Feststellung sei deshalb ein in dem genannten Verfahren erhobenes Urteilsbegehren und nicht bloß Vorfrage. Werde dem Begehren des Beklagten im Verfahren 10 Cg 347/83 stattgegeben, habe dies zwingend die rechtskräftige und abschließende Erledigung auch der vom Kläger im vorliegenden Verfahren gestellten Begehren, und zwar im abweisenden Sinn, zur Folge; denn es könne dann nicht mehr festgestellt werden, dass zwischen den Streitteilen kein Gesellschaftsvertrag bürgerlichen Rechts abgeschlossen worden sei.

Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser Ansicht nicht an.

Die Zurückweisung einer Klage wegen Streitanhängigkeit setzt zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse sowie die Identität der Parteien und Ansprüche in diesen beiden Prozessen voraus (Holzhammer, Österreichisches Zivilprozessrecht2 191). Identität der Ansprüche liegt vor, wenn sich aus den vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen und den daraus abgeleiteten Begehren ergibt, dass die Sachanträge in beiden Prozessen dasselbe Rechtsschutzziel anstreben (Fasching III 91, 5 Ob 671/82), sodass für eine meritorische Entscheidung über die zweite Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (Fasching III 83). Der später geltend gemachte Klageanspruch ist ident mit dem Anspruch der "Vorklage", wenn er durch die rechtskräftige Entscheidung des "Vorprozesses" ebenfalls abschließend rechtskräftig erledigt werden wird (Fasching III 91).

Keine Identität der Ansprüche liegt dort vor, wo in einem Rechtsstreit der vorgebrachte Tatsachenkomplex nur zur rechtlichen Beurteilung der Vorfrage, im zweiten Rechtsstreit aber zur Ableitung des Anspruches in der Hauptsache selbst vorgebracht und erforderlich ist (Fasching III 92). Eine Vorfrage ist die Frage nach einem Rechtsverhältnis oder Recht, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung in der Hauptsache ganz oder zum Teil abhängt, ohne dass sich aber die Rechtsschutzaufgabe in der Beurteilung der Vorfrage erschöpfen könnte. Die Vorfrage unterscheidet sich von der Hauptsache (Hauptfrage) dadurch, dass sie nur ein Bestandteil des Rechtsschutztatbestandes sein kann, ihre Beurteilung aber nicht den Rechtsschutztatbestand erschöpft. Da die Beurteilung der Vorfrage nur eine Voraussetzung für die Sachentscheidung ist, erwächst sie nicht in Rechtskraft und äußert keine bindende Wirkung über den Rahmen des konkreten Rechtsstreites hinaus (SZ 49/82, SZ 48/142, SZ 25/121 ua). Nur dann, wenn die Lösung des Präjudizialverhältnisses auch formal verselbständigt (durch Zwischenfeststellungsantrag oder Feststellungsklage) zum Gegenstand eines Sachantrages wird, ist diese Entscheidung mit den Garantien der Rechtskraft ausgestattet; doch ist in diesem Fall die Vorfrage keine "Vorfrage" im technischen Sinn mehr, sondern ein eigener, selbständiger Rechtsschutzgegenstand (Fasching II 901, III 712; 1 Ob 581/80). Eine bereits in einem Vorprozess beurteilte Vorfrage kann daher, wird sie zum Gegenstand einer selbständigen Feststellungsklage, anders entschieden werden (Fasching III 712).

Der Beklagte begehrt in dem zunächst streitanhängig gewordenen Verfahren 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien die Feststellung, er habe durch eine näher bezeichnete Erklärung eine mit dem Kläger bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts aufgelöst; der Kläger dagegen in dem vorliegenden Rechtsstreit, es sei zwischen den Streitteilen kein Gesellschaftsvertrag bürgerlichen Rechts abgeschlossen worden. Die Sachanträge in den beiden Prozessen streben daher keineswegs dasselbe Rechtsschutzziel an, und der vorliegende Klageanspruch ist mit jenen der "Vorklage" auch keinesfalls "ident" in dem Sinn, dass er durch die rechtskräftige Erledigung des "Vorprozesses" ebenfalls abschließend erledigt wird. Es ist keine Frage, dass das Bestehen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts Voraussetzung dafür ist, dass dem Begehren des Beklagten im "Vorverfahren" stattgegeben werden kann; die Rechtsschutzaufgabe in jenem Verfahren erschöpft sich jedoch - im Gegensatz zum vorliegenden Rechtsstreit - nicht in der Beurteilung dieser Frage, und diese Frage wurde vom hier Beklagten im "Vorverfahren" auch nicht formell verselbständigt (der im "Vorverfahren" vom hier Beklagten - erst später am 19. Jänner 1984 - gestellte Zwischenfeststellungsantrag auf Bestehen eines Gesellschaftsverhältnisses nach bürgerlichem Recht zwischen den Streitteilen bis zum 19. September 1983 wurde wegen des Hauptbegehrens im vorliegenden Rechtsstreit wegen Streitanhängigkeit mit rechtskräftigem Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 21. Februar 1984, 10 Cg 347/83-12 zurückgewiesen). Eine Abweisung des Begehrens im "Vorprozess" würde nach ihrem Spruch dementsprechend eine Entscheidung über das vorliegende Hauptbegehren noch nicht überflüssig machen: Denn sie könnte zwar erfolgen, weil ein Gesellschaftsverhältnis gar nicht bestanden hat und daher auch nicht aufgelöst werden kann, aber auch deswegen, weil die Erklärung des Beklagten vom 19. September 1983 nicht geeignet war, die Auflösung einer bestehenden Gesellschaft herbeizuführen.

Streben aber die Sachanträge in den beiden Verfahren nicht dasselbe Rechtsschutzziel an, sondern bildet das Bestehen einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zwischen den Streitteilen - der Hauptfrage des vorliegenden Rechtsstreites - im Verfahren 10 Cg 347/83 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien nur eine Vorfrage, von der die Entscheidung der Hauptsache in jenem Verfahren zumindest teilweise abhängt, ist Streitanhängigkeit des hier geltend gemachten Anspruches durch das genannte Vorverfahren nicht gegeben.

Dass das Bestehen einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft zwischen den Streitteilen (bis zum 19. September 1983) nicht ein eigener, selbständiger Rechtsschutzgegenstand im "Vorverfahren" ist, hat im Übrigen offensichtlich auch der Beklagte selbst erkannt, wie aus der Stellung eines Zwischenantrages auf Feststellung in der Tagsatzung vom 19. Jänner 1984, 10 Cg 347/83-8, hervorgeht. Handelt es sich aber bei Beurteilung dieses Umstandes nur um eine Vorfrage, rechtfertigt dies nicht die Annahme der Streitanhängigkeit, sondern kann lediglich eine Verbindung der Rechtssachen aus prozessökonomischen Gründen nahelegen.

Mit Recht hat daher das Rekursgericht das behauptete Prozesshindernis verneint; es hätte allerdings über die erhobene Einrede spruchmäßig erkennen sollen. Dem Revisionsrekurs musste deshalb ein Erfolg versagt bleiben; der angefochtene Beschluss war mit der aus dem Spruch ersichtlichen Maßgabe zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO (Zwischenstreit).

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