OGH 13Os208/84

OGH13Os208/8416.1.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Schneider, Dr. Felzmann und Dr. Brustbauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Mahn als Schriftführers in der Strafsache gegen Edvard A wegen des Verbrechens des Diebstahls nach §§ 127 ff. StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über den Antrag auf Wiedereinsetzung wider die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gemäß § 364 StPO. nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung wider die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird erteilt.

Text

B e g r ü n d u n g :

Der dem Angeklagten Edvard A gemäß § 41 Abs. 2 StPO. als Verteidiger beigegebene Rechtsanwalt Dr. Ernst B (Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 27.September 1984: S. 97,

98) stellte am 1.Oktober 1984 einen Antrag auf Vertagung der für den 2. Oktober 1984

anberaumten Hauptverhandlung, (u.a.) weil ihm die Bestellung erst am selben Tag zugegangen sei und er 'aus Zeitgründen gar keine Möglichkeit hätte, die Aktengrundlagen zu studieren' (S. 99, 100). In der Hauptverhandlung am 2.Oktober 1984 scheint laut Protokoll als Verteidiger 'Dr. Erich C, Substitut Dris. B, Rechtsanwalt in Graz, ausgewiesen zu BD 27.9.1984' auf (S. 101). Wörtlich heißt es dann:

'Festgestellt wird, daß der Verteidiger Dr. Ernst B nicht erschienen ist und erklärt sich der Angeklagte mit der Verteidigung durch Dr. Erich C einverstanden' (S. 102).

Nach der Urteilsverkündung und der Rechtsmittelbelehrung hat sich der Angeklagte drei Tage Bedenkzeit vorbehalten (S. 109). Mit dem Beschluß vom 3.Oktober 1984 wurde sodann dem Angeklagten (abermals) ein Verteidiger nach § 41 Abs. 2 StPO. beigegeben, u.a. für die tags zuvor bereits abgeführte Hauptverhandlung. Nach dem angekreuzten und ergänzend ausgefüllten Formulartext gilt nämlich die Beigebung 'für die vor dem Schöffengericht beim unterzeichneten Gericht am 2.10.1984, 8,30 Uhr ...

stattfindende ... Hauptverhandlung und das anschließende Rechtsmittelverfahren' (S. 121). Daraufhin bestellte der Ausschuß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer mit Bescheid vom 5.Oktober 1984

Rechtsanwalt Dr. Erich C zum Verteidiger (S. 122).

Am 24.Oktober 1984 stellte der Angeklagte durch Dr. Ernst B einen Antrag gemäß § 364 StPO. auf Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil vom 2.Oktober 1984. Wie sich bei einem Besuch des Angeklagten durch Dr. C in der Haftanstalt am 23.Oktober 1984 herausgestellt habe, scheine Dr. C der Ansicht gewesen zu sein, 'daß er nur für die Verrichtung der Hauptverhandlung bestellt worden sei und daß dann für die Ausführung eines allfälligen Rechtsmittels wiederum Rechtsanwalt Dr. B einzuschreiten hätte. Dr. B wiederum war der Meinung, daß ein Rechtsmittel gegen das ... Urteil durch Rechtsanwalt Dr. C anzumelden sei.' Infolge des aufgezeigten Dilemmas sei der Angeklagte - ohne Verschulden und durch ein für ihn unabwendbares Ereignis - verhindert gewesen, innerhalb der gesetzlichen Frist die Rechtsmittel gegen das Urteil anzumelden (S. 124, 125).

Nach einer mit dem Angeklagten am 26.November 1984 aufgenommenen Niederschrift war dieser der Meinung, daß nicht er selbst, sondern sein Verteidiger die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung anmelden werde (S. 132). Daß der Angeklagte auf Grund der Rücksprache mit Dr. C im Anschluß an die Hauptverhandlung dieser Meinung sein konnte, wird von Dr. C niederschriftlich bestätigt (S. 131).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof fand sich aus folgenden Gründen zur Erteilung der Wiedereinsetzung bestimmt:

1. Die Erklärung des nunmehrigen Antragstellers in der Hauptverhandlung, mit der Verteidigung durch Dr. C einverstanden zu sein, kann angesichts der auch für 'das anschließende Rechtsmittelverfahren' vorgenommenen Bestellung Dris. B (S. 97) und in angemessener Berücksichtigung des zweifellos von dem unvermittelten Auftreten Dris. C (nach dem Ausbleiben Dris. B) beherrschten augenblicklichen Beurteilungsvermögens des Angeklagten als eine Zustimmung nur für die Hauptverhandlung verstanden werden. Sie vermag darum die Wirkung des § 44 Abs. 2, zweiter Satz, StPO, nicht zu entfalten.

2. Bei dem Umstand dieser Bevollmächtigung im Wortlaut des Protokolls bleibt für die lediglich in der Ausfüllung des Vordrucks angemerkte Substitution folgerichtig kein Raum.

3. Die nachträgliche (!) Beigebung Dris. C als Verteidiger nach § 41 Abs. 2 StPO. für die Hauptverhandlung am 2.Oktober 1984 (Beschluß vom 3.Oktober 1984, Bescheid vom 5.Oktober 1984: S. 121, 122) kann bloß als ein untauglicher Sanierungsversuch der Vorgänge betreffend die Verteidigung in der Hauptverhandlung angesehen werden, welch letztere, soweit beurkundet, zunächst einander widersprechen, hinsichtlich der Bevollmächtigung aber zu den aktenkundigen Voraussetzungen des § 41 Abs. 2, erster Satz, StPO. in einem weiteren unlösbaren Widerspruch stehen.

4. Darüber hinaus fehlt ein Nachweis, daß die nachträgliche Bestellung Dr. C und Dr. B zur Kenntnis gebracht wurde. Aus dem Gesagten folgt, daß der ursprünglich gemäß § 41 Abs. 2 StPO. bestellte Verteidiger Dr. B weiterhin zur Vertretung des Angeklagten, darum auch zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrags legitimiert ist; denn alle zwischen der Beigebung des Verfahrenshelfers Dr. B und dem Restitutionsanbringen vorgefallenen, die Verteidigung des Edvard A betreffenden gerichtlichen Maßnahmen sind in irgendeiner Beziehung fehlerhaft oder widersprüchlich und deshalb samt und sonders unwirksam (nicht so die für die Hauptverhandlung wirksame mündliche Vollmachtserteilung an Dr. C). Jeder der beiden beigegebenen Verteidiger hat angesichts der geschilderten, mit entscheidender Mitwirkung des Gerichts zustande gekommenen unklaren Verteidigerkompetenzen auf eine Rechtsmittelanmeldung durch den anderen vertraut und der Angeklagte hat sich auf seine Verteidiger verlassen.

Das Gericht hat über den nach der Lage des Falls fundierten Vertagungsantrag des ordnungsgemäß bestellten Verfahrenshelfers ON 24 überhaupt nicht entschieden (§ 226 StPO.: anderer erheblicher Grund), sondern hat sich kurzerhand in der Hauptverhandlung mit dem ad hoc erklärten Einverständnis des Angeklagten, durch Rechtsanwalt Dr. C verteidigt zu werden, begnügt.

Darnach waren es die Versäumnisse des Landesgerichts, die eine sowohl für Dr. C als auch für Dr. B nicht mehr entwirrbare Prozeßlage geschaffen haben. Demgegenüber kann das Unterbleiben weiterer Nachforschungen seitens der Verteidiger oder gar des Angeklagten nicht als Verschulden in der Bedeutung des § 364 Abs. 1 Z. 1 StPO. beurteilt werden.

Da das Hindernis für eine fristgerechte Rechtsmittelanmeldung, nämlich der unverschuldete Irrtum, daß diese ohnehin bereits von anderer Seite erledigt sei, nach dem glaubhaften Vorbringen im Restitutionsantrag erst bei der Unterredung mit dem verhafteten Angeklagten am 23.Oktober 1984 weggefallen ist, genügt der Wiedereinsetzungsantrag vom 24.Oktober 1984 dem Fristerfordernis des § 364 Abs. 1 Z. 2 StPO.

Zugleich wurde auch die versäumte Prozeßhandlung (Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung) angebracht (§ 364 Abs. 1 Z. 3 StPO.). Die Ausführung der Rechtsmittel binnen vierzehn Tagen nach der Anmeldung, welche die Staatsanwaltschaft vermißt (S. 3 f. verso), kann insolang nicht gefordert werden, als das Urteil nicht zugestellt ist. Die undifferenzierte Anmerkung 3 bei Roeder, Lehrbuch 2 S. 100, vermag deshalb zur Sache nichts beizutragen (richtig Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts 2 S. 245 Rz. 984).

Dem Restitutionsbegehren war folglich stattzugeben.

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