OGH 2Ob47/84

OGH2Ob47/8421.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte P*****, vertreten durch Dr. Alois Heigl, Rechtsanwalt in Schwanenstadt, wider die beklagten Parteien 1. Herta K*****, 2. E*****AG, *****, beide vertreten durch Dr. August Rogler, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen 202.345 S sA und Feststellung bzw 321.420 S sA und Feststellung infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 17. Mai 1984, GZ 5 R 82/84-60, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichts Wels vom 10. Februar 1984, GZ 2 Cg 205/82-52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Revision der Klägerin teilweise Folge gegeben. Die unterinstanzlichen Entscheidungen werden dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Urteil in seinen Punkten A und C wie folgt zu lauten hat:

„Die Forderung der klagenden Partei besteht mit 342.225 S zu Recht.

Die Gegenforderung der erstbeklagten Partei von 9.904,80 S besteht nicht zu Recht.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution den Betrag von 342.225 S samt 4 % Zinsen aus 191.550 S vom 12. 5. 1982 bis 12. 10. 1983 und aus 342.225 S seit 13. 10. 1983 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren von 142.375 S samt 4 % Zinsen aus 255.400 S vom 1. 5. 1982 bis 11. 5. 1982, aus 63.850 S vom 12. 5. 1982 bis 31. 7. 1983, aus 229.200 S vom 1. 8. 1983 bis 12. 10. 1983 und aus 142.375 S seit 13. 10. 1983 wird abgewiesen.

Die beklagten Parteien haben der Klägerin zur ungeteilten Hand die mit 42.820,68 S bestimmten Prozesskosten (darin enthalten 3.168,20 S USt und 50 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“

Die Klägerin hat den beklagten Parteien die mit 2.877,33 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 232,49 S USt und 320 S Barauslagen) sowie die mit 1.743,54 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 114,87 S USt und 480 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 12. 3. 1981 als Fußgängerin beim Überqueren der Hausruck-Bundesstraße in Ungenach von dem von der Erstbeklagten gelenkten und bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen ***** niedergestoßen und schwer verletzt. Sie behauptet unter Hinweis auf die wegen des Unfalls erfolgte rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung der Erstbeklagten deren Alleinverschulden am Unfall und begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes sowie gestützt auf § 63 KFG 1967 die Zahlung eines Schmerzengeldes von 350.000 S, einer Verunstaltungsentschädigung von 125.000 S, eines Verdienstentgangs von 4.500 S sowie eines erlittenen Sachschadens von 1.800 S. Weiters erhebt sie hinsichtlich der künftigen Unfallsfolgen ein Feststellungsbegehren.

Die beklagten Parteien beantragen Klagsabweisung. Sie wendeten ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am Unfall sowie eine Gegenforderung von 9.904,80 S ein und bestritten die Ansprüche auf Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung auch der Höhe nach. Die übrigen Forderungen stellten sie der Höhe nach außer Streit.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit 282.255 S als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest, sprach der Klägerin demgemäß den vorgenannten Betrag zu und wies das Mehrbegehren von 202.345 S sA ab. Weiters gab es dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von ¾, bei der zweitbeklagten Partei mit einer auf die Deckungssumme des Versicherungsvertrags eingeschränkten Haftung, statt und wies das diesbezügliche Mehrbegehren ebenfalls ab.

Das Berufungsgericht gab den von allen Streitteilen erhobenen Berufungen nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S übersteigt.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wenden sich die auf § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützten Revisionen aller Streitteile. Die Klägerin beantragt Abänderung im Sinne voller Klagsstattgebung, die beklagten Parteien beantragen, wie schon im Berufungsverfahren, auf der Grundlage einer Verschuldensteilung von 1:1 die Abweisung des Mehrbegehrens. Hilfsweise werden von den Revisionswerbern auch Aufhebungsanträge gestellt.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragen die Streitteile jeweils, der gegnerischen Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist teilweise, jene der beklagten Parteien nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht fällte seinen Urteilsspruch auf der Grundlage folgender Sachverhaltsfeststellungen: Die Erstbeklagte fuhr mit dem PKW VW Käfer aus Richtung Ampflwang kommend in Richtung Vöcklabruck und hielt ursprünglich eine Geschwindigkeit von ca 80 km/h ein. Sie hatte das Abblendlicht eingeschaltet. Es herrschte Dunkelheit, die Fahrbahn war trocken. Die Hausruck-Bundesstraße beschreibt im Bereich der Unfallstelle in Fahrtrichtung der Erstbeklagten zuerst eine leichte Linkskurve und verläuft ab etwa 30 m vor der insgesamt 45 m langen, am linken Fahrbahnrand gelegenen Haltestellenbucht bis etwa 10 m über das Ende derselben hinaus geradlinig und geht dann in eine Rechtskrümmung über. Die Haltestellentafel auf der rechten Seite - Richtung Vöcklabruck gesehen - befindet sich 37 m nach dem Beginn der linken Haltestellenbucht. Die Fahrbahn ist asphaltiert und hat eine Breite von 7 m. Die Klägerin war, mit dem Postautobus aus Richtung Vöcklabruck kommend, bis zur gegenständlichen Haltestelle gefahren. Dort stieg sie mit zwei weiteren Personen aus. Als der Bus bereits die Haltestellenbucht verlassen hatte, begegnete ihm die Erstbeklagte, reduzierte ihre Geschwindigkeit auf ca 65 km/h und wich nach links aus, weil sie ein Mädchen, die Zeugin M*****, welche die Fahrbahn gerade überquerte, wahrgenommen hatte. Sie schaute dann etwas zur Seite und verfolgte dieses Mädchen. Plötzlich nahm sie eine weitere Person, die Klägerin, auf der Fahrbahn war, die sich etwa in Fahrbahnmitte und nur noch 4 bis 5 m vor ihrem Fahrzeug befand. Die Erstbeklagte versuchte ihr Fahrzeug abzubremsen und nach links zu verlenken, doch wurden diese Maßnahmen nicht mehr wirksam und erfolgte der Anstoß am rechten Kotflügel des Fahrzeugs. Die Anstoßgeschwindigkeit betrug ca 65 km/h. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Anstoßes gestanden oder mit geringer Geschwindigkeit in Bewegung. Der Anstoßpunkt liegt 6 bis 8 m vor Beginn der Bremsspur des von der Erstbeklagten gelenkten Fahrzeugs (Urteil Seite 16). Aus 65 km/h hätte der PKW bei einer Reaktionszeit der Erstbeklagten von 1 sec und einer Verzögerung von 6,5 m/sec2 - der PKW war mit Spikesreifen ausgestattet - einen Anhalteweg von 45 m gehabt. Die „Verhinderungsschwelle“ durchfuhr die Erstbeklagte 2,5 sec vor dem Zusammenstoß. Unter Berücksichtigung der möglichen Bewegungsgeschwindigkeit der Klägerin ergibt sich, dass diese in den 2,5 sec insgesamt 2,5 m zurückgelegt haben kann. Selbst dann, wenn die Klägerin bis zur Höhe des Anstoßpunktes in Bewegung war, war sie schon einen Meter innerhalb der Fahrbahn, als die Erstbeklagte hätte reagieren müssen, um vor dem Anstoßpunkt anhalten zu können. Wegen des eingeschalteten Abblendlichts hatte die Erstbeklagte nach links vorne nur eine Beobachtungsmöglichkeit von ca 40 m. Der Anhalteweg aus 80 km/h betrug mehr als 60 m. Zur Sicht der Klägerin auf das Fahrzeug der Erstbeklagten ist festzustellen, dass im Falle jener Variante - siehe SV-Gutachten AS 166 - nach welcher sich die Klägerin vor dem Anprall schon eine kurze Zeit abwartend in Fahrbahnmitte befunden hatte, für sie von dort (SV-Gutachten AS 166: „... am wegfahrenden Autobus vorbei ...“) Sicht auf den aus Richtung Ampflwang kommenden Verkehr auf mehr als 100 m gegeben war; wenn sie dagegen vor dem Anprall die Fahrbahn mit mäßiger Geschwindigkeit gehend überquerte, hätte sie etwa auf 75 m den herankommenden Verkehr sehen können. Die Strecke von 100 m wurde vom PKW in etwa 4,6 sec durchfahren, die Strecke von 75 m in 3,5 sec. Diese Zeitspannen hätten der Klägerin eine Räumung der Fahrbahn ermöglicht. Wegen des gegenständlichen Verkehrsunfalls wurde die Erstbeklagte vom Bezirksgericht Vöcklabruck zu 4 U 442/81 nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB rechtskräftig verurteilt, weil sie eine für die Sicht- und Verkehrsverhältnisse überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe. Durch den Unfall erlitt die Klägerin eine Hirnquetschung oder Hirnprellung, eine Rissquetschwunde in der rechten Scheitelgegend, mehrere Hautabschürfungen im Gesicht, einen Bruch des rechten oberen und unteren Schambeinastes, einen offenen Bruch des rechten Oberschenkels, Prellungen, Blutergüsse und Hautabschürfungen an beiden Beinen sowie einen Unfallsschock. Sie befand sich bis zum 27. 6. 1981 in stationärer Behandlung und sodann vom 19. 8. 1981 bis 23. 12. 1981 im Rehabilitationszentrum Meidling. Bei der Entlassung bestand noch ein höhergradiges posttraumatisches Psychosyndrom und eine geringe cerebrale Schwäche des rechten Armes. Weiteres Halbseitenzeichen am rechten Bein in Form einer Reflexsteigerung und auch eine Ataxie der unteren Gliedmaßen. Vom 21. 1. 1982 bis 27. 4. 1982 befand sich die Klägerin neuerlich im vorgenannten Rehabilitationszentrum in Behandlung. Der unfallsbedingte Krankenstand wurde am 27. 4. 1982 beendet. Eine weitere Behandlung erfolgte dann vom 1. 12. 1982 bis 13. 12. 1982 wiederum im Rehabilitationszentrum Meidling. Nach der Entlassung aus diesem hat die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit als kaufmännischer Lehrling nicht wieder aufgenommen. Sie klagt über häufig auftretende Kopfschmerzen und Schmerzen in den Knochenbrüchen. Objektiv konnte ein leichtes bis mittelgradiges organisches Psychosyndrom mit deutlich reduziertem Antrieb und eine leichte Lähmung der rechten Gesichtsnerven festgestellt werden, weiters eine geringe cerebrale Schwäche des rechten Armes sowie Halbseitenzeichen rechts in Form einer Reflexsteigerung, geringe Hautgefühlsstörungen an den Gliedmaßen und im Schambereich. Es besteht auch eine Schwellneigung des rechten Beines und eine Gangstörung, vorwiegend Hemiataxie rechts. Psychisch ist zumindest ein mäßiggradiges organisches Psychosyndrom mit deutlich reduziertem Antrieb vorhanden, das dazu führt, dass die Klägerin aspontan im Verhalten und allgemein verlangsamt ist. Die Merkfähigkeit für Zahlen ist deutlich vermindert. Spätfolgen sind nicht auszuschließen; nach der Schädel-Hirnverletzung ist das Auftreten einer posttraumatischen Epilepsie nicht auszuschließen; ebensowenig nach der Beckenverletzung, dass bei eventuellen zukünftigen Schwangerschaften eine Entbindung nur durch Kaiserschnitt erfolgen kann. Die leichte Verdickung des Unterschenkels in Bruchhöhe lässt auch nicht ausschließen, dass durch eine Fehlbelastung im Kniegelenk das Auftreten einer posttraumatischen Arthrose begünstigt wird. Der Gang der Klägerin ist etwas unsicher, das rechte Bein wird etwa ataktisch bewegt. Die Mitbewegungen am rechten Arm sind reduziert. Es besteht ein ungerichtetes und eher nach rechts geneigtes Schwanken, das beim Gehen und auch beim Stehen erkennbar ist. An der Außenseite der Hüfte und des rechten Oberschenkels befindet sich eine Weichteilschwellung von etwa 16 cm Durchmesser. Am oberen Rand der Weichteilschwellung ist eine sternförmige Narbe von etwa 1 cm Durchmesser vorhanden. Weiters findet sich von der Weichteilschwellung bis zum Kniegelenk heranreichend eine blaßbraune und blaßgraue Hautverfärbung von ca 25 cm Länge und 3 cm Breite als Folge der Hautabschürfungen und Staubeinsprengungen. Im Zentrum der Hautverfärbung befindet sich am unteren Narbenende eine dunkelbraune, 1,5 cm im Durchmesser betragende, derbe Narbe. Die Weichteilschwellung und die beschriebenen Narben sind beim Tragen eines Badeanzugs gut erkennbar. Diese Veränderungen führen sicherlich zu einer gewissen Störung, die jedoch im gesamten Bild des gestörten Ganges und der gestörten gesamten Körperfunktion eher untergehen. Die körperlichen und psychischen Veränderungen der Klägerin sind bereits bei einem kurzen Kontakt mit ihr auch für einen Laien durchaus erkennbar, die psychischen Veränderungen bereits bei einem kurzen Wortwechsel. Die Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit beträgt 100 %; dies besagt allerdings nicht, dass die Klägerin nicht doch in einem speziellen Beruf tätig sein könnte. Die Schmerzperioden betragen: starke Schmerzen gerafft zwei bis eher drei Wochen, mittelstarke Schmerzen gerafft acht bis zehn Wochen und leichte Schmerzen gerafft und einschließlich der überschaubaren Restbeschwerden fünf bis sechs Monate. An dem von der erstbeklagten Partei gelenkten Fahrzeug entstand durch den Unfall ein Schaden von 9.904,80 S. Es ist jedoch nicht hervorgekommen, dass die Erstbeklagte diesen Schaden dem Eigentümer des PKW zu ersetzen gehabt habe.

In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Erstgericht auf die hinsichtlich des Verschuldens der Erstbeklagten am Unfall gemäß § 268 ZPO gegebene Bindungswirkung des rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteils. Außer diesem der Erstbeklagten anzulastenden Verstoß gegen § 20 StVO 1960 sei ihr auch noch eine mangelnde Beobachtung der Fahrbahn vorzuwerfen, zumal sie der Fußgängerin M***** nachgeblickt und solcherart die Klägerin erst in einer Entfernung von 4 bis 5 Metern wahrgenommen habe. Dieser sei jedoch anzulasten, dass sie, sich in Fahrbahnmitte befindend, trotz der Erkennbarkeit des herannahenden Fahrzeugs die Fahrbahn nicht geräumt habe. Da nicht feststehe, ob sie sich unmittelbar vor dem Anprall in Bewegung befunden habe, könne ihr aber nicht vorgeworfen werden, sie habe die Fahrbahn trotz des herannahenden Fahrzeugs zu überqueren versucht. Unter Berücksichtigung der vom PKW ausgehenden Betriebsgefahr erscheine eine Verschuldensteilung von 1:3 zu Lasten der Erstbeklagten gerechtfertigt. An Schmerzengeld hielt das Erstgericht einen Betrag von rechnungsmäßig 285.000 S für angemessen, die Verunstaltungsentschädigung setzte es rechnungsmäßig mit 85.000 S fest. Die eingewendete Gegenforderung verneinte es mangels eines entsprechenden Nachweises.

Das Berufungsgericht hielt weder die Beweisrüge der beklagten Partei noch die von allen Streitteilen erhobenen Rechtsrügen für gerechtfertigt. Der Klägerin lastete es an, sie habe mindestens 3,5 sec vor dem Zusammenstoß des Herannahen des von der Erstbeklagten gelenkten Fahrzeugs erkennen können und daher auf ein gefahrloses Überqueren der Fahrbahn nicht vertrauen dürfen, zumal die Erstbeklagte als Lenkerin des herannahenden Fahrzeugs schon 2,5 sec vor dem Zusammenstoß nicht mehr die Möglichkeit des rechtzeitigen Zumstillstandbringens ihres Fahrzeugs gehabt habe. Als Fußgängerin hätte sie bei der Benützung der Fahrbahn in erster Linie selbst auf ihre Sicherheit achten müssen. Es treffe sie daher jedenfalls ein Mitverschulden am Unfall. Die Erstbeklagte habe im Hinblick auf das eingeschaltete Abblendlicht eine zu hohe Geschwindigkeit von zunächst 80 km/h und im Unfallsaugenblick noch immer 65 km/h eingehalten. Wenn sie im Hinblick auf ein allfälliges Fehlverhalten der die Fahrbahn vor ihr überquerenden Fußgängerin M***** dieser nachgeblickt und der übrigen Fahrbahn demgemäß weniger Aufmerksamkeit widmen habe können, dann hätte sie diesem Umstand bei der Wahl ihrer Geschwindigkeit Rechnung tragen müssen. Das Fehlverhalten der Klägerin, der nicht nachgewiesen worden sei, dass sie in Anbetracht des herannahenden Fahrzeugs nicht mehr zum Betreten der Fahrbahn berechtigt gewesen sei, wiege jedenfalls geringer als jenes der Erstbeklagten. Die vom Erstgericht ausgesprochene Verschuldensteilung entspreche somit dem beiderseitigen Verschulden. Hinsichtlich der Bemessung des Schmerzengelds und der Verunstaltungsentschädigung trat das Berufungsgericht ebenfalls der erstgerichtlichen Beurteilung bei.

In der Revision der Klägerin wird zur Verschuldensfrage ausgeführt, die Erstbeklagte habe den Unfall durch das festgestellte, mehrfach grob verkehrswidrige Verhalten verschuldet, wogegen der Klägerin kein gerechtfertigter Schuldvorwurf gemacht werden könne. Sie sei einerseits zum Zeitpunkt des Unfalls gestanden und andererseits sei ihr auch eine Schrecksekunde zuzubilligen. Im Übrigen sei nach der praktischen Erfahrung das Stehenbleiben die beste Möglichkeit, die Gefahren eines mit übermäßiger Geschwindigkeit herannahenden Fahrzeugs abzuwehren. Wäre die Klägerin zurückgewichen, so wäre sie von der nach links verreißenden Erstbeklagten erst recht niedergefahren worden. Diese hätte aber auch nach rechts verreißen können, sodass eine Ausweichbewegung dorthin ebenfalls nicht sinnvoll erschienen wäre. Tatsächlich sei die Klägerin angesichts des herannahenden Fahrzeugs vor Schreck erstarrt stehengeblieben. Eine unrichtige Schreckreaktion begründe nach der Rechtsprechung aber kein Verschulden. Im Übrigen sei im Hinblick auf die Schwere der Verletzungen und die ins Gewicht fallende Verunstaltung der Klägerin auch der volle Zuspruch der begehrten Entschädigungsbeträge gerechtfertigt.

Die Revision der beklagten Partei hält weiterhin eine Verschuldensteilung von 1:1 für gerechtfertigt. Der Verstoß der Erstbeklagten gegen das Fahren auf Sicht falle nicht besonders ins Gewicht, weil der Anhalteweg 45 m, die Sichtweite bei Abblendlicht aber 40 m betragen habe. Der weitere Vorwurf einer Unaufmerksamkeit der Erstbeklagten sei ungerechtfertig, weil er in Zusammenhang mit der angelasteten, etwas überhöhten Geschwindigkeit stehe. Diesem Fehlverhalten sei eine eklatante Unaufmerksamkeit der Klägerin beim Überqueren der Fahrbahn gegenüberzustellen, welche durch 3,5 bis 4,6 sec auf das von der Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug nicht reagiert und gegen § 76 Abs 4 lit b StVO 1960 verstoßen habe. Die Klägerin sei als unbeleuchtetes Hindernis für die Erstbeklagte auch so spät erkennbar gewesen, dass man von einer verspäteten Reaktion der Erstbeklagten nicht sprechen könne.

Zur Verschuldensteilung:

Entgegen allen Revisionsausführungen erscheint nach den Umständen dieses Falls die von den Unterinstanzen ausgesprochene Verschuldensteilung zutreffend.

Der Klägerin ist anzulasten, dass sie trotz der wegen des ausfahrenden Autobusses erschwerten Wahrnehmbarkeit des von rechts kommenden Verkehrs - die Sichtweite betrug nach der im Rahmen der Verschuldenshaftung zugrundezulegenden, weil für sie günstigeren Annahme (8 Ob 4/79; ZVR 1982/220; ZVR 1983/306 uva) von der Fahrbahnmitte aus rund 100 m - die Fahrbahn nicht zügig überquerte, sondern entweder nur mit mäßiger Geschwindigkeit gegangen oder aber in der Dunkelheit auf der Fahrbahn überhaupt stehengeblieben war, obwohl sie in den ihr zur Verfügung gestandenen 4,6 sec die Fahrbahn räumen hätte können. Gemäß § 76 Abs 5 StVO sind Fußgänger verpflichtet, die Fahrbahn „in angemessener Eile“ zu überqueren. Dieser Pflicht hat die Klägerin hier somit nicht entsprochen und dadurch den Unfall mitverschuldet. Entgegen der in der Revision der beklagten Partei vertretenen Ansicht tritt dieses Mitverschulden gegenüber jenem der Erstbeklagten aber zweifellos zurück. Diese fuhr nicht nur mit einer für die tatsächlichen Sichtverhältnisse zu hohen Geschwindigkeit, sodass sie bei ihrem wegen der querenden Fußgängerin M***** durchgeführten Linkslenkmanöver in einen objektiv nicht einsehbaren Bereich geraten musste, sondern beobachtete die Fahrbahn in dieser Richtung auch auf der vom Abblendlicht des PKW ausgeleuchteten Strecke überhaupt nicht, blickte vielmehr nach rechts und konnte solcherart die in ihrer Fahrlinie befindliche Klägerin erst unmittelbar vor dem Anprall wahrnehmen. Hierin liegt aber ein sehr schwerwiegender Verstoß eines Kraftfahrzeuglenkers, zumal die Beobachtung der Fahrbahn durch die Verkehrsteilnehmer eine Grundvoraussetzung im Straßenverkehr bildet. Da das Fehlverhalten der Klägerin, die die Fahrbahn zu einem Zeitpunkt betreten hatte, als für sie der von der Erstbeklagten gelenkte PKW noch nicht wahrnehmbar war, lediglich darin besteht, dass sie die Fahrbahn nicht in angemessener Eile überquerte, kommt den von der Erstbeklagten gesetzten Verkehrswidrigkeiten somit erheblich größere Bedeutung zu und erscheint die unterinstanzliche Verschuldensteilung gerechtfertigt.

Zum Schmerzengeld:

Die Klägerin hat mehrere sehr schwere Verletzungen, nämlich eine Hirnquetschung oder Hirnprellung, dreifache Knochenbrüche und weitere Verletzungen erlitten, deretwegen sie dreimal und insgesamt rund 11 Monate lang stationär behandelt werden musste, welche Schmerzen in der Gesamtdauer von rund 10 Monaten zur Folge hatten und insbesondere auch mit gravierenden Dauerfolgen verbunden sind. Sie musste wegen des Unfalls ihre Ausbildung als kaufmännischer Lehrling abbrechen und ist wahrscheinlich auf Dauer zu 100 % erwerbsunfähig. Unter anderem leidet sie an einem leichten bis mittelgradigen organischen Psychosyndrom mit deutlich reduziertem Antrieb und einer leichten Lähmung der rechten Gesichtsnerven, einer geringen cerebralen Schwäche des rechten Arms sowie Halbseitenzeichen rechts in Form einer Reflexsteigerung sowie einer Gangstörung. Sie ist aspontan im Verhalten und allgemein verlangsamt, die Merkfähigkeit für Zahlen ist deutlich vermindert. Spätfolgen sind nicht auszuschließen, insbesondere wegen der Schädel-Hirnverletzung auch nicht das Auftreten einer Epilepsie. Bei diesem Verletzungs- und Zustandsbild und der daraus resultierenden psychischen Beeinträchtigungen für das gesamte künftige Leben ist der Revision darin zu folgen, dass der von der Klägerin als Globalentschädigung, also zur Abgeltung auch sämtlichen mit den Unfallsfolgen in Zukunft noch verbundenen Ungemachs, begehrte Betrag von 350.000 S angemessen erscheint. Ihrer Revision war somit insoweit Folge zu geben.

Zur Verunstaltungsentschädigung:

Die starke Gangstörung und die mehrfachen, von der rechten Hüfte bis zum Kniegelenk reichenden großen Narben und Hauptverfärbungen, welche auch beim Tragen eines Badeanzugs gut erkennbar sind, im Zusammenhalt mit den auffälligen psychischen Veränderungen der Klägerin stellen eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Erscheinung dar, schließen bei ihr als Frau offenkundig zahlreiche Erwerbsarten aus und können für ein besseres Fortkommen somit von erheblichem Nachteil sein. Durch die Verunstaltung wurden aber auch die Heiratschancen der nunmehr 19-jährigen Klägerin nicht unbedeutend herabgesetzt, denn die unfallsbedingten äußerlichen Auffälligkeiten versetzen sie gegenüber unversehrten Frauen bei der Partnerwahl zweifellos in eine wesentlich schlechtere Position. Ihre Chancen auf ein besseres Fortkommen sind daher, insgesamt betrachtet, jedenfalls in einem Maße gesunken, das die Erhöhung der von den Unterinstanzen zugesprochenen Verunstaltungsentschädigung auf 100.000 S gerechtfertigt erscheinen lässt. Ein voller Zuspruch des von ihr begehrten Betrags ist jedoch auch nicht im Hinblick auf den in der Revision angeführten, grundsätzlich geeigneten Vergleichsfall ZVR 1970/181 möglich, wie dies schon der damals zugesprochene Betrag von lediglich 70.000 S zeigt. Der Revision war in diesem Punkte daher nur teilweise ein Erfolg zuzuerkennen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs 2 ZPO, jene des Berufungsverfahrens auf §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.

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