Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen zu den Hauptfragen A, B, C und D sowie das sich darauf gründende Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in seinen Schuldsprüchen zu den Fakten I/1 (Barbara B), I/2 (Helga C), I/3 a (Helene D) und I/3 b (Maria E), sowie demgemäß auch im Strafausspruch, aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Wilhelm A auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil - das auch einen Teilfreispruch enthält - wurde u.a. der am 23.Dezember 1963 geborene beschäftigungslose Wilhelm A des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143, 1. Fall, StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, in Wien - (teils) in Gesellschaft anderer Beteiligter (§ 12 StGB) - dadurch mit Gewalt gegen eine Person einem anderen fremde bewegliche Sachen mit Bereicherungsvorsatz weggenommen zu haben, daß er nachstehenden Personen ihre Handtaschen mit folgendem Inhalt entriß:
1. allein am 19.März 1982 der Barbara B 120 S Bargeld, eine Lesebrille im Wert von 1.000 S, sowie zwei Schlüssel, einen Kamm und Spiegel;
2. in Gesellschaft des gesondert verfolgten Richard F als Beteiligtem am 10.März 1982 der Helga C eine Geldbörse mit 400 S Bargeld;
3. in Gesellschaft des gesondert verfolgten Reinhard G als Beteiligtem am 11.März 1982
a) der Helene D eintausend Schilling Bargeld, einige Fahrscheine, drei Brillen und diverse Schlüssel im Gesamtwert von 1.500 S;
b) der Maria E 500 S Bargeld und vier Schlüssel;
4. in Gesellschaft des Otto H und des gesondert verfolgten Erich I als Beteiligtem am 10.März 1982 der Leopoldine J 150 S Bargeld, drei Schlüssel, eine Brille und zwei Brillenlederetuis im Gesamtwert von 700 S.
An die Geschwornen waren insoweit nur anklagekonforme Hauptfragen (A-F) gerichtet worden; die Geschwornen bejahten die auf Raub lautenden Hauptfragen A bis E und verneinten die sich auf einen im März 1982 zum Nachteil des Manfred K begangenen Diebstahl beziehende Hauptfrage F, worauf das eingangs bezeichnete Urteil erging. Die Hauptfrage I bezog sich auf den (Mit-) Angeklagten H (Beteiligung am Raubüberfall auf Leopoldine J).
Diese - mit der Hauptfrage E korrespondierende - Hauptfrage wurde gleichfalls bejaht.
Während der Angeklagte Leopold Otto H das Urteil unbekämpft ließ, wendet sich der Angeklagte Wilhelm A mit einer auf den Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde gegen den ihn betreffenden Teil des Schuldspruchs. In seinem Rechtsmittel macht er, kurz zusammengefaßt, geltend, er habe in keinem der ihm als Raub angelasteten Fälle einen Nötigungsvorsatz gefaßt oder die Betroffenen stoßen oder schlagen wollen. Die Opfer seien durch die Wegnahme ihrer Handtaschen überrascht worden und hätten gar keine Zeit gefunden, einen Widerstandsentschluß zu fassen. Die Beweisergebnisse hätten es erfordert, eine Eventualfrage zu stellen, um den Geschwornen die Möglichkeit zu bieten, die Taten als Vergehen des Diebstahls nach dem § 127 StGB zu beurteilen. Durch die Unterlassung dieser Eventualfrage sei der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 StPO gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Diesem Vorbringen kommt zum Teil Berechtigung zu.
Raub verlangt - abgesehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall der Drohung - Gewaltanwendung gegen die Person des Sachinhabers. Die gegen die Person des Angegriffenen gerichtete Gewalt muß nicht immer in einer unmittelbaren Einwirkung auf den Körper selbst bestehen. Im Fall des Entreißens einer Handtasche - und gerade dies wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt - hängt die Entscheidung, ob Raub oder Diebstahl vorliegt, davon ab, ob der Täter die Sache durch Einsatz körperlicher Kraft unter gewaltsamer Brechung des - allenfalls auch nur erwarteten oder befürchteten - widerstrebenden Willens des Angegriffenen wegnimmt, wozu unter Umständen auch ein gewaltsames Zerren an der vom Angegriffenen festgehaltenen Sache genügen kann. Findet der Angriff jedoch so unversehens statt, daß das überraschte Opfer einen auch dem Angreifer bewußt werdenden Behauptungswillen und daher einen Widerstandsentschluß erst gar nicht fassen konnte, liegt Diebstahl vor, denn es fehlt diesfalls an der räuberischen Nötigung (vgl. u.a. Leukauf-Steininger 2 , RN 22 zu § 142 StGB).
Nun ergibt sich in den Fakten Barbara B (Punkt I/1 des Urteilssatzes), Helene D (I/3 a) und Maria E (I/3 b), daß ein bloß überraschendes Entreißen der Handtaschen, gegen das sich die Opfer wegen des überraschungsmomentes gar nicht zur Wehr setzen konnten, nicht auszuschließen ist (vgl. die Seiten 364 bis 366). Der demgegenüber, insbesonders durch seinen Hinweis auf ein Abreißen des Taschenhenkels unter Umständen auf einen Widerstandswillen der Zeugin Maria E bzw. auf eine erhebliche Gewaltanwendung hindeutende Bericht vom 12.März 1982 (Seite 181) wurde im übrigen entgegen der ausdrücklichen Vorschrift des § 252 Abs. 2 StPO nicht durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt und damit gemäß dem § 258 Abs. 2 StPO auch nicht zu einem zulässigerweise verwertbaren Beweismittel erhoben.
Im Faktum Helga C (I/2) wurde das Tatopfer bei dem überfall zwar zu Boden gestoßen und leicht verletzt (Seiten 163, 365; nicht verlesen die Seiten 53, 69 a, 167, 169, 173), der Beschwerdeführer verantwortete sich in der Hauptverhandlung jedoch (Seite 361) dahin, daß er auch 'das möglichst rasch' habe machen wollen und die Frau 'nur unabsichtlich angerempelt habe'.
Bei dieser Gestaltung der genannten vier Fakten war aber der Schwurgerichtshof unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers verpflichtet, entsprechende Eventualfragen an die Geschwornen zu stellen, durch die sie in die Lage versetzt worden wären, eine solche Art der Tatausführung zum Nachteil der Barbara B, der Helene D, der Maria E und der Helga C als erwiesen anzunehmen, die eine Beurteilung als (bloßer) Diebstahl zuließe. (Dem vom Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung behaupteten Verhalten zum Nachteil der Helga C hätte der Schwurgerichtshof außerdem, wie der Vollständigkeit halber vermerkt sei, auch durch eine Eventualfrage in Richtung des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 StGB Rechnung tragen müssen.) Auch wenn der Schwurgerichtshof der überzeugung ist, daß sich die vorgebrachten Tatsachen nicht zugetragen hatten, darf er aus diesem Grund allein die Stellung von Eventualfragen nicht unterlassen, weil die Lösung von Beweisfragen (auf Grund von in der Hauptverhandlung vorgebrachten Tatsachen) allein den Geschwornen obliegt (vgl. dazu Foregger-Serini 3 , Erl. zu § 314 StPO und die dort zitierte Judikatur). Durch die Unterlassung entsprechender Eventualfragen, die nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens indiziert waren, wurde somit in den Punkten I/1, I/2, I/3 a und I/3 b des Urteilssatzes der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 StPO verwirklicht.
Die angeführten Erwägungen treffen für die Tathandlung zu Lasten der Leopoldine J (Faktum I/4) nicht zu: Leopoldine J wurde die Handtasche nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung zwar auch überraschend, aber ihrer Darstellung nach doch gegen ihren deutlichen Widerstand 'entrissen' (S 362 f), wobei die Sachwegnahme bei dem Tatopfer Prellungen am Zeige-, Mittel- und Ringfinger der linken Hand, am Mittelfinger auch einen Bluterguß, zur Folge hatte (S 143, 366; nicht verlesen S 147) und der Angeklagte letztlich zugab, H und er hätten bei der (von ihm selbst als 'Beraubung' bezeichneten) Tat, wenn es notwendig gewesen wäre, helfen sollen. In diesem Fall wiesen die Verfahrensergebnisse allein auf eine Wegnahme der Handtasche unter gezielter überwindung eines auch tatsächlich geleisteten Widerstandes des Opfers durch Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft hin, so daß hier die Stellung von Eventualfragen nach dem Delikt des Diebstahls sowie der fahrlässigen Körperverletzung nicht indiziert war und - den die Beweisergebnisse nur unvollständig und zum Teil (Faktum I/4) irreführend zitierenden Ausführungen der Beschwerde zuwider - eine Verletzung der gesetzlichen Vorschriften über die Fragestellung (insbesonders § 314 StPO) nicht vorliegt.
Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Wilhelm A war sohin teilweise Folge zu geben, der von der Nichtigkeit nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 StPO betroffene Teil des Wahrspruchs und des darauf beruhenden Schuldspruchs des Angeklagten A sowie der diesen Angeklagten berührende Strafausspruch aufzuheben und die Rückverweisung der Sache an das Geschwornengericht beim Landesgericht für Strafsachen Wien zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung anzuordnen (§ 349 Abs. 1 StPO).
Im übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen. Mit seiner durch die Teilaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte Wilhelm A auf diese Entscheidung zu verweisen.
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