European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00020.840.1213.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 13.731,59 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 960 S an Barauslagen und 946,04 S an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 20. März 1978 ereignete sich gegen 10:30 Uhr auf der Brennerautobahn (Richtungsfahrbahn Süden) bei Kilometer 13,65 ein Verkehrsunfall, an dem der von Mario R***** gelenkte Tankwagenzug der klagenden Partei (italienische Kennzeichen VR 427276 und VR 4309), der vom Zweitbeklagten gelenkte, damals bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherte PKW Mercedes (deutsches Kennzeichen 102 Z 5268), Hans‑Jürgen K***** mit dem PKW (deutsches Kennzeichen HOM‑JK 50) und Franz H***** als Lenker des Sattelzugs der Firma Andreas T***** (österreichisches Kennzeichen S 110.105 und S 112.522) beteiligt waren. Der Zweitbeklagte kam mit seinem PKW bei dem Versuch, den am rechten Fahrstreifen fahrenden Tankwagenzug der klagenden Partei zu überholen, ins Schleudern und stieß gegen das linke Vorderrad des Tankwagenzugs. Dadurch kam der Tankwagenzug ins Schleudern, wobei sich der Anhänger querstellte und beide Fahrbahnen der Autobahn versperrte. Während Hans‑Jürgen K***** seinen hinter dem Tankwagenzug fahrenden PKW noch rechtzeitig zum Stillstand bringen konnte, war Franz H***** nicht mehr in der Lage, den von ihm gelenkten, dem PKW nachfolgenden Sattelzug rechtzeitig anzuhalten; der Sattelzug stieß gegen den PKW Hans‑Jürgen K*****s und in der Folge gegen den Anhänger des Tankwagenzugs der klagenden Partei. Durch diesen Anprall stürzte der mit Milch beladene Tankwagenzug um.
Mit der am 16. Februar 1979 erhobenen Klage begehrte die klagende Partei aus dem Titel des Schadenersatzes von den Beklagten zur ungeteilten Hand des ihr bei diesem Unfall entstandenen Schadens (nach Einschränkung des Klagebegehrens) in der Höhe von 418.211,70 S sA. Der Zweitbeklagte habe den gegenständlichen Verkehrsunfall dadurch allein verschuldet, dass er bei Schneefall auf der mit Schneematsch bedeckten Fahrbahn mit Sommerreifen während des Überholvorgangs zu weit nach links gekommen und dabei ins Schleudern geraten und gegen das linke Vorderrad des Tankwagenzugs der klagenden Partei gestoßen sei. Dadurch sei es zum Schleudern des Tankwagenzugs und der Blockierung der Fahrbahn gekommen.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Der Schade der klagenden Partei sei nicht durch die vom Zweitbeklagten herbeigeführte Kollision entstanden, sondern durch ein fehlerhaftes Verhalten des Lenkers des auffahrenden LKW‑Zugs. Die Beklagten hätten daher für diesen Schaden nicht aufzukommen.
Hinsichtlich der erstbeklagten Partei trat Ruhen des Verfahrens ein.
Das Erstgericht gab dem eingeschränkten Klagebegehren gegen die zweit‑ und drittbeklagte Partei statt.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der zweit‑ und drittbeklagten Partei in der Hauptsache keine Folge.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO (idF vor der Zivilverfahrensnovelle 1983) gestützte Revision des Zweit‑ und der Drittbeklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragte, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Bei der rechtlichen Beurteilung des bereits wiedergegebenen Sachverhalts ging das Erstgericht davon aus, dass die schuldhafte und rechtswidrige Fahrweise des Zweitbeklagten die Ursache dafür gewesen sei, dass der Lenker des LKW‑Zugs der klagenden Partei die Herrschaft über das Fahrzeug verloren habe, wodurch es zu einer Blockierung der Autobahn und in der weiteren Folge zu den Auffahrunfällen gekommen sei. Diese weiteren Schäden seien durch den Zweitbeklagen adäquat verursacht worden, denn mit deren Eintritt habe in abstracto gerechnet werden müssen. Von einem atypischen Erfolg könne nicht gesprochen werden. Ein Aufmerksamkeitsfehler des Lenkers des auffahrenden LKW‑Zugs ändere nichts an der grundsätzlichen Verantwortung des Zweitbeklagten. Dieser und mit ihm gemäß § 63 Abs 1 KFG die Drittbeklagte hafteten daher für den gesamten unfallskausalen Schaden der klagenden Partei.
Das Berufungsgericht erachtete die vom Zweit‑ und der Drittbeklagten gegen dieses Urteil erhobenen Rechtsrügen als nicht begründet. Im Sinne der von der Rechtsprechung im Wesentlichen angenommenen Lehre von der adäquaten Verursachung habe der Schädiger für alle zufälligen Folgen seines schuldhaften Verhaltens zu haften, mit deren Möglichkeit in abstracto habe gerechnet werden müssen, sofern es sich nicht um einen atypischen Erfolg handle. Für das Entstehen eines Schadens sei daher jede Bedingung als Ursache im rechtlichen Sinn anzusehen, die für den Erfolg typisch sei, diesen Erfolg erwarten ließe und nach dem gewöhnlichen Ablauf der Dinge zur Herbeiführung des Erfolgs geeignet sei. Die Haftung bleibe bestehen, auch wenn eine weitere Ursache dazugetreten sei, falls dieses Hinzutreten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge als wahrscheinlich zu erwarten gewesen sei, und nicht außerhalb menschlicher Erwartung stehe. Die Beurteilung der Adäquanz des Kausalzusammenhangs sei objektiv zu beurteilen, sodass es nicht entscheidend sei, ob der Zweitbeklagte mit dem Eintritt eines derartigen Schadens hätte rechnen können. Unter diesen Voraussetzungen werde auch für eine hinzutretende menschliche Handlung gehaftet, es sei denn, dass mit derartigen Handlungen oder Unterlassungen und dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht gerechnet werden könne. An der Haftung ändere auch der Umstand nichts, dass die Handlung des Dritten objektiv rechtswidrig gewesen sei, so etwa bei nicht rechtzeitiger oder richtiger Reaktion eines Verkehrsteilnehmers. In dieser Weise sei die Haftung für einen sogenannten Folgeunfall im Straßenverkehr zu beurteilen. Eine solche Haftung werde von der Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn es – wie hier – durch den Primärunfall zu eine Blockierung der Fahrbahn komme. Dann sei nämlich das Zustandekommen weiterer Auffahrunfälle nicht atypisch, sondern geradezu typische Folge. Dies gelte auf Hochgeschwindigkeitsstraßen wie Autobahnen keineswegs nur bei Nacht. Von diesen Grundsätzen ausgehend könne die Haftung des Zweit‑ und der Drittbeklagten auch für die Schäden aus dem Folgeauffahrunfall nicht in Zweifel gezogen werden, zumal dieser Auffahrunfall doch durch das Blockieren der Fahrbahn infolge der vom Zweitbeklagten schuldhaft herbeigeführten Primärkollision ausgelöst worden sei. Dies gelte umso mehr, als zwischen dem Primärunfall und dem Folgeunfall kein längerer Zeitraum gelegen sei und insbesondere keine Zeit mehr zur Verfügung gestanden habe, Warneinrichtungen aufzustellen oder gleichwertige Maßnahmen zur Verhinderung von Folgeunfällen zu setzen. Die Frage des allfälligen Verschuldens des Lenkers des Sattelzugs der Firma T***** habe nur Bedeutung für allfällige interne Ausgleichsansprüche im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG, nicht jedoch für die Ersatzansprüche der klagenden Partei, deren Lenker kein Verschulden an dem gegenständlichen Unfall treffe (§§ 8, 11 Abs 1 letzter Satz EKHG). Da das Erstgericht zutreffend von der Anwendung österreichischen Rechts ausgegangen und die maßgeblichen Rechtsfragen völlig richtig gelöst habe, müsse der Berufung der Erfolg versagt bleiben.
Die Revisionswerber bekämpfen in ihrer Revision die Annahme des adäquaten Kausalzusammenhangs zwischen dem ersten Verkehrsunfall und dem Schaden am Fahrzeug der klagenden Partei durch die Vorinstanzen. Der Primärunfall, bei dem der LKW der klagenden Partei nicht beschädigt worden sei, sei unter den gegebenen Umständen keine Bedingung zum Eintritt des durch den Folgeunfall eingetretenen Schadens durch Auffahren des nachfolgenden Sattelzugs. Eine solche Bedingung würde nur dann vorliegen, wenn der Folgeunfall auch dann zustandegekommen wäre, wenn der nachfolgende Lenker des LKW‑Sattelzugs sich nicht verkehrswidrig verhalten hätte. Der Primärunfall und der Folgeunfall stellten daher zwei getrennte und voneinander unabhängige Schadensereignisse dar, die nicht in Zusammenhang gebracht werden dürften.
Diesen Revisionsausführungen ist abermals zu entgegnen, dass nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Grenze, bis zu der dem Urheber eines Schadens die Haftung für die Folgen seiner Handlungen auferlegt wird, nach der sogenannten Adäquanztheorie bestimmt wird. Danach besteht – wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten – eine Haftung für alle Folgen eines schädigenden Verhaltens, mit denen abstrakt nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gerechnet werden muss, nicht aber für einen atypischen Erfolg. Die Adäquanz fehlt, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Erfolg nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eine Bedingung für den Schaden war ( Koziol , Haftpflichtrecht I 2 144 f; ZVR 1977/238; ZVR 1980/16 und 150; ZVR 1982/95; ZV 1983/19; ZVR 1984/93 ua). Unter diesen Gesichtspunkten ist auch – worauf das Berufungsgericht ebenfalls mit Recht hinwies – die Frage zu lösen, ob deswegen, weil zwischen die vom Schädiger gesetzte Bedingung und den eingetretenen Erfolg eine freie menschliche Handlung eines Dritten tritt, der juristische Kausalzusammenhang zwischen schädigender Handlung und Erfolg zu verneinen ist (sogenannte Unterbrechung des Kausalzusammenhangs). Auch hier entspricht es Lehre und ständige Rechtsprechung, dass es nur darauf ankommt, ob dieses Verhalten des Dritten nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag, ob also mit dieser hinzutretenden Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu rechnen war oder nicht ( Koziol aaO 147 f; JBl 1966, 473; ZVR 1971/224; ZVR 1973/131; JBl 1974, 372; ZVR 1974/188; ZVR 1980/150 ua). Es wird also auch durch die Handlung eines Dritten der juristische Kausalzusammenhang dann nicht unterbrochen, wenn mit dieser Handlung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge abstrakt zu rechnen war und sie nach einem objektiven Maßstab nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag. Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, ist dem Berufungsgericht beizupflichten, dass das Zustandekommen eines Auffahrunfalls nach einer Blockierung der Fahrbahn durch den Primärunfall nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag und der als Folge des ersten Unfalls entstandene Unfall somit nicht als atypischer Erfolg des Primärunfalls angesehen werden kann. Die Vorinstanzen haben daher mit Recht einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem vom Zweitbeklagten schuldhaft verursachten ersten Verkehrsunfall und dem am Fahrzeug der klagenden Partei durch den Auffahrunfall entstandenen Schaden bejaht. In der Annahme einer Haftung der Beklagten für den der klagenden Partei entstandenen Schaden kann daher keine unrichtige rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen erblickt werden.
Der Revision konnte unter diesen Umständen kein Erfolg beschieden sein.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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