OGH 9Os163/84

OGH9Os163/844.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.Dezember 1984 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak (Berichterstatter), Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Lengauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rita A wegen des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. August 1984, GZ 2 d Vr 9487/83-37, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Stöger und des Verteidigers Dr. Wille jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit sie sich gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB richtet, verworfen.

2. Gemäß § 290 Abs. 1 StPO wird das Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Angeklagten wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 3 StGB (Punkt B des Urteilssatzes) und demgemäß auch im gesamten Strafausspruch aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Die Angeklagte Rita A wird von der gegen sie erhobenen Anklage, sie habe im März 1982 unter Ausnützung einer Gelegenheit, die durch eine ihr aufgetragene Arbeit als Krankenschwester geschaffen worden war, fremde bewegliche Sachen, nämlich fünf Ampullen Agrypnal, etwa 50 Tabletten Valium und eine Einwegspritze im Gesamtwert von ca 60 S ihren Auftraggebern, nämlich den Verantwortlichen des B C, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

3. Für den verbleibenden Schuldspruch wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB wird sie nach dieser Gesetzesstelle zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 3 (drei) Jahren verurteilt.

4. Mit ihrer gegen das Urteilsfaktum B gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde sowie mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf die vorstehenden Entscheidungen verwiesen.

  1. 5. Die Anrechnung der Vorhaft wird aus dem Ersturteil übernommen.
  2. 6. Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die 29jährige Krankenschwester Rita A (zu A) des Verbrechens des Totschlages nach § 76 StGB und (zu B) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 3 StGB schuldig erkannt. Darnach hat sie (zu A) am 22.August 1983 sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, ihren am 8.Oktober 1982 geborenen Sohn Christopher A durch Injizieren des Schlafmittels Agrypnal vorsätzlich zu töten und (zu B) im März 1982 unter Ausnützung einer Gelegenheit, die durch eine ihr aufgetragene Arbeit als Krankenschwester geschaffen worden war, fremde bewegliche Sachen, nämlich fünf Ampullen Agrypnal, etwa 50 Tabletten Valium und eine Einwegspritze im Gesamtwert von etwa 60 S ihren Auftraggebern, nämlich den Verantwortlichen des B C, mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch die Zueignung dieser Sachen unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die Angeklagte mit ihrer nominell auf die Z 4, 5 und 9 lit a (der Sache nach: Z 9 lit b) des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde ihren Schuldspruch wegen Totschlages bekämpft, ist sie nicht im Recht.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider konnte die von ihr in der Hauptverhandlung beantragte Einvernahme der Zeugen Ulrike D, Anton D*** und Annemarie E in der Tat sanktionslos unterbleiben. Denn daß die Angeklagte - was durch die genannten Zeugen bewiesen werden sollte - von Ilse F laufend telefonisch bedroht und beschimpft worden sei bzw daß die Genannte sie im August 1983 in ihrer Wohnung beschimpft und angeschrieen habe, wurde vom Schöffengericht im wesentlichen Kern als erwiesen angenommen (vgl S 405 f) und ist im übrigen - der Beschwerde zuwider - für die Beantwortung der Frage, ob sie sich am 22.August 1983 im Zeitpunkt der Tötung ihres Kindes im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit nach § 11 StGB befand, ersichtlich irrelevant.

Der vorwiegend Unvollständigkeiten der Begründung behauptenden Mängelrüge (Z 5) der Angeklagten ist zunächst generell entgegenzuhalten, daß nach der Strafprozeßordnung (§ 270 Abs. 2 Z 5) im Urteil keineswegs jeder einzelne von einem Angeklagten, einem Sachverständigen oder Zeugen vorgebrachte Satz einer besonderen Erörterung zu unterziehen ist und daß das Gericht auch nicht der Verpflichtung unterliegt, sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen Einwand im voraus auseinanderzusetzen (vgl Mayerhofer/Rieder, StPO, Nr 104 und 105 zu § 270).

Dies gilt vorliegend namentlich auch für all jene Einzelumstände, die bei der Angeklagten zur Entstehung und Entwicklung eines präsuizidalen Syndroms mit dem Ende der suizidalen Einengung geführt haben und die entgegen der Beschwerde nicht Punkt für Punkt angeführt werden mußten; genug daran, daß das Erstgericht global auf die Verwertung der insoweit bedeutsamen Zeugenaussagen sowie auf die Krankengeschichte ON 34 verwies (vgl S 412).

Aber auch mit dem Inhalt der Sachverständigengutachten haben sich die Tatrichter in ausreichendem Maße auseinandergesetzt und insbesondere eindeutig dargelegt, aus welchen Erwägungen sie bei der ihnen allein obliegenden Lösung der Rechtsfrage, ob der Angeklagten der Schuldausschließungsgrund des § 11 StGB zustattenkomme, der Ansicht des Sachverständigen Dr. G, der Angeklagten habe im Tatzeitpunkt die Dispositionsfähigkeit gemangelt, nicht folgten (vgl S 410 f).

Desgleichen geht die Beschwerde fehl, wenn sie vermeint, das Schöffengericht habe den von ihm verwendeten Begriff der 'suizidalen Einengung' nicht aufgelöst, das heißt nicht zureichend erörtert. Denn in der entscheidenden Frage, ob sich die Angeklagte im Zeitpunkt der Tötungshandlung in einem Zustand der Zurechnungsunfähigkeit befand, kommt es allein darauf an, ob der ihr im Tatzeitpunkt vorgelegene Zustand einer erheblichen seelischen Störung - den ihr sämtliche Sachverständigen konzedieren - einem der im § 11 StGB angeführten Zustände - einer Geisteskrankheit, eines Schwachsinns oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung - gleichwertig und demnach von einem solchen Grad war, daß die Angeklagte damals unfähig war, das Unrecht ihrer Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Mit dieser Frage hat sich aber das Erstgericht unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Gutachten der auch zur Hauptverhandlung beigezogenen vier psychiatrischen Sachverständigen im angefochtenen Urteil eingehend beschäftigt und sowohl die Diskretions- als auch die Dispositionsfähigkeit der Angeklagten im Zeitpunkt der Tat und damit ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit mit mängelfreier Begründung bejaht (vgl S 409 bis 411).

Auf der Basis der vom Erstgericht in freier Würdigung des Verhaltens der Angeklagten und der Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen gewonnenen Konstatierungen über den bei der Angeklagten im Tatzeitpunkt gegebenen psychischen Zustand kann aber auch ein Irrtum in der Lösung der Rechtsfrage, nämlich in der Verneinung der Voraussetzungen des § 11 StGB, nicht gefunden werden und unternimmt die Rechtsrüge der Angeklagten nicht einmal den Versuch, einen derartigen Irrtum der Prozeßordnung gemäß darzutun. Indem sie nämlich unter mehrfachen Literaturhinweisen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie die einen Selbstmord (oder Selbsmordversuch) auslösenden Impulse generell auf eine krankhafte Komponente zu reduzieren und darzutun versucht, die Angeklagte sei im Tatzeitpunkt nicht dispositionsfähig gewesen, entfernt sie sich von der konstatierten, auf den Gutachten der Sachverständigen Dr. H, Prof. Dr. I und Dr. J basierenden, einer Anfechtung entzogenen tatinstanzlichen Sachverhaltsgrundlage und bedarf es mithin hiezu keiner weiteren Einlassungen.

Die gegen den Schuldspruch wegen des Verbrechens des Totschlags erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten versagt sohin zur Gänze.

Aus Anlaß dieser Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch gemäß § 290 Abs. 1

(erster Fall) StPO von Amts wegen wahrzunehmen, daß der Schuldspruch der Angeklagten im Urteilsfaktum B (:wegen des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 1 und Abs. 2 Z 3 StGB) mit dem in der nachstehend aufgezeigten Richtung ungerügt gebliebenen, sich jedoch zum Nachteil der Angeklagten auswirkenden materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b des § 281 Abs. 1 StPO behaftet ist:

Nach den bezüglichen Urteilsfeststellungen befand sich die Angeklagte bereits bei Verübung des von ihr zum Nachteil ihres Dienstgebers im B K in Wien verübten Medikamentendiebstahls im März 1982

infolge der im Ersturteil näher beschriebenen, sich schon damals aus ihren persönlichen Verhältnissen ergebenden Konfliktsituation in einem solchen Zustand hochgradiger Depression, daß sie in ihrer Verzweiflung an Selbstmord dachte und sich in diesem Zustand zur rechtswidrigen Ansichnahme von Medikamenten und einer Einwegspritze im Gesamtwert von rund 60 S hinreißen ließ (S 404 d.A). Damit hat aber das Erstgericht in diesem Urteilsfaktum der Sache nach sämtliche Voraussetzungen für eine Tatbeurteilung als Entwendung im Sinne des § 141 Abs. 1 StGB als erwiesen angenommen. Denn die Entziehung des im Urteilsfaktum B angeführten, als geringwertig einzustufenden Gutes durch die Angeklagte erfolgte nach dem Vorgesagten aus Unbesonnenheit. Darunter ist ein auf eine augenblickliche Eingebung zurückzuführendes Handeln des Täters zu verstehen, das einem Willensimpuls entspringt, der aus besonderen Gründen der Lenkung durch ein ruhiges Denken entzogen ist und sonst nach der charakterlichen Beschaffenheit des Täters in der Regel unterdrückt worden wäre (vgl Foregger-Serini, StGB 3 , Erl II zu § 141 StGB und die dort zitierte Judikatur). Diesen Voraussetzungen entsprach der Tatentschluß der Angeklagten im Urteilsfaktum B, die sich auf Grund eines aus einer ihr ausweglos erscheinenden Lage entsprungenen und auf Selbstmord ausgerichteten (augenblicklichen) Willensimpulses, sohin unter Umständen, die einem ruhigen überdenken entgegenstanden, zu einer ihr an sich persönlichkeitsfremden Entziehungshandlung hinreißen lassen.

Mit Rücksicht darauf, daß die stafgerichtliche Verfolgung einer Entwendung gemäß § 141 Abs. 2 StGB von einer vom Verletzten erteilten Ermächtigung (zur Strafverfolgung) abhängig ist, eine solche Ermächtigung aber vorliegend mangelt, war die Angeklagte gemäß §§ 290 Abs. 1, 288 Abs. 2 Z 3 StPO sogleich von der gegen sie erhobenen Anklage freizusprechen, womit sich eine Befassung mit jenem Teil der Rechtsrüge der Angeklagten erübrigt, mit welchem sie den sachlichen Strafausschließungsgrund des § 42 StGB infolge mangelnder Strafwürdigkeit der zu Punkt B des Urteilssatzes angeführten Tat für sich reklamiert und war sie insoweit auf die Kassierung des Schuldspruchs zu verweisen.

Bei der hiedurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung war mangels eines Rechtsmittels der Anklagebehörde und infolge des Verschlimmerungsverbotes als Obergrenze die Höhe der erstinstanzlichen Unrechtsfolge - vier Jahre Freiheitsstrafe - vorgegeben.

Angesichts der vorhandenen Milderungsgründe - Geständnis; bisheriger ordentlicher Lebenswandel; einem Schuldausschließungsgrund nahekommender Geisteszustand im Tatzeitpunkt - und des Umstandes, daß die Angeklagte nach den tatrichterlichen Konstatierungen ernsthaft danach getrachtet hatte, gemeinsam mit ihrem Kinde aus dem Leben zu scheiden, erscheint eine Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren tatschuldgerecht und auch vom Standpunkt der Generalprävention her gesehen, angemessen.

Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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