OGH 5Ob600/84

OGH5Ob600/8427.11.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Petronella K*****, vertreten durch Dr. Alfred F. Cerny, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dipl.‑Ing. Günter K*****, vertreten durch Dr. Heinrich Wille, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhaltszahlung (Streitwert 360.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. August 1984, GZ 43 R 2129/84‑72b, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Döbling vom 30. April 1984, GZ 2 C 23/80‑63, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0050OB00600.840.1127.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung in die zweite Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Prozessparteien sind verheiratet, leben aber getrennt; ein vom Mann eingeleitetes Scheidungsverfahren ist anhängig.

Die Frau begehrte mit der vorliegenden Klage die Verurteilung des Mannes zur Unterhaltszahlung.

Der beklagte Mann beantragte die Abweisung dieses Begehrens. Er wendete Verzicht und Verwirkung des Unterhaltsanspruchs infolge einer schweren Eheverfehlung (Eingehung einer Lebensgemeinschaft) der Frau ein.

Das Erstgericht verurteilte den beklagten Mann zur Zahlung von monatlich 10.000 S für die Zeit vom 6. 11. 1980 bis zum 22. 12. 1982 und von monatlich 11.000 S ab 23. 12. 1982 bis auf weiteres unter Einrechnung der aufgrund der einstweiligen Verfügung vom 25. 11. 1981 bezahlten monatlichen Unterhaltsbeiträge von 8.638 S.

Dem Erkenntnis des Erstgerichts liegt im Wesentlichen folgende Sachverhaltsannahme zugrunde:

Im Frühjahr 1980 habe die Klägerin mit Zustimmung des Beklagten bei ihren Familienangehörigen in den Niederlanden Wohnung genommen. Dorthin habe sie auch den ehelichen minderjährigen Sohn Johann mitgenommen. Zur Deckung ihres Unterhalts habe der Beklagte ihr Schecks mitgegeben. Sie habe dann zwei Monate lang mit ihrem Sohn zwei Zimmer der Wohnung ihres Musiklehrer Rob B*****, eines Gitarristen, bewohnt und für diesen Mann Arbeiten geleistet, sei aber mit ihm keine Lebensgemeinschaft eingegangen; wohl habe sie aber Eheprobleme mit ihm besprochen, insbesondere etwa, dass sie den Beklagten auch ohne Geschlechtsverkehr glücklich machen könne. Gegen den Willen des Beklagten sei sie dann wieder nach Wien zurückgekehrt, habe sich aber geweigert, eine Wohnung in der P***** im ***** zu beziehen. Zu einem Geschlechtsverkehr sei es zwischen den Eheleuten nach der Rückkehr der Frau aus den Niederlanden nicht gekommen. Durch die einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Wien vom 30. 10. 1981 sei dem beklagten Mann das sofortige Verlassen der Ehewohnung aufgetragen worden. Er habe dann zunächst bei seinen Eltern gewohnt und benütze nun eine gemietete Wohnung in der P***** im *****. Die klagende Frau lebe gemeinsam mit dem ehelichen Sohn in der Ehewohnung. Die Klägerin sei ausgebildete Volksschullehrerin und habe auch kurzfristig einen Hochschulkurs an der Wirtschaftsuniversität Wien besucht, ihn jedoch nicht beendet. Vorübergehend habe sie im September und Oktober 1966 in einem Büro in Wien gearbeitet, sei jedoch im Übrigen während der Ehe keinem Beruf nachgegangen. Eine Stellung als Lehrerin könne sie in Österreich nicht erhalten, kurzfristig könne ihr jedoch eine Stellung als Sitzkassierin vermittelt werden; es sei jedoch schwer für sie, eine Arbeit als Korrespondentin oder Werkstättenschreiberin zu erlangen. Der Beklagte sei höherer Angestellter bei der Ö*****, habe als solcher monatliche Nettobezüge von 34.815 S (1980) bzw 32.000 S (1981, aber ohne Sonderzahlung) gehabt und beziehe seit 1983 monatlich netto 37.673 S. Er habe für den im Jahre 1967 geborenen ehelichen Sohn Johann zu sorgen: Aufgrund der nicht rechtskräftigen Entscheidung des Vormundschaftsgerichts vom 7. 2. 1984 müsse er monatlich 5.000 S leisten.

Aus diesem Sachverhalt erschloss das Erstgericht, dass der Beklagte der Klägerin nach § 94 ABGB Unterhalt leisten müsse, der im ausgesprochenen Umfang angemessen sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diese Entscheidung.

Zu den umfangreichen und detaillierten Ausführungen des Beklagten in der Berufungsschrift zum Anfechtungsgrund unrichtige Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung (Seiten 4‑10 der Berufungsschrift) nahm das Berufungsgericht wie folgt Stellung:

„Die Ausführungen zum Berufungsgrund der unrichtigen Beweiswürdigung vermögen nicht zu überzeugen. Sie enthalten teils Behauptungen, die durch die Beweisergebnisse nicht erhärtet werden konnten, und ziehen zum anderen Teil aus diesen Schlüsse, die nicht zwingend sind. Das Erstgericht hat unbedenklich dargelegt, aus welchen Gründen und folgend welchen Beweismittel(n) es zu seinen Feststellungen gekommen ist. Zweifel an deren Richtigkeit vermochten umfangreiche Rechtsmittelausführungen zu diesem Berufungsgrund nicht zu erwecken. Das Berufungsgericht übernimmt daher die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und legt sie auch seiner Entscheidung zugrunde.“

Den Umstand, dass die Klägerin in Holland bei Rob B***** wohnte, erachtete das Berufungsgericht selbst bei Annahme eines dadurch erweckten „objektiv begründeten Schein(s) ehewidriger Beziehungen“ allein als nicht geeignet, eine Unterhaltsverwirkung im Sinne eines Rechtsmissbrauchs nach § 94 Abs 2 ABGB herbeizuführen; dass die Klägerin ihren Ehemann, den Beklagten, böswillig verlassen habe und mit einem anderen Mann eine Lebensgemeinschaft eingegangen sei, habe das Erstgericht nicht festgestellt. Der Unterhaltsanspruch der klagenden Frau im Ausmaß von etwa 30 % des Einkommens des beklagten Mannes sei angemessen.

Der beklagte Mann bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichts mit Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Die klagende Frau begehrt, diesem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Im Vordergrund der Betrachtung muss aufgrund der Aktenlage die Prüfung der Berechtigung des Missbrauchseinwands des beklagten Mannes gegen den Unterhaltsanspruch der klagenden Frau stehen. In ständiger Rechtsprechung, die auch nach der Neuregelung der persönlichen Rechtsbeziehung der Ehegatten durch das Eherechtswirkungsgesetz (EheRwG BGBl Nr 412/1975) unverändert fortgeführt wurde (vgl EvBl 1976/69, S 131, EvBl 1979/156 S 435 = EFSlg 32.738 ua; in diesem Sinne zuletzt etwa 6 Ob 550/83 vom 3. 11. 1983), hat der Oberste Gerichtshof dargelegt, dass die Ehegattin den Anspruch auf Unterhalt in Form einer Geldrente verliert, wenn sie sich besonders schwerer Eheverfehlungen schuldig mache, wie Ehebruch, fortgesetzte empfindliche Verletzungen der ehelichen Treue, insbesondere durch Eingehung einer sogenannten Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann udgl. Sicherlich können nicht schon verhältnismäßig geringfügige Verstöße gegen eheliche Verhaltungspflichten und ‑gebote Grund für den Verlust des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Ehefrau wegen Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB sein; es wird vielmehr ein strenger Maßstab gefordert, der an den besonderen Einzelfall anzulegen ist.

Hier ist unbestritten, dass die klagende Ehefrau rund zwei Monate lang mit ihrem knapp zwei Jahre älteren Musiklehrer in dessen ‑ der Anzahl und Lage der Zimmer sowie der Intimräume (Bad, WC) nach nicht bekannten ‑ Wohnung wohnte, mit ihm intime Gespräche über Sexualprobleme ihrer Ehe führte, Arbeiten für ihn verrichtete und gelegentlich auch für ihn kochte. Das Erstgericht hat, ohne die zu dieser Rechtsfolgerung notwendigen näheren Tatsachenfeststellung zu treffen, angenommen, dass die Klägerin mit ihrem Musiklehrer Rob B***** ‑ der in der Zwischenzeit verstorben ist ‑ keine Lebensgemeinschaft eingegangen sei. Es hat dabei in keiner Weise zu dem Inhalt des in dieser Richtung nicht vernachlässigbaren Briefes dieses Mannes an den Beklagten vom 19. 6. 1980 (Beilage 2) Stellung bezogen, sondern gemeint, dieser Brief könne „die Angaben der Klägerin, sie habe mit Rob B***** über Eheprobleme gesprochen, nicht widerlegen“ (Seite 291), obwohl darin Sätze vorhanden sind („Ich kann sie ‑ Anm: die Klägerin ‑ nicht mehr glücklich machen“; „Dadurch, daß ich Nelly ‑ Anm: die Klägerin ‑ habe kennen lernen, gibt es jedoch niemand, der Sie so gut verstehen kann wie ich (in Verbindung mit Nelly). Ich weiß nun mehr denn wer immer auch, wie groß Ihre Probleme und Ihre Traurigkeit sind. Deshalb kann ich Ihnen auch diesen peinlichen Brief schreiben“; „Ich bin bereit, Nelly zu Ihnen zu bringen, wenn Sie dies wollen. Vergib ihr und vergib auch mir“; „Jeder Mensch macht Fehler. Ich habe auch Schuld. Ich bekenne es Ihnen“; „Und was den sexuellen Kontakt betrifft: Sie werden damit keine Probleme mehr haben. Ich habe sie gelehrt, Sie zu lieben. Trotz ihres sexuellen Gebrechens kann sie Sie dennoch befriedigen!!! Sie müssen verstehen, daß es auf Grund Ihres Rückens manchmal schwierig für sie ist. Aber weil sie Sie liebt, ist alles möglich. Sie kommen dann nichts zu kurz!“; „Ich liebe Nel so sehr, daß wenn Nel mit Ihnen glücklich ist, dann bin ich auch glücklich“), die eine Verharmlosung der Beziehungen der Klägerin zu diesem Mann nicht zulassen, ohne die Gefahr heraufzubeschwören, die Effektivität der Gerichte bei der Wahrheitsfindung überhaupt in Frage zu stellen. Das Erstgericht hat ferner nicht dazu Stellung genommen, wie das Aussageverhalten des minderjährigen Sohnes der Streitparteien im Ehescheidungsverfahren ‑ worauf der beklagte Mann besonders hingewiesen hat ‑ zu den auf das persönliche Verhältnis der klagenden Frau zu Rob B***** gerichteten Fragen zu werten ist. Die in der aufgezeigten Richtung mangelhaften Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungsaussagen des erstgerichtlichen Urteils lassen jedenfalls die entscheidende Frage, ob eine Lebensgemeinschaft oder doch ein einer solchen sehr nahekommendes zwischenmenschliches Verhältnis zwischen der Klägerin und Rob B***** bestanden hat, nicht abschließend beantworten, wie es das Berufungsgericht rechtsirrig dennoch tat. Dem beklagten Ehemann ist dabei in der Ansicht beizustimmen, dass bei der Beantwortung der Frage nach dem Bestehen der für die Annahme einer Lebensgemeinschaft (oder eines einer solchen sehr nahekommenden zwischenmenschlichen Verhältnisses) im Allgemeinen doch charakteristischen geschlechtlichen Beziehungen unter den besonderen Verhältnissen dieses Falles, wie sie die Aktenlage deutlich macht, die Anlegung eines strengen Beweismaßstabes geradezu lebensfremd wäre.

Das Berufungsgericht hat die ‑ im aufgezeigten Sinne mangelhaften ‑ Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts ohne eine einer Überprüfung und Einsicht in die dazu führenden Gedankengänge und Erwägungen zugängige Begründung mit allgemeinen Redewendungen ( Fasching , Zivilprozessrecht RZ 817: „Leerformeln“ und „Kurialfloskeln“) „als unbedenklich“ übernommen. Dieser Begründungsmangel ( Fasching aaO) wurde vom beklagten Ehemann in der Revisionsschrift ausdrücklich und mit Recht gerügt, so dass das Urteil des Berufungsgerichts schon aus diesem Grunde aufgehoben werden muss. Im Sinn der Bestimmung des § 496 Abs 3 ZPO verweist der Oberste Gerichtshof die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung des beklagten Ehemannes gegen das erstgerichtliche Urteil in die zweite Instanz zurück.

Wenn im fortgesetzten Verfahren angenommen werden sollte, dass zwischen der Klägerin und Rob B***** eine Lebensgemeinschaft oder doch ein einer solchen sehr nahekommendes zwischenmenschliches Verhältnis bestand und der Beklagte ihr diesen schweren Verstoß gegen die ehelichen Verhaltenspflichten und ‑gebote nicht vergab, dann ist auch die durch einstweilige Verfügung angeordnete Verweisung des Beklagten aus der Ehewohnung bedeutungslos.

Zu den übrigen Rechtsausführungen der Revision, die zum Großteil ohnedies nur in dritter Instanz nicht überprüfbaren Fragen der Unterhaltsbemessung betreffen (nämlich die Aufwendungen des Beklagten für die nun eigene Wohnung und die der Klägerin zumutbare Annahme einer Erwerbstätigkeit (EFSlg 34.468, RZ 1977/106 SZ 213, EFSlg 25.352, 23.151 ua) braucht derzeit nicht Stellung genommen werden.

Aus den dargelegten Gründen ist spruchgemäß zu entscheiden.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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