OGH 2Ob657/84

OGH2Ob657/8427.11.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann K*****, vertreten durch Dr. Helmut Cronenberg, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei L*****, dieser vertreten durch Dr. Alfred Lind, Rechtsanwalt in Graz, wegen 25.000 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 2. Juli 1984, GZ 4 R 257/84-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. April 1984, GZ 28 C 733/82-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 2.603,68 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 240 S Barauslagen und 214,88 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei betreibt das Landeskrankenhaus Graz und ist Eigentümerin der dazugehörenden Gebäude. Im Krankenhausgelände sind zahlreiche Parkbänke zur freien Benützung durch die Patienten und deren Besucher aufgestellt. Der Kläger besuchte am 4. 10. 1981 seinen Vater, der Patient in der Lungenabteilung des Landeskrankenhauses war. Nach dem Besuch setzte er sich auf einer der Bänke, um auf ein öffentliches Verkehrsmittel zu warten. Hiebei wurde er von einem vom Dach des Gebäudes der Lungenabteilung herabfallenden Biberschwanzziegel am Kopf und an den Händen verletzt.

Das Erstgericht wies das auf Ersatz eines Schmerzengeldes von 25.000 S sA gerichtete Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens ab und erklärte die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellt die Revisionswerberin einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger bekämpft den Zulässigkeitsausspruch und beantragt im Übrigen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung den auf den AS 69 bis 72 (S 3 bis S 6 der Urteilsausfertigung) dargestellten Sachverhalt zugrunde. Es vertrat die Meinung, dass die beklagte Partei den ihr nach § 1319 ABGB obliegenden Entlastungsbeweis, alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet zu haben, erbracht habe. Das Maß der anzuwendenden Sorgfalt richte sich danach, was vom Besitzer des Werks vernünftigerweise nach der Verkehrsauffassung erwartet werden könne. Dem habe die beklagte Partei durch die Beauftragung des Dachdeckermeisters Rudolf P***** mit der laufenden Kontrolle des Daches entsprochen.

Das Berufungsgericht stellt nach einer teilweisen Beweiswiederholung und einer Beweisergänzung folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Das Dach des Gebäudes des Landeskrankenhauses, von dem der Ziegel herabfiel, hat eine Neigung zwischen 35 und 57 Grad. Es wurde zwischen Dezember 1979 und Mai 1980 vom Dachdeckermeister Rudolf P***** mit Biberschwanzziegeln neu eingedeckt. Gerhard D*****, der zuständige Bauleiter des Amtes der Steiermärkischen Landesregierung, kontrollierte diese Arbeit und befand sie in Ordnung. Er wendete sein Augenmerk allerdings vorwiegend dem Saum- und Firstbereich zu. Die Dachhaut selbst überprüfte er nicht. Im August oder September 1981 fiel infolge Loslösung des Mörtels ein Firstziegel vom Dach. Hiebei wären beinahe zwei Sanitätshelfer verletzt worden. Gerhard D***** verständigte hievon den Dachdeckermeister Rudolf P***** und forderte ihn zur Behebung des Mangels auf. Dieser führte die Reparatur durch. Gerhard D***** kontrollierte sie von unten. Er erteilte aus Vorsichtsgründen dem Rudolf P***** den Auftrag, ab 1. 10. 1981 das Dach alle 14 Tage zu kontrollieren. Rudolf P***** überprüfte das Dach vor dem klagsgegenständlichen Vorfall (4. Oktober) nicht mehr. Nach dem Unfall stellte ein Polizeibeamter fest, dass noch mehrere andere Dachziegel ca 10 cm unterhalb ihrer ursprünglichen Anbringungsstelle hingen. Von einem Landesbeamten wurde daher noch am Nachmittag dies 4. 10. 1981 eine Sicherung rund um das Dach angebracht. Am 5. 7. 1983 stellte der vom Kläger beauftragte Ingenieurkonsulent für das Bauwesen Dipl.-Ing. Alois W***** bei einer Besichtigung der Dacheindeckung fest, dass ein paar Dachziegel nicht in der richtigen Lage, mit der Nase auf den Dachlatten, auflagen und jederzeit durch Wind- oder Temperatureinwirkung abrutschen können.

Das Berufungsgericht teilte zum Haftungsgrund nach § 1319 ABGB die Rechtsmeinung des Erstgerichts. Die beklagte Partei habe jedoch aufgrund des Krankenbehandlungsvertrags mit dem Vater des Klägers die vertragliche Pflicht zur Sicherung des Verkehrs innerhalb des Krankenhausgeländes getroffen. Schutzpflichten bestünden auch dritten Personen gegenüber, deren Kontakt mit der vom Schuldner zu erbringenden Leistung bei Vertragsabschluss voraussehbar gewesen sei, weil sie der vertraglichen Leistung nahestünden oder der Vertragspartner an ihnen ein eigenes sichtbares Interesse habe oder ihm hinsichtlich der Dritten selbst offensichtlich eine Sorgfaltspflicht zukomme. Diese Voraussetzungen träfen auf den Besucher des Patienten eines Krankenhauses zu. Die beklagte Partei habe daher auch für das Verschulden des Dachdeckermeisters Rudolf P***** und des Gerhard D***** einzustehen.

Der Bekämpfung des Zulässigkeitsausspruchs durch den Kläger ist entgegenzuhalten, dass zwar die Lehre von den vertraglichen Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter im Schrifttum und in der Rechtsprechung allgemein anerkannt ist; wegen der fehlenden klaren Begrenzung dieser Rechtsfortbildung (vgl Posch, Die Folgen des § 1319a ABGB in ZVR 1984, 261 FN 42) kommt jedoch der Frage nach den mit einem Behandlungsvertrag mit einer Krankenanstalt verbundenen Sorgfaltspflichten zugunsten der Angehörigen des Patienten erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 Z 4 ZPO zu.

Gegen die Heranziehung der Lehre von den vertraglichen Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter durch das Berufungsgericht wendet sich die Revision zunächst mit der Behauptung, dass der Kläger seinen Anspruch ausschließlich auf den Rechtsgrund des § 1319 ABGB gestützt habe. Die Revision negiert im Übrigen eine solche Sorgfaltspflicht, weil die Einbeziehung eines Dritten in die aus dem Vertragsverhältnis resultierenden Schutzpflichten dann nicht gerechtfertigt sei, wenn ein Kontakt des Dritten zur Vertragsleistung fehle. Dem Besuch des Patienten durch seine Angehörigen komme für die Erfüllung des Behandlungsvertrags keine Bedeutung zu, und es bestehe auch kein Naheverhältnis dieser Personen zur vertraglichen Leistung. Die beklagte Partei habe sich überdies zur Sanierung des Daches eines befugten Gewerbsmanns bedient. Ihrem Bauleiter könne ein haftungsbegründendes Verschulden nicht angelastet werden.

Die Auffassung der beklagten Partei, der Kläger habe seinen Anspruch ausschließlich auf die Bestimmungen des § 1319 ABGB gestützt, trifft nicht zu. Der Kläger hat eine rechtliche Qualifikation seines Sachvorbringens nicht vorgenommen, sodass der Sachverhalt nach allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen ist. Es ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, dass sich die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien eines Vertrags nicht im Austausch der Hauptleistungen erschöpfen (Koziol-Welser 6 I 155 f; SZ 51/26 mwN). Der Vertrag eines Patienten mit einer Krankenanstalt auf stationäre Behandlung ist in der Regel in erster Linie auf die ärztliche Heilbehandlung gerichtet. Er umfasst aber auch die Pflege des Patienten, seine Beherbergung und die Wahrung seiner körperlichen Sicherheit. Derjenige, der eine Krankenanstalt betreibt (der Rechtsträger) ist verpflichtet, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit der Patient nicht durch andere Patienten, durch Besucher, durch die technischen Einrichtungen zur Heilbehandlung und Pflege und durch die sonstigen betrieblichen Anlagen in seiner körperlichen Unversehrtheit zu Schaden kommt (vgl NJW 1976, 1145). Eine vertragliche Sorgfaltspflicht besteht jedoch auch gegenüber dritten Personen, deren Kontakt mit der vertraglichen Leistung bei Vertragsabschluss voraussehbar war und die der Vertragspartner entweder erkennbar durch Zuwendung der Leistung begünstigte oder an denen er ein sichtbares eigenes Interesse hat oder denen er selbst offensichtlich rechtlich zur Fürsorge verpflichtet ist (Bydlinski, Die vertraglichen Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter in JBl 1960, 363; SZ 51/169 uva). Besuche eines Patienten im Krankenhaus durch seinen nahen Angehörigen sind nicht nur eine allgemeine Übung, sie entsprechen auch einer allgemein anerkannten sittlichen Pflicht. Solche Besuche sind auch - entgegen der Meinung der Revision - für die Heilbehandlung nicht völlig bedeutungslos. Der Erfolg einer Heilbehandlung kann im Einzelfall sehr erheblich von psychischen Faktoren abhängen, die durch die Besuche der nahen Angehörigen des Patienten positiv beeinflusst werden können. Sie dienen auch dazu, dem Patienten Gegenstände des persönlichen Bedarfs zu verschaffen. Den aufgezeigten Umständen trägt auch das Gesetz Rechnung, indem es (vgl § 9 des Steiermärkischen Krankenanstaltengesetzes) bei der Regelung des Betriebs einer Krankenanstalt ausdrücklich auf die Besucher Bedacht nimmt und deren Verhalten in die Hausordnung einbezieht. Dem Hinweis der Revision auf das fehlende Naheverhältnis zur vertraglichen Leistung ist entgegenzuhalten, dass sich der Heilbehandlungsvertrag - wie schon oben dargelegt - nicht in der medizinischen Heilbehandlung erschöpft. Mit Besuchen des Patienten durch seine wahren Angehörigen ist bei Vertragsabschluss zu rechnen. Es ist auch offensichtlich, dass der Patient an den Besuchen seiner nahen Angehörigen und an deren Schutz ein erhebliches eigenes Interesse hat. Eine objektive Vertragsauslegung ergibt daher, dass dem Rechtsträger einer Krankenanstalt die vertragliche Pflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit auch gegenüber den nahen Angehörigen des Patienten während des Krankenhausbesuchs obliegt (vgl SZ 25/113; 1 Ob 582/84). Die beklagte Partei haftet daher auch für ihre Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB. Sie kann sich demgemäß nicht darauf berufen, einen befugten Gewerbsmann mit der Eindeckung des Daches betraut zu haben. Sie hätte vielmehr nachweisen müssen, dass auch ihren Erfüllungsgehilfen - zu denen auch der Dachdeckermeister gehört - kein Verschulden zur Last fällt (SZ 54/13; 2 Ob 591/83 ua). Ob auch dem Bauleiter ein Verschulden anzulasten ist, kann daher auf sich beruhen. Dass die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen sind, weil die Behandlung der Patienten nicht unter die Hoheitsverwaltung fällt (Koziol, Haftpflichtrecht2 II 117 mwN), wurde ohnehin nicht in Zweifel gezogen.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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