European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00035.840.1122.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil, das im bestätigenden Teil als nicht bekämpft unberührt bleibt, wird im Übrigen dahin abgeändert, dass das Ersturteil in der Hauptsache zur Gänze wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die 8.785,10 S bestimmten Kosten des gesamten Verfahrens (darin 954 S Barauslagen und 675,77 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger begehrt Versicherungsschutz aus einer Kfz‑Haftpflichtversicherung im Umfang der gegen die eigene Schadenersatzklage vom Unfallsgegner aufrechnungsweise eingewendeten Haftpflichtansprüche, und zwar durch Bevorschussung der Kosten der Abwehr der gegnerischen Ansprüche, insbesondere durch Zahlung der von ihm im Haftpflichtprozess bereits erlegten Sachverständigten‑Kostenvorschüsse. Das Klagebegehren lautete zunächst in diesem Sinn auf Zahlung von 3.000 S und Feststellung, dass die beklagte Partei verpflichtet sei, auch die weiteren Sachverständigen‑Kostenvorschüsse, die dem Kläger im Haftpflichtprozess aufgetragen werden, zu bevorschussen. In der einzigen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 10. 10. 1983 „präzisierte“ der Kläger sein Feststellungsbegehren dahin, dass die beklagte Partei schuldig sei, ihm aufgrund des Haftpflichtversicherungsvertrags 28,4 % seines gesamten Prozessaufwands im Haftpflichtverfahren (nämlich den auf die geringere Gegenforderung entfallenden Anteil dieser Kosten) ab der Erhebung der Kompensationseinrede zu bevorschussen. Die Parteien stellten außer Streit, dass die beklagte Partei grundsätzlich ihre Eintrittspflicht nach Abschluss des Haftpflichtverfahrens erklärt und lediglich die Verpflichtung, Vorschüsse zu bezahlen, bestritten habe. Ebenso steht die Wirksamkeit der Kompensationseinwendung des im Haftpflichtprozess beklagten Unfallsgegners außer Streit.
Der Erstrichter gab beiden Klagebegehren statt. Da der Versicherer nach § 150 VersVG zur Bevorschussung der vom Versicherungsnehmer zur Abwehr von Haftpflichtansprüchen aufgewendeten Kosten im Rahmen des bestehenden Versicherungsvertrags verpflichtet sei und auch die Geltendmachung einer Gegenforderung einen solchen Anspruch darstelle, den der Versicherer im Falle seiner unbegründeten Erhebung abwehren müsse, habe die beklagte Partei die auf die Gegenforderung entfallenden verhältnismäßigen Kosten zu übernehmen. Die mit dem Leistungsbegehren eingeklagten Kosten entsprächen dem Anteil der Gegenforderung im Verhältnis zu den gesamten, dem Kläger bisher erwachsenen Kosten des Haftpflichtprozesses. Das Feststellungsbegehren könne bereits vor rechtskräftiger Entscheidung über den Anspruch des Dritten erhoben werden, das rechtliche Interesse an der Feststellung der Vorschusspflicht sei zu bejahen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil im Ausspruch über das Leistungsbegehren und änderte es im Übrigen auf Abweisung des Feststellungsbegehrens mit der Begründung ab, dass die beklagte Partei lediglich den Erlag eines Sachverständigen‑Kostenvorschusses verweigert und ihre Verpflichtung zur Kostentragung nach Abschluss des Haftpflichtprozesses anerkannt habe. Zwischen den Streitteilen sei nur die Frage der Bevorschussung der Kosten streitig, nicht aber der Versicherungsschutz. Ein über die Leistungsklage hinausgehendes Feststellungsinteresse bestehe nicht, zumal vor dem Abschluss des Haftpflichtprozesses auch nicht aufgrund des Verhältnisses von Klagsforderung und Gegenforderung ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Prozessverlauf festgestellt werden könne, wie hoch der Aufwand zur Abwehr der Gegenforderung in Zukunft sein werde.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers gegen den abweisenden Teil der zweitinstanzlichen Entscheidung ist zulässig und berechtigt.
Das Berufungsgericht hatte zunächst ausgesprochen, dass der „Wert des Streitgegenstands“ 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige, und die Revision für zulässig erklärt. Über Auftrag des Obersten Gerichtshofs hat die zweite Instanz diesen Ausspruch sodann dahin berichtigt, dass der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstands 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige. Auch dieser neue Ausspruch ist nicht korrekt, weil das Berufungsgericht in seinem Urteil richtigerweise einerseits gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO auszusprechen gehabt hätte, ob der von der teilweisen Stattgebung der Berufung betroffene Wert des Streitgegenstands 15.000 S übersteigt, andererseits aber gemäß § 500 Abs 2 Z 3 ZPO, ob der Wert des Streitgegenstands zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden (hier von der Teilbestätigung betroffenen) Teil insgesamt den Betrag von 300.000 S übersteigt. Nur mit Rücksicht auf den geringen Streitwert des von der Teilbestätigung des Berufungsgerichts betroffenen Geldanspruchs kann davon ausgegangen werden, dass die Revision im Zulassungsbereich liegt. Entgegen der Meinung der beklagten Partei hängt die Entscheidung aber auch von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der im Sinn des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO erhebliche Bedeutung zukommt, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage des rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung einer weiteren Kostenvorschusspflicht nach § 150 Abs 1 letzter Satz VersVG fehlt.
In der Sache selbst bejahte auch das Berufungsgericht die grundsätzliche Verpflichtung der beklagten Partei, jene Kosten des Haftpflichtprozesses auf Verlangen des Versicherungsnehmers zu bevorschussen, die über die Kosten der eigenen Rechtsverfolgung hinaus zur Abwehr der Ansprüche des Dritten voraussichtlich aufgewendet werden müssen. In diesem Sinn hielt die zweite Instanz im unangefochten gebliebenen Teil ihrer Entscheidung das Leistungsbegehren von 3.000 S für berechtigt, weil die Bemessungsgrundlage im Haftpflichtprozess ingesamt über 50.000 S betrage, schon mehrere Verhandlungstagsatzungen stattgefunden haben und ein Sachverständige beigezogen wurde.
Die grundsätzliche Bejahung der Verpflichtung des Versicherers, die Kosten eines zur Abwehr fremder Ansprüche geführten Haftpflichtprozesses auf Verlangen des Versicherungsnehmers vorzuschießen, kann nach der ausdrücklichen Bestimmung des Schlusssatzes des § 150 Abs 1 VersVG nicht fraglich sein und wird in der Revisionsbeantwortung auch nicht bestritten. Bei dieser Rechtslage kann aber der Meinung des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden, dass das Urteil auf teilweise Leistung eines derzeit angemessenen Vorschusses ein Feststellungserkenntnis über allfällige weitere Vorschüsse entbehrlich mache. Da außer Streit steht, dass die beklagte Partei erst nach Abschluss des Haftpflichtverfahrens in die Kostendeckung eintreten will, geht es beim Feststellungsbegehren des Klägers um die Berechtigung ihrer Einwendung, vorher zu (weiteren) Vorschüssen nicht verpflichtet zu sein. Weder das Berufungsgericht noch die beklagte Partei in ihrer Revisionsbeantwortung nehmen an, dass die gesamten Kosten, die im Haftpflichtprozess insgesamt auf die Gegenforderung des Unfallsgegners entfallen werden, durch den mit dem Leistungsurteil zugesprochenen Teilbetrag mit Sicherheit voll gedeckt sind. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist daher das vom Kläger begehrte Feststellungsurteil grundsätzlich geeignet, den Streit über die Verpflichtung der beklagten Partei zur Gewährung allfällig notwendiger weiterer Vorschüsse zu beenden. Damit ist das nach § 228 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung anzuerkennen, weil der für beide Teile nachteilige Schwebezustand beendet und eine objektive Ungewissheit über den Bestand des Anspruchs dem Grunde nach beseitigt werden kann (JBl 1980, 31 ua). Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Höhe der tatsächlich in Zukunft erforderlichen Kostenvorschüsse naturgemäß noch nicht feststeht. Abgesehen davon, dass der strittige, im Gesetz ausdrücklich festgelegte Anspruch auf Kostenbevorschussung bei einer Beachtung dieses Umstands überhaupt in Frage gestellt wäre, wird der Versicherungsnehmer ein künftiges weiteres Leistungsbegehren aufzuschlüsseln und zu bescheinigen haben und es wird dem Versicherer obliegen, den je nach der Sachlage erforderlichen Vorschuss zu leisten. Dass seine Berechnung geradezu unmöglich wäre, ist mit Rücksicht auf die klaglose Durchführbarkeit ähnlicher Vorausberechnungen in anderen Rechtsbereichen wie nach den §§ 60 und 62 ZPO oder im Unterhaltsrecht (vgl EvBl 1968/338 ua) zu verneinen. In diesem Zusammenhang ist auch die Meinung der Revisionsgegnerin verfehlt, dass die Aufteilung des Prozesskostenaufwands einerseits zur Durchsetzung der Klagsforderung und andererseits zur Abwehr der Gegenforderung noch nicht feststehe. Dieser Prozentsatz ergibt sich aus dem Verhältnis der beiden Forderungen zueinander, die diesbezügliche Berechnung des Erstrichters wird in der Revision nicht bekämpft. In welchem Umfang der Unfallsgegner aber mit seiner Gegenforderung durchdringen wird, ist ohne Bedeutung, weil die beklagte Partei nicht nur für die Erfüllung berechtigter Haftpflichtansprüche Dritter einzutreten, sondern in gleicher Weise unberechtigte Ansprüche abzuwehren und die Prozesskosten auch in dieser Richtung notfalls zu bevorschussen hat. Die auf die eigene Forderung des Klägers entfallenden anteiligen Kosten des Haftpflichtprozesses wird hingegen er selbst zu tragen haben. In dem für die beklagte Partei günstigsten Fall wird der Unfallsgegner dem Kläger alle Kosten des Haftpflichtprozesses zu ersetzen haben. In diesem Fall werden Vorschüsse, die die beklagte Partei in welcher Höhe immer nach § 150 Abs 1 VersVG geleistet hat, schon wegen des Wesens eines Vorschusses vom Kläger rückzuverrechnen sein (vgl wie schon vom Erstrichter angeführt, Prölss‑Martin , jetzt VVG 23 866 f).
Bei der somit grundsätzlich zu bejahenden Vorschusspflicht des Haftpflichtversicherers für den auf die Gegenforderung des Unfallsgegners entfallenden Anteil der Prozesskosten des Haftpflichtverfahrens kann es naturgemäß entgegen der Meinung des Berufungsgerichts auch in Bezug auf das Feststellungsbegehren nicht darauf ankommen, dass die beklagte Partei ihre Zahlungspflicht nach Maßgabe des Versicherungsvertrags erst für die Zeit nach dem Abschluss des Haftpflichtprozesses anerkannt hat. Entscheidende Bedeutung kommt vielmehr dem Umstand zu, dass die Kostenbelastung des Klägers im Haftpflichtprozess nach § 150 Abs 1 letzter Satz VersVG nicht erst nach dem Abschluss jenes Verfahrens zu decken ist, sondern eben durch einen oder mehrere Vorschüsse. Wenn der Haftpflichtversicherer ausnahmsweise den Rechtsstreit nicht auf eigene Kosten führt, muss er demnach die nach den Umständen gebotenen, also die nach der jeweiligen Prozesslage angemessenen Kosten in der geschätzten Höhe erforderlichenfalls nicht nur einmal, sondern auch mehrmals bevorschussen, wenn sich erst im Laufe des Verfahrens weitere Prozesskosten als wahrscheinlich herausstellen (vgl Prölss‑Martin aaO 383 zu dem rechtsähnlichen § 63 Abs 1 letzter Satz VersVG). Diese Auslegung ist erforderlich, um einerseits überhöhte Vorschüsse zu vermeiden und andererseits dem Versicherungsnehmer nicht das Risiko unerwarteter Verteuerungen des Prozesses für dessen Dauer aufzubürgen. Der Hinweis der Revisionsgegnerin, dass sich im Haftpflichtprozess durch Änderungen des Klagebegehrens oder der Gegenforderung schließlich ein anderes Verhältnis der Deckungspflicht ergeben könnte, ist nicht zielführend, weil nachträgliche Änderungen des Sachverhalts von der Rechtskraft des Feststellungsurteils nicht umfasst wären, sodass sich dadurch der Prozentsatz der Vorschusspflicht ändern würde.
Aus Anlass der somit gerechtfertigten Wiederherstellung des Ersturteils in der Hauptsache war die Berufung der beklagten Partei im Kostenpunkt zu erledigen. Ihr kommt insofern Berechtigung zu, als auch schon das Feststellungsbegehren in der ursprünglichen Fassung, nämlich auf Deckung der gesamten, im Haftpflichtprozess vorgeschriebenen Sachverständigen‑Kostenvorschüsse ebenfalls nur mit dem auf die Abwehr der gegnerischen Ansprüche entfallenden Prozentsatz berechtigt gewesen wäre. Für den ersten Verfahrensabschnitt des erstgerichtlichen Verfahrens bis zur Klagsänderung im Schriftsatz ON 5 vom 5. 10. 1983 ist daher der Kläger nur mit rund einem Viertel des Begehrens durchgedrungen, er hat insoweit die halben Verfahrenskosten der beklagten Partei zu ersetzen. Er hat andererseits Anspruch auf die vollen Kosten ab der Klagsänderung.
Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO unter Berücksichtigung eines teilweise erfolgreichen Kostenrekurses der beklagten Partei.
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