OGH 7Ob38/84

OGH7Ob38/8422.11.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*****AG in *****, vertreten durch Dr. Klaus Grubhofer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei M*****, vertreten durch Dr. Theodor Peschaut, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen restlicher 466.525 S samt Nebengebühren und Feststellung (Gesamtstreitwert im Revisionsverfahren 476.525 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. März 1984, GZ 1 R 48/84‑24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 31. Oktober 1983, GZ 7 b Cg 5116/83‑20, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00038.840.1122.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil und das Ersturteil werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuen Entscheidung zurückverwiesen, wobei auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gleich Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen sein wird.

Begründung

Der klagende Kfz‑Haftpflichtversicherer macht Regressansprüche gegen den beklagten Versicherungsnehmer wegen Leistungsfreiheit geltend. Nach teilweiser Klagsstattgebung wegen Alkoholisierung des Beklagten sind im Revisionsverfahren die weiteren Klagsgründe der Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Obliegenheit nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB aF zur Hilfeleistung an den Verletzten und zur sofortigen Unfallsmeldung sowie nach § 12 Abs 3 VersVG wegen Versäumung der Klagefrist für die Deckungsklage strittig.

Beide Vorinstanzen haben das Klagebegehren in diesem Umfang mit der Begründung abgewiesen, dass eine Fristsetzung nach § 12 Abs 3 VersVG nicht dem Gesetz entsprechend erfolgt sei und dass der Beklagte die Hilfeleistung und Unfallsmeldung nicht vorsätzlich – nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht einmal grob fahrlässig – unterlassen habe.

Die Revision der klagenden Partei ist im Ergebnis berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Beizupflichten ist allerdings der Ansicht der Vorinstanzen, dass eine Klagefrist nach § 12 Abs 3 VersVG nicht dem Gesetz entsprechend gesetzt wurde. Das erste Ablehnungsschreiben entsprach zwar den Formvorschriften, doch konnte seine Zustellung an den Beklagten nicht festgestellt werden. Es konnte deshalb keine Rechtswirkungen erzeugen. Die späteren Schreiben enthielten zwar Zahlungsaufforderungen, aber nicht die Belehrung nach § 12 Abs 3 VersVG. Sie waren deshalb ebenfalls nicht geeignet, Rechtsfolgen hervorzurufen. Auf die Kundmachung des Ablehnungswillens des Versicherers allein kommt es nach der zu seinen Lasten streng auszulegenden Bestimmung des § 12 Abs 3 VersVG nicht an. Am Rande trifft auch noch die weitere Begründung des Berufungsgerichts zu, dass sich der Versicherer hinsichtlich jener Leistungen, die er vor Klagsfristsetzung oder innerhalb der Klagefrist erbracht hat, auf die Leistungsfreiheit nach dieser Bestimmung nicht berufen kann (SZ 50/28 ua). Umsoweniger war der Beklagte nach Einbringung der vorliegenden Regressklage zu einer Gegenklage verpflichtet.

Unbegründet ist auch die Aktenwidrigkeitsrüge. Sie richtet sich in Wahrheit gegen die unanfechtbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Mit der Rechtsrüge, der Beklagte hätte auch bei dem festgestellten Sachverhalt die Möglichkeit einer Kollision mit dem tatsächlich betroffenen Mopedfahrer ins Auge fassen und sich zur Hilfeleistung und zur Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle veranlasst sehen müssen, trifft die Revisionswerberin zwar nicht den Kern der Sache, weil bei bloß grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung ihre Leistungsfreiheit wegen des dem Beklagten gelungenen Kausalitätsgegenbeweises nicht einträte. Aufgrund der insgesamt gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge führt aber die allseitige rechtliche Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof zum Ergebnis, dass die Feststellungen der Vorinstanzen im Zusammenhang mit der von ihnen nicht richtig angewendeten Beweislastverteilung zu einer abschließenden Beurteilung der Sache nicht ausreichen.

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Tatsachenfeststellungen des Erstrichters kam der alkoholisierte Beklagte in einer Rechtskurve auf die linke Fahrbahnhälfte. Der mitfahrende K***** sah ein Licht entgegenkommen und schrie „Achtung, ein Moped!“. Im nächsten Augenblick stieß der PKW des Beklagten mit dem entgegenkommenden Moped zusammen, dessen Lenker wurde über die Straßenböschung gestoßen und schwer verletzt. Auch der PKW des Beklagten geriet über die Fahrbahn und stürzte eine Böschung hinunter. Der Beklagte hatte die Kollision als Kracher wahrgenommen, aber „nicht realisiert“, dass er mit einem Moped zusammengestoßen war. Er war der Meinung, dass er gegen einen Straßenbegrenzungspfosten gefahren sei. Der Erstrichter hielt im Zusammenhang mit den Aussagen der beiden Beifahrer des Beklagten (wonach niemand nach dem Unfall daran gedacht habe, dass ein Mopedfahrer am Unfallsgeschehen beteiligt war) dessen Darstellung als „unwiderlegt“ und führte in der rechtlichen Beurteilung aus, der Beklagte habe, obwohl alle Umstände darauf hindeuteten, nicht erkannt und sich keine Gedanken darüber gemacht, dass er einen anderen Verkehrsteilnehmer verletzt haben könnte. Ihm sei nicht mit Sicherheit nachweisbar, dass er die Hilfeleistung und die Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle in Kenntnis einer eingetretenen Verletzung unterlassen habe. Zur Beweislastverteilung hat der Erstrichter nicht Stellung genommen. Das Berufungsgericht verwies hingegen richtigerweise darauf, dass es Sache des Versicherten sei, zu beweisen, dass eine vom Versicherer nachgewiesene objektive Obliegenheitsverletzung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhte (SZ 46/106 uva). Es hielt aber ebenfalls Vorsatz und sogar grobe Fahrlässigkeit des Beklagten für nicht gegeben. Entgegen der Beweisrüge der Berufung fehle ein sicherer Nachweis dafür, dass der Beklagte den Unfall erkennen oder auch nur begründete Bedenken haben musste, eine Kollision mit möglichem Personenschaden verschuldet zu haben. Habe er aber den Unfall nicht bemerkt und auch die Möglichkeit der Verletzung eines Beteiligten nicht ins Auge fassen müssen, so sei dem Beklagten der Nachweis gelungen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen sei.

Wie sich aus den bisherigen Ausführungen ergibt, hat erstmals das Berufungsgericht zur Frage der Beweislastverteilung Stellung genommen. Seine Rechtsansicht ist wie gesagt im Grundsätzlichen richtig. Das Berufungsgericht hat aber nicht erkennbar beachtet und der Erstrichter hat sogar zur Gänze übersehen, dass die behauptete Obliegenheitsverletzung nach Art 8 Abs 1 Z 1 AKHB aF auch in der Schuldform des bedingten Vorsatzes begangen werden konnte. Es reichte dazu aus, wenn der Beklagte auch nur mit der Möglichkeit des Eintritts eines Personenschadens rechnete und sich dennoch bewusst ohne Hilfeleistung an den Verletzten und ohne Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle von der Unfallstelle entfernte ( Petrasch , SV 1984 H 3 S 7, SZ 50/60 uva). Auch das Nichtzutreffen einer solchen Schuldform hatte der Beklagte zu beweisen. Jeder Zweifel geht auch in dieser Richtung zu seinen Lasten. Die Feststellungen des Erstrichters lassen nun, besonders im Zusammenhang mit dem erwiesenen Zuruf des Beifahrers: „Achtung, ein Moped!“ nicht erkennen, ob der Erstrichter so weit gehen wollte, jede Möglichkeit eines Zweifels des Beklagten an einer Kollision mit dem erwähnten Moped als vom Beklagten erwiesenermaßen widerlegt anzusehen. Selbst das Berufungsgericht stellt auf den objektiven Nachweis begründeter Bedenken und darauf ab, ob der Beklagte die Möglichkeit der Verletzung eines Unfallsbeteiligten ins Auge fassen musste, während in Wahrheit der Revisionsgegner das Gericht davon überzeugen muss, dass er tatsächlich mit der Verletzung eines Dritten nicht gerechnet und die Entfernung von der Unfallsstelle ohne Hilfeleistung an diesen und ohne Verständigung der Gendarmerie nicht bewusst in Kauf genommen hat.

Der Erstrichter wird in dieser Richtung ergänzende Tatsachenfeststellungen nachzutragen und unter Bindung an die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs neu zu entscheiden haben. Ob er eine weitere Verhandlung für notwendig hält, ist ihm überlassen. Zur Frage der anzuwendenden Versicherungsbedingungen ist auf die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichts zu verweisen. Entgegen der Ansicht der zweiten Instanz kann der Versicherer aber auch die Regulierungskosten, die ihm bei Ordnung der Angelegenheit mit dem Dritten aufgelaufen sind, aus dem Titel der nützlichen Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 1037 ABGB) begehren. Ungeachtet der Geltendmachung eines anderen Rechtsgrundes in der Klage hat die Revisionswerberin diesen Klagegrund nicht geradezu ausgeschlossen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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