European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00676.840.1108.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.731,36 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 400 S Barauslagen und 393,76 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei bestellte telefonisch im März 1982 bei der Gemeinschuldnerin einen Scherenhubtisch samt Zubehör zum Preise von 69.040 S zuzüglich 18 % Umsatzsteuer unter Gewährung eines Rabattes von 5 %. Die Bestellung wurde von der Gemeinschuldnerin am 2. 4. 1982 schriftlich bestätigt. Die Gemeinschuldnerin bestellte nach Erhalt des Auftrags ihrerseits den Scherenhubtisch bei einem deutschen Produzenten. Mit Schreiben vom 21. 4. 1982 erklärte die beklagte Partei, wegen eines erheblich günstigeren anderen Anbots den Auftrag mit sofortiger Wirkung zu stornieren. Mit Antwortschreiben vom 5. 5. 1982 teilte die Gemeinschuldnerin mit, auf Erfüllung des Vertrags zu bestehen. Einem Rücktritt vom Vertrag könne sie nur unter der Voraussetzung zustimmen, dass die beklagte Partei bis spätestens 12. 5. 1982 einen Abstandsbetrag von 18.150 S bezahle. Die beklagte Partei beantwortete dieses Schreiben nicht und leistete auch keine Zahlung.
Unter Berufung auf die grundlose Vertragsstornierung durch die beklagte Partei begehrt die klagende Partei den Ersatz des Verdienstentgangs und die an den deutschen Vertragspartner bezahlte Entschädigung von zusammen 19.400 S sA.
Die beklagte Partei vertritt den Standpunkt, dass ein wirksamer Vertragsrücktritt ihrerseits nicht vorliege und dass die klagende Partei selbst in Verzug geraten sei, weil sie den Scherenhubtisch innerhalb der vereinbarten Lieferfrist nicht geliefert habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines im Revisionsverfahren nicht mehr relevanten Zinsenmehrbegehrens statt. Nach seinen Feststellungen stornierte die Gemeinschuldnerin aufgrund des Verhaltens der beklagten Partei den Auftrag beim Erzeuger. Von diesem wurde ihr eine Stornogebühr von 780,84 DM in Rechnung gestellt. Die Nettoverdienstspanne der Gemeinschuldnerin bei Abwicklung des Rechtsgeschäfts hätte 13.888 S betragen.
Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, dass die Gemeinschuldnerin durch die vertragswidrige Stornierung zum Vertragsrücktritt berechtigt gewesen sei. Durch die Einbringung der auf Schadenersatz gerichteten Klage habe sie den Rücktritt vom Vertrag erklärt. Ein Verzug der Gemeinschuldnerin liege nicht vor. Es wäre Sache der beklagten Partei gewesen, nach Erhalt des Schreibens vom 5. 5. 1982 zu erklären, dass sie den Vertrag aufrecht erhalten wolle.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab und erklärte die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig.
Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe die beklagte Partei von der ihr in dem Schreiben der Gemeinschuldnerin vom 5. 5. 1982 eingeräumten Lösungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht, woraus sich ergebe, dass die beklagte Partei bereit gewesen sei, den Vertrag einzuhalten. Der Gemeinschuldnerin sei demnach noch nicht das Wahlrecht nach § 918 Abs 1 ABGB zugestanden, weil nicht erwiesen sei, dass sich die beklagte Partei in Leistungsverzug befunden habe. Das Stornoschreiben der beklagten Partei könne nicht als Leistungsverweigerung angesehen werden, sondern nur als Anbot, den Vertrag aufzulösen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobene Revision der klagenden Partei ist berechtigt.
Unter Stornierung oder Storno versteht man im Geschäftsverkehr das Zurückziehen einer Bestellung, das Rückgängigmachen eines Auftrags, ohne dass hiebei etwas über die Berechtigung zu einem solchen Verhalten ausgesagt würde ( Mayrhofer in Herdlitczka RA 187). Die Erklärung der beklagten Partei vom 21.l 4. 1982 kann daher nach § 863 ABGB nur als Rücktritt von dem mit der klagenden Partei abgeschlossenen Kaufvertrag verstanden werden. Der Wortlaut dieses Schreibens, insbesondere die unbedingte Rücktrittserklärung schließt seine Qualifikation als bloßes Anbot zur einvernehmlichen Vertragsaufhebung aus. Da sich die beklagte Partei auf ein vertraglich eingeräumtes Rücktrittsrecht nicht berufen kann und die gesetzlichen Voraussetzungen einer Rücktrittserklärung nach § 918 Abs 1 ABGB nicht vorlagen, war der Rücktritt unberechtigt. Die Rücktrittserklärung beinhaltete aber auch zugleich eine Annahmeverweigerung (vgl EvBl 1958/228). Wird die verkaufte Ware vom Käufer nicht angenommen, so steht zwar dem Verkäufer gegen den in Annahmeverzug befindlichen Käufer in der Regel kein Klagerecht auf Abnahme zu. Der Verkäufer kann Erfüllung begehren oder den Vertrag als aufgelöst ansehen und, ohne dass es einer formellen Rücktrittserklärung mit Nachfristsetzung bedürfte, Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen (JBl 1972, 367; EvBl 1958/228; SZ 37/47). Es steht dem Verkäufer demnach ein Wahlrecht zwischen dem weiteren Bestehen auf Erfüllung des Vertrags und dem Rücktritt vom Vertrag zu (JBl 1972, 367; vgl auch Reischauer in Rummel , ABGB, Rdz 4 zu § 918 ABGB). Im vorliegenden Fall hat die Gemeinschuldnerin zunächst erklärt, auf der Erfüllung des Vertrags zu bestehen. Dadurch hat sich aber ihr Wahlrecht nicht verwirklicht. Nach nunmehr herrschender Lehre und Rechtsprechung steht dem Gläubiger zur Vermeidung einer übermäßigen Bindung das Rücktrittsrecht auch dann weiterhin zu, wenn er zunächst Erfüllung begehrte (JBl 1964, 367; Reischauer aaO mwN). Zu Unrecht macht die beklagte Partei geltend, dass die Gemeinschuldnerin selbst in Verzug geraten sei, weil sie den Scherenhubtisch innerhalb der vereinbarten Frist nicht geliefert habe. Da die unberechtigte Rücktrittserklärung der beklagten Partei auch eine Annahmeverweigerung darstellt, erübrigte sich seitens der Gemeinschuldnerin eine tatsächliche Anbietung der Leistung. Es genügte vielmehr das Verbalanbot, das durch das Schreiben der Gemeinschuldnerin, auf Vertragserfüllung zu bestehen, deutlich zum Ausdruck kam (EvBl 1958/228). Das Stillschweigen der beklagten Partei auf dieses Schreiben kann nicht als Erklärung der beklagten Partei gewertet werden, nunmehr auf dem Boden des abgeschlossenen Vertrags zu stehen. Hiezu hätte es einer ausdrücklichen, darauf gerichteten Erklärung bedurft, zumal die beklagte Partei nach erklärter Annahmeverweigerung damit rechnen musste, dass sich der Leistungsgegenstand durch den Rücktritt der Gemeinschuldnerin ändert. Die Höhe des Schadens der Gemeinschuldnerin ist nicht strittig.
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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