OGH 12Os142/84

OGH12Os142/8418.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Oktober 1984 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger und Dr. Lachner (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Gurschler als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Anton A wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 3.November 1983, GZ 17 Vr 3518/79-40, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Hetz zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen (auch einen Freispruch enthaltenden) Urteil wurde der am 8.September 1937 geborene Mittelschullehrer Dr. Anton A (im dritten Rechtsgang) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1

erster Fall, StGB und des Vergehens des Mißbrauches eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt.

Darnach hat er in Goldegg-Weng 1.) seinen unmündigen Adoptivsohn Werner A, geboren am 6.März 1969, in der Zeit von Juli 1976 bis zur Jahreswende 1977/78 in zumindest zwei Fällen auf andere Weise als durch Beischlaf dadurch zur Unzucht mißbraucht, daß er mit dem Kind gegenseitige masturbatorische Handlungen vornahm und 2.) seine minderjährigen Adoptivkinder Doris A, geboren am 15.Mai 1961, und Vera A, geboren am 11.Juli 1964, sowie den zuvor genannten Werner A zur Unzucht mißbraucht, und zwar a) Doris A in der Zeit vom 15.Mai 1973 bis 31.Dezember 1974 und vom 15.Mai 1975 bis Ende Mai 1977 durch Betasten der Brüste, Massieren des entkleideten Mädchens am ganzen Körper, u.a. auch an den Innenseiten der Oberschenkel, der Umgebung des Genitalbereiches sowie (durch) Untersuchung des Jungfernhäutchens;

b) Vera A von Juli bis Ende 1974 durch Untersuchung des Jungfernhäutchens und c) Werner A durch die oben unter Punkt 1.) angeführten Tathandlungen.

Gegen den Schuldspruch - die nicht ausgeführte Berufung wurde vom Verteidiger im Gerichtstag zurückgezogen - wendet sich der Angeklagte mit einer (allein) auf die Z. 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, deren (formeller) Beschwerdeantrag zwar auf die Aufhebung des gesamten Schuldspruchs gerichtet ist, die aber der Sache nach nur den Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB

bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsrüge führt gegen den bezüglichen Schuldspruch ins Treffen, das vom Erstgericht festgestellte Tatverhalten entspreche nicht dem normativen Begriff des 'Mißbrauchs zur Unzucht' im Sinne des § 212 Abs 1 StGB, es sei vielmehr unter (noch) nicht tatbestandsmäßige, 'verkappte sexualpädagogische Handlungsweisen' einzustufen, weshalb daraus auch kein Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses im Sinn der genannten Gesetzesstelle abgeleitet werden könne.

Die Rüge versagt.

Unter 'Unzucht' ist eine Handlung zu verstehen, wodurch objektiv die Sittlichkeit in geschlechtlicher Hinsicht verletzt wird. Sie muß ihrer Art und ihrem objektiven Charakter nach zum Geschlechtsleben strafgesetzwidrig in Beziehung stehen, wobei als Maßstab das gesunde Empfinden eines kulturverbundenen Durchschnittsmenschen zu geltend hat. Unzucht ist demnach, was von jedermann, der sozial integriert ist, im sexuellen Bereich als unerträglich empfunden wird (vgl. Leukauf/Steininger Kommentar 2 § 203

RN. 4).

Diesen Voraussetzungen genügen vorliegend sämtliche dem Angeklagten angelasteten Verhaltensweisen gegenüber seinen drei zur Tatzeit überwiegend noch unmündigen, jedenfalls aber minderjährigen Adoptivkindern. Ob die zur Unzucht mißbrauchten Opfer - auf Grund der Stellung des Angeklagten als Autoritätsträger und seiner (zum Teil grotesken) Erklärungen über den angeblichen Zweck seiner 'Maßnahmen' (wie Untersuchung auf Brustkrebs, Kontrolle des Jungfernhäutchens, Bekämpfung allfälliger Filzläuse) - im vorliegenden Fall zur subjektiven Auffassung gelangten, das Verhalten des Beschwerdeführers sei 'durchaus normal', ist rechtlich belanglos; eine solche Folge der Tat zeigt aber im übrigen besonders deutlich deren negative Auswirkungen, nämlich die Abstumpfung und Pervertierung des natürlichen Schamgefühls sowie des Gefühls für die innerhalb einer Familie bestehenden geschlechtlichen Schranken bereits bei unmündigen Kindern, woraus sich auch der hohe soziale Störwert eines solchen Treibens ergibt. Daß der Angeklagte die inkriminierten Handlungen nach den Feststellungen des Schöffengerichtes zwar unter dem Deckmantel (S. 495) der 'väterlichen Sorge und Aufklärungspflicht' vornahm, das wahre Motiv für sein Verhalten aber ungeklärt blieb (S. 489), ändert demnach nichts an der Tatbestandsmäßigkeit dieses Verhaltens, zumal die Handlungen - um den ersten Deliktsfall des § 212 Abs 1 StGB zu erfüllen - nicht einem erregten Geschlechtstrieb des Täters entspringen oder zur Erregung seines Geschlechtstriebes bestimmt sein müssen (vgl. Leukauf/Steininger a.a.O. § 212 RN. 20. Es kann daher keine Rede davon sein, daß die dem Angeklagten in Beziehung auf seine Adoptivtöchter Doris und Vera angelasteten sexuellen Manipulationen etwa 'Grenzfälle' in bezug auf ihre Unterstellung unter den Begriff der 'Unzucht' wären (was selbstverständlich auch für die den Adoptivsohn Werner A betreffenden Handlungen des Angeklagten gilt).

Das Erstgericht hat sohin zu Recht in den vom Schuldspruch erfaßten Verhaltensweisen des Angeklagten einen Mißbrauch zur Unzucht erblickt, was voraussetzt, daß zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörige, somit dem männlichen oder weiblichen Körper spezifisch eigentümliche Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen in eine sexualbezogene und nicht bloß flüchtige Berührung gebracht werden. Wenn der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang darauf verweist, daß ein bloßes Betasten der anderen Person am Oberschenkel 'für sich allein' keinen Mißbrauch zur Unzucht zu begründen vermag, dann übersieht er, daß ihm vorliegend - nämlich in bezug auf seine Stieftochter Doris (Punkt 2 a des Schuldspruches) - keineswegs ein solches Verhalten 'für sich allein', zur Last gelegt wird, sondern das Massieren des nackten Mädchens am ganzen Körper, darunter auch an den Innenseiten der Oberschenkel und der Umgebung des Genitalbereiches, verbunden mit einer Untersuchung des Jungfernhäutchens. Die Erwähnung des Massierens auch der Oberschenkel der Doris A erfolgte im Urteil daher ersichtlich bloß im Sinne einer insgesamt auf einen Mißbrauch der Genannten zur Unzucht gerichteten Schilderung des Gesamttatgeschehens (S. 490).

Der Wertung der festgestellten Handlungsweise des Angeklagten als Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB haftet mithin ein Rechtsirrtum nicht an. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

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