OGH 8Ob53/84

OGH8Ob53/8417.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** F*****, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G***** U*****, vertreten durch Dr. Albin Ortner, Rechtsanwalt in Villach, wegen 62.800 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz vom 30. Dezember 1983, GZ 7 R 37/83‑26, womit im wiederaufgenommenen Verfahren AZ 20 Cg 438/78 des Landesgerichts Klagenfurt das Klagebegehren abgewiesen wurde in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00053.840.1017.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.

 

Begründung:

In dem zu AZ 20 Cg 438/78 des Landesgerichts Klagenfurt geführten Rechtsstreit begehrte der Kläger vom Beklagten aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus einem am 6. 10. 1978 stattgefundenen Verkehrsunfall die Zahlung von 62.800 S sA. Das Landesgericht Klagenfurt gab dem Klagebegehren mit Urteil vom 27. 4. 1979, GZ 20 Cg 438/78‑10, statt. Der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung des Beklagten gab das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht mit Urteil vom 26. 11. 1979, GZ 7 R 117/79‑18, Folge. Es traf nach Beweiswiederholung andere Tatsachenfeststellungen als das Erstgericht und änderte dessen Entscheidung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Eine gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Klägers blieb erfolglos; der Oberste Gerichtshof gab ihr mit Urteil vom 6. 3. 1980, GZ 8 Ob 15/80‑23, nicht Folge.

Mit seiner am 23. 2. 1983 beim Oberlandesgericht Graz eingebrachten Wiederaufnahmsklage begehrte der Kläger unter Geltendmachung des Wiederaufnahmsgrundes nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 20 Cg 438/78 des Landesgerichts Klagenfurt und die Aufhebung der in diesem Verfahren ergangenen Urteile sowie die Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens.

Das Oberlandesgerichts Graz gab dem Wiederaufnahmebegehren des Klägers statt und hob die im Vorprozess ergangenen Urteile auf; diese Entscheidung blieb unbekämpft.

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wies das Oberlandesgericht Graz im wiederaufgenommenen Verfahren das Klagebegehren neuerlich ab. Es erklärte die Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig.

Es stellte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Unfallstelle befindet sich auf der Ossiacher‑Bundesstraße im Bereich der östlichen Ausfahrt der AGIP‑Tankstelle. Der Unfallsbereich sowie der östlich zuvor verlaufende Straßenbereich war zur Unfallszeit (gegen 20:15 Uhr) mit Peitschenleuchten gut ausgeleuchtet. In der Fahrtrichtung der Streitteile gesehen verläuft die Straße allgemein in Ost‑West‑Richtung und beschreibt in dieser Richtung eine weitgezogene und übersichtliche Rechtskurve von etwa 400 m Bogenlänge. Die Einmündung der östlichen Tankstellenzufahrt befindet sich etwa im zweiten Drittel der Kurve. Die Breite des Einmündungstrichters beträgt 20 m. Das östliche Ende dieses Einmündungstrichters wurde als Fixpunkt angenommen. Die Bundesstraße ist asphaltiert, die Fahrbahn 7,5 m breit und durch eine Leitlinie gekennzeichnet. Die Villacher Straße, auf der der Kläger zunächst gefahren war, mündet 80 m östlich des Fixpunktes in die Bundesstraße. Die Unfallstelle befindet sich im Freilandgebiet. Es besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h.

Der Kläger fuhr mit seinem PKW zunächst auf der Villacher Straße und bog dann unter Betätigung des linken Blinkers nach links in die Ossiacher‑Bundesstraße ein, wo er in westlicher Richtung weiterfuhr und nach links zur AGIP‑Tankstelle abbiegen wollte. Beim Rücklenken nach Beendigung des Linkseinbiegemanövers schaltete sich der linke Blinker am PKW des Klägers automatisch aus. Im Zeitpunkt des Einbiegens des Klägers in die Bundesstraße war der Beklagte, der mit seinem Fahrzeug ebenfalls in westlicher Richtung auf der Ossiacher‑Bundesstraße fuhr, noch etwa 100 m entfernt. Beide Fahrzeuge fuhren nun hintereinander. Die Geschwindigkeit des Klägers betrug 30 bis 40 km/h, die Bremsausgangsgeschwindigkeit des Beklagten 73,8 km/h. Der PKW des Klägers hielt eine Fahrlinie ungefähr in der Mitte der nördlichen Fahrbahnhälfte (Abstand der linken Fahrzeugbegrenzung von der Leitlinie ca 1 m) ein. Der Beklagte, der ursprünglich auch ungefähr in der Mitte der rechten (nördlichen) Fahrbahnhälfte gefahren war, lenkte seinen PKW in Überholabsicht zur Gänze auf die linke (südliche) Fahrbahnhälfte. Als sich der PKW des Beklagten ca 5 m hinter dem PKW des Klägers bereits in Überholstellung auf der linken (südlichen) Fahrbahnhälfte befand, betätige der Kläger den linken Blinker und lenkte seinen PKW kurz darauf in der Absicht, in die östliche Zufahrt der AGIP‑Tankstelle einzubiegen, nach links (seitliche Versetzung mindestens 2,7 m) auf die linke (südliche) Fahrbahnhälfte. Der Beklagte reagierte – noch vor Beginn der erkennbaren Schrägfahrt des PKW des Klägers – auf das Blinkzeichen unverzüglich mit einer Bremsung. Die Reaktion setzte 1,5 Sekunden bzw 30,5 m vor dem Unfallspunkt ein. Der PKW des Beklagten zeichnete auf der südlichen Fahrbahnhälfte eine von beiden Räderpaaren stammende 6 m lange Bremsspur ab. 2 m östlich des Fixpunktes kam es auf der südlichen Fahrbahnhälfte dadurch zur Kollision, dass der PKW des Beklagten mit seiner linken Frontseite gegen die Heckpartie des PKW des Klägers stieß. Der PKW des Klägers hatte im Zeitpunkt des Primärkontakts eine Schrägstellung von etwa 25 Grad nach links gegenüber der Längsachse des PKW des Beklagten.

Hätte die Bremsausgangsgeschwindigkeit des Beklagten 70 km/h betragen, wären die gleichen Unfallsfolgen eingetreten.

Rechtlich beurteilte das Oberlandesgericht Graz den festgestellten Sachverhalt im Wesentlichen dahin, dass den Kläger das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Er habe gegen § 11 Abs 2 und § 12 Abs 1 StVO verstoßen, indem er aus nicht zur Leitlinie eingeordneter Position kurz nach Betätigung des linken Blinkers sein Abbiegemanöver begonnen habe, obwohl der nachfolgende Beklagte bereits zum Überholen angesetzt gehabt und der Tiefenabstand zwischen den beiden Fahrzeugen nur mehr ca 5 m betragen habe.

Anhaltspunkte für ein Verschulden des Beklagten seien nicht gegeben. Er habe auf das Aufleuchten des linken Blinkers am PKW des Klägers unverzüglich mit einer Bremsung reagiert; es liege ihm daher keine verspätete Reaktion zur Last. Seine Bremsausgangsgeschwindigkeit sei zwar um 3,8 km/h über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gelegen; diese geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung könne aber unter den gegebenen Umständen schon deswegen vernachlässigt werden weil sie gegenüber dem schwerwiegenden verkehrswidrigen Verhalten des Klägers in ihrer Bedeutung völlig in den Hintergrund trete. Unter diesen Umständen bestehe kein Anlass, den Beklagten im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG zum Schadensausgleich heranzuziehen.

Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Oberlandesgericht Graz damit, dass die Entscheidung hinsichtlich des Verschuldens und der Frage, ob der Beklagte gemäß § 11 EKHG zum Schadensausgleich heranzuziehen sei, von Fragen des materiellen Rechts abhänge, denen zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers. Er bekämpft sie aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, „der Revision Folge zu geben und dem Klagebegehren in der Hauptsache vollinhaltlich stattzugeben“; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Der Beklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seinem in dieser Rechtssache ergangenen Beschluss vom 7. 6. 1984, 8 Ob 15/84 (ON 33), auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann, ausführlich dargestellt, dass die Anfechtbarkeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz den Revisionsbeschränkungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO unterliegt. Die Revision ist daher nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Der Rechtsmittelwerber darf daher, auch wenn die Revision zugelassen wurde, in der Revision nur Rechtsfragen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO geltend machen. Werden keine solchen Rechtsfragen aufgeworfen, dann ist die Revision nicht gesetzmäßig im Sinne des § 503 Abs 2 ZPO ausgeführt und damit zurückzuweisen. In ähnlicher Weise war gemäß § 502 Abs 4 ZPO in der Fassung vor der ZVN 1983 die Revision in Kündigungsstreitigkeiten lediglich aus dem im § 503 Z 4 ZPO (alte Fassung) bezeichneten Grund und nur dann zulässig, wenn sie im Urteil des Berufungsgerichts für zulässig erkannt worden war. Lehre und Rechtsprechung ( Fasching Kommentar IV 286 und ErgBd 104 f; MietSlg 28.611 ua) haben dazu die Auffassung vertreten, dass selbst dann, wenn die Revision vom Berufungsgericht zugelassen wurde, sie dennoch zurückzuweisen sei, wenn sie sich auf unzulässige Revisionsgründe stütze. Nichts anderes kann aber gelten, wenn in einer nach § 500 Abs 3 ZPO zugelassenen Revision kein Revisionsgrund nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO geltend gemacht wird (4 Ob 328/84; 6 Ob 523/84).

Solche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO werden jedoch in der Revision des Klägers nicht geltend gemacht. Dies gilt zunächst für den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens (§ 510 Abs 3 ZPO).

Aber auch in der Rechtsrüge werden solche Fragen nicht aufeworfen. Der Kläger versucht hier nur sinngemäß darzutun, dass die Feststellung des Oberlandesgerichts Graz über die vom Beklagten eingehaltene Fahrgeschwindigkeit den Denkgesetzen widerspreche, weil sie mit den übrigen Feststellungen über die Fahrgeschwindigkeit des Klägers, die vom Kläger nach seinem Einbiegen in die Ossiacher‑Bundesstraße auf dieser bis zur Kollision zurückgelegte Strecke und den vom Beklagten auf der Ossiacher‑Bundesstraße zurückgelegten Weg aus seiner Position im Zeitpunkt des Einfahrens des Klägers in dieser Straße bis zum Kontakt nicht in Einklang zu bringen sei.

Dies ist unzutreffend. Denn der Kläger legte nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Graz vom Einfahren in die Ossiacher‑Bundesstraße (80 m vor dem Fixpunkt) bis in die Kontaktposition (2 m vor dem Fixpunkt) etwa 78 m mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h zurück, der Beklagte aus seiner Position im Augenblick des Einfahrens des Klägers in die Ossiacher‑Bundesstraße (180 m vor dem Fixpunkt) bis in die Kontaktposition (2 m vor dem Fixpunkt) etwa 178 m mit einer Geschwindigkeit von 73,8 km/h. Die kurzzeitige Bremsung des PKW des Beklagten kann in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. Nach diesen Feststellungen betrug rechnerisch der Zeitbedarf des Klägers für eine zurückgelegte Strecke von 78 m somit 7,02 bis 9,36 Sekunden, der des Beklagten für eine zurückgelegte Strecke von 178 m 8,68 Sekunden. Da diese letztere Zeitspanne innerhalb der dargestellten zeitlichen Grenzen liegt, die der Kläger für die Zurücklegung der Strecke vom Einfahren in die Ossiacher‑Bundesstraße bis in die Kontaktposition benötigte, kann von einer Denkgesetzwidrigkeit der getroffenen Feststellung über die Fahrgeschwindigkeit des Beklagten keine Rede sein.

Jedenfalls macht der Kläger mit seinen diesbezüglichen Revisionsausführungen auch nicht die unrichtige Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts, der erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zukommt, geltend. Dass das angefochtene Urteil mit anderen materiell‑rechtlichen Fehlern behaftet sei, wird in der Revision nicht behauptet.

Da somit der Kläger in seinem Rechtsmittel keinen Revisionsgrund nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO (§ 503 Abs 2 ZPO) geltend macht, ist es, wie oben ausgeführt, als unzulässig zurückzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten seines unzulässigen Rechtsmittels. Aber auch ein Zuspruch von Kosten der Revisionsbeantwortung an den Beklagten kommt nicht in Betracht, weil er den vorliegenden Zurückweisungsgrund nicht geltend gemacht hat (§§ 40, 41, 50 ZPO).

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