Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 22. 9. 1980, ON 5, wurden der Minderjährigen ab 1. 9. 1980 Unterhaltsvorschüsse gewährt. Diese wurden mit Beschluss vom 29. 8. 1983, ON 27, für die Zeit vom 1. 8. 1982 bis 31. 3. 1983 auf 1.000 S herabgesetzt und ab 1. 4. 1983 eingestellt. Mit Beschluss vom 20. 4. 1984, ON 36, verpflichtete das Erstgericht die Minderjährige, den Betrag von 18.000 S an zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüssen in 45 Monatsraten zu je 400 S beginnend mit Mai 1984 zurückzubezahlen.
Das Rekursgericht gab dem gegen den Beschluss des Erstgerichts gerichteten Rekurs der Minderjährigen nicht Folge.
Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen. Sie macht die Rekursgründe der offenbaren Gesetzwidrigkeit und der Aktenwidrigkeit geltend und beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass der Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, die Minderjährige zur Rückzahlung von Unterhaltsvorschüssen von insgesamt 18.000 S zu verpflichten, abgewiesen werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig, weil weder eine offenbare Gesetzwidrigkeit noch eine Aktenwidrigkeit und somit kein zulässiger Anfechtungsgrund iSd § 16 AußStrG vorliegt.
Die Minderjährige vertritt die Ansicht, sie sei deshalb nicht zur Rückzahlung der zu Unrecht gewährten Vorschüsse verpflichtet, weil diese iSd § 22 Abs 1 UVG für ihren Unterhalt verbraucht worden seien. Zu dieser Frage führte das Rekursgericht Folgendes aus:
Entscheidend sei, was man unter dem „Unterhalt des Kindes“ iSd § 22 Abs 1 UVG zu verstehen habe. Verbrauchen könne man schließlich auch Beträge, die ein Vielfaches des sogenannten Durchschnittsbedarfs ausmachen. Es entspreche aber keinesfalls der Tendenz und dem Sinn des Unterhaltsvorschussgesetzes, dass bei der Anwendung des § 22 nur auf den Verbrauch abgestellt werden solle. Der Begriff „Unterhalt des Kindes“ müsse vielmehr eingeschränkt ausgelegt werden. Durch das Unterhaltsvorschussgesetz solle der Unterhalt jener Kinder gewährleistet werden, die aus den verschiedensten Gründen von den Personen, die ihnen gegenüber unterhaltspflichtig seien, den Unterhalt nicht erhielten. Dabei dürfen die Vorschüsse gemäß § 6 Abs 1 UVG den Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c bb erster Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktor, nicht übersteigen. Dieser Richtsatz betrage am 1. 1. 1984 2.878 S monatlich. Das Rekursgericht vertrete daher den Standpunkt, dass unter „Unterhalt des Kindes“ iSd § 22 Abs 1 UVG der jeweils bevorschusste Betrag, zumindest aber der jeweilige Durchschnittsbedarf (und allenfalls ein Sonderbedarf) zu verstehen sei. Dabei sei unter dem Durchschnittsbedarf jener Bedarf zu verstehen, den ein jedes Kind einer bestimmten Altersgruppe habe, um so leben zu können, wie der Durchschnitt gleichaltriger Kinder bei durchschnittlichen Einkommensverhältnissen seiner Eltern. Nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bevorschusst würden ja entweder die nach den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen titelmäßig festgesetzten Beträge (§§ 3, 4 Z 1 und 4 und § 5 Abs 1 UVG) oder in den Fällen des § 4 Z 2 und 3 UVG die im § 6 Abs 2 festgesetzten Beträge, in allen Fällen jedoch im Rahmen des Richtsatzes für pensionsberechtigte Halbwaisen im Sinne der schon zitierten Bestimmungen des ASVG. Das Rekursgericht sei daher der Auffassung, dass der Verbrauch für den Unterhalt iSd § 22 Abs 1 UVG nicht unbegrenzt, sondern nur im Rahmen des jeweils gewährten Vorschusses bzw des gegebenen Durchschnittsbedarfs (sowie eines allfälligen Sonderbedarfs) geschützt sei. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass die für die mj Sabine zu Unrecht angewiesenen Vorschussbeträge von dieser zurückzuzahlen seien. Während des Zeitraums, für den die Vorschussbeträge rückwirkend auf 1.000 S herabgesetzt worden seien, seien der Minderjährigen zusammen mit ihrer Lehrlingsentschädigung knapp 3.500 S im Monatsdurchschnitt verblieben. Ab dem Zeitpunkt, mit dem die Vorschüsse überhaupt eingestellt worden seien, habe sie knapp 3.200 S zur Verfügung gehabt. Vergleiche man diese Beträge mit dem nach Erfahrungswerten ermittelten Durchschnittsbedarf eines Kindes im Alter von 15 bis 19 Jahren, der im fraglichen Zeitraum bei 2.850 S monatlich gelegen sei, so ergebe sich, dass die Minderjährige während des gesamten Zeitraums in der Lage gewesen sei, ihren Unterhalt aus ihrem eigenen Einkommen und einem zunächst noch angemessenen Vorschussbetrag von 1.000 S zu bestreiten. Ein Sonderbedarf des Kindes könne darin, dass es für eine Bündel-Haushaltsversicherung rund 365 S monatlich bezahle und seiner Mutter 500 S monatlich für das Wohnen gebe, nicht erblickt werden. Warum weit in der Vergangenheit aufgelaufene Unterhaltsrückstände einen überdurchschnittlich hohen Unterhaltsverbrauch rechtfertigen und einer Rückzahlungsverpflichtung entgegenstehen sollten, sei nicht recht einzusehen. Durch die niedrigen Raten, die das Erstgericht gewährt habe, sei auch der laufende Unterhalt der Minderjährigen nicht gefährdet. Sie sei ab April 1984 im dritten Lehrjahr und verdiene seither sicherlich ein paar hundert Schilling mehr als im zweiten Lehrjahr. Damit könne sie auf 400 S monatlich verzichten, ohne sich unzumutbar einschränken zu müssen. Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass als nächster Rückzahlungspflichtiger voraussichtlich die Mutter, Ingeborg W*****, in Frage käme, weil nach dem derzeitigen Akteninhalt alles dafür spreche, dass sie die ihr im § 21 UVG auferlegte Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig vernachlässigt habe.
Die hier entscheidende Rechtsfrage wurde vom Obersten Gerichtshof in der (erst nach der Rekursentscheidung ergangenen und bisher unveröffentlichten) Entscheidung 3 Ob 548/84 erörtert. Dort führte der Oberste Gerichtshof aus, der Ansicht des Rekursgerichts, eine Verwendung der Unterhaltsvorschussbeträge für den Unterhalt des Kindes sei immer ausgeschlossen, wenn die rückwirkende Einstellung der Unterhaltsvorschüsse wegen der eingetretenen Selbsterhaltungsfähigkeit erfolgt sei, könne nicht beigetreten werden. Die Beurteilung, ob das Kind unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig sei, beziehe auch ein, inwieweit der Unterhaltspflichtige nach seinen Kräften zur Unterhaltsleistung in der Lage sei (§ 140 ABGB). Erhalte das Kind zusätzlich zu seinen eigenen Einkünften Unterhaltsbeträge (oder Vorschüsse), die an sich zu Unrecht bezahlt worden seien, aber durch deren Auszahlung das Kind zum Verbrauch derselben für die laufende Lebenshaltung veranlasst worden sei, sei - Redlichkeit vorausgesetzt - die Verpflichtung zum Rückersatz nicht gegeben. Die Redlichkeit könne in diesem Fall nicht verneint werden, weil sich das höhere eigene Einkommen nur durch von Monat zu Monat unterschiedlich hohe Zahlungen an Entfernungszulagen und geleistete Überstunden ergeben habe und zugleich mit der der Auszahlung vorangehenden Verständigung von der Gewährung der Vorschüsse an die Mutter der Beschluss zugestellt worden sei, mit welchem das Erstgericht den Unterhaltsenthebungsantrag des Vaters abgewiesen habe. Da nicht verlässlich habe abgeschätzt werden können, ob die Einkommenserhöhung von Dauer sein werde, könne weder dem Kind noch der Mutter, an die die Vorschüsse bezahlt worden seien und die darüber für das Kind verfügt habe, vorgeworfen werden, sie hätten im Bewusstsein, dass die Zahlung zu Unrecht erfolgt sei, diese Gelder für den Unterhalt des Kindes verbraucht. Das Kind sei daher zum Rückersatz wegen Verbrauchs der Vorschüsse nicht verpflichtet.
Der Oberste Gerichtshof lehnte somit - im Gegensatz zu der im vorliegenden Fall vom Rekursgericht vertretenen Ansicht- eine Rückzahlungspflicht dann ab, wenn der Vorschuss redlich verbraucht wurde. Im vorliegenden Fall muss aber - im Gegensatz zu 3 Ob 548/84 - die Redlichkeit verneint werden. Dies deshalb, weil das Einkommen, das die Minderjährige bereits seit 1. 4. 1982 bezog, dem Gericht nicht bekanntgegeben wurde. Es lag daher eine Verletzung der Mitteilungspflicht iSd § 21 UVG vor. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass ein gutgläubiger Verbrauch der zu Unrecht ausgezahlten Beträge für die laufende Lebenshaltung durch die Auszahlung der Vorschüsse veranlasst wurde.
Im vorliegenden Fall ist daher nicht entscheidend, ob eine Verwendung der Unterhaltsvorschussbeträge für den Unterhalt des Kindes immer ausgeschlossen ist, wenn die rückwirkende Einstellung der Unterhaltsvorschüsse wegen der eingetretenen Selbsterhaltungsfähigkeit erfolgte, sondern, ob ein Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse iSd § 22 UVG dann zu erfolgen hat, wenn die Unterhaltsvorschüsse zwar für die laufende Lebenshaltung des selbsterhaltungsfähigen Minderjährigen verwendet wurden, die Redlichkeit dieser Verwendung aber verneint werden muss. Die Ansicht, dass bei Unredlichkeit (davon, dass eine solche vorlag, ging auch das Rekursgericht aus, wie sich aus seinen Ausführungen über die Vernachlässigung der Mitteilungspflicht ergibt) von einem Verbrauch für den Unterhalt des selbsterhaltungsfähigen Kindes nicht gesprochen werden kann, ist jedenfalls nicht offenbar gesetzwidrig (vgl JBl 1984, 486). Von einer offenbaren Gesetzwidrigkeit iSd § 16 Abs 1 AußStrG kann nämlich nach ständiger Rechtsprechung nur dann gesprochen werden, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar geregelt ist, dass überhaupt kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann, und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde (EFSlg 42.327 uva). Einer eindeutigen gesetzlichen Regelung widerspricht die oben angeführte Ansicht jedoch keinesfalls. Sie steht auch in keinerlei Widerspruch zur Entscheidung 3 Ob 548/84, da dort neben dem Verbrauch für die laufende Lebenshaltung ausdrücklich auch Redlichkeit gefordert wurde, um einen Anspruch auf Ersatz zu Unrecht gewährter Vorschüsse verneinen zu können.
Eine offenbare Gesetzwidrigkeit liegt somit nicht vor.
Zum Anfechtungsgrund der Aktenwidrigkeit führt die Rechtsmittelwerberin aus, die Ansicht des Rekursgerichts, sie verdiene seit April 1984 „sicherlich ein paar hundert Schilling mehr als im zweiten Lehrjahr“, sei durch kein einziges Verfahrensergebnis begründet und sei somit als aktenwidrig anzusehen. Von einer Aktenwidrigeit iSd § 16 AußStrG kann jedoch keine Rede sein. Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann gegeben, wenn das Rekursgericht in einem wesentlichen Punkt den Inhalt einer Parteienbehauptung, eines Protokolls, eines Beweisergebnisses oder eines sonstigen Aktenstücks falsch wiedergegeben und auf diese Weise einen fehlerhaften Sachverhalt festgestellt und seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat (EFSlg 42.361).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, weil das Rekursgericht nicht davon ausging, aus dem Akteninhalt ergebe sich, dass die Minderjährige im dritten Lehrjahr ein höheres Einkommen beziehe als im zweiten. Das Rekursgericht gelangte zu seiner diesbezüglichen Ansicht vielmehr offenbar aufgrund seiner Erfahrung, dass kollektivvertraglich festgelegte Lehrlingsentschädigungen im dritten Lehrjahr in der Regel höher sind als im zweiten Lehrjahr. Der Umstand, dass nicht geprüft wurde, ob dies auch bei der Minderjährigen Sabine W***** der Fall ist, könnte höchstens eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (der aber keinesfalls das Gewicht einer Nichtigkeit zukäme) darstellen, keinesfalls aber eine Aktenwidrigkeit.
Aus all diesen Gründen musste der außerordentliche Revisionsrekurs zurückgewiesen werden.
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