OGH 2Ob624/84

OGH2Ob624/849.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Kurt R*****, vertreten durch Dr. Friedrich Witschka, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franz M*****, vertreten durch Dr. Rainer Schischka, Rechtsanwalt in Wien, wegen Schadenersatzes und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 1984, GZ 13 R 113/84-30, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Februar 1984, GZ 19 Cg 481/82-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat dem Beklagten die mit 13.745,55 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 1.920 S Barauslagen und 1.075,05 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 12. 4. 1981 stürzte der Kläger, als er im Städtwäldchen Küniglberg mit seinem Hund spazieren ging, weil der Schäferrüde des Beklagten gegen sein Standbein stieß. Der Kläger erlitt hiedurch eine Kompressionsfraktur des ersten lumbalen Wirbelkörpers.

Der Kläger begehrte Schadenersatz und stellte außerdem ein Feststellungsbegehren. Er brachte vor, der Beklagte habe den Unfall allein verschuldet und dem Kläger nach § 1320 ABGB den gesamten Schaden zu ersetzen, weil er seinen Hund nicht an der Leine gehalten und somit nicht ordnungsgemäß verwahrt habe.

Der Beklagte wendete ein, dass er, der Kläger sowie zwei weitere Personen mit ihren Hunden im freien Gelände spazieren gegangen seien, um den Hunden den nötigen Auslauf zu verschaffen. Deshalb seien die Hunde nicht an der Leine gewesen. Da der Kläger selbst seinen Hund habe frei laufen lassen und auch damit einverstanden gewesen sei, dass die anderen Hunde frei herumliefen, habe eine Verpflichtung des Beklagten, seinen Hund an der Leine zu führen, nicht bestanden, weshalb der Beklagte seine Verwahrungspflicht nicht verletzt habe. Den Beklagten treffe daher keine Schadenersatzpflicht. Allenfalls sei aber dem Kläger ein Mitverschulden anzulasten, weil er sich der Personengruppe mit den frei laufenden Hunden angeschlossen und daher in Kauf genommen habe, von einem der Hunde niedergerannt zu werden.

Das Erstgericht erkannte - ausgehend von einer Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Gunsten des Klägers - teilweise im Sinne des Leistungsbegehrens. Das Feststellungsbegehren und ein Leistungsteilbegehren wurden abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, wohl aber jener des Beklagten und änderte das Ersturteil dahin ab, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Streitwert 300.000 S übersteige.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Klägers. Er macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist Folgendes hervorzuheben:

Der Kläger ging am Tag des Unfalls zunächst mit seinem Dackel, den er frei umherlaufen ließ und der keinen Beißkorb trug, allein spazieren. Dann traf er drei ebenfalls mit ihren frei umherlaufenden Hunden spazierengehende Hundebesitzer, und zwar den Beklagten mit seinem Schäferhund, einen weiteren Mann mit einem Schnauzerweibchen und eine Frau mit ihrem Dalmatiner. Der Kläger schloss sich dieser Gruppe an und verlangte nicht, dass die anderen ihre größeren Hunde an die Leine nehmen. Die vier Personen gingen etwa 10 bis 15 Minuten gemeinsam, und zwar der Kläger links außen. Dann lief das Schnauzerweibchen, das vor den Hundebesitzern gelaufen war, zu dem sich hinter den Hundebesitzern befindlichen Schäferhund, setzte sich und berührte den Schäferhund mit der Pfote; dadurch forderte sie ihn zum Spiel auf. Der Beklagte unterhielt sich gerade mit der Frau, beide drehten sich um und sahen den Hunden zu. Das Schnauzerweibchen rannte auf die linke Seite und stieß dabei gegen das Standbein des Klägers, der Schäferhund rannte ihr nach und stieß so gegen das Standbein des Klägers, dass dieser auf den Rücken fiel.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dem Beklagten sei der Beweis, dass er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes gesorgt habe, misslungen. Wenn er seinen Schäferhund schon habe frei umherlaufen lassen, hätte er ihn mit Rücksicht auf den älteren Kläger im Auge behalten und sofort bei Gefahr eingreifen müssen. Der Beklagte habe selbst gesehen, dass das Schnauzerweibchen seinen Hund zum Spielen aufforderte. Tiere im Spiel seien aber besonders unberechenbar. Der Kläger hätte also schon in diesem Augenblick seinen Hund zurückhalten müssen. So hätte er bei entsprechender Sorgfalt den Unfall vermeiden können. Da aber der Kläger sich trotz seines Alters (1906 geboren) und seines Leidens (Spondylose) der Gruppe mit drei umherlaufenden Hunden angeschlossen habe, ohne darauf zu bestehen, dass die anderen die Hunde an die Leine nehmen, widrigenfalls er sich eben entfernen hätte müssen, und er in der Folge auf die Hunde nicht mehr gedacht habe, treffe ihn ein, wenn auch geringes Mitverschulden, das mit einem Viertel angemessen erscheine. Ob der Unfall auch durch das Schnauzerweibchen ausgelöst worden sei, sei belanglos, da sich die Anteile nicht bestimmen ließen und der Beklagte jedenfalls gemäß § 1302 ABGB zur Gänze hafte.

Das Berufungsgericht gelangte unter Hinweis auf die Entscheidung 7 Ob 671, 672/77, in welcher bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt die Haftung der Hundebesitzerin verneint worden sei, zu dem Ergebnis, dass das freie Laufenlassen des Hundes des Beklagten beim Spaziergang gegenüber dem mit seinem Hund mitgehenden Kläger keine Vernachlässigung der erforderlichen und nach den gegebenen Umständen zumutbaren Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht dargestellt habe. Eine Verhinderung des Unfalls wäre nur durch das Führen des Hundes an der Leine möglich gewesen, wodurch aber der Zweck des Ausgehens mit den Hunden vereitelt gewesen wäre. Die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung eines der gemeinsam spazierengehenden Hundehalter durch die herumlaufenden Hunde sei sehr gering, so dass die Hundehalter dieses Risiko unter Berücksichtigung des Interesses daran, den Hunden den entsprechenden Auslauf zu ermöglichen, auf sich nehmen. Da der Kläger selbst seinen Hund habe frei laufen lassen und schon etwa 10 bis 15 Minuten mit den anderen Hundehaltern sowie deren frei laufenden Hunden spazieren gegangen sei, habe ihm gegenüber eine Verwahrung des Hundes des Beklagten durch ein Führen an der Leine oder durch sonstige besondere Maßnahmen nicht erfolgen müssen.

Der Revisionswerber führt aus, das freie Umherlaufenlassen des Hundes auf der Straße ohne ausreichende Kontrolle durch den Tierhalter stelle grundsätzlich eine Vernachlässigung der Verwahrungspflicht dar, auch wenn der Hund nicht bösartig sei. Der Haftungszweck des § 1320 ABGB umfasse die Vermeidung aller Schäden an Personen und Sachen, die aus dem nicht vernunft-, sondern instinktgelenkten gefährlichen Verhalten von Tieren drohen. Es sei bedeutungslos, aus welchen Gründen die notwendige Beaufsichtigung und Verwahrung unterlassen worden sei, so dass die Haftung des Halters auch dann gegeben sei, wenn die objektiv erforderlichen Maßnahmen schuldlos unterblieben seien. Nach herrschender Rechtsprechung erscheine eine verschuldensunabhängige Haftung des Tierhalters sachlich voll gerechtfertigt, weil Tiere aufgrund der Unberechenbarkeit ihres triebhaften Verhaltens, das auf menschliche Interessen nicht Rücksicht nehme, eine besondere Gefahrenquelle darstellen, welche nach der Größe und Kraft des Tieres im Einzelfall mehr oder weniger groß sein könne, aber grundsätzlich vorhanden sei. Schäferhunde seien eine besonders unberechenbare Rasse. Da der Halter eines Tieres die Gefahrenquelle schaffe und unterhalte, sei es nur recht und billig, ihm das volle Risiko aufzuerlegen, dass der typischen Tiergefahr entspreche. Im vorliegenden Fall bedürfe es dieser Verschuldensunabhängigkeit für die Haftungsbegründung des Beklagten gar nicht, weil der Beklagte seinen Schäferrüden ohne Leine nicht unbeaufsichtigt hinter sich hätte herumtollen lassen dürfen und er weiters, nachdem er seinen Rüden beim Spielen beobachtet und nach vorne stürmen gesehen habe, diesen sofort hätte anhalten oder zurückpfeifen müssen. Keineswegs sei es Aufgabe des Klägers gewesen, die nicht ihm gehörigen Tiere der anderen drei Personen im Auge zu behalten und allenfalls geeignete Abwehrhandlungen, die ihm gar nicht möglich gewesen wären, zu setzen. Unrichtig sei auch, dass dem Beklagten das Führen des Hundes an der Leine unzumutbar gewesen wäre, weil hiedurch der Zweck des Ausgehens mit den Hunden vereitelt wäre. Bilde ein Tier eine Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, die das anerkannt höchste Gut sei, dann habe die Interessenabwägung nicht zu Gunsten des freien Auslaufes des Hundes, sondern zu Gunsten der persönlichen Unversehrtheit des Menschen auszufallen.

Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

Gleichgültig, ob man die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB - wie die herrschende Rechtsprechung - als Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast oder - wie die Lehre (vgl die Nachweise in JBl 1982, 494) und ihr folgend die Entscheidung JBl 1982, 150 - als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung deutet, hat der Halter den nicht für den vom Tier herbeigeführten Schaden einzustehen, wenn ihm der Beweis gelingt, dass er für die nach der erwähnten Gesetzesstelle „erforderliche“ Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Dies ist allerdings nach objektiven Kriterien zu beurteilen. Hat der Tierhalter für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt, dann mangelt es an dem für seine Haftung vorausgesetzten objektiven Fehlverhalten im Sinne mangelnder Rechtswidrigkeit. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres durch seinen Halter erforderlich ist, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Jedenfalls hat der Tierhalter nur für die Unterlassung solcher Vorkehrungen einzustehen, die ihm zugemutet werden können, wobei die Anforderungen an seine Verwahrungs- und Aufsichtspflicht nicht überspannt werden dürfen (6 Ob 562/83). Die Anlegung eines derart strengen Maßstabes an die Verwahrungspflicht des Tierhalters, die diesem die Haltung gutmütiger Haustiere unmöglich machen und einer Erfolgshaftung nahekommen würde, kann nicht verlangt werden (Wolff in Klang 2 VI 113, ZVR 1975/78, 7 Ob 671, 672/77 ua). Richtig ist wohl, dass ein Tier durch sein unkontrolliertes Umherlaufen im Verkehr eine Gefahrenquelle darstellen kann. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Beklagte seinen Hund nicht auf einer öffentlichen Straße, sondern im Städtwäldchen Küniglberg frei herumlaufen ließ. Der auch für den Kläger eindeutig erkennbare Zweck des Spazierganges der Hundebesitzer war ohne Zweifel auch, den Hunden den nötigen Auslauf zu gewähren. Bei derartigen Spaziergängen entspricht es daher der Verkehrsübung, dass die Hundehalter ihre nicht bösartigen und folgsamen Tiere frei im Gelände umherlaufen lassen (SZ 25/278; 7 Ob 671, 672/77 ua). Für den Beklagten bestand daher keine Veranlassung, für eine besondere Verwahrung seines Hundes Sorge zu tragen, zumal auch der Kläger seinen Hund frei umherlaufen ließ. Für den Beklagten war es nicht vorhersehbar, dass der frei umherlaufende Hund nicht nur auf einer Straße mit Fahrzeugverkehr Unfälle herbeiführen kann, sondern auch im Wald eine Gefahrenquelle für Fußgänger darstellt. Auch der Kläger rechnete offenbar nicht mit einer derartigen Gefahr, weil er sich den anderen Hundebesitzern anschloss und ihm klar sein musste, dass die Hunde umherlaufen werden. Eine Verpflichtung des Beklagten, seinen Hund an der Leine zu führen, bestand daher im vorliegenden Fall nicht, weshalb dem Beklagten der ihm obliegende Beweis, für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Hundes iSd § 1320 ABGB gesorgt zu haben, gelungen ist.

Den Revisionsausführungen, der Tierhalter schaffe die Gefahr, weshalb er das volle Risiko trage, es sei eine Interessenabwägung nicht zu Gunsten des freien Auslaufes des Hundes, sondern zu Gunsten der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, die das höchste Gut darstelle, vorzunehmen, ist zu erwidern, dass das Gesetz keine reine Erfolgshaftung des Tierhalters kennt. Erbringt der Tierhalter einen Beweis iSd § 1320 ABGB, dann trifft ihn keine Haftung, auch wenn durch sein Tier jemand zu Schaden kam.

Der Revision des Klägers musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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