OGH 1Ob22/84

OGH1Ob22/848.10.1984

SZ 57/149

Normen

AHG §1
LMG §7
LMG §35
LMG §37
LMG §39
LMG §41
AHG §1
LMG §7
LMG §35
LMG §37
LMG §39
LMG §41

 

Spruch:

Der bei Ausübung der Fleischbeschau eine vorläufige Beschlagnahme aussprechende Tierarzt handelt in Vollziehung der Gesetze für den Rechtsträger Bund, der demjenigen, der Lebensmittel in Verkehr bringt, für die schuldhafte Überschreitung der gesetzlichen Befugnisse haftet; die Sicherung dessen Beweislage in einem Gewährleistungsprozeß ist jedoch vom Schutzzweck des Lebensmittelgesetzes nicht erfaßt

OGH 8. 10. 1984, 1 Ob 22/84 (OLG Linz 3a R 47/84; LG Linz 1 Cg 325/82)

Text

Der Kläger kaufte am 27. 12. 1977 bei der Firma M in Linz 471 kg tiefgefrorenes Rindfleisch (Lungenbraten) um den Preis von 62 669.40 S. Er transportierte das Fleisch mit seinem Kühlwagen nach P, wo er es noch am selben Tag in dem seiner Großschlächterei angeschlossenen Kühlhaus einlagerte. Am 28. 12. 1977 begutachtete der von der Gemeinde P bestellte Fleischbeschautierarzt Dr. Werner H routinemäßig dieses Fleisch. Da er Verdacht auf Verderbnis schöpfte, entnahm er fünf Fleischproben und zwei Lymphknoten und schickte sie zur Überprüfung an die veterinärmedizinische Untersuchungsanstalt in Salzburg. Dort wurden die Proben am 30. 12. 1977 mit dem Ergebnis untersucht, daß das gesamte Fleisch genußuntauglich sei. Hievon wurde Dr. Werner H am 31. 12. 1977 morgens telefonisch verständigt. Er machte daraufhin die gesamte Ware ungenießbar.

Der Kläger begehrte von der Firma M in dem zu 10 Cg 202/78 des Erstgerichtes eingeleiteten Verfahren die Rückzahlung des Kaufpreises von 62 669.40 S sA. Dieses Klagebegehren wurde mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 24. 4. 1981, 10 Cg 202/78-27, bestätigt mit Urteilen des OLG Linz vom 29. 9. 1981, 4 R 148/81-35, und des OGH vom 18. 2. 1982, 7 Ob 791/81, rechtskräftig abgewiesen. In diesem Verfahren wurde ua. festgestellt, es sei nicht möglich, eine Aussage zu machen, ob die Ware am 27. 12. 1977 in einen oder mehreren Punkten den Vorschriften des § 8 LMG 1975 nicht entsprochen habe. Der Kläger als Gewährleistungsberechtigter hätte den von ihm behaupteten Mangel des gekauften tiefgefrorenen Lungenbratens zu beweisen gehabt. Dieser Beweis sei ihm nicht gelungen.

Der Kläger begehrt von der beklagten Republik Österreich aus dem Titel der Amtshaftung die Bezahlung des Betrages von 191 006.24 S sA (Kaufpreis und Prozeßkosten des Vorprozesses). Der Fleischbeschautierarzt Dr. Werner H habe in Vollziehung der Gesetze rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Hätte Dr. Werner H die Proben tiefgefroren und unverzüglich an die veterinärmedizinische Untersuchungsanstalt gesendet, wäre es dem Kläger möglich gewesen, den Nachweis zu erbringen, daß das Fleisch am 27. 12. 1977 bereits verdorben gewesen sei. Im Vorprozeß sei das Klagebegehren nur abgewiesen worden, weil die Proben verspätet eingesendet worden seien. Es wäre auch notwendig gewesen, Koch- und Bratproben vorzunehmen. Gehe man vom Ergebnis des Vorprozesses aus, sei das Fleisch mangelfrei gewesen; die Beschlagnahme sei daher zu Unrecht erfolgt.

Die beklagte Partei wendete ein, der Transport der Probe sei zwar ohne Verwendung von Kühlboxen, aber in der für die Einsendung von Untersuchungsmaterial zur bakteriologischen Untersuchung üblichen Weise erfolgt. Auch sonst habe Dr. Werner H nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Es wäre Sache des Klägers gewesen, durch sofortige Kontrolle bei der Übernahme der Ware deren Zustand festzustellen und bei Bedarf zweckentsprechende Maßnahmen zur Beweissicherung zu ergreifen. Die Kontrolle des Fleisches durch den Amtstierarzt sei erfolgt, um zu verhindern, daß Lebensmittel der im § 7 LMG 1975 genannten Art in Verkehr gebracht würden, nicht aber um dem Händler, der selbst die gehörige Kontrolle unterlassen habe, eine Beweisführung zu ermöglichen. Es fehle daher am Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Handeln des Amtstierarztes und dem behaupteten Schaden. Der Schaden sei dem Kläger auf Grund der von ihm beim Kauf unterlassenen Kontrolle aus seinem Alleinverschulden, zumindest aber aus seinem überwiegenden Mitverschulden entstanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, Dr. Werner H habe das Fleisch am 28. 12. 1977 gegen 17 Uhr beschaut. Die Lungenbraten seien größtenteils noch in Kartons verpackt gewesen. Einige Stücke seien aber aufgetaut gewesen und seien im Kühlraum gehangen. An ihnen habe Dr. Werner H eine verdächtige graubraune Verfärbung und einen üblen Geruch, wie er für verdorbenes Fleisch typisch sei, wahrgenommen. An den sodann aus den Kartons ausgepackten Stücken, die in Folien verpackt gewesen seien, sei ihm eine gefrorene orange-rosafarbene Flüssigkeit aufgefallen, die ihn davon überzeugt habe, daß die Fleischstücke zwischendurch bereits angetaut gewesen und dann wieder eingefroren worden waren. Er habe den Kläger auf diese Zeichen von Verderbnis aufmerksam gemacht und ihm vorerst den Weiterverkauf des Fleisches untersagt. Er habe aus den fünf Kartons je ein Stück zur Probe entnommen. Er habe diese Proben in den Folien mittels heißen Wassers aufgetaut, sodann die Folien geöffnet und jeweils ein Stück mitsamt den Lymphknoten herausgeschnitten. Diese Proben habe er in Papiersäcke und Blechcontainer, die er eigens für diesen Zweck von der Untersuchungsanstalt und der Bezirkshauptmannschaft Braunau erhalten habe, gepackt. Dr. Werner H habe die Proben in seinem PKW auf einer Fahrtstrecke von zirka 8 km zu sich nach Hause gebracht und in seinen Kühlschrank gelegt, der auf eine Innentemperatur von etwa plus 4 Grad C geschaltet gewesen sei. Von dort habe er die Proben am folgenden Nachmittag entnommen und sie expreß beim Postamt H A aufgegeben. Von dort seien sie mit dem Postautobus um zirka 16.45 Uhr nach Salzburg abgegangen. Schon am nächsten Morgen seien sie der veterinärmedizinischen Untersuchungsanstalt zugestellt worden. Wo und unter welchen Temperaturverhältnissen sie in der Nacht vom 29. auf den 30. 12. 1977 gelagert gewesen seien, stehe nicht fest. Im Freien habe damals eine Temperatur von erheblichen Minusgraden geherrscht. Schon am frühen Vormittag des 30. 12. 1977 habe Dr. Werner H über seine telefonische Anfrage bei der Untersuchungsanstalt die Mitteilung erhalten, daß das Fleisch dort eingelangt und offensichtlich verdorben sei. Am 31. 12. 1977 um 7.30 Uhr sei Dr. Werner H seitens der Untersuchungsanstalt telefonisch das Ergebnis der Überprüfung mitgeteilt worden. Die Proben seien hochgradig von Kokken und Colibakterien befallen und das Fleisch dadurch völlig verdorben gewesen. Dr. Werner H sei darauf zum Kläger gegangen und habe in dessen Gegenwart und mit seinem Einverständnis das Fleisch genußuntauglich gemacht. Von irgendwelchen Kontrolluntersuchungen sei bei dieser Intervention keine Rede gewesen. Dr. Werner H habe dazu keinen Anlaß gesehen, auch der Kläger habe danach nicht gefragt. Das Fleisch sei schon im Zeitpunkt der Probennahme durch Dr. Werner H am 28. 12. 1977, aber auch schon bei der Übernahme durch den Kläger am Vortag zumindest schwer bakteriell belastet und soweit verdorben gewesen, daß es für den Konsum nicht mehr geeignet gewesen sei. Eine wissenschaftlich exakte Bestimmung des Verderbnis grades sei für diese Zeitpunkte allerdings nicht möglich. Der Zustand hätte auch noch durch eine Koch- und Bratprobe sowie durch pH-Wertbestimmung, das sei eine Prüfung der Wasserstoffkonzentration bzw. des Säurenwertes, kontrolliert werden können. Diese Methoden seien auch einem Fleischhauer kraft seiner Berufsausbildung ohne weiteres möglich, sie hätten aber am Ergebnis nichts geändert. Allerdings wäre dadurch die Beweislage des Klägers im Vorprozeß wesentlich verbessert worden. Die Verwendung von Kühlboxen sei für die Übersendung von infektiösem empfindlichem Material, wenn höhere Außentemperaturen herrschten, angebracht und auch üblich, aber nicht vorgeschrieben; im Winter sei eine solche Übersendungsart auch nicht nötig, zumal es sich dabei um eine sehr aufwendige Methode handle.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß Dr. Werner H als Vollzugsorgan des Bundes eingeschritten sei. Zweck der Lebensmittelpolizei sei der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und damit korrespondierend die korrekte Handhabung des Schutzes, somit die Vermeidung ungerechtfertigter Beschlagnahme. Nicht vom Normzweck umfaßt sei die Beweissicherung gegenüber dem Vormann des von der Beschlagnahme Betroffenen. Hier liege die Initiative bei dem, der die Ware in Verkehr setze. Nach § 6 Abs. 7 der Beilage II der Verordnung der Bundesministerien für Land- und Forstwirtschaft und für soziale Verwaltung vom 6. 9. 1924, BGBl. Nr. 342, über die Vieh- und Fleischbeschau und den Verkehr mit Fleisch seien Koch- und Bratproben nur bei Bedarf vorgesehen. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben, wenn vom Organ Fleischproben zur bakteriologischen Untersuchung eingesendet würden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Revision erklärte es für zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Der Vorwurf, Dr. Werner H habe die Verderbnis des entnommenen Fleisches durch unsachgemäße Behandlung der Proben verursacht, sei widerlegt. Eine schuldhafte Unterlassung verpflichte nur dann zur Haftung, wenn das Organ nach dem Schutzzweck der übertretenen Vorschrift auch gegenüber dem Geschädigten zum Handeln verpflichtet gewesen wäre; der nach dem allgemeinen bürgerlichen Recht geforderte Rechtswidrigkeitszusammenhang müsse vorliegen. Abgesehen davon, daß dem Erstgericht darin beizupflichten sei, daß die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen über die amtliche Fleischbeschau keine privatrechtliche Beweissicherung zu Regreßzwecken verfolgten, mangle es auch an einem Fehlverhalten des Organs. Nach § 6 Abs. 17 der Beilage II zur Vieh- und Fleischbeschauverordnung sei die Versendung von Proben durch die Post erlaubt. Eine spezielle Verpackungsart sei nicht vorgeschrieben. Die Nichtverwendung von Kühlboxen sei in Anbetracht der ohnehin kühlen Außentemperaturen zulässig gewesen. Gemäß § 6 Abs. 7 der genannten Beilage seien nach Bedarf Koch- und Bratproben anzustellen. Ein solcher Bedarf sei nicht gegeben gewesen, da Dr. Werner H die Verderbnis des Fleisches auch ohne weitere Sinnenprüfung sofort erkannt habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Haftpflicht des Rechtsträgers nach dem Amtshaftungsgesetz erstreckt sich auf jeden, dessen Schutz die verletzte Rechtsnorm bezweckt (EvBl. 1982/51; SZ 53/12; SZ 52/186 ua.). Hauptziel des Lebensmittelgesetzes 1975 ist der notwendige Schutz des Konsumenten vor gesundheitlicher Gefährdung und vor Irreführung (RV 4 BlgNR 13. GP; 21). Diesem Zweck dient insbesondere die im 5. Abschn. des Gesetzes geregelte Überwachung des Verkehrs mit den durch das Lebensmittelgesetz erfaßten Waren durch Aufsichtsorgane (§§ 35 ff. LMG), zu denen gemäß § 41 LMG auch die unter anderem zu vorläufiger Beschlagnahme befugten Tierärzte bei Ausübung der Fleischbeschau zählen. Soweit solche für den Bund handelnde Organe hoheitliche Verfügungen treffen, dienen die Grenzen der sie dazu ermächtigenden Normen des Lebensmittelgesetzes auch dem Schutz der Rechtssphäre dessen, der Lebensmittel in Verkehr bringt. So darf der Eingriff in das Eigentum nur ein solches Ausmaß haben, daß eine an dem Zweck der Überwachung orientierte Untersuchung nach den hiefür in Betracht kommenden Untersuchungsmethoden möglich ist (VfGH Slg. 8471/1978). Darüber hinaus ist der Betroffene insoweit zu schützen, daß er ihm unrichtig erscheinende Gutachten der Untersuchungsanstalten, die zur Einleitung von Verwaltungs- oder gerichtlichen Strafverfahren führen, ohne Beweisnotstand überprüfen kann (vgl. SSt 23/100; ÖVA 1963, 106). Schutzzweck der Vorschriften des Lebensmittelrechtes ist hingegen bei teleologischer Betrachtungsweise (ZVR 1984/214; ZVR 1983/35; SZ 54/108 mwN uva.) nicht die Sicherung der Beweislage dessen, der Lebensmittel in Verkehr bringt, in einem späteren Gewährleistungsprozeß, in dem es auch nicht auf den Zustand der Ware im Zeitpunkt ihrer Untersuchung, sondern im Zeitpunkt der Übernahme ankommt. Ein vom Kläger behauptetes rechtswidriges Handeln des gemäß § 41 LMG funktionell für den Bund tätig gewesenen Tierarztes bei der Fleischbeschau stunde in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang mit allfälligen Beweisschwierigkeiten des Klägers in einem gegen seinen Lieferanten angestrengten Prozeß. Solche Schwierigkeiten folgen nicht aus einer fehlerhaften Beschau, sondern aus der Unterlassung eigener Tätigkeiten des Klägers zur Wahrung seiner Interessen der Firma M. gegenüber. Allein Sache des Klägers war es, etwa in einem in der Zivilprozeßordnung vorgesehenen Verfahren zur Sicherung von Beweisen, eine sichere Beweisgrundlage für einen Gewährleistungsprozeß zu schaffen. Das Begehren ist daher schon aus diesem Gründe nicht berechtigt.

Dem Organ ist aber auch rechtswidriges Verhalten nicht anzulasten. Nach § 6 Abs. 17 lit. a der Beilage II der als Gesetz geltenden Verordnung der Bundesministerien für Land- und Forstwirtschaft und für soziale Verwaltung vom 6. 9. 1924, BGBl. Nr. 342, über die Vieh- und Fleischbeschau und den Verkehr mit Fleisch, idF des Fleischbeschau-Übergangsgesetzes, BGBl. 331/1971, die bis zum Inkrafttreten des Fleischuntersuchungsgesetzes, BGBl. 1982/522, am 1. April 1983 (§ 51 Abs. 1 BGBl. 522/1982) gegolten hat, war die Postbeförderung bakteriologischer Proben als Eilpaket zulässig. Die Zwischenlagerung des Fleisches erfolgte sachgemäß. Soweit in der Revision behauptet wird, es könne nicht festgestellt werden, wann die Proben zur Post gegeben worden seien, wird die Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpft. Koch- und Bratproben waren nach § 6 Abs. 7 der genannten Beilage II nicht zwingend vorgeschrieben. Auf eine Verletzung der Vorschrift des § 39 Abs. 2 LMG war das Begehren nicht gestützt.

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