OGH 8Ob57/84

OGH8Ob57/844.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Stix als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) S*****, 2.) H*****, 3.) K*****, 4.) I*****, sämtliche *****, alle vertreten durch Dr. Klement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1.) J*****, 2.) D*****‑AG, *****, beide vertreten durch Dr. Gertrud Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Leistung und Feststellung (Revisionsinteresse der Erstklägerin 171.418,14 S sA), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 4. April 1984, GZ 17 R 54/84‑52, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom 31. Oktober 1983, GZ 1 Cg 142/81‑47, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0080OB00057.840.1004.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Erstklägerin die mit 7.135,89 S (darin 640 S Barauslagen und 590,54 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 21. 6. 1978 ereignete sich auf der Bundesstraße ***** zwischen G***** und O***** ein Verkehrsunfall, bei dem der Erstbeklagte den bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Peugeot Combi 504, polizeiliches Kennzeichen *****, lenkte. Im Zuge eines Überholmanövers kam er von der Fahrbahn ab, wobei sich das Fahrzeug mehrmals überschlug und unter anderem F***** getötet wurde.

Die Erstklägerin, die Gattin des Getöteten, stellte ein Renten‑ und ein Feststellungsbegehren, der Zweit‑ und Drittkläger, sowie die Viertklägerin erhoben lediglich Feststellungsbegehren.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klagebegehren, wendeten ursprünglich ein Mitverschulden des Getöteten ein, da er die Fahruntüchtigkeit des Erstbeklagten habe erkennen können und sich ihm trotzdem anvertraut habe, und bestritten das Begehren im Übrigen der Höhe nach.

Das Erstgericht sprach der Erstklägerin 60.116,08 S sA an kapitalisierter Rente, eine monatliche Rente von 1.921,52 S vom 1. 5. bis 31. 12. 1981, von 1.533,95 S vom 1. 1. bis 28. 2. 1982, von 1.845,20 S vom 1. 3. bis 31. 12. 1982, von 1.507 S vom 1. 1. bis 28. 2. 1983 und von 507 S vom 1. 1. 1983 bis 31. 3. 1983 sowie eine monatliche Nettorente von 771,50 S vom 1. 4. 1983 bis zum 12. 3. 2000. Das Leistungsmehrbegehren der Klägerin wurde abgewiesen; hingegen wurde allen Feststellungsbegehren stattgegeben.

Infolge Berufung der Beklagten hob das Gericht zweiter Instanz das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich des Zweit‑ und Drittklägers sowie hinsichtlich der Viertklägerin einschließlich des vorausgegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies die Klage in diesem Umfang zurück. Hinsichtlich der Erstklägerin gab es der nur gegen den Ausspruch über die Leistungsbegehren gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, dass die Revision gegen das Urteil, soweit es die Erstklägerin betraf, zulässig sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der zeitlichen Begrenzung der Rentenleistungen an die Erstklägerin mit 13. 3. 1986 und Abweisung des über diesen Zeitpunkt hinausgehenden Rentenbegehrens.

Die Erstklägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage der Begrenzung der an die Erstklägerin zu erbringenden Rentenleistungen mit 13. 3. 1986 (Zeitpunkt des voraussichtlichen Übertritts des F***** in den Ruhestand mit Vollendung des 60. Lebensjahres) oder mit dessen fiktiver Lebenserwartung (12. 3. 2000) strittig.

Diesbezüglich hat das Erstgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der am 13. 3. 1926 geborene F***** war mit der Erstklägerin verheiratet; er war ab 4. 10. 1976 bei der Firma K***** GmbH als Angestellter beschäftigt. Er litt wohl an Herz‑ und Kreislauferkrankungen und war auch diesbezüglich in Behandlung, die Beeinträchtigungen waren jedoch nicht so schwer, dass daraus eine Verkürzung seiner Lebenserwartung resultierte. F***** hätte voraussichtlich bis zum 13. 3. 2000 gelebt. F***** wurde bei dem Verkehrsunfall aus dem Alleinverschulden des Erstbeklagten getötet. Im Zeitpunkt des Todes leistete F***** Unterhalt lediglich für die Erstklägerin, die nicht berufstätig war.

In rechtlicher Hinsicht war das Erstgericht der Auffassung, dass die Rentenleistungen an die Erstklägerin mit der Dauer der voraussichtlichen Lebenserwartung des F***** zu begrenzen sei.

Ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts billigte das Berufungsgericht hinsichtlich der Erstklägerin die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Zur Frage der Begrenzung der Rente mit der fiktiven Lebenserwartung des Gatten der Erstklägerin führte das Berufungsgericht aus, die Rechtsprechung habe zu dieser Frage zuletzt den Standpunkt eingenommen, dass es keine Rolle spielen könne, ob der Getötete den von ihm zu leistenden Unterhalt aus einem Erwerbseinkommen oder einer Pension bestreite. Da sich eine Prognose für einen längeren Zeitraum hinsichtlich der Entwicklung der Löhne und Sozialrenten nicht treffen lasse, seien mit dem Zuspruch von Unterhaltsansprüchen und Renten für die Zukunft wohl Unsicherheiten verbunden, die jedoch vom Gesetzgeber in Kauf genommen würden. Es sei Aufgabe der Erstklägerin, wahrscheinlich zu machen, dass die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende Entwicklung auch nach dem fiktiven Übertritt in den Ruhestand zu einem Unterhaltsanspruch geführt hätte.

Im vorliegenden Falle sei davon auszugehen, dass der Verunglückte zum Zeitpunkt seines Todes nur für die Erstklägerin sorgepflichtig war und diese keinem selbständigen Erwerb nachging, sodass anzunehmen sei, dass sich an der Unterhaltspflicht dem Grunde nach durch den Übertritt in den Ruhestand nichts geändert hätte. Der Höhe nach sei eine Prognose insbesondere wegen der ungewissen wirtschaftlichen Entwicklung und der geplanten Reformen des Sozialrechts nicht möglich, doch sei darauf Bedacht zu nehmen, dass die Erstklägerin bereits im März 1983 eine Wohnung bezogen habe, bei der geringere Fixkosten anfallen, die privaten Entnahmen des Verunglückten schon bisher gering waren und sich bei einem nicht mehr berufstätigen Manne erfahrungsgemäß weiter senkten. Unter Berücksichtigung der steigenden Tendenz der Inflationsrate könne davon ausgegangen werden, dass der der Erstklägerin ab dem fiktiven Übertritt ihres verunglückten Ehegatten in den Ruhestand gebührende Unterhaltsbetrag nicht wesentlich geringer sein werde, als der zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung festgesetzte. Es bleibe dem Schädiger unbenommen, eine Herabsetzung der Rente zu begehren, sobald eine verlässliche ziffernmäßige Überprüfung möglich sei und mit der aufgezeigten Wahrscheinlichkeit nicht in Einklang stünde.

In ihrer Revision vertreten die Beklagten die Auffassung, dass bei Hinterbliebenen unselbständiger Erwerbstätiger der Rentenzuspruch nur bis zum fiktiven Zeitpunkt der Erreichung des Pensionsalters (Vollendung des 60. Lebensjahres) zu erfolgen habe. F***** hätte das 60. Lebensjahr am 13. 3. 1986 vollendet, die Erstklägerin habe nicht bewiesen, dass ihr Gatte ohne den Unfall auch über dieses Alter hinaus gearbeitet hätte, die Leistung wäre daher mit 13. 3. 1986 zu begrenzen gewesen.

Diesen Ausführungen ist Folgendes zu erwidern:

Der Anspruch auf entgangenen Unterhalt gemäß § 1327 ABGB besteht so lange und in dem Umfange, als der Getötete nach dem Gesetz für den Unterhalt des Hinterbliebenen zu sorgen gehabt hätte. Es ist allgemein anerkannt, dass dem Hinterbliebenen auch nach dem Zeitpunkt, in dem der Getötete das Pensionsalter erreicht hätte, ein solcher Rentenanspruch gebühren kann. Auch in den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs ZVR 1961/288 und SZ 44/168 wurde nicht ausgesprochen, dass die Rente schlechthin mit jenem Zeitpunkt zu begrenzen sei, zu dem der Getötete in Pension gegangen wäre (SZ 53/96 ua). Es wurde zwar judiziert, dass eine Rente auf Lebenszeit über das Pensionsalter des Getöteten hinaus nur dann zugesprochen werden könne, wenn dies besonders begründet werde (SZ 45/73; ZAS 1974, 173 ua). Ebenso wurde aber auch die Auffassung vertreten, dass die Rente der Witwe zeitlich mit der mutmaßlichen Lebensdauer des Getöteten zu begrenzen sei und es, wenn eine Prognose über die Einkommensentwicklung des Getöteten für die Zeit nach dem fiktiven Übertritt in den Ruhestand nicht möglich sei, dem Schädiger überlassen bleibe, später eine Herabsetzung der Rente zu verlangen (ZVR 1978/23, 4 Ob 541/83). Ob es bei Berücksichtigung des Pensionsalters zur Begrenzung der Rente kommt oder nicht, hängt aber immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Es kommt darauf an, ob nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch noch nach diesem Zeitpunkt mit einem Unterhaltsentgang des Hinterbliebenen zu rechnen ist (SZ 53/96). Die nichtveröffentlichte Entscheidung 4 Ob 541/83 vom 21. 2. 1984, also aus jüngster Zeit, betraf ebenso wie die vorliegende Rechtssache den Rentenzuspruch an eine Witwe nach einem Angestellten in der Privatwirtschaft. Der erkennende Senat schließt sich der in den Entscheidungen ZVR 1978/23 und SZ 53/96, insbesondere auch in der Entscheidung 4 Ob 541/83 zum Ausdruck gebrachten Auffassung an, dass die einer Witwe zu leistende Rente grundsätzlich nicht mit der Erreichung des Pensionsalters des Unterhaltsverpflichteten zu begrenzen ist. Von dieser Rechtsansicht ausgehend ist aber dem Berufungsgericht beizupflichten, dass nach den Umständen des vorliegenden Falls, auf die die zweite Instanz zutreffend Bedacht genommen hat, davon ausgegangen werden kann, dass der Erstklägerin auch ab dem voraussichtlichen Übertritt ihres getöteten Ehegatten in den Ruhestand kein wesentlich geringerer Unterhaltsbetrag zugekommen wäre, als der vom Erstgericht nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung ausgemessene.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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